Tuesday, January 30, 2007

Coming to the USA in 2008

Das neue Jahr war erst ein paar Tage alt, als ich den Eindruck nicht mehr los wurde, dass es keinen mehr interessiert. Bereits Anfang Januar war das Jahr 2007 so langweilig wie die Zeitung von gestern. Der Kalender: jetzt schon Altpapier, in das man am besten Fische einwickeln sollte.Ein viel bestaunter Winzling: Smart auf der Detroit Autoshow 2007 © Cornelia Schaible Warum? Nun, außer auf der Zeitung taucht die aktuelle Jahreszahl nirgends auf. Wirklich wichtige Dinge passieren nämlich 2008. Alles wird gut. Aber erst im nächsten Jahr.

Auf der Autoshow fing es schon an. Nachdem uns DaimlerChrysler jahrelang hingehalten hat, soll es nun plötzlich wahr werden: Der Smart kommt nach Amerika. Das war die gute Nachricht. Die schlechte: „Coming to the USA in 2008.“ Wer künftig in jede Parklücke, etwa zwischen zwei handelsüblichen Geländewagen, vorwärts einparken möchte, muss sich weiterhin etwas gedulden. Schon befürchten manche, das Ganze war nur ein Scherz, und die Amerikaner warten noch bis St. Nimmerleinstag auf die fahrbare Dose, die das neue Statussymbol der Großstädter werden könnte.

Auch beim Elektronikspielzeug wird die Menschheit grundsätzlich auf übermorgen vertröstet. Bis 2008 werde das Handy-TV ganz gewiss den Durchbruch schaffen, so las ich erst gestern. Rechtzeitig für die Olympiade in Peking, damit die Chinesen die Spiele per Briefmarkenfernsehen verfolgen können. Schön für die Chinesen – aber warum gibt’s die Technik erst im nächsten Jahr? Meinen klobigen Fernseher würde ich lieber heute als morgen abschaffen, der ist mir schon lange im Weg. Lieber wäre mir allerdings noch die Verschmelzung von Computer und Fernsehen – mein Cellphone besitzt ohnehin viel zu viele Funktionen, von denen ich nicht einmal ahne, dass es sie gibt. Vielleicht sollte ich mir fürs nächste Jahr einmal vornehmen, die Gebrauchsanleitung zu lesen.

Ja, und als ich kürzlich beim Arzt war und auf der Rückfahrt eine falsche Straße erwischte, sah ich plötzlich in einem winterlichen Vorgarten ein buntes Rasenschildchen mit der Aufschrift: McCain for President! Anstatt zügig umzudrehen, blieb ich verwirrt am Straßenrand stehen. War da nicht noch was? Meines Wissens hat Senator John McCain noch nicht einmal offiziell erklärt, dass er ins Rennen einsteigt – obwohl es daran keinen Zweifel gibt. Aber selbst dann ist er noch nicht Präsidentschaftskandidat, sondern muss erst einmal die Vorwahlen gewinnen. Und die beginnen im Januar 2008. Wahrscheinlich verdankt es sich der Popularität des aktuellen Amtsinhabers, dass die Amerikaner die nächsten Präsidentschaftswahlen kaum mehr erwarten können.

Passiert denn 2007 wirklich nichts Bedeutsames mehr? Doch, die Beckhams ziehen in die USA. Wenn Victoria Beckham demnächst verstärkt in Amerika shoppen geht, kommt vielleicht auch die Rezession erst 2008.

Wednesday, January 24, 2007

Drinking Games

Wenn George W. Bush seine alljährliche Rede zur Lage der Nation hält, ist wieder Zeit für gesellige Trinkspiele vor dem Fernseher. Etwa nach dem Muster: Jedes Mal, wenn der Präsident ein bestimmtes Wort sagt, darf sich die Runde zuprosten. Zum Beispiel „nucular“ (statt „nuclear“) – darauf konnte man gestern drei Mal anstoßen. Oder das Wort „freedom“, normalerweise der Grund für ein nationales Massenbesäufnis, diesmal aber ebenfalls nur drei Mal vertreten. Im Jahr 2005 kam es noch sage und schreibe 21 Mal vor! Woher ich das weiß? Die „New York Times“ hat heute auf ihrer Website ein geniales Zählmaschinchen eingebaut, mit dem sich das per Mausklick nachprüfen lässt. Der absolute Hit in der State of the Union Address 2007: „Iraq“, mit 34 Nennungen. Cheers!

Auch „oil“ wäre keine schlechte Wahl gewesen; dieses Wort tauchte in der Rede immerhin neun Mal auf, deutlich häufiger als im vergangenen Jahr. Auf keiner Trinkspiel-Liste verzeichnet war dagegen „gasoline“. Der Newcomer mit immerhin mit zwei Nennungen kam in einem ganz unwahrscheinlichen Satz vor, nämlich als Bush dazu aufrief, den Spritverbrauch bei Autos zu senken und „bis 2017 bis zu 8,5 Milliarden Gallonen Benzin zu sparen“. Womöglich lag das daran, dass ihm diesmal Nancy Pelosi im Nacken saß, die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses. Und „Madam Speaker“, wie Bush sie artig begrüßte, hatte einen Holzhammer vor sich liegen. Vielleicht hätte sie damit ein bisschen auf den Bush klopfen sollen, als der Präsident mal wieder von der „Democrat Party“ sprach, obwohl im Skript eindeutig „Democratic Party“ stand (hört sich ungefähr an, wie wenn man in Deutschland von „Evangelen und Katholen“ redet).

