Wednesday, November 8, 2006

Ein Stimmprozent für eine Million

„Ein guter Tag für die Demokraten“, titelte die „Ann Arbor News“, die Lokalzeitung aus der Tübinger Partnerstadt, heute in ihrer Online-Ausgabe. Das kann man wohl sagen – schließlich haben demokratische Kandidaten auf fast allen politischen Ebenen abgeräumt: Nicht nur im Repräsentantenhaus in Washington, sondern auch in Lansing im Bundesstaat Michigan stellen Demokraten jetzt die Mehrheit. Somit weiß Gouverneurin Jennifer Granholm künftig zumindest einer Kammer hinter sich, was das Regieren erheblich angenehmer machen dürfte; der Senat in Michigan bleibt republikanisch. Granholm selbst kann sich über ein komfortables Ergebnis freuen: 56 Prozent der Wähler stimmten für die amtierende Demokratin; ihr republikanischer Herausforderer Dick DeVos erhielt 42 Prozent der Stimmen.

Die Höhe des Wahlsieges kam laut Presseberichten selbst für die Anhänger der Amtsinhaberin überraschend. Denn der Geschäftsmann und Milliardär Dick DeVos, dessen Vater die Reinigungsmittelfirma Amway gründete, führte den teuersten Wahlkampf aller Zeiten in Michigan – 41 Millionen Dollar kostete der Spaß. Immerhin 35 Millionen Dollar hatte der Ex-Amway-Präsident dafür aus seinem Privatvermögen beigesteuert. Ein Stimmprozent kostete also knapp eine Million. Sauber!

Worüber unzählige Fernsehspots allerdings nicht hinwegtäuschen konnten: Eine konkrete Agenda ließ DeVos, ein Vertreter der christlichen Rechten, bis zum Schluss vermissen. Trotz schwieriger Wirtschaftslage im Bundesstaat Michigan setzten die Wähler daher wieder auf Granholm, die für den Niedergang der Autoindustrie schließlich nichts kann: "Unsere Wirtschaft hat sich 100 Jahre lang in diese Richtung entwickelt", sagte die Governeurin bei einem Interview. "Wir können jetzt nicht einfach einen Schalter umlegen und die Sache über Nacht verändern." Granholm möchte stattdessen den Strukturwandel in vernünftige Bahnen lenken und mehr Hightechfirmen nach Michigan bringen. Vor allem im Einzugsgebiet der Unistadt Ann Arbor erzielte sie mit dieser Strategie erste Erfolge. Insofern erstaunt es nicht, dass die charismatische Gouverneurin in Washtenaw County, zu dem Ann Arbor gehört, knapp 68 Prozent der Stimmen erhielt.

Noch besser schnitt Bürgermeister John Hieftje ab: Der Demokrat mit grünem Programm wurde mit 79 Prozent im Amt bestätigt. Hieftje, Bürgermeister seit dem Jahr 2000 und schon zum dritten Mal wieder gewählt, will in der kommenden Legislaturperiode neben der Stabilisierung der Stadtfinanzen vor allem seine ökologischen Projekte weiter verfolgen – die Förderung erneuerbarer Energien sowie eine Bahnverbindung zum Flughafen und ins nahe Detroit gehören zu seinen wichtigsten Anliegen. Wenn sie ihn noch ein paarmal wählen, fahren Metro Detroiter irgendwann im Bähnchen nach Ann Arbor zum Bummeln. Und müssen dann aufpassen, dass sie nicht von Radlern über den Haufen gefahren werden. Wie in Tübingen.

In der Unistadt Ann Arbor sorgte am Tag nach der Wahl allerdings ein anderes Thema für Gesprächsstoff: Per Volksentscheid wurde in Michigan auch die so genannte „Affirmative Action“ abgeschafft; 58 Prozent der Wähler befürworteten den Vorschlag. „Affirmative Action“ – ein Begriff, der sich nur schwer ins Deutsche übersetzen lässt und meistens mit „positive Diskriminierung“ wiedergegeben wird – ist eine Quotenregelung, die Minderheiten etwa den Zugang zur Universität erleichtern soll. Nicht nur afroamerikanische Studenten an der „University of Michigan“ zeigten sich über den Ausgang der Abstimmung enttäuscht. Universitätspräsidentin Mary Sue Coleman kündigte an, gerichtlich gegen den Entscheid vorzugehen. „Diversität macht uns stark“, sagte sie in einer Ansprache vor Studenten.

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