Thursday, December 24, 2009

Christmas Cookie nach deutschem Rezept

Viele Einwanderer kamen mit leeren Taschen nach Amerika – sie brachten vor allem ihre Arbeitskraft mit, um im Land der vielen Versprechungen ihr Glück zu machen. Was sie auch dabei hatten, waren Rezepte. In vielen deutschen, italienischen oder polnischen Restaurants wird bis heute nach alten Familienrezepten gekocht. Manche Immigranten hatten handgeschriebene Kochbücher – oder eher Rezeptsammlungen – dabei, oder sie hatten die Rezepte im Kopf undChristmas Cookie nach deutschem Rezept © Cornelia Schaible gaben sie mündlich weiter. Viele wurden dann später aufgeschrieben: Man findet solche Rezepte oft in privat herausgegebenen, einfachen Kochbüchlein, wie sie viele Kirchengemeinden als Fundraiser zusammenstellen.

Bekanntlich haben sich europäische – und speziell deutsche – Einwanderer in den USA immer schnell assimiliert, und das betrifft nicht zuletzt das Essen. Allenfalls bei den Mennoniten und Amischen wird noch gekocht wie anno dazumal. Manchmal werden die Gerichte nach alten Familienrezepten als Beilagen zum Thanksgiving-Truthahn aufgetischt – eine meiner früheren Studentinnen erzählte mir einmal, dass ihre italienische Großmutter vor dem Festtag immer eine Ladung Ravioli zubereite.

Was sich in der neuen Heimat grundsätzlich besser gehalten hat, sind Backrezepte – Kuchen und Kleingebäck sind oft Teil der Familientradition, vor allem zu Feiertag. Viele Christmas Cookies in den USA sehen deutschen Weihnachtsplätzchen verblüffend ähnlich. Manchmal ist allerdings die Dekoration etwas amerikanisch geraten wie beim Plätzchen auf dem Foto. Es handelt sich um ein saisonales Gebäck aus Linzerteig, das eine Studentin für ihr Abschlussprojekt im Herbstsemester backte. Sie buchstabierte es im Übrigen „Linserteig“, was nicht die übliche Schreibweise zu sein scheint; im Internet findet sich die eher plausible Schreibweise mit „z“.

Linzerteig ist ein Buttermürbeteig mit Mandeln, und es scheint sich um ein donauschwäbisches Plätzchenrezept zu handeln. Was nichts anderes heißt, als dass dieses Rezept schon öfters mit ausgewandert ist.

Thursday, December 17, 2009

Leise rieseln die Nadeln vom Baum

Kürzlich erzählte mir eine Freundin am Telefon: „Wir haben jetzt endlich auch einen Christbaum!“ Das war am 10. Dezember, wenn ich mich recht erinnere. Hoffentlich hältPT Cruiser im Rudy-The-Reindeer-Look © Franz Gingl die Tanne durch. Im vergangenen Jahr nadelte der Baum nämlich schon ein bisschen, als die Geschenke darunter lagen.

Aber so ist es eben mit Weihnachten in den USA: Wochenlang kann man es kaum erwarten, und ehe man sich’s versieht, ist das Fest auch schon vorbei. Zum Glück fällt in diesem Jahr der 26. Dezember auf einen Samstag – das gibt einem die Illusion eines zweiten Weihnachtstages.

Bis dahin sollte man die Zeit einfach genießen und rote Rudy-Nasen im Straßenverkehr zählen. Ein paar deutsche Lebkuchen haben wir auch schon gehortet. Fruit Cake kommt mir keiner mehr ins Haus. Was wir an Weihnachten essen? Nun, den Rest vom Schützenfest – ich meine natürlich, von Thanksgiving. Die Putenbrust liegt fertig zum Aufwärmen im Gefrierfach, ein Rest Soße ist auch noch da, und dazu gibt’s dann voraussichtlich Rotkohl und Spätzle. Merry Christmas!

Mehr zum Thema auf suite101: Amerikanische Weihnachten in der Familie

Thursday, December 10, 2009

Keine Pfannkuchen zum Frühstück

„Germans don't have pancakes for breakfast. They are good, why don't they eat them?“

Eine STUDENTIN aus meiner Anfängerklasse in ihrer Abschlussklausur als Antwort auf die Frage: „Which cultural fact learned this term did you find most interesting?“ Die Verwunderung darüber, dass Deutsche keine Pfannkuchen frühstücken, ist eine Konstante in jedem Semester.

Thursday, December 3, 2009

Vampir vs. Werwolf

Gestern waren wir im Kino (in „Planet 51“). An einer Säule in der Eingangslobby lehnte ein junger Mann, der offenbar sehr bemüht war, wie Robert Pattinson auszusehen. Wahrscheinlich wollte er in „New Moon“ gehen und wartete nur noch auf sein Date. Es ist aber kaum anzunehmen, dass er den Film wirklich goutiert hat: RobPatz, der in der „Twilight“-Saga den Vampir verkörpert, hat Konkurrenz bekommen: Jacob Lautner heißt der neue Star – er ist der Werwolf im Streifen. Der Sixpack-Wolfie lässt den blassen Blutsauger ziemlich alt aussehen.

Abgesehen davon, dass es sich dabei um eine merkwürdige Alternative für einen Schulmädchenschwarm handelt – die „Twilight“-Geschichte ist ein Phänomen. Noch nie zuvor habe ich ein Kino voller kreischender Mädels gesehen. Der Saal tobt aber nur, wenn Lautner auf der Leinwand erscheint und seinen Waschbrettbauch präsentiert. Das war ziemlich amüsant. Welche Folgen der Film für die Psyche junger Amerikaner hat, wird sich weisen.

Der blässliche Vampir-Look dürfte auf jeden Fall out sein.

Mehr zum Thema auf suite101: Im Kino: "New Moon – Biss zur Mittagsstunde"

Wednesday, November 25, 2009

Superpower ohne Partner

„Europe might have a new phone number, but when Obama calls, the person on the other end of the line will still be unable to act. ‚Europe‘ will not be a unified entity capable of coordinating a unified policy in Iran, North Korea, Afghanistan, the Middle East, or anywhere else anytime soon. Europe cannot, in short, become America's full partner in foreign policy.

And thus we are left with a curious situation: America no longer wants to be the sole superpower. The American president no longer wants to be the leader of a sole superpower. Nobody else wants America to be the sole superpower, and, in fact, America cannot even afford to be the sole superpower. Yet America has no obvious partner with which to share its superpowerdom, and if America were to cease being a superpower, nothing and no one would take its place.“

ANNE APPLEBAUM am 24. November 2009 in ihrer wöchentlich erscheinenden Kolumne in der „Washington Post“; sie bezog sich darin unter andere auf die Wahl von Herman Van Rompuy zum Präsidenten des Europäischen Rates.

Monday, November 9, 2009

Bob Dylan und Michael Moore

„There’s an evenin’ haze settlin’ over the town
Starlight by the edge of the creek
The buyin’ power of the proletariat’s gone down
Money’s gettin’ shallow and weak
The place I love best is a sweet memory
It’s a new path that we trod
They say low wages are a reality
If we want to compete abroad […]“

BOB DYLAN, der am Freitag im Fox Theatre in Detroit war, in „Workingman’s Blues #2“. Der Song passt auch gut zur Doku „Capitalism: A Love Story“ von Michael Moore, die wir gestern gesehen haben: Flint ist überall.

Friday, November 6, 2009

Herbstliche Blasinstrumente

Sie kamen im Morgengrauen und waren sehr, sehr laut. Und sie machten mehr Lärm, als man das beim Frühstück gerne hätte. „Es ist ein Bläserquartett“, sagte mein Mann, nachdem er einen Blick aus dem Fenster geworfen hatte. Die Blasinstrumente waren von der Sorte, mit der man welkem Herbstlaub den Marsch bläst. Das große Halali für Laubbläser.

Laubbläser! Ich hasse Laubbläser. Ich habe auch noch nie begriffen, wozu sie gut sein sollen. Kaum haben die Männer mit ihren heulenden Maschinen ein paar Blätter auf einen Haufen geblasen, kommt schon ein Windstoß, der das Laub wieder in alle Himmelsrichtungen verteilt.

Sisyphos hätte heutzutage bestimmt einen Laubbläser.

Thursday, November 5, 2009

A One-Term President?

„I am told by people I respect that Barack Obama cannot pull out of both Iraq and Afghanistan without becoming a one-term president. I think that may be true. The charges from various quarters would be toxic – that he was weak, unpatriotic, sacrificing the sacrifices that have been made, betraying our dead, throwing away all former investments in lives and treasure. All that would indeed be brought against him, and he could have little defense in the quarters where such charges would originate. […]

I have great hopes for the Obama presidency, even in his first term, and especially if he could have two terms to realize the exciting new things he aspires to do in the White House. But I would rather see him a one-term president than have him pass on another unwinnable war to the person who will follow him in office.“

GARRY WILLS auf dem NYR-Blog („The New York Review of Books“), ein Eintrag vom 3. November.

Saturday, October 31, 2009

Herbstvergnügen in den USA

Schon in meinem ersten Jahr in den USA ist mir aufgefallen, in welchem Maße Amerikaner denVery scary pumpkin with a Dick Cheney grin © Cornelia Schaible Herbst zelebrieren – ganz im Gegensatz zum Frühling. Gerade in Michigan kommt das Frühjahr immer spät, in den Gärten ist noch nichts zu sehen, und auch Ostern spielt keine große Rolle. Der Herbst indessen ist eine klar umrissene Jahreszeit mit kalendarischen Eckpunkten, die in Thanksgiving kulminiert. Natürlich gibt es auch den Rummel um Halloween, aber der spielt in den Prospekten der Supermärkte eine weitaus wichtigere Rolle als im wirklichen Leben. Wobei gerade Pumpkins mehr als nur Material für Kürbisgeister sind: Wenn die Maskengesichter längst auf dem Kompost gelandet sind, bäckt man immer noch Pumpkin Pies.

Mehr zum Thema auf suite101: Wie Amerikaner den Herbst zelebrieren

Wednesday, October 21, 2009

Happy Birthday, Guggenheim!

50 Jahre alt und kein bisschen von gestern: Das Guggenheim-Museum ist sicher das ungewöhnlichste Gebäude in Manhattan – und heutzutage gewiss eine bedeutendere Ikone alsDas Guggenheim-Museum in New York © Cornelia Schaible das Empire State Building (auf dem Foto rechts unten zu sehen). An Wolkenkratzer hat man sich inzwischen gewöhnt. Ein Bauwerk, das (jedenfalls aus amerikanischer Sicht) ein bisschen aussieht wie eine umgedrehte Hochzeitstorte, ist auch nach einem halben Jahrhundert ganz klar eine Sensation. Frank Lloyd Wright gelang mit dem Guggenheim ein Geniestreich.

Die Spirale von oben nach unten zu durchlaufen ist ein fantastisches Raumerlebnis, das einem mittels (absichtlich aufgebauter) Absperrungen allerdings etwas vergällt wird. Als wir Anfang August dort waren, machten wir das gleich zwei Mal hintereinander. Und dabei wurde vor allem eines klar: Bilder stören in einem solchen Bauwerk nur. Das Museum ist das Kunstwerk.

Der Architekt erlebte die Eröffnung allerdings nicht mehr: Wright starb am 9. April 1959.

