Saturday, December 23, 2006

Jahresenddekoration

Die Schule, in der ich einmal die Woche deutsche Literatur unterrichte, führt Weihnachten nicht im Kalender - die Schüler haben jetzt einfach Winterferien. In der Adventszeit schmückte kein Christbaum die öden Flure, aufs Lehrerpult kam kein Tannenzweiglein und keine Kerze. Und zu Hanukkah wurde auch keine Menora aufgestellt. Die Schulbehörde gibt sich politisch korrekt: Die Lehrer und Lehrerinnen sind angehalten, ihren Schülern "Happy Holidays" zu wünschen, frohe Festtage. Statt der kulturellen Vielfalt, welche die Schule sonst predigt, hat sich ein einfältiger Kahlschlag der Traditionen durchgesetzt.

Damit geht die Schule den jahreszeitlichen Konflikten einfach aus dem Weg. Das Gezeter, das alljährlich das Aufstellen von Weihnachtsbäumen im öffentlichen Raum begleitet, hat in den USA längst einen hysterischen Charakter angenommen. Dabei stellte der Supreme Court schon im Jahr 1989 fest, dass der Christbaum selbst kein religiöses Symbol darstellt, sondern vielmehr das säkulare Zelebrieren des Weihnachtfestes verkörpert. Und alle Jahre wieder darf sich ein Professor in der "New York Times" über die vorchristlichen Wurzeln des Festes auslassen - mit dem Hinweis, dass Weihnachten in Amerika schon immer einen säkularen und kommerziellen Hintergrund hatte. Die Puritaner lehnten Weihnachten genau deswegen ab.

Die Dekorateure der Einkaufszentren sind vom kommerziellen Charakter des Christbaums offenbar fest überzeugt - Lichterglanz und Plastiktannengrün darf nirgends fehlen. Aber ansonsten bereitet ihnen die Vorgabe, die Tempel des Kommerzes säkular zu schmücken, offenbar einiges Kopfzerbrechen. In der "Somerset Collection" in Troy residiert Santa in einem mehrstöckigen Schloss, das aufmerksamen Mall-Besuchern bekannt vorkommen dürfte: Es leistet auch an Halloween gute Dienste. Statt zwielichtiger Geister tummeln sich jetzt freundliche Narren in den Lüften und verteilen Geschenke aus Füllhörnern. Eine ganze Ladung guter Gaben schwebt auch per Schiff heran - ikonografisch ein interessanter Fall, denn das Narrenschiff ist als mittelalterliches Motiv der Kunst und Literatur eindeutig religiös konnotiert. In einem anderen Teil der Mall sollen Elfen in Grün- und Blautönen die Kunden in Kauflaune bringen. Die seltsamen Jahresendflügelfiguren wirken allerdings mehr wie eine missglückte Inszenierung von Shakespeares Sommernachtstraum.

Allerdings hat sich die Weihnachts-Phobie noch nicht überall durchgesetzt: Die Postangestellte, bei der ich meine Weihnachtsbriefe aufgab, wünschte mir beherzt: "Merry Christmas!" Und die Regierung in Lansing bezeichnete den Weihnachtsbaum vor dem Kapitol heuer wieder als "Christmas Tree". Der "Holiday Tree" wurde ausgemustert.

Sunday, December 17, 2006

Person of the Year: Me. And You

Zum Glück gibt es von "TIME" auch eine gedruckte Ausgabe. Sonst würden Internet-Muffel und Computer-Hasser nie erfahren, wen das Magazin heuer zur "Person of the Year" gekürt hat: Mich - und alle anderen, die diese wichtige Nachricht bereits online erfahren haben.

Als bloggende und digital fotografierende Journalistin, die ihre Erzeugnisse überwiegend übers Internet vertreibt, darf ich mir jetzt einmal selbst auf die Schulter klopfen. Und meinem Leser gleich mit dazu. Dass es so etwas gibt wie Leser meiner Texte, das entnehme ich dem eingebauten Zähler. Erstaunlich, was die Leute so alles suchen, die dann letztendlich auf meiner Seite landen. Ganz oben auf der Hitliste der Suchbegriffe in jüngster Zeit: der Pelzmärte.