Pelosi ließ indessen ihren Holzhammer liegen und verzog nur gelegentlich das Gesicht, als hätte sie Zahnschmerzen. Als Bush allerdings vom Benzinsparen anfing, hielt sie nichts mehr auf ihrem Sitz. Applaus! Applaus! Der finster blickende Herr zu ihrer Rechten blieb in diesem Moment still sitzen. Vizepräsident Dick Cheney klatschte stattdessen heftig, als Bush davon sprach, die strategischen Ölreserven zu verdoppeln. So etwas hört Big Oil immer gerne.

Und dann fiel plötzlich ein Wort, bei dem die ganze Welt die Ohren spitzte: Climate change. Nicht zu fassen – Bush sagte „Klimawandel“. Der Präsident muss in jüngster Zeit seinen Wortschatz gewaltig erweitert haben. Bisher war das nämlich ein Begriff aus dem Wortschatz irgendwelcher tree hugging liberals, die bei Präsidentenreden Trinkspiele abhalten. Oder den Klima-Film von Al Gore propagieren. Vielleicht hat Bush den Streifen heimlich angeguckt?

„An Inconvenient Truth“, Gores Film über die drohende Klimakatastrophe, wurde gestern übrigens für einen Oscar nominiert. Wenn das kein Grund zum Anstoßen ist.

Sunday, January 21, 2007

Luxus-Diesel-Offensive

Ein bisschen Benzin sparen gilt als schick, auch in den Staaten. Auf Fahrkomfort und Motorenleistung mögen viele Amerikaner trotzdem nicht verzichten; in einen Toyota Prius zwängen sich allenfalls Müsli-essende Kalifornier. Und so präsentieren deutsche Hersteller auf der Autoshow, die heute zu Ende geht, eine ganze Reihe von verbrauchsgünstigen Luxusmodellen. Das ist ein Paradox, für das es zwei Erklärungen gibt: Die Kleinwagen-Sparte wächst zwar stärker, wird aber schon von den japanischen Herstellern bedient. Und die Autobauer aus Germany nutzen den Showeffekt, um eine deutsche Spezialität salonfähig zu machen – den Dieselmotor. Der Dieselantrieb ist nun tatsächlich eine Nische auf dem zunehmend verbrauchsbewussten US-Markt.

Bis zum Jahr 2015 könnten 15 Prozent der Neuzulassungen Diesel sein, prophezeien Marktforscher. Das klingt gut in den Ohren deutscher Autobauer, denn die Verkaufszahlen insgesamt sinken: 16,56 Millionen Fahrzeuge wurden 2006 in den USA verkauft, 2,6 Prozent weniger als im Vorjahr. Ein weiterer Absatzrückgang wird vorausgesagt. So erklärt sich die Luxus-Diesel-Offensive, die vor allem Mercedes und Audi in Detroit starteten. Ziel ist ein Imagewandel des Kraftstoffs, mit dem die Amerikaner bislang eher Pickup-Trucks verbinden.

Ein Diesel ist lahm und stinkt – das war einmal. Audi stellte mit viel Pomp und prominenter Unterstützung eine Zwölfzylinder-Dieselstudie vor, den Audi Q7 V12 TDI, auf den Seal ein Loblied singen durfte. Die moderne Dieseltechnologie soll unter dem Namen „Bluetec“ vermarktet werden; dahinter verbirgt sich ein Abgasreinigungssystem, das in erster Linie die Stickoxide verringert. Erst im Herbst schlossen sich Daimler-Chrysler, Audi und VW zur „Bluetec-Allianz“ zusammen, um dem Dieselmotor in den Vereinigten Staaten gemeinsam auf die Sprünge zu helfen. Von 2008 an sollen die Bluetec-Motoren auch die weltweit schärfste Abgasnorm „Bin 5“ erfüllen und in allen 50 US-Bundesstaaten verkauft werden können.

BMW geht eigene Wege und bietet im kommenden Jahr ebenfalls emissionsarme Dieselfahrzeuge für den gesamten US-Markt an. Der BMW-Pressesprecher Andreas Klugescheid ist jedenfalls fest davon überzeugt: „Die Amerikaner entdecken gerade die Freude am Diesel.“

Friday, January 19, 2007

Stadt, Land, Fluss

Wie das Bild oben sehr schön zeigt, liegt die Motor City an einem Gewässer. Die Frage ist nur, an welchem. Alle Jahre wieder rätseln die Autoredakteure deutscher Zeitungen, was da wohl an Detroit vorbeifließt. Oder liegt Motown etwa an einem See? Klar, das ist die Region der Großen Seen, das haben die Journalisten auf dem Videoschirm im Flieger gesehen. Also müssen sie sich nur noch einen aussuchen. Denken sie. Und werfen einen Blick auf die Nordamerika-Karte, auf der Detroit nur ein kleines Pünktchen ist. Ganz in der Nähe des Erie-Sees.