Friday, October 16, 2009

Kinder und Politik

Meine Familie verachtete Willi Brandt. Ich glaube, man kann das so sagen. Er war ein Sozi, ein uneheliches Kind und ein WerweißwaserimKrieggemachthat. Und dazu lebte er „unter falschem Namen“.

Ich war damals noch ein Kind und wunderte mich über diese Tiraden, denn eigentlich sah er gar nicht unsympathisch aus. Das Wort gab es damals noch nicht, aber heute würde ich sagen: Willy Brandt besaß einen hohen Cool-Faktor, der anderen Politikern entschieden abging. Und als Jugendliche begann ich, mich für die Zusammenhänge zu interessieren. Zwar wurde ich nicht wirklich politisch aktiv, aber als ich meiner Mutter erzählte, ich sei bei der Bürgersprechstunde unserer Bundestagsabgeordneten Herta Däubler-Gmelin in der Tübinger Neckarhalde gewesen, war es an ihr, sich zu wundern. Wie Deutschland mit seinen Emigranten umging, lernte ich dann im Germanistikstudium.

Willy Brandt wurde mein Held.

(In die SPD bin ich aber doch nicht eingetreten, denn irgendwann war ich bei einer Versammlung mit Oskar Lafontaine in Mössingen, und dann sangen sie „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“. Also das mit dem Singen, das ging gar nicht.)

Es wird spannend sein zu sehen, wie Kinder und Jugendliche die politische Stimmung von heute verarbeiten. So etwas prägt. Als Barack Obama gestern in New Orleans war, fragte ihn ein Viertklässler mit großem Ernst: „Why do people hate you?“

Gute Frage.

Obama gab darauf eine sehr diplomatische Antwort, von der Art: „Das gehört zur Jobbeschreibung.“

Der kleine schwarze Junge wird indessen nie vergessen, wie cool er den Präsidenten fand. Was immer die Erwachsenen dazu meinten.

Tuesday, October 13, 2009

Nobel genug

Da gibt es also diesen (relativ) neuen Kolumnisten bei der „New York Times“, ein Milchgesicht mit wasserblauen Augen namens Ross Douthat, der sich für konservativ hält und daher meint, mit großkotzigen Bemerkungen über den Präsidenten etwas werden zu können. „Heckuva Job, Barack“, titelte er gestern. Gemeint war, dass Barack Obama eine historische Chance vertan hat: nämlich die, mit einem Schlag seine Präsidentschaft von der unerträglichen Last der hohen Erwartungen zu befreien – indem er den Friedensnobelpreis einfach ablehnt. Damit hätte er sich dann endgültig als amerikanischer Präsident etabliert. Schluss mit dem „europäischen Humbug“!

Nun hat Obama andere Sorgen, und die Auszeichnung war wahrscheinlich so willkommen wie Zahnweh. Ein paar demütige Worte und dann zur Tagesordnung übergehen, das war mit Sicherheit das Beste, was ihm dazu einfallen konnte.

Dass sich Republikaner ständig darüber aufregen, dass Europäer eine Menge für den amerikanischen Präsidenten übrig haben, ist auch eine merkwürdige Fußnote der Geschichte. Und eine solche Auszeichnung mit denselben Worten zu kommentieren, die Bush einst für den unfähigen Katastrophen-Einsatzleiter in New Orleans übrig hatte, ist schlicht peinlich.

Wäre es nicht geradezu ein Zeichen von unerhörter Überheblichkeit, eine solche Auszeichnung abzulehnen? Das hatten Kollegen mit etwas mehr Durchblick schon am Freitag gemeint. Bei anderen Leute persönliche Größe einzufordern, sollte man sich als Zeitungsjournalist jedenfalls gut überlegen: „Mr. Douthat, President Obama (not Barack“ to you) has every right to accept the Nobel award“, meinte ein Leser in der Kommentarspalte der Online-Version des Artikels. Und ein anderer schrieb: „You could have turned down the NY Times offer as a regular columnist. You could have admitted you were too young, too inexperienced and ultimately unworthy yet of carrying on in William Safire's old role as a dedicated right wing voice in the left leaning Grey Lady. But low and behold you took the role Douthat, so you could subject us to your predictable, short sighted, right wing talking points […].“

Monday, October 5, 2009

Tokio Hotel war noch nie in Tokio

„Wir waren leider immer noch nicht in Tokio! Aber wir lieben die Stadt, auch ohne dort gewesen zu sein. Als Kids haben wir immer davon geträumt, eines Tages in Tokio zu sein. Irgendwie will man sich den Traum aber auch nicht erfüllen. Dann ist er ja ausgeträumt, und das will ich mir lieber noch aufheben.“

TOM KAULITZ, Gitarrist von Tokio Hotel, in einem Interview von "Spiegel Online" auf die Frage, ob die im Jahr 2001 gegründete Band inzwischen einmal in Tokio war – genau das wollte ich schon lange wissen. Über die Antwort musste ich mich allerdings doch ein wenig wundern.

Monday, September 7, 2009

Die rasant alternde Schildkröte

Meistens liegt die Riesenschildkröte in einer Ecke und döst – wahrscheinlich hat sie schon genugUralte Landschildkröte vom Michigan State Fair in Detroit © Cornelia Schaible
vom Elend dieser Welt gesehen. Das uralte Wesen ist eine der Attraktionen auf dem Detroiter State Fair, und ich versäume nie, ihr einen Besuch abzustatten. Wann habe ich es sonst mit einer Kreatur zu tun, die 141 Jahre auf dem Buckel hat und 300 Jahre alt werden kann? So steht es jedenfalls auf einem Holzschild an ihrem Käfig.

Nun, es kann gut sein, dass wir das noch erleben – so rasant, wie diese Schildkröte altert. Ich habe sie nämlich im vergangenen Jahr schon fotografiert, siehe Bild, und da war sie – surprise! – erst 139 Jahre alt. Zählen Schildkrötenjahre neuerdings doppelt?

Es mag allerdings sein, dass wir den bemerkenswerten Alterungsprozess dieser Schildkröte nicht mehr weiter verfolgen können. Denn der Michigan State Fair in Detroit, der heute zu Ende geht, war wahrscheinlich der letzte. Die Regierung in Lansing hat beschlossen, dass es für den ältesten State Fair im Lande kein Geld mehr geben soll – nach 160 Jahren ist Schluss. Kein Wiedersehen mit der Schildkröte? Schade. Jammerschade. Ich hätte zu gerne gewusst, ob sie auch im nächsten Jahr wieder einen Altersschub hat.

Mehr zum Thema auf suite101: Die State Fairs in den USA

Saturday, September 5, 2009

The Summer of Our Discontent

„At midnight on Monday, when Labor Day ends, the summer of 2009 will officially pass into the annals of history. Good riddance. If there is a less scintillating summer on record, it's hard to remember it. By any standards – cultural, horticultural, political, cinematic, jurisprudential, meteorological – this is the least eventful summer since 1491. It started raining in June and never stopped. Health-care reform didn't get anywhere. The tomatoes were uneatable. Congress accomplished nothing. All the movies stunk. […] As the summer slogged toward its sad, ignominious conclusion – just when the nation needed some bucking up, some leadership, perhaps even a few good chuckles – the president retreated to Martha's Vineyard, where he made a point of getting himself photographed acting really, really cool for a change. […]

The summer of 2009 was the summer when nothing positive happened. The stock market went up but it didn't help the economy. The classic bear market „sucker rally,“ which lifted stocks by 50%, still left the Dow 5,000 points short of its all time high. In other words, those who had lost 53% of their life's savings had now only lost 38%. Golly! Pass me another Dos Equis!“

Freelancer JOE QUEENAN in der Online-Ausgabe des „Wallstreet Journal“ brachte den Sommer 2009 auf den Punkt – beinahe jedenfalls, wäre der Artikel nicht so länglich gewesen.

Friday, August 21, 2009

Keine Party ohne Piñata

Als ich zum ersten Mal in den USA bei einer Gartenparty eingeladen war, bekam ich unvermutet Gelegenheit, meine Kenntnis amerikanischer Brauchformen zu erweitern.

Das runde, lampionartige Teil mit der Micky-Maus-Figur darauf hatte ich einfach für Dekoration gehalten. Bis zu dem Moment, als die Kinder auf Geheiß anfingen, sich vor Micky Maus aufzustellen. Das erste Kind in der Reihe bekam einen Plastikknüppel in die Hand und fing an, auf den armen Micky einzudreschen. Dann schlug das nächste zu, und so fort. Bis der Hohlkörper aus Karton platzte – und die lieben Kleinen alle auf dem Boden lagen und sich um Schokolade und Bonbons balgten. Die Figur war randvoll mit Süßigkeiten gefüllt.

Dass sich dieser Partyspaß Piñata nennt, erfuhr ich erst beim nächsten Fest. Und seither habe ich schon viele platzen sehen, denn Piñatas sind heutzutage auch in den USA sehr populär. Woher sie stammen, ist dank des „N“ mit Tilde darüber leicht zu erkennen – es handelt sich um einen kulturellen Import aus Mexiko.

Nach einiger Online-Recherche fand ich auch heraus, dass der Brauch einen europäischen Ursprung hat und zu Fastnacht und Karneval gehört. Allerdings war der Behälter früher aus Ton – in Italien nannte man das eine pignatta.

Das Wort existiert offensichtlich heute noch, allerdings war für mich nicht klar, welche Bedeutung es genau hat. Und so wandte ich mich per E-Mail an den suite101-Kollegen Klaus Schwehn, der im Gebiet der Oberitalienischen Seen lebt.

Er antwortete dankenswerterweise sehr schnell (denn ich wollte meinen Artikel bald veröffentlichen): „Da musste ich erst mal in unserem Tante-Emma-Laden, der Maria Carla heißt, nachfragen. Denn sie weiß ALLES. Also im hiesigen Dialekt (am südlichen Alpenrand, Provinz Como) ist es ein ganz normaler Kochtopf, beispielsweise aus Aluminium, der im Hochitalienischen pentola heißt. Ein Brötchen kaufender Feriengast hat mir indessen versichert, der Begriff sei umgangssprachlich in ganz Italien verbreitet, ein ebenfalls anwesender Sizilianer hat es bestätigt. Mein gedruckter, etwas älterer Pons sagt auch, umgangssprachlich (Koch-)topf, der neue online-Pons kennt das Wort nicht. Es ist hier schon lustig: Wenn man eine Frage hat, gibt das halbe Dorf Auskunft.“

Eine pignatta entspricht also dem schwäbischen „Hafen“ (wie in „Stockhafen“ oder „Kochhafen“) – der war ursprünglich auch aus irdenem Material. Ich forschte noch ein wenig weiter und siehe da: Es gibt in Italien tatsächlich noch lokales Brauchtum rund um aufgehängte Tontöpfe, die mit Stöcken zerschlagen werden - etwa bei der "Festa de San Piero de Casteo" (in meinem Text habe ich das auf Hochitalienisch geschrieben) gibt es "Gioco delle Pignatte".

Das ist übrigens einer Amerikanerin aufgefallen, die darin natürlich sofort die Ähnlichkeit zum mexikanischen Brauch erkannt hat. Sie staunte vor allem darüber, dass kleine Kinder mit Stöcken auf schwere Tontöpfe einschlagen – aber offenbar lässt man sie dabei vorsichtshalber Helme tragen.