Mit einem ausgegoogelten Verfahren versuche ich zu verhindern, dass ich nicht ganz sang- und klanglos im Cyberspace verschwinde. Die Suchmaschinen finden mich - also bin ich. Aber eigentlich ist es geradezu unwahrscheinlich, dass der durchschnittliche Internet-User auch noch zum Lesen fremder Beiträge kommen. Schließlich ist er selbst rund um die Uhr damit beschäftigt, Content herzustellen. Laut Census Bureau haben im vergangenen Jahr 13 Millionen Menschen in den USA einen Blog angelegt, dabei gibt es gerade mal 39 Millionen erklärter Blog-Leser.

Das gibt mir zu denken. Vielleicht haben die ganzen Besucher von MOTOWN BLUES nur das hübsche Foto im Header betrachtet. Aber das wäre ja auch schon etwas.

Saturday, December 2, 2006

Pelzmärte und Co.

In meiner Kindheit gab es um die Weihnachtszeit mehrere Gabenbringer, die allerdings nicht alle gleich beliebt waren. Eher von der netten Sorte war der Nikolaus: Er kam in der Nacht zum 6. Dezember und steckte Nüsse und Schokolade in meine dicken Winterstiefel. Falls er eine Rute dabei hatte, brauchte mich das nicht zu stören – ich schlief um diese Zeit. Für die Geschenke an Weihnachten war bei uns daheim das liebe Christkind zuständig, von dem man ebenfalls nichts zu befürchten hatte. Allerdings war am Christfest noch eine andere Bescherfigur unterwegs, die weitaus weniger Begeisterung bei den Kindern hervorrief: der Pelzmärte. Mit dem drohten uns die Erwachsenen, wenn wir nicht brav waren.

Der Pelzmärte war eine wilde Gestalt mit äußerst zwiespältigem Charakter. Erst drohte er mit Rutenhieben, aber dann ließ er sich doch erweichen, folgsame Kinder mit guten Gaben aus seinem groben Rupfensack zu bescheren. Ich erinnere mich allerdings nicht, ob ich ihm jemals begegnet bin, solange ich noch an ihn glaubte. An Weihnachten gab es übrigens auch Schokoladen-Nikoläuse. Der Begriff „Weihnachtsmann“ kam in meiner Kinderwelt hingegen nicht vor. Und erst viele Jahre später machte ich mir überhaupt Gedanken über die seltsamen gabenbringenden Figuren aus meiner Heimat am Rande der Schwäbischen Alb.

Als ich in Rottenburg am Neckar bei der Lokalzeitung arbeitete, zeigte sich nicht zuletzt, dass ich in Sachen Brauchtum einiges aufzuarbeiten hatte. Aufgewachsen bin ich in der Nähe von Tübingen, das zu Altwürttemberg gehörte und wo die Reformation mit vielen volkstümlichen Bräuchen gründlich aufgeräumt hatte. Im nahen Rottenburg, das unter vorderösterreichischer HerrschaftNikolaus oder Santa Claus? © Cornelia Schaible katholisch geblieben war, hatten die alten Traditionen überlebt. Und in der Bischofsstadt wusste man auch genau, wie der Nikolaus auszusehen hatte – der trug nicht etwa ein rotes Kostüm mit weißem Pelzbesatz, wenn er über den Weihnachtsmarkt schritt, sondern das Gewand eines Bischofs mit Stab und Mitra. Wie es sich für den heiligen Nikolaus geziemt, denn der war im 4. Jahrhundert Bischof von Myra in Kleinasien. Der Heilige wurde unter anderem als Wohltäter der Kinder verehrt, und so machte er im volksfrommen Brauchtum als Bescherfigur Karriere.

In den evangelischen Flecken im angrenzenden Württemberg wurde der Nikolaus mit der Reformation allerdings in Rente geschickt – jegliche Form der Heiligenverehrung galt als suspekt. Wie mir meine Mutter erst kürzlich bestätigte, kam in ihrer eigenen Kindheit kein Nikolaus vor. Sankt Martin, als barmherziger Mantelteiler für die Rolle des Gabenbringers ähnlich qualifiziert, konnte sich jedoch auch auf evangelischem Gebiet über die Jahrhunderte mogeln. Wie dies möglich war, erfuhr ich bei einem Rottenburger Vortrag des Volkskundlers Werner Mezger.