So verfuhr wohl Stefan Grundhoff, der vor ein paar Tagen in der "Süddeutschen Zeitung" schrieb: "Die Autoshow am Erie-See ist auch ein Fegefeuer der Eitelkeiten." Über verunglückte sprachliche Bilder wollen wir hier nicht reden - ins Fegefeuer gehört allenfalls ein Autor, der so einen Satz von sich gibt. Abgesehen davon weiß ich zwar nicht, ob es auch irgendwo am Lake Erie eine Fahrzeugmesse gibt, aber die hat der Schreiber wohl kaum gemeint. Vielleicht musste er einst im Deutschunterricht die Ballade "John Maynard" von Theodor Fontane lesen. Fontane nahm es mit der Geografie indessen nicht so genau, wahrscheinlich fällt das unter dichterische Freiheit:
Die "Schwalbe" fliegt über den Erie-See,
Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee;
Von Detroit fliegt sie nach Buffalo -
Die Herzen aber sind frei und froh (...).

Der Erie-See war im eingangs zitierten Artikel zudem falsch geschrieben, aber Schwamm drüber.

Gut. Welche Seen bieten sich noch an? Irgendwas hat Detroit mit Michigan zu tun, denkt sich der Journalist, und schreibt freudig über die "Motor-Show am Lake Michigan". Ein Zitat übrigens aus "Spiegel Online". Das alliteriert zwar sehr schön, ist aber trotzdem falsch. Nicht einmal der deutsche Messe-Ausstatter ict weiß, wo er alljährlich seine Riesen-Bildschirme aufbaut - auf der Website steht etwas von der "Autometropole am Lake Michigan". Oder war es am Ende der Lake Huron? Mindestens ein Fotograf bei der Agentur istockphoto hat seine Detroit-Skylines mit dem Schlüsselwort "Huron" versehen. Das ist der große See nördlich von Detroit. Liegt nahe, ist aber ebenfalls daneben.

Leider ist in diesem Fall auch der Detroit-Eintrag auf Wikipedia keine große Hilfe: Demnach ist die Stadt "zwischen dem Lake St. Clair und dem Eriesee gelegen". Das stimmt zwar, bringt uns hier aber nicht weiter. Wenigstens gibt es eine Erklärung dafür, woher sie ihren Namen hat: "Detroit wurde von dem französischen Kapitän Antoine de la Mothe Cadillac am 24. Juli 1701 am Ausfluss des Lake Erie als ,Ville d'Etroit‘ (Stadt an der Meerenge) gegründet." An der Meerenge? Nun, die Great Lakes wurden einst als "Süßwassermeere" bezeichnet, und bei Sturm wirkt der schöne blaue Michigan sogar wie ein Ozean. Aber mit "détroit", auf Englisch strait, wird ganz allgemein eine Engstelle zwischen zwei Gewässern bezeichnet. Und das kann im Prinzip auch ein Fluss sein.

Also: Detroit gehört zum Bundesstaat Michigan - und liegt am Detroit River.

Thursday, January 18, 2007

Benzin ist zu billig

„Entschuldigung, dass ich keine Rädchen schlage aus Freude über Benzinpreise, die auf $ 1,87 pro Gallone fallen“, schreibt Tom Walsh heute in seiner Kolumne in der „Detroit Free Press“. Und weiter: „This is bad news for a nation of immediate-gratification consumers and attention-span-challenged policy leaders.“ Warum das eine schlechte Nachricht ist, obwohl es unstreitbar positive Auswirkungen aufs Familienbudget hat? Die amerikanische Nachfrage nach unförmigen Benzinfressern, die sonst auf der Welt keiner will, nimmt wieder zu, befürchtet Walsh. Und das bedeute „schwindendes Interesse an mutigen Schritten, um die Abhängigkeit der Nation vom importierten Öl zu reduzieren“.

Damit liegt er wohl richtig. Daran wird sich auch nichts ändern, solange es in diesem Lande keine richtige Energiepolitik gibt, die diesen Namen verdient. Oder wie Walsh schreibt: „Unless you consider ,we use all the energy we want and have a Defense Department to ensure that we can get it‘ an energy policy.“ Sonst läuft es wie bisher nach dem Muster: Die Opec senkt den Rohölpreis und untergräbt damit alle alternativen Ansätze. Und schon fließen wieder Petrodollars für die Tyrannen dieser Welt. Um genau das abzustellen, bedarf es staatlicher Regulierung. Am einfachsten ginge das über eine Benzinsteuer, die schrittweise angehoben wird, und/oder die Einführung eines Mindestpreises für den Barrel Rohöl. Damit die Alternativen endlich konkurrenzfähig werden. Thomas Friedman predigt das schon lange, nachzulesen in der „New York Times“.