Mehr zum Thema auf suite101: Die Piñata – ein Partyspaß mit Tradition

Monday, August 3, 2009

Car Candy: Wenn das Auto zum Hund passen muss

Einen hochmütiger dreinblickenden Hund hatte ich nie gesehen. Pudel Paris, auf dem Schoß von Frauchen Cathy Gauche, war entschieden der Hingucker beim gestrigen Meadow Brook Concours d’Elegance. Beide waren in Blau und Weiß gestylt – nur beim Pudel hatte wohl irgendjemandCathy Gauche mit Pudel Paris beim Meadow Brook Concours d'Elegance © Cornelia Schaible vergessen, die Lockenwickler herauszunehmen. Jedenfalls passten der Hund und die Lady farblich ganz exakt zum Auto. Richtig, das Auto, fast hätte ich es vergessen: Das war ein 1948er Delahaye 135 MS Faget Varnet Cabriolet. Fabelhaft.

Die Oldtimer-Show auf dem Gelände von Meadow Brook Hall war überhaupt eine reine Augenweide. Die edlen Karossen wurden auf einem sorgfältig manikürten Golfrasen präsentiert, als Hintergrund eine Zwanzigerjahre-Villa: Das war car candy vom Feinsten. Auch das Publikum ließ sich nicht lumpen. Die Damenwelt nahm die Veranstaltung an einem prächtigen Sommertag als Vorwand, um dekorative Hüte auszuführen. Ist die Rezession etwa vorbei?

Einige Sammler konnten schon versprechen, beim nächsten Concours d’Elegance ein anderes hübsches Modell aus ihrer Sammlung vorzustellen. Ganz verarmt scheint die Nation noch nicht zu sein. Und wenn ein Oldtimer-Sammler verkaufen muss, hat das zuweilen eher mit seiner persönlichen Situation zu tun: Gary Kohs aus Birmingham, Michigan, lässt demnächst seinen 1938 Bugatti Type 57C versteigern. Seine Süße sei ihm davongelaufen, erzählt er jedem, der es hören möchte, und deswegen müsse er sich leider auch von seinem Wagen trennen.

Das schwarz und grün lackierte Vehikel gilt als eines der wertvollsten Autos der Welt. Es war das persönliche Eigentum von Autobauer Ettore Bugatti – seine Arbeiter hatten den Wagen als Geschenk für ihn zusammengeschraubt. Das gute Stücke könnte bei der Auktion Mitte August über 12 Millionen Dollar erzielen. So hofft jedenfalls der jetzige Besitzer Gary Kohs.

Friday, July 31, 2009

Nothing Compares to Lake Michigan

„I grew up on a Lake Michigan beach and completely took it for granted. I was actually a little disappointed when I first saw an ocean. Lake Michigan, my god – it's fantastic. Nothing compares.“

KOMMENTAR von „annaleighclark“ auf YouTube zum Video „Lost and Found“ aus der Werbekampagne „Pure Michigan“.

Thursday, July 30, 2009

Ann Arbor News wird Dotcom

Farewell, Ann Arbor“, stand auf dem Titel der letzten Ausgabe. Die Tübinger US-Partnerstadt hat keine lokale Tageszeitung mehr – am Donnerstag vergangener Woche endete eine 174-jährige Tradition. Die „Ann Arbor News“ erscheint jetzt unter neuem Namen im Netz, dazu gibt’s zweimal wöchentlich eine gedruckte Ausgabe. Das Ende der „Ann Arbor News“ bedeutet einen erheblichen Verlust an Arbeitsplätzen: 274 Leute waren nach Angaben von Herausgeberin Laurel Champion zuletzt beim Lokalblatt in der Tübinger US-Partnerstadt beschäftigt – alle wurden entlassen.

Nun, immerhin hat Laurel Champion jetzt einen neuen Job: Sie ist Vizepräsidentin von „AnnArbor.com“, das ist die Nachfolgepublikation des soeben beerdigten Lokalblattes, das zuletzt eine Auflage von 45.000 Exemplaren hatte. 25 ehemalige Mitarbeiter der „Ann Arbor News“ haben ebenfalls eine Anstellung beim neuen Online-Nachrichtenorgan gefunden – im Impressum findet man vor allem beim Sport bekannte Namen. Andere arbeiten jetzt als freie Mitarbeiter für die Internetzeitung, von der es nur noch donnerstags und sonntags eine gedruckte Version gibt. Ganz ohne Printausgabe geht es nicht, denn die braucht man fürs Anzeigengeschäft: Die Wochenendausgaben amerikanischer Zeitungen enthalten dicke Werbebeilagen, die aus Prospekten und vor allem Rabatt-Coupons bestehen. Und die sind seit Beginn der Wirtschaftskrise begehrt wie schon lange nicht mehr: Amerikaner schnippeln eifrig Coupons.

Das Onlineangebot von AnnArbor.com ist kostenlos. Die Druckausgabe muss man kaufen, es gibt sie aber auch im Abonnement, und die bisherigen Abonnenten der „Ann Arbor News“ bekommen das neue Printmedium ins Haus geliefert. Die redaktionelle Schrumpfkur ging an der Zeitung nicht spurlos vorüber, wie Grace Shackman feststellen musste: „Sie war deutlich dünner als früher.“ Aber sonst habe das Blatt – einmal abgesehen vom neuen Namen – ganz ähnlich ausgesehen, berichtete die Historikerin dem TAGBLATT. Shackmann, die selbst publizistisch tätig ist und überDas Gebäude der Ann Arbor News von 1936, ein Entwurf von Albert Kahn, soll verkauft werden © Cornelia Schaible die Stadtgeschichte von Ann Arbor schreibt, bedauert das Ende des Lokalblattes: „Die Zeitung wird uns allen fehlen.“ Und das, so fügte sie hinzu, „obwohl sie nicht so gut war wie sie hätte sein können“.

Dass die journalistische Qualität des Lokalblattes nachgelassen habe, konnte man in Ann Arbor häufig hören – immer mehr langjährige Leser kündigten ihr Abonnement, auch in Grace Shackmans Freundeskreis war das so. In der Universitätsstadt, in der die Mehrheit demokratisch wählt, kam es außerdem nicht gut an, dass die „Ann Arbor News“ bei den Präsidentenwahlen zwei Mal den Republikaner George W. Bush unterstützte. Nach welchen Kriterien die Lokalberichterstattung funktionierte, verstand sowieso niemand. Nur als Beispiel: Als im vergangenen Jahr eine Delegation aus Tübingen in der US-Partnerstadt war, stand in der Zeitung von Ann Arbor darüber kein Wort.

In den USA ist die „Ann Arbor News“ das jüngste Opfer einer Zeitungskrise, die auch Großstädte nicht ausspart: So hat Seattle an der Westküste der Vereinigten Staaten schon seit dem Frühjahr keine gedruckte Tageszeitung mehr – publiziert wird seither ausschließlich übers Internet. Die Online-Ausgabe des „Seattle Post-Intelligencer“ enspricht allerdings mehr dem üblichen Bild einer Internetzeitung als „AnnArbor.com“. Auch die Internetangebote der „Detroit News“ und der „Detroit Free Press“ in der benachbarten Autometropole, die zwar noch täglich drucken, ihren Abonnenten aber nur an zwei beziehungsweise drei Tagen in der Woche das Blatt ins Haus liefern, kommt deutlich attraktiver daher.

Seit zehn Jahren ging das Anzeigengeschäft bei der „Ann Arbor News“ immer weiter zurück, während die Kosten gleichzeitig stiegen – am Ende stand der Entschluss des Verlegers, die „Ann Arbor News“ dicht zu machen und etwas ganz Neues anzufangen. Das Gebäude in der Innenstadt von Ann Arbor, in dem die Zeitung seit 1936 zu Hause war, soll verkauft werden – jetzt genügt ein kleines Redaktionsbüro, das bereits angemietet wurde. Auf diese Weise müsse man nicht weiterhin „den Niedergang“ verwalten, sagte Matt Kraner, der neue Präsident von AnnArbor.com. „Die einzige Chance, den journalistischen Auftrag weiterzuführen, bestand darin, das Modell zu wechseln“, erklärte Steven Newhouse von der Eigentümerfamilie in einem Interview, das in der „Ann Arbor News“ erschien.

Nun ist die Newhouse-Gruppe nicht irgendein Verlagshaus in den USA – tatsächlich handelt es sich um den größten amerikanischen Medienkonzern in Privatbesitz; der offizielle Name ist „Advance Publications“. Zum weit verzweigten Verlagsimperium gehören neben 30 weiteren Tageszeitungen in allen Teilen der USA auch eine lange Reihe von Hochglanztiteln, die alle erdenklichen Themen von Mode übers Reisen bis zum Golfspielen abdecken – das Fashionmagazin „Vogue“ ist ebenso ein Newhouse-Produkt wie die Intellektuellengazette „The New Yorker“. Auch einige Internetportale gehören dazu – und ganz offensichtlich verschiebt sich gerade das Gewicht in Richtung Online-Publikationen. Denn weitere Newhouse-Zeitungen aus Michigan, die bisher ihr Online-Angebot mit der „Ann Arbor News“ teilten, dürften schon bald ebenfalls ausschließlich auf dem Internet zu finden sein – Steven Newhouse hat das bereits angedeutet.

Die Frage ist nur, ob sich die bisherigen Leser so einfach umstellen. Bei Grace Shackman und ihrem Mann, die vor dem Abendessen immer gern Zeitung lasen, ist es noch nicht soweit: „Das ist schon eigenartig“, bemerkte Grace Shackman, „da ist jetzt so eine Leere.“

Sunday, July 26, 2009

American Food

„American Food is whatever happens to be cooking in America right now.“

Der amerikanische Küchenchef und Autor ANTHONY BOURDAIN, in der jüngsten Folge seiner Fernsehsendung „No Reservations“, die ihn nach Baltimore, Detroit und Buffalo führte. In Detroit speiste Bourdain polnisch und libanesisch.

Sunday, July 19, 2009

Star Trek unterm Sternenhimmel

Wir hatten uns nicht viel dabei gedacht, aber Star Trek erwies sich als genau der richtige Film für eine Nacht im Autokino. Die Leinwand verschmolz mit dem Sternenzelt: Es war einfach galaktisch. Und als der Planet Vulkan im Nachthimmel über Dearborn implodierte, aufgezehrt vonDas Ford-Wyoming Drive-in in Dearborn, Michigan © Franz Gingl
einem schwarzen Loch – ich muss schon sagen, das war ein sehr denkwürdiger Moment. Gelegentlich musste ich einen Blick hinüber zur BP-Tankstelle links von der Leinwand werfen, um innerlich sozusagen wieder festen Boden unter den Füßen zu bekommen.

Ich weiß nicht mehr genau, wie ich darauf kam, aber kürzlich fotografierte ich jedenfalls das Cherry Bowl Drive-in Theatre in Honor, Michigan. Ich wusste, dass noch mehr Autokinos im Bundesstaat überlebt hatten, aber ich hatte bisher immer angenommen, es handle sich dabei um eher kleine Drive-ins, die von Enthusiasten am Leben gehalten werden. Deswegen war ich erstaunt, als ich bei meinen Online-Recherchen auf das ziemlich gigantische Ford-Wyoming in Dearborn stieß – in der Selbstbeschreibung „The Largest Drive-in Theater in the World“, mit Platz für 3000 Autos. In Dearborn? Warum hatte mir das noch keiner erzählt?

Als das Kino im Jahr 1950 eröffnet wurde, war es noch viel kleiner und hatte genau eine Leinwand. Vierzig Jahre später waren es fünf. Ein paar Jahre später, als die meisten Autokino in der Umgebung längst dicht gemacht hatten, kamen noch vier hinzu. Es ist sogar im Winter meistens geöffnet – dann kann man kleine Heizgeräte fürs Auto mieten.