Prof. Werner Mezger ist allen Fasnetsfans im Südwesten Deutschlands von Umzugs-Übertragungen im Fernsehen ein Begriff. Der Freiburger Brauchtumsforscher ist aber nicht nur ein renommierter Fastnachts-Experte – er hat sich auch intensiv mit Martinsbräuchen befasst. Das gehört enger zusammen, als man zunächst denkt. Zu den Erscheinungen der Brauchlandschaft in evangelischen Gebieten, so der Volkskundler, gehören vermummte Gestalten wie der Pelzmärte, eine ziemlich unheimliche Bescherfigur mit Anklängen an die Brauchgestalt des Nikolaus. Aber wieso dann Märte, also Martin? Ganz einfach: Der heilige Martinus wurde als Namenspatron von Martin Luther in den reformierten Gebieten eher toleriert als Nikolaus.

Wie austauschbar die beiden Brauchgestalten mancherorts sind, zeigt sich an ihren dienstbaren Geistern: Knecht Ruprecht, ursprünglich ein Begleiter des heiligen Nikolaus, ist im Fränkischen mit dem „Pelzmärtl“ unterwegs, wie mir eine Freundin berichtete. Die eindeutig negativ besetzten Gestalt des Ruprecht – als Brauchtumsfigur ein Kapitel für sich – hat ihren Ursprung in einem mittelalterlichen Kinderschreck. Häufig sind aber der Heilige und sein wilder Knecht zu einer einzigen Figur verschmolzen, was deren seltsam unberechenbares Wesen erklärt. So erinnert bei Pelzmärte und Konsorten nur noch der Name an einen frommen Mann. Abgesehen davon ist den „eigentümlichen Zwitterscheinungen zwischen den Brauchgestalten Martinus und Nikolaus“ (Mezger) ein entschieden unheiliges Auftreten gemeinsam.

Kein Wunder, dass der Nikolaus in einer modernen bürgerlichen Ausgabe plötzlich überall salonfähig wurde: Meine Geschwister und ich hatten von einer weitgehend säkularisierten Neuauflage der Tradition profitiert. Und dieser Neuzeit-Nikolaus verdrängte die konkurrierende Brauchgestalt dann ziemlich schnell – als meine Großeltern nicht mehr lebten, war auch der Pelzmärte aus dem familiären Sprachgebrauch verschwunden. Gleichzeitig feierte der heilige Martinus ein Comeback in seiner ursprünglichen Gestalt – der Volkskundler sieht das als „Braucherneuerung“. Nicht nur im Bistum Rottenburg-Stuttgart, wo der Heilige als Diözesan-Patron verehrt wird, begeht man den 11. November vielerorts mit Martinsritt und Mantelteilung. Oft wird das Martinsfest ökumenisch gefeiert. Deutsche im Ausland begreifen es sogar als wesentlichen Bestandteil ihrer Herkunftskultur: Eine deutsch-amerikanische Kindergruppe hier in Metro Detroit hat nun schon zum zweiten Mal einen Laternenlauf mit Martinsspiel organisiert.

Aber auch die Erscheinung von wilden Kläusen und anderen rauen Gesellen hat sich in einigen deutschsprachigen Brauchlandschaften bis heute gehalten; im Elsass etwa wird das Christkind von einer Schreckfigur namens Hans Trapp begleitet. Krampus heißt der Kerl im bairischen Sprachraum. Das Auftreten dieser Figuren ist dabei nicht unbedingt an Weihnachten gebunden – in einigen Schweizer Gegenden sind Silvesterkläuse unterwegs. Gelegentlich tragen sie Schellenstränge wie die Fastnachtsnarren. Da haben wohl einfach die wilden Gestalten, die seit germanischen Zeiten in den Nächten um den Jahreswechsel ihr Unwesen treiben, einen christlichen Namen angenommen. Und für alle gilt: "Von drauß' vom Walde komm ich her..."

Selbst der amerikanische Santa Claus, den die Niederländer als „Sinterklaas“ in die Vereinigten Staaten brachten, hat die wilden Sitten seiner europäischen Verwandten noch nicht ganz abgelegt: Immerhin steigt er durch den Kamin in die Häuser. Was eigentlich gar nicht zu seinem schönen roten Gewand passt. Und am Nordpol, wo Santa bekanntlich mit Mrs. Claus wohnt, unterstützt ihn ein ganzes Heer von Elfen bei den Weihnachtsvorbereitungen. Abgesehen davon tritt Santa, genau wie der deutsche Weihnachtsmann, heutzutage meist in einer gänzlich säkularisierten Form auf – von allen guten Geistern verlassen.