Tuesday, April 25, 2006

Happy Hour an der Tankstelle

Mag sein, dass viele nur deswegen gegen Ethanol als Kraftstoff sind, weil George W. Bush neuerdings dafür ist.

Es sind freilich nicht nur die üblichen Bedenkenträger, die es für eine Schnapsidee halten, aus Mais oder Zuckerrüben gewonnenen Alkohol in den Tank eines Autos zu schütten. Auf den ersten Blick mag es tatsächlich obszön erscheinen, für den Mobilitätsdrang der Industrienationen auch noch pflanzliche Grundnahrungsmittel zu verbrauchen. Aber auf dieser Welt würden bestimmt nicht mehr Leute satt, wenn die USA ihre Mais-Überproduktion einfach verrotten ließen. Das Ziel der Ethanol-Befürworter ist ohnehin, längerfristig Zellulose in Kraftstoff zu verwandeln - also Abfallprodukte aus Land- und Forstwirtschaft wie Maisstängel, Stroh und Holzspäne. Die kanadische Firma Iogen, Volkswagen und Shell prüfen gerade die Wirtschaftlichkeit einer Produktionsanlage für Zellulose-Ethanol in Ostdeutschland. Das Know-how, dank Biosprit aus nachwachsenden Rohstoffen von fossilen Energieträgern unabhängig zu werden, dürfte indessen auch ärmeren Ländern zugute kommen.

Und George W. Bush? Wenn der Mann einmal einen lichten Moment hat, sollte man das getrost hinnehmen - auch wenn ihm in Bezug auf die globale Erwärmung das entscheidende Erweckungserlebnis noch fehlt. Vielleicht ist der inzwischen schon legendäre Satz aus seiner jüngsten Lage-der-Nation-Rede "America is addicted to oil" das einzige Bush-Vermächtnis, an das sich die Nachwelt mit Wohlwollen erinnert. Womöglich weiß der US-Präsident das sogar selbst, trommelt neuerdings deswegen so eifrig für die erneuerbaren Energien. Welchen Grund hätte der Ölmann Bush sonst, plötzlich auf Sonnenenergie und Wasserstoff zu setzen? Allerdings verkörpert Bush persönlich auch nicht "Big Oil", sondern eher "Small Oil", wie er selbst einmal betonte - seine Ölfirma Arbusto hat nie auch nur einen einzigen Tropfen Öl gefördert, sondern bloß das Geld der Investoren verheizt. Wie bei Biografin Kitty Kelley nachzulesen, kursierte in Texas einst der Witz, Bush würde nicht einmal im lokalen 7-Eleven-Laden eine Dose Motorenöl finden... Für ihn war eben schon immer Past Peak Oil.

Jedenfalls hat Bush heute in einer Rede vor der Renewable Fuels Association wieder kräftig für alternative Kraftstoffe Wind gemacht - eigentlich hätte es darum gehen sollen, angesichts stetig steigender Benzinpreise die Mineralölkonzerne zur Räson zu bringen, schließlich streichen diese Milliardengewinne ein. Die Ölmultis haben auch weiterhin von Bush nichts zu befürchteten, wie sich bei der Gelegenheit herausstellte: Die Mehrbelastung durch die angekündigte Rücknahme von Steuererleichterungen bestreiten die doch lässig aus der Portokasse. Dafür machte sich Bush für sparsame Hybridantriebe, sauberen Diesel und Ethanol stark.

Bei derzeit genau 619 Tankstellen in den USA, die das auf Ethanol basierende E85 im Angebot haben, sieht es allerdings nicht danach aus, dass sich Autofahrer demnächst in größerem Stil zur Happy Hour an der Tankstelle treffen und ihr Vehikel mit der Spirituose aus der Zapfsäule abfüllen. Der reichste Mann der Welt hat indessen klar gemacht, dass er bei der Party mit dabei sein will: Bill Gates ist kürzlich mit 84 Millionen Dollar beim kalifornischen Biospritunternehmen Pacific Ethanol eingestiegen.

Nachtrag:
Natürlich habe ich wieder einmal schamlos übertrieben. Einem älteren Artikel aus dem "Rolling Stones" - Titel: "All Hat no Cattle" - entnahm ich, dass Bush nach jahrelanger erfolgloser Suche doch noch fündig wurde. Seine Firma dürfte aber weniger als 50.000 Barrel gefördert haben. Vielleicht hat er, frei nach Reinhard Mey, schließlich eine Pipeline angestochen: "Hab Erdöl im Garten, ob's stürmt oder schneit..."