Aber im Sommer – und vor allem in einem Cabrio – macht das Ganze sicher mehr Spaß. Der Eintritt pro Nase kostete 8,50 Dollar, und zwar für ein „Double Feature“ – Tatsache ist, dass die Leute auf dem weitläufigen Gelände sowieso machen, was sie wollen, und herumfahren, bis ihnen ein Film gefällt. Manche stellen auch Campingstühle auf oder tailgaten. Es ist nicht so wie im Film „Cars“, in dem sich alle Autos mit der Vorderseite zur Leinwand hin ausrichten...

Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir diesen Sommer nicht zum letzten Mal im Autokino waren.

Saturday, July 18, 2009

Ü ist in

„What does that umlaut over the U in Brüno mean? It tells the speaker to pronounce the vowel toward the front of the mouth. For example, the ö in the Swiss hotel chain Mövenpick is halfway between oh and ooo. Likewise, the ü in Brüno denotes a sound between „ooo“ and „yoo.“ The German name Bruno, however, does not actually include an umlaut.“

CHRISTOPHER BEAM im Artikel „Vienna Sausage. Is Brüno really representative of Austria's gay community?" auf „Slate". Für meine Studenten ist das „Ü“ immer eine schlimme Hürde – aber vielleicht sollte ich mal den Trick mit dem „yoo" probieren. Ach ja, und eine Werbezeile für „Brüno“ lautet: „Even fünnier than Borat“. Ganz klar: „Ü“ ist in!

Monday, July 13, 2009

Das Märchen vom Fischer und seiner Frau

Es waren einmal ein Fischer und seine Frau, die wohnten zusammen in einer kleinen Hütte dicht bei der See, und der Fischer fuhr alle Tage in seinem Motorboot hinaus, um Lachse zu fangen. Dabei freute er sich immer über das herrlich klare Wasser in jener nördlichen Gegend, die Alaska genannt wird.

Eines Tages zog der Fischer, der übrigens den schönen Namen Todd trägt, einen großen Lachs aus dem Wasser. Es war ein Königslachs. Da öffnete der Fisch plötzlich sein Maul und fing an zu sprechen. „Hör mal, Todd“, sagte er, „ich bin in Wirklichkeit gar kein Alaska-Lachs, sondern ein verwunschener König. Was bringt es dir, wenn du Fischfilets aus mir machst? Ich schmecke nämlich überhaupt nicht. Setz mich einfach wieder ins Wasser und lass mich schwimmen. „Kein Problem“, sagte Todd, „einen Lachs, der sprechen kann, hätte ich sowieso freigelassen. Das fällt bei uns unter das catch-and-release law.“ Und so brachte er den Lachs zurück in die See.

Aber als der Lachs im klaren Wasser davonschwamm, zog er einen langen Streifen von Blut nach sich.

Als der Fischer nach Hause kam und seiner Frau von dem ungewöhnlichen Fang erzählte, war diese gar nicht zufrieden. „Was bist du nur für ein Dummkopf“, sagte die Frau, die Sarah Louise heißt. Sie schüttelte ihren Kopf, sodass beinahe ihr Dutt in Unordnung geriet. „Warum hast du dir denn nichts gewünscht? Wer einen verwunschenen Lachskönig fängt, darf sich etwas wünschen. Du hättest dir ein richtiges Haus wünschen können, an einem Inlandsee, mit Bergen im Hintergrund. Ich habe es satt, in dieser Hütte zu wohnen. Das ist nicht mein American Dream!“ Da schaute Todd betreten drein und wusste nicht, was er entgegnen sollte. Seine Frau musste deutlicher werden. „Geh noch einmal hin“, befahl sie, „und sage dem Lachs, dass wir gerne ein schöneres Haus hätten. Am besten eine Villa am See in Wasilla.“

Todd, der seiner Frau noch nie einen Wunsch ausgeschlagen hatte, ging also zurück an die Küste, wo er immer zu fischen pflegte. Die See war auf einmal gar nicht mehr klar; das Wasser war mit grünlichen Algen bedeckt und roch nicht besonders gut. Er stellte sich an den Strand und rief:

Salmon, Salmon in the Sea,
komm doch bitte schnell wie nie!
Meine Frau Sarah Louise
will was – oder sonst gibt’s Krise.“

„Was willse denn“, fragte der Lachs, der seinen Kopf aus dem grünlichen Schlick streckte. „Ein H-haus in W-wasilla“, stotterte Todd, dem ganz unheimlich zumute war. „Geh einfach mal gucken“, sagte der Lachs. „Sie hat es schon.“

Tatsächlich wohnte Sarah Louise jetzt in einem großen Haus, und zu Todds großer Verblüffung war sie auch noch Bürgermeisterin geworden. Das gefiel ihr zunächst sehr, und sie lebte mit ihrem Mann und ihren Kindern ein paar Jahre lang im großen Haus am kleinen See in Wasilla. Sarah Louise war sehr beschäftigt, weil sie viele Gebäude errichten ließ, darunter ein riesiges Sportstadion, in dem halb Alaska Platz hatte. Todd ging nur noch zum Lachsfischen, wenn das Wetter günstig war.

Aber irgendwann hatte Sarah Louise den Spaß an ihrem Job verloren. Eines Sonntags – die Familie hatte gerade Karibugulasch gegessen, denn im Hause des Fischers mag man bekanntlich keinen Fisch – sagte sie in scherzhaftem Ton zu ihrem Mann: „Todd, Sweetheart, hast du wieder einmal etwas vom verwunschenen Lachs gehört? Ich glaube, ein kleiner Tapetenwechsel täte uns allen gut.“

Als der Sonntagnachmittag um war, hatte sie Todd weichgekriegt, und er versprach, zum Lachs zu gehen und erneut um einen Gefallen zu bitten. Gleich am Montagmorgen ging er zur Küste, die jetzt von einem violett schillernden schwarzen Morast überzogen war, und er rief:

Salmon, Salmon in the Sea,
komm doch bitte schnell wie nie!
Meine Frau Sarah Louise
will was – oder sonst gibt’s Krise.“

Was willse denn“, fragte der Lachs, der seinen Kopf aus der übelriechenden dunklen Soße streckte. „S-sie w-will Gouv-v-verneurin werden“, brachte er mit Mühe heraus. „Geh einfach mal gucken“, sagte der Lachs. „Sie ist es schon.“

Tatsächlich war Sarah Louise jetzt Gouverneurin von Alaska, was ihr recht zu behagen schien. Was ihr nicht so gut gefiel, war der Gouverneurspalast in der etwas abgelegenen Hauptstadt Juneau – das Gebäude sah fast aus wie ein normales Haus. Deshalb blieb Sarah Louise in Wasilla wohnen und ging nur ab und zu nach Juneau. Aber sie amüsierte sich ganz gut und baute auch wieder alles Mögliche, zum Beispiel eine Brücke nach Nirgendwo. Todd ging nur noch fischen, wenn er Lust hatte; sonst sah er seiner Frau beim Regieren zu oder passte auf die Kinder auf.

Eines Tages legte ein großes Kreuzfahrtschiff im Hafen von Alaska an. An Bord waren Gesandte der konservativen Partei Amerikas, und sie wollten mit Sarah Louise reden, von der sie schon viel gehört hatten. Sarah Louise setzte ihr strahlendstes Lächeln auf und kochte Karibugulasch. Die Gesandten waren begeistert. Ein paar Monate später ernannte der konservative Präsidentschaftskandidat die Gouverneurin von Alaska zu seiner Vertreterin. Sarah Louise freute sich sehr, dass sie Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika werden sollte. Sie reiste durchs Land, und viele Leute jubelten ihr zu. Sie kaufte auch viele schöne Kleider für sich und ihre Familie – Todd bekam seidene Unterhosen.

Leider hatte Sarah Louise niemand gesagt, dass man nur Vizepräsidentin werden kann, wenn man vom Volk gewählt wird. Als der konservative Kandidat die Wahl verlor, musste Sarah Louise wieder nach Alaska zurück, was sie als entsetzliche Schmach empfand. Irgendwann hatte sie das Regieren dort so satt, dass sie das Fernsehen nach Wasilla bestellte und ihren Rücktritt verkündete. „Nur tote Lachse schwimmen mit dem Strom“, sagte sie. Das verstand niemand – außer dem Lachs.

Der bekam auch bald schon wieder Besuch. Sarah Louise hatte nämlich kapiert, dass letztlich nur der Lachs Wünsche erfüllen konnte; konservative Gesandte, die auf Kreuzfahrtschiffen kamen, waren in Wirklichkeit machtlos. So stand Todd eines Tages vor einer schwarzen, gefährlich blubbernden Masse am Strand und rief den Lachs:

Salmon, Salmon in the Sea, …“

Der Fisch ließ sich nicht lange bitten, streckte seine Kopf aus dem widerlich stinkenden schwarzen Zeug und wollte wissen, was die Gattin nun wünsche. „Jetzt will sie – sie will Präsidentin werden“, sagte Todd ganz leise und zögerlich. Immerhin schaffte er es, nicht zu stottern. „Geh einfach mal nach Washington gucken“, sagte der Lachs. „Sie sitzt schon im Weißen Haus.“

Tatsächlich fand Todd seine Frau im Oval Office, wo sie bereits mit Regieren beschäftigt war – sie hatte die Lobbyisten der Ölindustrie zum Gespräch eingeladen. „Drill, Baby, drill!“, rief sie ihrem Mann zu. Todd zuckte zusammen und schlich in den Gemüsegarten, den die Frau eines früheren Präsidenten angelegt hatte. Aber Sarah Louise und er mochten überhaupt keinen Spinat. Und Karibugulasch gab’s nicht in Washington.

Auch sonst war es nicht so ganz das Rechte in Washington. Ein so großes Land zu regieren war ungeheuer viel Arbeit, wie sich herausstellte, und keiner jubelte mehr. Als First Dude konnte Todd überhaupt nicht mehr fischen gehen, denn der Secret Service hatte es ihm verboten. Außerdem fürchtete er sich vor den Wünschen seiner Frau.

Und eines Tages war es wieder so weit. Kurz vor dem Zubettgehen, als sie ihr Haar schon gelöst hatte, wandte sich die Präsidentin an ihren Mann. „Todd“, sagte Sarah Louise, „ich muss mit dir reden.“ Und dann sagte sie die Worte, vor denen er sich schon lange gefürchtet hatte. Schließlich hatte seine Frau schon früher ihre E-Mails gelegentlich mit „Himmlischer Vater“ unterschrieben.

Eines Morgens fand sich Todd in aller Frühe in einer kleinen Bucht an Marylands Küste wieder. Er war allein. Irgendwie hatte er es geschafft, die Sicherheitsbeamten abzuhängen. Über der Chesapeake Bay zog ein Gewitter auf. Es donnerte und blitzte, und das Wasser war tiefschwarz und gurgelte und roch wie die Pest. Unheimliche gepanzerte Krabben stiegen ans Land. Er war sich nicht sicher, ob man den Lachskönig auch an der östlichen Küste rufen konnte, aber er wollte es wenigstens versuchen. „Salmon, Salmon…”

„Was willse denn“, fragte eine vertraute Stimme. Der Lachs! Todd konnte ihn in der schwarzen Höllensuppe kaum erkennen. Todd schluckte. „Sie will Gott werden!“, schrie er verzweifelt.