Offenbar gibt es nun sogar in der Autoindustrie Benzinsteuer-Befürworter. Tom Walsh zitiert Tim Leuliette, den CEO von Metaldyne, einem Zulieferer in Plymouth: „Keine andere Stadt in diesem Land leidet mehr unter der fehlenden Energiepolitik als Detroit“, sagt Leuliette. „Das kommt daher, dass Autofahrer in den Vereinigten Staaten für Benzin gerade mal 30 oder 40 Prozent von dem ausgeben, was die Verbraucher anderswo auf der Welt ausgeben müssen.“ Die Folge: Japaner und Europäer entwickeln Autos für den Fünf-Dollar-für-die-Gallone-Markt.

Aus diesem Grund ist Toyota im Dezember auch die Nummer zwei auf dem US-Automarkt geworden. Und weltweit ist der japanische Autobauer wahrscheinlich bereits Spitze. Zu Recht.

Monday, January 8, 2007

Seal liebt Clean Diesel

Richtig glamourös ging es bei den deutschen Autoherstellern zu - die ließen sich die Show ordentlich was kosten. Warum auch nicht, man hat's ja. Die Verkaufszahlen sind rundum beeindruckend. Mercedes ließ nicht nur das Chrom der neuen Modelle blitzen, sondern baute dazu eine spiegelnde Eisfläche auf. Konzernchef Dieter Zetsche kommt zwar nicht vom Nordpol, wirkte aber wie ein verspäteter Santa im Business-Anzug mit lauter Luxus-Spielsachen im Gepäck. Ho ho ho! Statt eines Rentiergespanns fuhr dann allerdings ein Hundeschlitten vor, aber was soll's: Es war ein bisschen wie Weihnachten im Januar. Und die Medienleute, die sich an eisgekühlten Schokoladewürfeln labten, ließen sich angesichts der spektakulären Cabrio-Studie "Ocean Drive" gern aufs Glatteis führen. Gefeiert wurde - neben dem Autoshow-Jubiläum - auch noch 100 Jahre Allradantrieb. Noch nicht ganz so lange im Angebot ist der Vierradantrieb mit Bluetec, dem "saubersten Dieselmotor der Welt".

Auch am Nachbarstand hatte der Bluetec seinen Auftritt - Audi stellte den fast serienreifen Geländewagen Q7 mit V6-Motor vor. Die Bluetec-Allianz mit Mercedes, Chrysler und VW wurde kürzlich auf der Show in Los Angeles geschmiedet. Und dann durfte Seal das Loblied auf den Q7 singen: Diesmal ging es aber um einen Zwölfzylinder, der sich indessen noch im Konzept-Stadium befindet, obwohl ihn der Popsänger natürlich sofort fahren würde, wenn er nur könnte. Aber dass Seal dann anfing, die "Umweltfreundlichkeit bei gleichzeitiger Leistungsfähigkeit" des riesenhaften SUV zu preisen... Na schön, er wird dafür bezahlt.

Seal kam direkt aus Aspen, wo er Skiurlaub mit seiner Familie machte. Seine Frau Heidi Klum warSeal als Publikumsmagnet bei Audi auf der Detroit Autoshow 2007 © Cornelia Schaible allerdings nicht mitgekommen; irgendwer muss ja auf die Kinder aufpassen. Nach seinem Auftritt wurde er vor allem von den Reportern deutscher Fernsehsender umlagert - logisch, er liebt unsere Heidi. Die Journalisten fragten ihn allerdings nicht nach dem Befinden der Gattin und ob die Babys gut gedeihen, sondern wollten allen Ernstes weitere Stellungnahmen zum Q7 haben. Seal schien zunächst etwas verblüfft, aber dann gab der mehrfache Grammy-Gewinner routiniert Auskunft. Natürlich schätze er als Familienvater den sauberen Diesel, sagte er. So ist das im Showgeschäft - auch auf einer Autoshow.

Voll vernetzt im Focus

Langsam setzt sich auch bei den Detroiter Autobauern die Erkenntnis durch, dass die amerikanischen Verbraucher genug vom SUV haben. Das liegt nicht nur an steigenden Spritpreisen - protzige Geländewagen wirken auf viele Zeitgenossen inzwischen schlicht obsolet. Während Chrysler aber noch auf einen Aufschwung bei den Brot- und Butterfahrzeugen hofft, will Ford definitiv kleinere Brötchen backen: Von den gebeutelten Detroit Three - formerly known as the Big Three - beweist die Marke mit dem blauen Oval als einzige Realitätssinn und geht von einem weiter schrumpfenden Marktanteil aus.

Insgesamt 44.000 Jobs will der Autokonzern streichen und 16 Werke schließen. Kein Wunder, dass Bill Ford bei der Autoshow-Pressekonferenz wirkte, als müsste er auf seiner eigenen Beerdigung reden. "2006 war ein schwieriges Jahr für uns", sagte der Urenkel des Firmengründers Henry Ford. Etwas mehr Optimismus strahlte der neue Präsident und CEO Alan Mulallay aus, aber der war früher auch bei Boeing. Ziel sei, betonte Mulally, "mehr Autos zu bauen, die die Leute wirklich wollen". Gute Idee. Bis vor kurzem fragten sich die US-Autobauer noch, was mit dem Verbraucher verkehrt ist, weil er ihre Produkte boykottiert. Ford hat sich neuerdings offenbar vorgenommen, mehr auf Kundenwünsche einzugehen. "Das schließt ein verstärkten Engagement für Kleinwagen mit ein", so Mulally.

