Thursday, July 30, 2009

Ann Arbor News wird Dotcom

Farewell, Ann Arbor“, stand auf dem Titel der letzten Ausgabe. Die Tübinger US-Partnerstadt hat keine lokale Tageszeitung mehr – am Donnerstag vergangener Woche endete eine 174-jährige Tradition. Die „Ann Arbor News“ erscheint jetzt unter neuem Namen im Netz, dazu gibt’s zweimal wöchentlich eine gedruckte Ausgabe. Das Ende der „Ann Arbor News“ bedeutet einen erheblichen Verlust an Arbeitsplätzen: 274 Leute waren nach Angaben von Herausgeberin Laurel Champion zuletzt beim Lokalblatt in der Tübinger US-Partnerstadt beschäftigt – alle wurden entlassen.

Nun, immerhin hat Laurel Champion jetzt einen neuen Job: Sie ist Vizepräsidentin von „AnnArbor.com“, das ist die Nachfolgepublikation des soeben beerdigten Lokalblattes, das zuletzt eine Auflage von 45.000 Exemplaren hatte. 25 ehemalige Mitarbeiter der „Ann Arbor News“ haben ebenfalls eine Anstellung beim neuen Online-Nachrichtenorgan gefunden – im Impressum findet man vor allem beim Sport bekannte Namen. Andere arbeiten jetzt als freie Mitarbeiter für die Internetzeitung, von der es nur noch donnerstags und sonntags eine gedruckte Version gibt. Ganz ohne Printausgabe geht es nicht, denn die braucht man fürs Anzeigengeschäft: Die Wochenendausgaben amerikanischer Zeitungen enthalten dicke Werbebeilagen, die aus Prospekten und vor allem Rabatt-Coupons bestehen. Und die sind seit Beginn der Wirtschaftskrise begehrt wie schon lange nicht mehr: Amerikaner schnippeln eifrig Coupons.

Das Onlineangebot von AnnArbor.com ist kostenlos. Die Druckausgabe muss man kaufen, es gibt sie aber auch im Abonnement, und die bisherigen Abonnenten der „Ann Arbor News“ bekommen das neue Printmedium ins Haus geliefert. Die redaktionelle Schrumpfkur ging an der Zeitung nicht spurlos vorüber, wie Grace Shackman feststellen musste: „Sie war deutlich dünner als früher.“ Aber sonst habe das Blatt – einmal abgesehen vom neuen Namen – ganz ähnlich ausgesehen, berichtete die Historikerin dem TAGBLATT. Shackmann, die selbst publizistisch tätig ist und überDas Gebäude der Ann Arbor News von 1936, ein Entwurf von Albert Kahn, soll verkauft werden © Cornelia Schaible die Stadtgeschichte von Ann Arbor schreibt, bedauert das Ende des Lokalblattes: „Die Zeitung wird uns allen fehlen.“ Und das, so fügte sie hinzu, „obwohl sie nicht so gut war wie sie hätte sein können“.

Dass die journalistische Qualität des Lokalblattes nachgelassen habe, konnte man in Ann Arbor häufig hören – immer mehr langjährige Leser kündigten ihr Abonnement, auch in Grace Shackmans Freundeskreis war das so. In der Universitätsstadt, in der die Mehrheit demokratisch wählt, kam es außerdem nicht gut an, dass die „Ann Arbor News“ bei den Präsidentenwahlen zwei Mal den Republikaner George W. Bush unterstützte. Nach welchen Kriterien die Lokalberichterstattung funktionierte, verstand sowieso niemand. Nur als Beispiel: Als im vergangenen Jahr eine Delegation aus Tübingen in der US-Partnerstadt war, stand in der Zeitung von Ann Arbor darüber kein Wort.

In den USA ist die „Ann Arbor News“ das jüngste Opfer einer Zeitungskrise, die auch Großstädte nicht ausspart: So hat Seattle an der Westküste der Vereinigten Staaten schon seit dem Frühjahr keine gedruckte Tageszeitung mehr – publiziert wird seither ausschließlich übers Internet. Die Online-Ausgabe des „Seattle Post-Intelligencer“ enspricht allerdings mehr dem üblichen Bild einer Internetzeitung als „AnnArbor.com“. Auch die Internetangebote der „Detroit News“ und der „Detroit Free Press“ in der benachbarten Autometropole, die zwar noch täglich drucken, ihren Abonnenten aber nur an zwei beziehungsweise drei Tagen in der Woche das Blatt ins Haus liefern, kommt deutlich attraktiver daher.

Seit zehn Jahren ging das Anzeigengeschäft bei der „Ann Arbor News“ immer weiter zurück, während die Kosten gleichzeitig stiegen – am Ende stand der Entschluss des Verlegers, die „Ann Arbor News“ dicht zu machen und etwas ganz Neues anzufangen. Das Gebäude in der Innenstadt von Ann Arbor, in dem die Zeitung seit 1936 zu Hause war, soll verkauft werden – jetzt genügt ein kleines Redaktionsbüro, das bereits angemietet wurde. Auf diese Weise müsse man nicht weiterhin „den Niedergang“ verwalten, sagte Matt Kraner, der neue Präsident von AnnArbor.com. „Die einzige Chance, den journalistischen Auftrag weiterzuführen, bestand darin, das Modell zu wechseln“, erklärte Steven Newhouse von der Eigentümerfamilie in einem Interview, das in der „Ann Arbor News“ erschien.

Nun ist die Newhouse-Gruppe nicht irgendein Verlagshaus in den USA – tatsächlich handelt es sich um den größten amerikanischen Medienkonzern in Privatbesitz; der offizielle Name ist „Advance Publications“. Zum weit verzweigten Verlagsimperium gehören neben 30 weiteren Tageszeitungen in allen Teilen der USA auch eine lange Reihe von Hochglanztiteln, die alle erdenklichen Themen von Mode übers Reisen bis zum Golfspielen abdecken – das Fashionmagazin „Vogue“ ist ebenso ein Newhouse-Produkt wie die Intellektuellengazette „The New Yorker“. Auch einige Internetportale gehören dazu – und ganz offensichtlich verschiebt sich gerade das Gewicht in Richtung Online-Publikationen. Denn weitere Newhouse-Zeitungen aus Michigan, die bisher ihr Online-Angebot mit der „Ann Arbor News“ teilten, dürften schon bald ebenfalls ausschließlich auf dem Internet zu finden sein – Steven Newhouse hat das bereits angedeutet.

Die Frage ist nur, ob sich die bisherigen Leser so einfach umstellen. Bei Grace Shackman und ihrem Mann, die vor dem Abendessen immer gern Zeitung lasen, ist es noch nicht soweit: „Das ist schon eigenartig“, bemerkte Grace Shackman, „da ist jetzt so eine Leere.“