„Geh einfach mal gucken, sie sitzt schon wieder in eurer alten Fischerhütte.“

Da sitzen sie immer noch. Und sonntags essen sie Karibugulasch.

Monday, June 29, 2009

Little Michael Jackson: In Detroit fing alles an

Ich war nie ein Fan von Michael Jackson. Die Glitzeranzüge und der ganze Popzirkus waren nicht mein Ding. In den Achtzigern hörte ich die Rockmusik, für die ich in den Siebzigern zu jung war.Letzte Grüße der Fans an Michael Jackson vor dem Motown-Museum © Cornelia Schaible Auf den Punkt gebracht heißt das: „The Dark Side of the Moon“ interessierte mich unendlich mehr als der Moonwalk.

Mit Michael Jackson habe ich mich erst beschäftigt, seit ich mit Motown in Berührung kam: In „Hitsville U.S.A.“ begann die Karriere der Jackson 5. Ende 1968 nahm Berry Gordy die Jackson-Brüder fürs Motown-Label unter Vertrag. Und zwar nur wegen „Little Michael“. Im Museum am West Grand Boulevard in Detroit stand ich vor alten Schwarzweißfotos, die einen unglaublich hübschen Jungen mit wachen Augen zeigen. Er hat sich selbst nie so gesehen, das verhinderte ein prügelnder Vater, der seinen Selbsthass auf die Söhne projizierte. Michael Jackson ist der erste Mensch, dessen Wachsfigur schon zu seinen Lebzeiten besser aussah als das Original.

Das Banner, das seit vergangenem Wochenende am Motown-Museum hängt, zeigt konsequenterweise den Kinderstar. Es muss eine sehr frühe Aufnahme sein, denn er trägt noch keinen Afro.

Was aus einem kleinen Jungen alles werden kann.

Mehr zum Thema auf suite101: Motown trauert um Michael Jackson

Thursday, June 4, 2009

Amerikaner sind Leseratten

„Von Simone de Beauvoir stammt das Bonmot, Amerikaner müssten nicht lesen, weil sie nicht denken. Die Denkleistung lässt sich leider nur schwer quantifizieren; besser sieht es da bei dem Leseverhalten aus. Amerikaner lesen, keine Frage, und der Anteil der Analphabeten in den USA liegt in etwa auf dem Niveau des europäischen Durchschnitts. Das Angebot an Zeitungen pro Kopf ist nur in Skandinavien, Luxemburg und der Schweiz größer als in den USA.

Amerika ist stolz auf seine lange Tradition großzügig ausgestatteter öffentlicher Büchereien; der durchschnittliche US-Bürger wird so besser mit Lesestoff versorgt als sein Pendant in Deutschland, Großbritannien, Frankreich, in den Niederlanden und den Mittelmeerstaaten. Und die Amerikaner machen von diesem Angebot auch Gebrauch: 2001 liehen sie sich im Schnitt mehr Bücher als Deutsche, Österreicher, Norweger, Iren, Luxemburger, Franzosen, Italiener und die europäischen Mittelmeeranrainer. Außerdem kaufen und schreiben sie mehr Bücher als die Europäer.“

Der amerikanische Historiker PETER BALDWIN auf "Spiegel Online" in einer Artikelserie mit dem Titel "Transatlantischer Vergleich", basierend auf einer Vielzahl von Daten. Aus persönlicher Anschauung kann ich hinzufügen, dass ich bei unserer jüngsten Reise nach Texas wieder einmal darüber staunte, wie viele Amerikaner beim Warten am Flughafen ihre Nase in ein dickes Buch stecken – so viele Leseratten sind mir in Europa im öffentlichen Raum nie aufgefallen. Höchstens vielleicht bei Zugfahrten in der schönen Schweiz.

Monday, June 1, 2009

GM auf Schrumpfkur

The biggest loser“ kommt aus Michigan, genauer gesagt: aus der Detroiter Vorstadt Sterling Heights. Helen Philipps, 48, ist die Gewinnerin der Abspecksendung von NBC. Im Laufe der TV-Saison verlor sie 140 amerikanische Pfund. Kritiker finden nun, sie sehe ein wenig anorektisch aus. Aber wie war das mit der Ziege, welcher der Bauer erfolgreich das Fressen abgewöhnt hatte?

Auch GM, seit heute kurz für: Government Motors, soll nun auf Diät gesetzt werden. Das betrifft vor allem die Detroiter Suburbs. Entgegen landläufiger Meinung steht nämlich in der Stadt Detroit selbst kein einziges GM-Werk – außer in Hamtramck, aber das ist eine Enklave und eigenständige City. In Detroit sitzt die Konzernzentrale von GM, und so soll es wohl auch bleiben, trotz aller Abwerbungsversuche des Bürgermeisters von Warren.

Landesweit 14 Werke will GM nach der größten Pleite in der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte schließen. Das bedeutet die Vernichtung von 21.000 Arbeitsplätzen, und fast die Hälfte davon befindet sich in Michigan – 6600 sind es allein hier in Oakland County. In Pontiac trifft es zwei Werke mit insgesamt knapp 2800 Arbeitern, und in Orion sollen 3800 ihren Job verlieren. Wie viele andere Einkommen von diesen gut bezahlten Industriejobs abhängen,Ein Schrumpf-Hummer aus dem Hause GM © Cornelia Schaible wird sich bald herausstellen. In Orion, wo bisher der Chevrolet Malibu und der Pontiac G6 montiert wurden, soll zwar vielleicht später ein Kleinwagen vom Fließband laufen, aber sicher ist das alles noch nicht. Da veröden ganze Landstriche: Längst sind von der immer weiter um sich greifenden Deindustrialisierung auch die Suburbs betroffen.

Aber lässt sich so ein Riesenunternehmen einfach auf eine Crash-Diät setzen? Wie das Bild zeigt, hat der Konzern mit dem Schrumpf-Hummer – gesehen in South Beach – schon einmal für den Ernstfall geübt; es handelt sich tatsächlich um ein Produkt aus dem Hause GM. Richtig niedlich.

Für die Diät-Queen Philipps hat sich das ausdauernde Hungern jedenfalls gelohnt: Sie konnte ein Preisgeld von 250.000 Dollar mit nach Hause nehmen. Ein kleines finanzielles Polster für magere Zeiten kann nicht schaden. Ihr Mann arbeitet angeblich bei Chrysler.

Sunday, May 31, 2009

Sammlerglück

Kürzlich trafen wir bei einem Waldspaziergang einen Kollegen meines Mannes und dessen Verlobte. Beide waren über diese Begegnung nicht ganz glücklich, das war ihnen deutlich anzusehen. Mir war auch sofort klar, warum: Aus der Anoraktasche der jungen Frau hing ein blaues Einkaufsnetz. Hier zu Lande benutzt man das eher nicht zum Einkaufen. „Irgendwelche Morcheln gefunden?“, fragte mein Mann unschuldig. Da lachten die beiden nur. „Maybe! Maybe!“ Wie kann man auch nur so dumm fragen.

Wir verlangsamten dann unseren Schritt, wie sich das gehört – Pilzsammlern, die man kennt, spioniert man nicht hinterher. Sie kamen bald schon wieder zurück, mit leeren Händen. Aber er kenne noch andere Stellen, sagte der Pilzfreund zuversichtlich. Und tatsächlich: Zwei Tage später brachte mein Mann ein Tütchen mit Morcheln nach Hause. Der Kollege war fündig geworden und hatte auch an uns gedacht. Es schmeckte köstlich.

Am Wochenende darauf drehten wir unsere übliche 10-Kilometer-Runde im Stony Creek Metro Park. Der Weg für Fußgänger und Radfahrer führt dort durch Wiesen und kleine Waldstücke, und die Parkstraße ist meistens in Sichtweite. Als wir ungefähr die Hälfte geschafft hatten, hielt nicht weit von uns am Straßenrand ein Auto, um jemand aussteigen zu lassen. Es handelte sich um einen Mann mit Strohhut, der einen mit Löchern versehenen Plastikeimer in der Hand trug und zielstrebig in Richtung Wald marschierte. „Nichts wie hinterher!“, sagte ich.

Wir betraten das Wäldchen in einiger Entfernung von der Stelle, wo der konspirative Sammler im Unterholz verschwunden war. Das war gut so, denn nachdem ich das Dickicht am Waldrand hinter mir gelassen hatte und ein paar Schritte im modrigen Laubwald gegangen war, stand ich schon vor der ersten Morchel. Sie fand sich unter einem alten Apfelbaum – wo heute Buche und Ahorn wachsen, war früher einmal Farmland. Einen besseren Standort gibt es nicht. Es war auch nicht die einzige; der Pilzfund reichte immerhin für ein Abendessen.

Man müsste wirklich noch mehr Pilzstellen haben.

Thursday, May 7, 2009

Das Reisen in Zeiten der Schweinegrippe

For all domestic and international flights, the U.S. threat level is High, or Orange“, sagt eine Stimme aus dem Flughafen-Lautsprecher. Das bezieht sich immer noch auf die Bedrohung durch Terroristen, nicht Viren. Wir ziehen also wie gewohnt unsere Jacken, Gürtel und Schuhe aus und verstauen sie in den schmuddligen grauen Plastikschalen, die ich an diesem Tag besonders ungern anfasse. Hilft Desinfizieren gegen den Feind?

In Nashville haben wir einen längeren Aufenthalt, länger als gedacht – der Flieger nach San Antonio kommt aus Kansas, und dort toben heftige Unwetter. Wir versuchen uns die Zeit zu vertreiben, inspizieren die Flughafen-Shops. Auf den Fernsehschirmen in den Wartebereichen läuft CNN; ungewöhnlich viele Reisende verfolgen das Programm. Der Präsident hält gerade eine Pressekonferenz zu seinen ersten hundert Tagen im Amt. Eine Journalistin fragt ihn, ob er beabsichtige, wegen der Schweinegrippe die Grenze zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko zu schließen. Nein, sagt Barack Obama. „It would be akin to closing the barn door after the horses are out.“ Wenn die Pferde erst weggelaufen sind, bringt es auch nichts mehr, die Stalltür zu schließen.

Ich gehe aufs Klo. Dort gibt es einen Stau am Waschbecken, weil sich alle mit nie gesehener Gründlichkeit die Hände schrubben. An den Spiegeln hängt eine kopierte Anweisung, wie man das am besten macht. Händewaschen nach dem Gang zur Toilette ist in Amerika nicht für alle selbstverständlich, wie gelegentliche Umfragen belegen. Aber jetzt herrscht offenbar Handwaschzwang. Eine Atemschutzmaske trägt allerdings so gut wie niemand.

Auch in San Antonio, wo wir spät in der Nacht ankommen, herrscht nicht gerade Schweinegrippen-Panik, obwohl im südlichen Teil von Texas bereits eine ganze Reihe von KrankheitsfällenDon't mess with Texas – eine freundliche Erinnerung am Straßenrand © Cornelia Schaible gemeldet sind. Am River Walk ist abends ein unglaubliches Gedränge. Wie üblich, nehme ich an. Das größte Risiko hier: in den Fluss zu fallen.