In welcher Form das geschehen soll, durfte Amerika-Chef Mark Fields erläutern: "Wir haben im Wesentlichen den Focus auf eine Diät gesetzt." Das klang nun zunächst etwas ernüchternd - der Ford Focus sieht nicht gerade futuristisch aus. Aber laut Fields soll die neue Focus-GenerationDetroit Auto Show 2007: Mark Fields, Amerika-Chef bei Ford, konferiert mit Bill Gates in Las Vegas © Cornelia Schaible deutlich sparsamer, leiser und sicherer als das Vorgänger-Modell sein. Und der Kleine hat einen Cool-Faktor - "Sync". Ein Konzept, das gemeinsam von Ford und Microsoft entwickelt wurde: das voll vernetzte Auto.

Da gähnte keiner mehr im Publikum. Denn plötzlich erschien Er auf dem Riesenbildschirm: Bill Gates, live zugeschaltet von der Consumer Electronic Show (CES) in Las Vegas. Und Gates schaffte, dass von seinem Glanz auch ein wenig auf den langweiligen Focus abstrahlte. Was Gates da erzählte, klang ziemlich spannend: Künftig soll der Infotainment-süchtige Multitasker seine Elektronikspielzeuge auch nach Herzenslust im Auto nutzen können - das Armaturenbrett kriegt einen USB-Port, und eine PC-Plattform ist ebenfalls integriert. Das ist noch nicht alles: Sync ermöglicht fummelfreies Musikhören und Telefonieren auch während der Fahrt, und zwar per Sprachsteuerung über Bluetooth. Der abschließende Kommentar von Bill Gates: "Super!"

Die neue Technik soll im Herbst auf den Markt kommen und in insgesamt 12 Automodellen erhältlich sein; Ford kann Sync bis Ende 2008 exklusiv anbieten. Ob der Focus farblich künftig passend auf den iPod oder das Motorola Razr abgestimmt wird, ist - zumindest mir - noch nicht bekannt.

Kochen mit Tom LaSorda

Der Minivan gilt als amerikanische Erfolgsstory. Und das familienfreundliche Gefährt ist unstreitig mit einer ganz bestimmten Autofirma verbunden: Also, wer hat's erfunden?

Klar, Chrysler war das. Aber das ist hier zu Lande allgemein bekannt, und so gibt es keinen Grund, sich darüber eine ganze Pressekonferenz lang auszulassen. Genau das geschah jedoch gestern bei der Autoshow. Soll heißen, dass sich die Chrysler-Bosse in schwierigen Zeiten wieder darauf besinnen, was lange Zeit das Brot- und Buttergeschäft der Firma war. Und so spielte eine Band den Song "I like Bread and Butter", dazu liefen altmodische Werbespots, in denen Kinder glücklich in Butterbrote bissen. Und Chrysler-Chef Tom LaSorda grinste von einer überdimensionierten Butterpackung mit der Aufschrift "Land-O-Van". So richtig hausbacken halt.

Es kam noch besser. 1983 stellte Lee Iacocca den Plymouth Voyager vor, und die so genannte "minivan revolution" rettete die Firma letztlich vor dem Bankrott. Gestern fuhr der erste Chrysler-Minivan aus einer Art Wonderbread-Riesenpackung auf die Bühne. Da fragte sich derTom LaSorda und Fernsehkoch Bobby Flay bei der Chrysler-Pressekonferenz auf der Detroit Auto Show 2007 © Cornelia Schaible Zuschauer unwillkürlich: Steht es wieder so schlimm um Chrysler? Zu allem Überfluss kam dann noch LaSorda auf die Bühne, band sich eine Schürze um und stellte sich mit Fernsehbrutzler Bobby Flay an den Herd - Autoshow-Kochstudio live. O-Ton La-Sorda: "Bei der Chrysler-Gruppe gehen wir Produktentwicklung in einer ähnlichen Weise an wie Bobby das Kochen angeht. Wir bringen Qualitätszutaten in genau der richtigen Menge zusammen und geben unseren Produkten immer das gewisse Etwas."

Mit einer Runde Backe-backe-Kuchen - LaSorda durfte vorbereitete Tortenböden mit Schokoladencreme bestreichen - erreichte die Kochshow ihren Höhepunkt: "It's like putting cars together." Sure. Was den Minivan angehe, habe man das Rezept allerdings immer wieder verfeinert, versicherte der Chrysler-Chef. Gemeint war der 2008 Chrysler Town & Country, der vor allem den Geschmack Fastfood-liebender Familien treffen dürfte. Neuartige schwenkbare Sitze lassen sich nämlich zu einer Art Picknickgarnitur umgruppieren: Swivel 'n Go nennt nennt das Chrysler. Wer seinen Cheeseburger unbedingt im Auto futtern muss, kann jetzt wenigstens am Tisch essen. Mahlzeit.