An unserem zweiten Tag in Texas fahren wir ein wenig durch die Gegend. Irgendwo nördlich von San Antonio, wo sich spanische Ortsnamen mit deutschen und englischen abwechseln, kommen wir an einem seltsam verrammelten Schulgebäude vorbei. „Haben die gerade Ferien?“, wundert sich mein Mann. Nein, das kann nicht sein. Ich tippe mal auf Schweinegrippe. Wenig später halten wir beim Bergheim General Store, im Jahr 1903 gegründet von einem gebürtigen Österreicher namens Andreas Engel. Neben allen Dingen, die man zum Überleben braucht, darunter auch Jeans der Marke Wrangler und Cowboy-Stiefel, liegt dort eine Zeitung aus. Dieser entnehme ich, dass im Ort Cibolo mehrere Schüler an Schweinegrippe erkrankt sind und daher die Schulen im Bezirk Comal bis auf Weiteres geschlossen bleiben. Comal County, da sind wir gerade.

Wir fahren weiter durch die hügelige Landschaft. Aus dem Radio tönt Countrymusik, ja genau, und am Straßenrand verblühen gerade die letzten Blue Bonnets. Muss ziemlich beeindruckend aussehen, wenn ganze Landstriche blau leuchten. Aber dafür sind wir ein paar Wochen zu spät dran. Gelegentlich kommen wir an einer Ranch vorbei, deren Eingangstor ein ausgebleichter Longhorn-Schädel schmückt. „Don’t mess with Texas“, steht auf einem Straßenschild.

Hoffentlich wissen das die Viren auch schon.

Monday, May 4, 2009

Nicht Schwein gehabt

„As a precaution, people with flu-like symptoms should not interact with swine, and swine showing influenza symptoms should be kept away from the public.“

US-Agrarminister TOM VILSACK zum Thema Schweinegrippe. Nachdem es noch vor Kurzem hieß, kein Schwein hat Grippe, liegt jetzt ein ganzer kanadischer Bauernhof darnieder, Schwein und Mensch gleichermaßen.

Sunday, April 26, 2009

Unsere schöne Vogelwelt: Der Kardinal ist kein Eintöner

Der Vogel vor meinem Schlafzimmerfenster strapaziert meine Nerven. Er singt so falsch, dass er mich frühmorgens mit seinen Misstönen weckt. Nun handelt es sich bei diesem Vogel um einen amerikanischen Robin, eine Wanderdrossel (Turdus migratorius). Und Wanderdrosseln sind zwar üblicherweise nicht so stimmbegabt wie ihre europäischen Vettern, die Amseln, aber sie können sich durchaus hören lassen. Der Robin vor meinem Fenster klingt indessen ungewöhnlich schräg. Er kann’s einfach nicht. „Wahrscheinlich hat er einen Sprachfehler“, sagt mein Mann.

Dafür hat die zwitschernde Nervensäge einen schönen rostroten Bauch (daher der Name Robin, also Rotkehlchen). Das ist mir bei den nordamerikanischen Vögeln gleich zu Anfang aufgefallen: Lauter Eintöner und Zweitöner, aber sie machen optisch viel her. Als müssten sie die Schlichtheit ihres Gesangs mit buntem Gefieder wettmachen. Es gibt aber eine Ausnahme: Der farbenprächtigste der Vögel hier zu Lande, der leuchtend rote Kardinal (Cardinalis cardinalis), hört sich auch noch angenehm an. Mit ihm ist viel Staat zu machen: In Illinois, Indiana, Kentucky, North Carolina, Ohio, Virginia und West Virginia fungiert er als offizieller state bird (Michigan hat den Robin).

Der schmelzende, lockende Ruf des Kardinals erinnert mich ein bisschen an den Gesang der Nachtigall – nicht ganz so schön und melodiös, aber von ähnlichem Gefühlswert. In Nordamerika ist es unbestritten eine Vogelstimme mit Starqualitäten: Als der sich unaufhaltsam verjüngende Benjamin Button (alias Brad Pitt) im gleichnamigen Film eines Morgens seine Geliebte verlässt, hört man einen Kardinal singen.

Meinem Mann gefallen die Kardinals-Gesänge jedenfalls so gut, dass er sie schon vor längerer Zeit auf sein Handy aufgeladen hat. Als wir im vergangenen Frühjahr in Florida waren und in einem beschaulichen alten Viertel von St. Augustine spazieren gingen, fiel uns in einem der baumbestandenen Gärten ein Kardinal mit seinem Weibchen auf. Außer dem Vogel war nichts zu hören und nicht viel zu sehen, nur eine Nonne huschte über die Straße. Mein Mann kam nun auf die Idee, den Kardinalsruf auf seinem Telefon abzuspielen, was zu unserer Verblüffung einen sehr schönen Effekt hatte: Herr und Frau Kardinal schätzten das nämlich gar nicht; sie setzten sich in den nächsten Baum und beschimpften uns tüchtig. Unerhört!

Mein Mann entdeckte schnell, das sich dieses Experiment wiederholen ließ („Ich darf das, ich bin Wissenschaftler!“). Wenn wir irgendwo wandern und einen Kardinal hören, nimmt er sein Telefon zur Hand – und schon kommt ein roter Blitz angeschossen und schimpft, was das Zeug hält. Wie der sprichwörtliche Rohrspatz. Ich wüsste nur zu gern, was der Kardinal auf dem Telefon sagt. Es muss etwas Unanständiges sein, denn die Weibchen protestieren immer besonders heftig.

Vielleicht sollte man auch unserem Robin auf dem Dach einmal einen Artgenossen vorspielen – damit er endlich lernt, wie’s geht.

Saturday, April 25, 2009

I can't have

„Honey, you are in the very expensive shoe section. These are all ,I can't have‘ shoes.“

Bemerkung einer MUTTER, deren Tochter sich in der Schuhabteilung des Kaufhauses „Parisian“ in Designertreter verguckt hatte - Beispiel für einen ganz neuen finanziellen Realitätssinn?

Thursday, April 16, 2009

Tax Day mit Teebeuteln

Am gestrigen 15. April war Tax Day, was bedeutet, dass man seine Steuererklärung vor Schalterschluss abgeschickt haben musste. Es hat sich noch nicht ganz herumgesprochen, dass man das auch früher machen kann – wir haben unsere Steuererstattung längst bekommen.

Nun sind Amerikaner dafür bekannt, dass sie besonders ungern Steuern zahlen (obwohl sie besonders schnell nach dem Staat rufen, sobald es irgendwo klemmt). Deshalb haben sich gestern in vielen Städten unzufriedene Steuerzahler auf (mit Steuergeldern finanzierten) öffentlichen Plätzen und Straßen versammelt, um mal wieder eine richtig zünftige Tea Party zu feiern. Mit dem guten alten Motto des historischen Vorbildes von anno 1773 in Boston: „No Taxation without Representation!” Logisch – das sind alles Leute, die sich von der neuen, demokratisch gewählten Regierung nicht repräsentiert fühlen. Schließlich haben sie die Wahl verloren.

Tatsächlich richteten sich die gestrigen Tea Parties weniger gegen die Steuern als gegen den Präsidenten: Es waren ganz unverhohlene Anti-Obama-Demonstrationen. Nun garantiert die freedom of speech in diesem großartigen Land, dass man auch gegen einen frisch gewählten Präsidenten auf die Straße gehen darf. Und man kann ihn auf Protestplakaten ohne weiteres beschimpfen – sogar mit Wörtern, die allesamt auf -ist enden: SOZIALIST, FASCHIST, TERRORIST. Und ANTICHRIST. Das geht sogar in Radio- und Fernsehsendungen. Aber es ist schon unappetitlich, was sich da in Amerika so zusammenbraut. Eine ziemlich braune Brühe.

Nun ist der lose Tee aus Revolutionszeiten längst aus der Mode gekommen – heute wird mit Hilfe von Teebeuteln protestiert: „Teabag the Dems before they teabag you!“ Die Leithammel dieser neuen Bewegung haben dabei allerdings übersehen, dass „Teabagging“ auf etwas anspielt, was wenig mit Politik, aber dafür ziemlich viel mit einer bestimmten sexuellen Praxis zu tun hat (man lernt doch nie aus). Das Urban Dictionary hat die zweideutigen Witzchen über die Teabagger aus der rechten Ecke bereits aufgenommen.

Ach ja, und ungefähr 95 Prozent der Steuerpflichtigen müssen dank Obama diesmal weniger zahlen. Aber das haben die Teabagger offenbar übersehen.

Sunday, April 5, 2009

Wüstenfrühling

Vor ziemlich genau vier Jahren waren wir im Death Valley.

Über das „Tal des Todes“ hatte ich schon in meiner Jugend im Bildband „Schöne geheimnisvolle Welt“ gelesen – ich besitze ihn übrigens immer noch. Der Band nährte lange meine Reiseträume. Noch so ein Reisewunsch: einmal die Wüstenblüte zu sehen, über die vor vielen Jahren ein Artikel im „Spiegel“ kam.

Im Winter 2004/05 regnete es in Südkalifornien ungewöhnlich viel; die Medien berichteten ständigWüstenblüte von 2005 im Tal des Todes © Cornelia Schaible darüber. Und dann kamen die ersten Bilder aus dem üppig blühenden Death Valley. Als mir dann noch dämmerte, dass es von Las Vegas aus praktisch nur ein Katzensprung ins „Tal des Todes“ ist, kaufte ich zwei Flugtickets. Leider kam der Koffer nicht gleichzeitig mit uns an, und so brachen wir am ersten Morgen in Vegas reichlich zerknittert ins Death Valley auf. Als wir über den Salsberry- und den Jubilee-Pass in ein duftendes und blühendes Tal einfuhren, mit der im Frühling noch weitgehend schneebedeckten Panamint-Kette als Kulisse, war der textile Notstand vergessen. Es war schlichtweg umwerfend.

Der Koffer kam dann doch noch, und an den nächsten beiden Tagen starteten wir etwas besser ausgerüstet zu unseren Exkursionen. Wir waren im „Plaza“ abgestiegen, und um in die Garage zu kommen, musste man durchs hauseigene Kasino. Dort saßen morgens um neun schon die ersten Gäste mit Drink und Zigarette an den einarmigen Banditen. Es sah bestimmt lustig aus, wie wir da mit Wanderstiefeln und Rucksack durch die Spielhalle marschierten.

Bis heute habe ich allerdings kein einziges der schicken Kasinos am Strip von innen gesehen. Vielleicht sollten wir wieder einmal nach Las Vegas fliegen.

Mehr zum Thema auf suite101: Frühling im Death Valley National Park

Friday, March 27, 2009

Gans 3PM2

Vor drei Wochen stand frühmorgens eine Gans auf dem Teich. Ich meine: Sie stand in einer Pfütze auf dem Eis und schaute so indigniert drein, wie eben nur eine Gans dreinschauen kann. Nun, es wurde ein schöner sonniger Tag, der erste dieser Art, und als ich mittags von der Uni zurückkam,Gans 3PM2 © Franz Gingl war das Eis bereits Geschichte. Am Ufer des Tümpels hatten sich inzwischen mindestens zwei Dutzend Gänse mehr eingefunden, und sie zupften gelbliches Gras. Ein paar paddelten auch im Wasser. Woher wussten sie, dass der Tag dafür gekommen war?