Sunday, January 7, 2007

100 Jahre NAIAS

"Welcome to a sunny and warm Detroit", sagte Jim Lentz von Toyota heute Vormittag bei der Pressekonferenz im Riverview Ballroom. Das war nun freilich übertrieben - nachts gab es Frost, und ich musste kräftig die Scheiben kratzen, bevor ich mich ins Auto setzen und nach Downtown zur Autoshow fahren konnte. Aber es war bei weitem nicht so eisig wie sonst um diese Jahreszeit. Ich war immer der Ansicht, dass der Januar-Termin der Autoshow nicht gerade zur Image-Verbesserung der Stadt beiträgt: Alles sieht winterlich garstig aus, die Journalisten frieren fürchterlich und holen sich einen Schnupfen. Und wenn sie wieder nach Hause kommen, schreiben sie unfreundliche Dinge über Detroit.

Als ich heute über die Woodward in die Stadt einfuhr, sah sie richtig einladend aus - das Schneeflöckchen-Dekor an den Straßenlaternen passt zum Christbaum auf dem Campus Martius, und selbst die aus den Gullydeckeln aufsteigenden Nebelschwaden sahen für einmal nicht gespenstisch aus, sondern tanzten lustig im sanften Morgenlicht. Es roch nach Frühstück, nach Kaffee und French Toast. Selbst die Obdachlosen grüßten freundlich. Und die Journalisten strebten gut gelaunt Richtung Cobo Hall. Es ist merkwürdig: Mit der US-Autoindustrie geht es bergab, aber Detroit scheint sich tatsächlich wieder aufzurappeln. Dass die Autoshow in der Stadt bleibt, ist dafür sicher eine wesentliche Voraussetzung. Aber nicht einmal das 100-jährige Bestehen der North American International Auto Show (NAIAS) garantiert dafür. Nicht in Amerika.

Im Jahr 1907 hatte nämlich erstmals die Vereinigung der Detroiter Autohändler (DADA) die Show organisiert, und sie ist bis heute dafür verantwortlich. Eine Automobilausstellung gab es in Detroit aber schon vorher, und zwar in Form einer Verkaufsmesse: Bereits 1899 konnte sich das interessierte Publikum ein Bild vom Transportmittel der Zukunft machen. Zu jener Zeit dominierten noch Dampfmobile und Elektroautos. Die Benzinkutsche wurde erst später populär.

Wednesday, January 3, 2007

Sehnsucht nach Bullerbü

Der Parkplatz ist riesig – wahrscheinlich größer als der von europäischen Filialen, aber in Amerika braucht eben alles mehr Platz. Dafür steigt am Eingang gleich ein vertrauter Duft in die Nase: nach Holzleim und nach Zimt. So riecht’s nur bei Ikea. Und gleich fühlt man sich ganz wie zu Hause. Wohnst du noch oder lebst du…?

Nun, ich habe in den Staaten bisher ganz gut überlebt, auch ohne das blaugelbe Möbelhaus. Allerdings, wenn ich es mir recht überlege, stimmt das gar nicht – als vor dreieinhalb Jahren mein Umzugscontainer ankam, verstaute ich den Inhalt aus 25 Bücherkisten in sieben weißen Billy-Regalen. Die hatte ich online bestellt, und die firmeneigene Spedition brachte sie mir direkt ins Apartment. Eines Tages stand ein Mann mit einem länglichen Paket im Arm vor der Tür und sagte: „Hi, I’m from [ai'ki:a]!“ Es dauerte einen Moment, bis bei mir der Groschen fiel. Dann lachten wir beide. Mein Mann baute die Regale zusammen, ich räumte die Bücher alphabetisch geordnet in die Fächer, und im Wohnzimmer sah es im Handumdrehen aus wie früher. Herr Goethe braucht immer noch ein ganzes Regalfach. Seitdem fühle ich mich hier ganz zu Hause.

Im Bewusstsein, notfalls jederzeit an weitere Regalbausätze zu kommen, wurden wir auch nicht nervös, als sich die lange angekündigte Ikea-Neueröffnung in Metro Detroit immer weiter hinausschob. Der Rest der Welt konnte es hingegen kaum mehr erwarten. Als die schwedische Möbelkette im Juni ihre Filiale in Canton eröffnete, die erste in Michigan, gab es einen Massenansturm wie bei einem Superbowl-Spiel, und der Verkehr brach weitläufig zusammen. Die Medien sprachen vom „Ikea-Fieber“. Sogar „Spiegel-Online“ berichtete darüber. Ein paar Leute hatten drei Tage lang auf dem Ikea-Parkplatz kampiert – und das alles für den Sessel Poäng im Wert von 79 Dollar, den die ersten 100 Kunden geschenkt bekamen.

Unser gesamter Freundeskreis pilgerte im Lauf der vergangenen Monate zu Ikea; samstägliche Familienausflüge schienen überhaupt nur noch ein Ziel zu haben. War man irgendwo eingeladen, gab es in der Mikrowelle aufgewärmte Ikea-Zimtschnecken. Neben spannenden Bausätzen führt die Möbelkette nämlich schwedische Leckereien im Sortiment, und die sind sogar fertig. Mindestens eine meiner Bekannten ist davon abhängig – irgendjemand fährt immer nach Ikea, und sie lässt sich die klebrigen Teilchen dann mitbringen. Wir hingegen verschoben unseren Trip immer wieder. Irgendwann zwischen Weihnachten und Neujahr gab es aber keine Ausrede mehr: Eine neue Kommode musste her.

Ein Besuch bei Ikea ist wie ein Treffen mit guten alten Bekannten aus der Studentenzeit. Gleich zu Beginn des Möbel-Labyrinths stehen die Sofas. „Hey – es gibt immer noch Klippan“, höre ich mich beim Anblick eines schnittigen Zweisitzers jubeln. Es ist allerdings auch so unbequem wie früher, stellt sich beim Probesitzen heraus. Sofa Sandhem dagegen gefällt uns richtig gut. Schön schlicht, sowas gibt’s in amerikanischen Möbelhäusern nur selten. Bequem zurückgelehnt schauen wir zu, wie sich Amerikaner für schwedisches Möbeldesign erwärmen. Eines muss man ihnen lassen – Shopping betreiben sie stets mit größtem Ernst, den nicht einmal schwedische Produktnamen beeinträchtigen. Die französischsprachige Kundschaft habe ich da ganz anders in Erinnerung: In der Ikea-Filiale am Genfersee lasen sich die Leute gegenseitig die Schildchen vor und lachten sich kringelig.

Je weiter wir vordringen, desto aufgekratzter werden wir. All das helle Holz! Und das geradlinige Design! Nicht zu fassen: Kaum sieht man ein paar blonde Schwedenmöbel herumstehen, da fühlt man sich schon wie Karlsson auf dem Dach. Reif für einen Urlaub in den Schären. Bullerbü, wir kommen! An der Kasse riecht es wieder nach Zimtschnecken, die in der deutschen Astrid-Lindgren-Übersetzung Zimtwecken heißen.

Die Euphorie hält an, bis mein Mann die Kommodenschubladen zusammenschraubt. Ein Loch ist falsch gebohrt und muss künstlich erweitert werden. Es sieht nicht schön aus. Als ich die Schublade vor dem Einbauen auswische, bricht eine Seitenleiste entzwei. Was nun? Noch einmal nach Canton? Mein Mann hat eine andere Lösung: Er holt eine Tube Holzleim und verklebt großzügig die Bruchstelle sowie sämtliche Fugen und Ritzen. Am Ende ist die Schublade quasi mit Leim getränkt. Im Moment hält sie noch.

Wie war das noch – wie heißt die Steigerungsreihe von „egal“? Der Superlativ lautet jedenfalls: „Ikearegal“.

Monday, January 1, 2007

Hatsumode

Die kleine Vitrine vor der Suppenküche steht leer: Die Plastikmodelle der Speisen, ausgesprochene Staubfänger, sind frisch gewaschen und stehen nun zum Trocknen in der Sonne. Daneben hocken vier junge Mädchen auf dem Boden und schälen unter viel Geschnatter und Gelächter dicke Gemüsezwiebeln, einen ganzen Haufen. Noch drei Tage bis Neujahr, seit heute sind Schulferien. Auch in den anderen Imbissbuden auf dem Gelände des Shinjo-ji, das ist der Tempel von Narita, sind die Vorbereitungen fürs Neujahrsfest in vollem Gange: Am 1. Januar pilgert man in Japan traditionell zu buddhistischen Tempeln und Shinto-Schreinen, um für Gesundheit und Glück im kommenden Jahr zu beten. Hatsumode nennt sich dieser überaus populäre Brauch, der die ganze Bevölkerung in Bewegung setzt. Und die Neujahrspilger wollen alle verköstigt sein.

Noch sind die Sitzkissen in den Suppenküchen leer, in einer der halboffenen Buden tafelt gerade die Familie. Ob man etwas zu essen bekommen kann? Kommen Sie herein, sagt die gepflegte ältere Dame mit Schürze, wahrscheinlich die Chefin des Etablissements, und schon bringt sie unaufgefordert grünen Tee, wie es üblich ist. Die Suppenschalen mit dicken Udon-Nudeln und Bergkräutern stehen wenig später auf dem Tisch. Es schmeckt vorzüglich, sehr würzig. Drüben am Tisch ist die Mahlzeit inzwischen beendet; die halbwüchsigen Töchter machen sich ans Gemüseschnippeln. Berge von Lauch liegen bereit, Basis für eine gute Brühe.

Draußen bricht sich das Licht in der Fontäne des Springbrunnens. Die Buden und Kioske rund um den Platz sind mit dem bunten Plastikglitter geschmückt, der in Japan alle Feste ankündigt. Die riesigen Schilder am Tempel-Gebäude, die zum Ausgang weisen, wirken seltsam überdimensioniert. Nebenan werden gerade Megaphone aus einem Fahrzeug geladen, von irgendwoher hört man Lautsprecherdurchsagen – ein Testdurchlauf für Neujahr. Die Wahrsagerin in ihrer Bude wartet noch auf Kunden.