Aber nicht alle Gänse waren schon zurück. Am vergangenen Sonntag sah ich sie dann endlich: Die Gans mit dem Halsband. In Wirklichkeit hatte sie einmal einen Sender um die Gänsegurgel, aber davon ist inzwischen nur noch die leere Hülle übrig. Aber sie trägt diesen ungewöhnlichen Halsschmuck mit Stolz und Würde. Und das schon ziemlich lange: Im Jahr 2000 starteten das Michigan Department of Natural Resources (MDNR) und die Michigan State University (MSU) ein dreijähriges Forschungsprogramm zum Migrationsverhalten der Kanadagans; der Sender wurde brütenden Weibchen umgehängt. Einige hatten tatsächlich eine Weile gesendet, und die Forscher bekamen mit, wohin die (nicht erfolgreich brütenden) Gänse im Sommer flogen – einige zog es offenbar bis an die Hudson Bay.

Gans 3PM2 blieb im Lande und vermehrte sich. Mein Mann fotografierte sie zum ersten Mal im Jahr 2004 auf der Wiese hinter dem Haus, mit Gänserich und vier Küken. Seither war sie jedes Jahr wiedergekommen, um dann im Frühsommer ihre frisch geschlüpften Küken auszuführen. Weiß der Kuckuck, wo sie die ausgebrütet hatte. Im vergangenen Jahr waren es sogar neun, aber schon nach ein paar Tagen war die Brut ziemlich dezimiert. Da schleicht nachts so manches ums Haus, was Appetit auf einen leckeren Gänsebraten hat.

In diesem Jahr kam die Gans allerdings alleine. Und sie wirkte auch schon ein bisschen alt und schwerfällig. Ob sie wohl noch einmal mit Gänschen im Schlepptau auftaucht?

Tuesday, March 17, 2009

Barack O'Bama

Am Samstag färbten sie den Chicago River grün. Das geschah in der Vorfreude auf den heutigen St. Patrick’s Day – so feiert man in der „Windy City“ seit über 40 Jahren den irischen Nationalfeiertag. Und plötzlich sind dort alle irisch.

Der Wahl-Chicagoer Barack Obama hielt sich auch im Weißen Haus an diese schöne Tradition: Er trug eine grüne Krawatte. Gattin Michelle wollte ebenfalls brauchtumsmäßig nicht zurückstehen und sorgte dafür, dass das Wasser der White House Fountain heute grün sprudelte. Außerdem gab das Weiße Haus ein Essen zu Ehren des irischen Ministerpräsidenten Brian Cowen, der zu Besuch war. Wahrscheinlich hatte er diesen Reisetermin aus gutem Grund gewählt: Am St. Paddy’s Day ist in den USA nämlich entschieden mehr los als auf der grünen Insel. Die Iren feiern diesen Tag eher still zu Hause.

Nun mag man es ihm nicht unbedingt ansehen, aber der US-Präsident hat tatsächlich irische Wurzeln: Sein Urururgroßvater mütterlicherseits stammte aus dem kleinen Dorf Moneygall; er war in den 1850er-Jahren in die USA ausgewandert.

Jetzt warten sie in Moneygall nur noch darauf, dass Barack O’Bama endlich einmal vorbeikommt.

Saturday, March 7, 2009

Chicago in Zeiten der Rezession

Und wo, bitte, geht’s hier zur Rezession?

Einer Großstadt wie Chicago sieht man es auf den ersten Blick nicht an, dass es der Wirtschaft schon einmal besser ging. Die City wirkt geschäftig wie eh und je. Der Trump-Tower ist zwar immer noch nicht fertig, und die Pläne für den wahnwitzigen Chicago Spire liegen wohl ganz auf Eis. Aber sonst fielen uns am vergangenen Wochenende einige neue Wolkenkratzer in der Skyline der „Windy City“ auf, die bei unserem letzten Besuch garantiert noch nicht da waren. Ist auch schon eine Weile her.

Bei Neiman Marcus in der Magnificent Mile war es dann aber wirklich sehr ruhig. Und die Verkäufer, deren Gesichtsausdruck am besten mit „tapfer“ zu beschreiben wäre, standen sich die Beine in den Bauch. Ein Ständer mit Pelzmänteln, an dem ich achtlos vorbeigegangen war, weckte die Aufmerksamkeit meines Mannes. „Das musst du dir wirklich einmal ansehen“, rief er, und ich ging wieder zurück. Er deutete auf ein Preisschild: Der Pelz war von – schluck – 66.000 Dollar auf 33.000 Dollar heruntergesetzt. So gesehen, ein richtiges Schnäppchen!

Abends warteten wir dann über eine halbe Stunde auf einen Platz im Restaurant von Mike Ditka, dem früheren Football-Spieler. Für 40-Dollar-Steak-Cuts, so schien es, hatten die Chicagoer noch genug Geld. Wir aßen Fisch. Den können sie dort auch ganz gut.

Am nächsten Morgen packten wir unsere Sachen, und dann klopfte auch schon das Zimmermädchen. „One Moment, please!“ Ach so, Trinkgeld. Dann war das ebenfalls erledigt, und wir warteten auf den Aufzug. Wir befanden uns im 21. Stock des Traditionshotels „Allerton“, und wussten bereits: Das konnte dauern. Wahrscheinlich ist der Fahrstuhl auch historisch. In unserem Zimmer wurde derweil bereits aufgeräumt. Plötzlich kam die Housekeeping Lady zur Tür herausgeschossen: „Thank you! Thank you!“ Es war eine kleine, schon etwas ältere Frau mit dunklen Haaren und spanischem Akzent. Sie verharrte einen Moment unschlüssig im Flur, und bevor sie wieder zurück an die Arbeit ging, rief sie uns noch zu: „God bless you!

Offenbar hatten die 10 Dollar Trinkgeld ihren Sonntag gerettet.

Wednesday, February 25, 2009

If Government is so bad, why ...?

"Republicans need to explain if government is so bad why do they WANT TO BE A PART OF IT. They fail to explain this. At least Obama said its not about big government or small government its about SMART government. But rethugs continue to bash government how much they failed the American people and they want to be a part of it. Tell us why?"

"Obama summed it up when he said it doesnt matter if government is big or small as long as it works. Thats what people want and need at this moment, Republicans need to understand this.

It blows my mind that a party that openly scorns government not only wants to be in government but still gets votes!!

They have a tired mantra, tax cuts, cut spending, govt doesnt work, yada yada. Move on people, America has."

LESERKOMMENTARE von "Carol" und "chops2" auf verschiedenen Internetseiten zum Fernsehauftritt von Louisianas Gouverneur Bobby Jindal, der die republikanische Replik auf Barack Obamas gestrige Rede vor dem Kongress gab. Unter anderem wiederholte er dabei das republikanische Mantra: "Government isn't the solution to your problems. Government is the problem."

Sunday, February 22, 2009

Winterfreuden

Als ich in Marseille lebte, hörte ich von älteren Damen, die bei Regen grundsätzlich nicht auf die Straße gingen. Das südfranzösische Klima erlaubt solche Extravaganzen. In England würde das niemandem einfallen – nicht einmal der Königin. Sie trägt bei hoher Luftfeuchtigkeit einfach ein flottes Kopftuch über der Krone.

Dafür steht dann in London alles still, wenn – wie kürzlich geschehen – einmal ein paar Zentimeter Schnee fallen. Wäre man im Nordosten der USA ähnlich empfindlich, würde das öffentliche Leben in den Bundesstaaten von Minnesota bis Maine an sechs Monaten im Jahr zum Erliegen kommen. Aber in diesen Breiten kann man mit Schnee umgehen – nur bei einem ganz schlimmen Blizzard bleiben die Leute zu Hause. Das gilt auch für Detroit. Ein durchschnittlicher Schneesturm, wie etwa am Tag der Autoshow-Eröffnung fürs allgemeine Publikum, lässt die Leute einfach kalt. Ich hatte an jenem Januartag gehofft, wir hätten die Cobo Hall weitgehend für uns. Pustekuchen.

Besonders hart im Nehmen sind die Bewohner von Chicago, der mit Sicherheit zugigsten Stadt auf diesem Planeten – kein Wunder, dass Barack Obama meistens im Jacket herumläuft, seit er im milderen Washington residiert. Es soll sogar Bewohner der Region der Großen Seen geben, die den Winter regelrecht herbeisehnen: Dann kann man endlich wieder zum Eisfischen gehen! Stony Creek Lake im Winter © Cornelia SchaibleSobald die Seen zufrieren, stehen dort diese kleinen Hüttchen. Und drinnen sitzt dann einer auf dem Stühlchen und versucht, durch ein kleines Loch im Eis einen möglichst großen Fisch zu fangen. Die im Angler-Fachhandel erhältlichen Eisbohrer gehören zweifellos zu den seltsamsten Werkzeugen, die ich je gesehen habe.

Der Trick ist dann allerdings, bei Tauwetter alles schnell wieder abzubauen und rechtzeitig Land zu gewinnen. Das klappt nicht immer so gut, wie man vor zwei Wochen sehen konnte, als eine größere Eisscholle im Eriesee abbrach und zügig davonschwamm. Dass sich allerdings mehr als hundert erwachsene Menschen auf dieser Scholle befanden, mag den Rest der Welt etwas überrascht haben. Aber hier zu Lande haben die Leute eben Spaß am Winter. Jedenfalls manche.

Monday, February 2, 2009

Über das Tessin

Wenn ich Hermann Hesse oder Max Frisch im Unterricht behandle, kommt die Rede natürlich auf das Tessin. Und dann frage ich meine Schüler, wo das wohl liegt. Die Antwort ist immer dieselbe und für mich schon lange keine Überraschung mehr: Sie wissen es nicht. Es ist der Normalfall. Junge Deutsche, fließend in Englisch und mit Lebenserfahrung auf zwei Kontinenten, wissen nicht, wo das Tessin liegt. Sie waren schon in Brasilien und auf Hawaii, an mexikanischen Stränden, deren Namen sie längst vergessen haben, und selbstverständlich auch an beiden Küsten der USA. Aber sie haben nie die Ur-Reiseerfahrung der Fernwehkranken gemacht, bevor das Flugzeug zum überfüllten Nahverkehrsmittel wurde und Malle das 17. Bundesland der Deutschen: die Autofahrt auf die Alpensüdseite, durch den Tunnel oder oben drüber.

Die Traum von Wärme und Sonne und südlicher Lebensart verband sich für viele Deutsche der Nachkriegsgeneration – und auch noch für ihre Kinder – zuallererst mit dem Tessin. Man musste den Süden er-fahren: Es war das Licht am Ende des Gotthardtunnels. Tatsächlich schien auf der anderen Seite meistens die Sonne, wenn wir aus dem kalten Norden kamen. Ich erinnere mich an eine Fahrt durchs Ticino-Tal, über dem kurz vorher ein Gewitter niedergegangen sein musste: Alles glänzte frisch gewaschen, und von jedem Felsen sprang ein Wasserfall. Das Tessin, das bedeutete Italianità in schweizerischer Qualitätsausführung. Falls das zu nervig wurde, konnte man immer noch nach Stresa flüchten, in die verblichene Herrlichkeit oberitalienischer Sommerfrischen. Die gibt’s natürlich auch am Gardasee, aber das entdeckten wir erst später.

Der Lago Maggiore, wie das schon klang. Ascona und Locarno interessierten unser allerdings weniger. Wie fuhren in die grünen Täler, wanderten durch winzige Dörfer und balancierten über riesige Kiesel im Bachbett. Die Verzasca mit der schön geschwungenen Brücke darüber – Bilder, die man nicht vergisst. Wir besuchten auch die kleinen romanischen Kirchen, aus Granit für die Ewigkeit erbaut. Selbst die Ställe und die Tische im Grotto waren aus Granit.