In der Ginza, Tokyos Prachtmeile, tritt man sich so kurz vor der Jahreswende auf die Füße. Hoch über dem Häusermeer ist es ein weniger ruhiger: Viele Kaufhäuser haben einen Dachgarten, wo bevorzugt der Bonsai-Laden untergebracht ist sowie die Goldfischabteilung. Bei Seibu in Ikebukuro, dem einstmals größten Kaufhaus des Planeten, steht ein komplettes Bonsai-Wäldchen zum Verkauf bereit. Perfekt geformte japanische Ideallandschaften mit Kiefern oder wundervoll durchgeformte Miniatur-Kirschbäume kurz vor der Blüte, die entzückend sein muss.

Auf den Bänken neben der Gärtnerei schmusen Liebespaare im Angesicht von Tokyos Wolkenkratzern, und Kleinkinder jauchzen auf dem nahen Spielplatz. Gegenüber ein Gewächshaus mit etwas monoton wirkenden Grünpflanzen, die der Blattform und dem Preisschild nach zu schließen nur Orchideen sein können: Das teuerste Gewächs dieser Art kostet eine halbe Million Yen. Für 500 Yen kriegt man in der Suppenküche auf dem Kaufhausdach eine Schale Ramen. Bei der Konkurrenz kann man auch Würstchen am Holzspieß erstehen oder Currygerichte. Senioren, die sich in der Wintersonne wärmen, schlürfen hier ihre Nudeln, und nebenan vergnügen sich einige Jugendliche. Das einzige, was die Idylle etwas beeinträchtigt, ist der dreckige Kunstrasen unter den Gartenstühlen. Vom Verkehr ist nichts zu hören.

Das eigentliche Neujahrsgeschäft läuft acht Stockwerke tiefer, wo sich teuer gekleidete Japanerinnen mit leckeren Häppchen für den Jahreswechsel eindecken. In diesen Tagen ist das Warenangebot noch üppiger als sonst. Es spricht grundsätzlich viel dafür, bei der Besichtigung eines Landes die Regale seiner Supermärkte bevorzugt zu behandeln; in Japan kann das aufregender sein als jedes Museum. Dem einen oder anderen Angebot steht der westliche Besucher indessen ratlos gegenüber: Welchen Sinn macht eine Geschenkmelone, die 10.000 Yen kostet? Das sind rund 100 Dollar. Wer schenkt sich so etwas – und warum? Auch erschwinglichere Speisen haben oft etwas von kleinen Kostbarkeiten, die man essen kann. (...) Womöglich sind die Petits fours, die vor allem in den Lebensmittelabteilungen großer Kaufhäuser angeboten werden, noch zierlicher gebaut als in ihrem Herkunftsland – auch Japaner pflegen die hohe Kunst der Zuckerbäckerei. Süße Preziosen, in Vitrinen aufwändig arrangiert. Dazu zählen auch die einheimischen Mochi, die aus Klebereis hergestellt werden und zum japanischen Neujahrsfest gehören wie Verwandtenbesuch und Hatsumode.

Im weitläufigen Meji-Schrein in Tokyo geht dann der traditionelle Besuch der heiligen Stätten äußerst gesittet vor sich. Die in endlosen Schlangen anrückenden Neujahrspilger werden schon im Vorfeld per Videobildschirm über die Marschroute und die Infrastruktur belehrt, über dem Schreintor ist eine Kamera angebracht, und hübsche Polizistinnen regeln von der Höhe eines Fahrzeugs herab den Personenverkehr. Nur beim allgemeinen Ansturm auf die Amulette wird’s vorübergehend etwas unübersichtlich. Und die Horoskope, die ihnen nicht gefallen, knoten die Leute statt an die vorgesehenen Gestelle an alle möglichen Zweige und Zäune. Ein Wunder, dass sie nicht die Walkie-Talkie-Antenne des Wachmannes mit ihren Papierstreifen garnieren.

Die Hüter des Gesetzes haben es nicht leicht an diesem Tag. Ein Polizist steht im Geldregen wie Goldmarie: Der junge Uniformierte trägt ein Visier aus Plexiglas, um sein Gesicht vor den Münzen zu schützen, die um ihn herum niederprasseln. Der Vorplatz vor dem Meji-Schrein hat sich in einen gigantischen Opferstock verwandelt. Egal, ob Schrein oder Tempel, Shintoismus oder Buddhismus – Religion ist ein einträgliches Geschäft, besonders an Neujahr.

Damit alle spenden können, wird man zügig durchgeschleust, an den Verpflegungsständen kann man noch Yakisoba essen oder einen anderen nahrhaften Snack – im Stehen, mit Stäbchen – und dann geht's zurück zur Station Harajuku, wo an diesem Tag ein Extra-Bahnsteig eingerichtet wurde. Überall in den Zügen sieht man Leute, die ihr Neujahrs-Amulett in Pfeilform vor sich her tragen wie eine Trophäe. Viele Frauen bewegen sich nur mit Trippelschrittchen vorwärts; das liegt am Festtagskimono, den sie winterlich mit einem Pelzkragen geschmückt haben. Zur Aufmachung gehören spezielle Handtäschchen, die im Stil zu den kostbaren Seidenkimonos passen. Und dann ziehen die Schönen ihr rosa Hello-Kitty-Handy heraus und telefonieren. (...)

(Auszug aus Die schlechten Horoskope hängen im Gebüsch, erschienen am 07.01.05 auf Wirtschaftswetter.)