„Alles in allem ein grünes Tal, waldig wie zur Steinzeit“, heißt es am Ende von Frischs „Der Mensch erscheint im Holozän“ über ein Bergtal, das dem Onsernonetal gleicht. „Ein Stausee ist nicht vorgesehen. Im August und im September, nachts, sind Sternschnuppen zu sehen oder man hört ein Käuzchen.“

Ich fürchte, meine Schüler haben von diesem Text wenig verstanden. Vielleicht ist das Tessin einfach zu exotisch für sie.

Tuesday, January 27, 2009

Strumpflos in Detroit

Bei der Detroiter Autoshow im vergangenen Jahr war es mir zum ersten Mal aufgefallen: Strumpfhosen sind offensichtlich aus der Mode gekommen. Kein einziges Model trug welche, und auch Kim Cattrall, die bei der Daimler-Pressekonferenz ein wenig mit Dieter Zetsche scherzte,Zwei Lamborghini, ein Staubwedel und keine Strumpfhose © Cornelia Schaible stand barfuß in ihren goldenen Pumps. Ganz unverfroren, wie es ihre Art ist. Draußen war Winter, aber schließlich ist so eine Messehalle gut geheizt.

Beigefarbene Feinstrümpfe sind für einen Sex-and-the-City-Star wirklich nicht das Richtige, das leuchtet schon ein. Aber wie es sich herausstellte, gehen Frauen neuerdings auch bei hochoffiziellen Auftritten meistens strumpflos: Sarah Palin machte in dunkelroten Stilettos Wahlkampf, Strümpfe hatte sie keine an. Michelle Obama, die ihre Abneigung gegen Pantyhose schon früher bekundet hatte, trug nicht einmal Nylons, als ihr Mann seinen Wahlsieg in Chicago feierte.

Sind Strumpfhosen also endgültig out? Sofern sie hautfarben sind, auf jeden Fall, wie sich auf der jüngsten Autoshow zeigte. Nur die VW-Hostessen trugen so etwas. Bei Lamborghini zeigten sich die Models strumpflos, wie das Foto zeigt. Hoffentlich konnten sie sich nach Feierabend wenigsten umziehen – draußen herrschten Minustemperaturen.

Und was machen all diejenigen Frauen, die schon beim bloßen Anblick nackter Beine frieren? Sie tragen Hosen. Und darunter Wollsocken.

Mehr zum Thema auf suite101: Sind Strumpfhosen modisch am Ende?

Friday, January 23, 2009

Arethas Hut

An den neuen Präsidenten haben sich die Leute schnell gewöhnt, das fiel nicht schwer. Er setzte sich an den Schreibtisch im Oval Office und fing an zu arbeiten. Nach seinem ersten Arbeitstag musste sich Barack Obama angeblich zu den Privatgemächern im White House durchfragen – vielleicht hat’s inzwischen sogar zu einer kleinen Schlossbesichtigung gereicht. Während der Präsident also seinen Job macht, was soweit erfreulich ist, aber wenig glamourös, berauscht sich das Volk weiterhin an der Amtseinführung am Dienstag. Die Menschenmassen! Die feierliche Stimmung! Das Outfit der neuen First Lady! Und vor allem: Arethas Hut!

Die Kopfbedeckung der Queen of Soul, die vor der Präsidentenvereidigung sang, hat seither viel Wind gemacht – kein Wunder bei der Riesenschleife. Vor allem in Detroit, ihrer Heimatstadt, ist der Hut Stadtgespräch. Genau wie der Schöpfer des textilen Ungetüms: Er heißt Luke Song und ist Inhaber des äußerlich ziemlich unscheinbaren Hutgeschäfts „Mr Song Millinery“ an der Woodward Avenue. Mir war der Laden schon vor einiger Zeit aufgefallen, und zwar wegen des altmodischen Namens: „Millinery“ heißt Modewarengeschäft; das findet man nicht mehr so oft. Ausgefallene Hüte sind allerdings auch sonst keine Mangelware in den Staaten, denn eine afroamerikanische Lady geht bis heute nur gut behütet in die Kirche. Davon lebt Mr. Song, der im Übrigen einen Großhandel betreibt. Die Hutparade auf seiner schlichten Website ist beeindruckend. Ich will auch einen!

Dank Aretha Franklin bekommt Mr. Song nun Anfragen aus aller Welt. Alles, was halbwegs nach Arethas Hut aussieht, ist allerdings längst ausverkauft – das Schleifenmodell aus grauem Filz mit einem Besatz aus Straßsteinen war ohnehin eine Sonderanfertigung, meldet die „Free Press“. Allerdings kann man sich wenig andere Gelegenheiten vorstellen, bei denen der Hut zur Geltung käme. Und es braucht immer den richtigen Kopf für einen solchen Deckel. Oder wie eine Leserbriefschreiberin auf der „Detroit News“ meinte: „The hat Aretha wore was great. Aretha is a woman in her 60s and she looked like a woman in her 60s. This ain't Beyoncé!“

Jedenfalls hat der Hut dank Photoshop längst ein Eigenleben im Internet entwickelt – er ziert inzwischen so ziemlich alles, einschließlich der Köpfe am Mount Rushmore.

Monday, January 19, 2009

USA to the World

"Dear World:

The United States of America, your quality supplier of ideals of liberty and democracy, would like to apologize for its 2001-2008 service outage.

The technical fault that led to this eight-year service interruption has been located. Replacement components were ordered Tuesday, November 4th, 2008, and have begun arriving. Early test of the new equipment indicate that it is functioning correctly and we expect it to be fully operational by mid-January. [New service acceptance testing will complete shortly at 1651 Pennsylvania Ave NW, in Washington DC with no critical problems currently outstanding. New service launch is set for Jan 20, 11:30am EST.]

We apologize for any inconvenience caused by the outage and we look forward to resuming full service and hopefully even improving it in years to come.

Thank you for your patience and understanding,

The USA"

MASSEN-E-MAIL, Verfasser unbekannt, die man aus unterschiedlichen Gründen lustig (oder befremdlich) finden kann.

Thursday, January 15, 2009

EV lebt!

Die Frage „Who Killed the Electric Car?” des gleichnamigen Dokumentarfilms aus dem Jahr 2006 fand nie eine zufriedenstellende Antwort: Die unheilige Allianz zwischen der Ölindustrie und den Autokonzernen – wie der Film suggeriert – war sicher einer der Hauptgründe; mangelndes Verbraucherinteresse, wie GM behauptete, mag aber auch eine Rolle gespielt haben. Für EV-1 war die Zeit einfach noch nicht reif. Aber es war schon seltsam, dass eine Firma aus Profitstreben ihr eigenes Produkt kannibalisiert – jedenfalls wurde das in der Öffentlichkeit so wahrgenommen. Und GM-Vize Bob Lutz erhielt E-Mails mit dem frommen Wunsch, er möge in der Hölle schmoren.

Vielleicht gab ihm das tatsächlich zu denken, denn was Elektroautos angeht, hat sich Lutz vom Saulus zum Paulus gewandelt. Wenn er vor zwei Jahren nicht den Volt als Plug-in-Hybrid auf denModell des Elektro-Smart auf der NAIAS 2009© Cornelia Schaible Weg gebracht hätte, würde heute die Autoshow in Detroit anders aussehen. Was den Volt von EV-1 unterscheidet? Erstens ist der Volt nicht niedlich – kein Hello-Kitty-Wägelchen, sondern ein Auto mit aggressivem Design. Alles andere hat in Amerika keine Chance; vor 100 Jahren konnte sich das Electric Car schon einmal nicht durchsetzen, weil es als Damenauto wahrgenommen wurde. Den Volt soll es auch nur mit elektrischem Antrieb geben, nicht als Variante zu einer herkömmlichen Benzinkutsche – der Hersteller muss ohne Wenn und Aber selbst von der neuen Technik überzeugt sein. Das hat Toyota beim Hybridfahrzeug Prius schon richtig gemacht.

Der Volt soll Ende 2010 beim Autohändler stehen – und plötzlich gibt auch die Konkurrenz Gas: Chrysler hat am Sonntag gleich fünf Elektrokonzepte vorgestellt, von denen mindestens ein Fahrzeug ebenfalls bis Ende nächsten Jahres auf den Markt kommen sollen. Ford will mit dem Zulieferer Magna ein Elektroauto bauen. Und dann gibt es noch die Start-ups Tesla und Fisker, die überhaupt nichts anderes im Sinn haben, als Stromer zu produzieren, und zwar in Form ausgewachsener Sportwagen. Nichts für Sissies. Der Blue Zero von Daimler, im Design der neuen B-Klasse, ist ebenfalls alles andere als schnuckelig. Diese Nische besetzt schon der Elektro-Smart.

Die NAIAS 2009 macht jedenfalls klar: Elektroautos sind längst kein PR-Gag mehr. In der Extended-Range-Version mit einem kleinen Benzinmotor als Stromerzeuger sind sie ein idealer Übergang zu alternativen Antriebsformen, denn damit braucht man auch die Tankstellen noch. Jedenfalls vorläufig.

Chris Paine, der Regisseur von „Who Killed the Electric Car?” plant übrigens eine Fortsetzung. Der Titel: „Who Saved the Electric Car?” Bob Lutz soll auch darin vorkommen.

Mehr zum Thema auf suite101: NAIAS 2009: Automesse in Detroit

Monday, January 12, 2009

Detroit Auto Show 2009: EcoXperience

Erst musste ich einen Wisch mit allerhand Kleingedrucktem unterschreiben, danach in ein Röhrchen blasen, und schließlich bekam ich einen Bändel ums Handgelenk. Das alles berechtigte mich dazu, in einen Ford Escape zu steigen und ein paar Runden auf einer Teststrecke zu drehen. Ich dachte, ich bin im Wald: Nadelbäume und (der Jahreszeit entsprechend kahle) Birken säumten die Strecke, darunter standen blühende Alpenveilchen und Forsythiensträucher. Und das alles im Untergeschoss von Cobo Hall – es war das reinste Autopia. Weil heuer so viele Aussteller (darunter etwa Nissan und Ferrari) weggeblieben waren, mussten die NAIAS-Veranstalter sich etwas Neues einfallen lassen, und ich muss schon sagen, das ist ihnen ziemlich gut gelungen. Der Wasserfall von der Decke war allerdings ein unbeabsichtigter Showeffekt. Da war wohl einfach eine Leitung geplatzt.

EcoXperience nennt sich der Versuch, die Automesse einmal im wörtlichen Sinne ergrünen zu lassen – der Tannenduft war so stark, dass es sogar oben in der Ausstellung gelegentlich nach Fichtennadelschaumbad roch. Nach einiger Zeit wurde mir klar, dass der harzige Duft rund um die Teststrecke deswegen so stark ins Gewicht fällt, weil es der einzige sinnliche Eindruck ist: Elektroautos und Hybridfahrzeuge machen keinen Lärm, und riechen kann man sie sowieso nicht.

Ich muss sagen, der Escape war – soweit sich das von einer Testfahrt im Schneckentempo sagen lässt – ein angenehmes Fahrerlebnis. Ein Auto, das im Elektromodus praktisch geräuschlos fährt, ist allerdings Geschmackssache. Aber wahrscheinlich sollte man sich schleunigst dran gewöhnen, denn wie die NAIAS 2009 zeigt, ist die Elektrifizierung des Autos nicht mehr aufzuhalten. Was das für die Sicherheit der Fußgänger bedeutet, wird sich zeigen.