Saturday, November 10, 2012

Ein furchtbar langes Wahljahr

Vor Jahr und Tag hat alles angefangen – genauer gesagt, vor einem Jahr und einem Tag. Am 9. November 2011 war die Vorwahldebatte der Republikaner an der Oakland University. Damals waren noch acht Teilnehmer im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur, auf die aber Mitt Romney schon immer ein Naturrecht hatte. Da waren zum Beispiel Newt Gingrich und Hermann Cain und – ähm – wie hieß er noch gleich? Upps! Rick Perry war das. Und dann waren’s nur noch sieben.

Der Abend, der eine gefühlte Ewigkeit her ist, war zumindest für mich der offizielle Auftakt für den Wahlkampf. Es dauerte dann noch eine ganze Weile, bis Mitt Romney seine Kandidatur endlich schriftlich hatte. Es wurde Sommer, es wurde heiß; man schwitzte und war unleidig. Alles zog sich. So richtig in die Gänge kam der Wahlkampf erst im September. Das Video mit der Wählerbeschimpfung durch Mitt Romney tauchte auf: Darin schmähte er die „47 Prozent der Menschen“, die keine Einkommenssteuer zahlen und sowieso Barack Obama wählen würden. Abzocker! Und dann waren da noch die beiden Parteitage, wobei von der Kappensitzung der Republikaner nur der Auftritt von Clint Eastwood im Gedächtnis hängen blieb: Da stand ein alter Mann auf der Bühne und versuchte, mit einem leeren Stuhl Streit anzufangen. Erstaunlich. Das lustig-bunte Völkchen bei der Konkurrenzveranstaltung der Demokraten war da schon in besserer Stimmung.

Bis zur Debatte Nummer eins. Ojeh. Bestürzung im Demokratenlager. Triumphgeheul auf der anderen Seite. Mediengefeixe. Aber dann kam Hurrikan Sandy. Als das Wasser wieder abgelaufen und die katastrophale Verwüstung sichtbar geworden war, sahen sich ein dicker und dünner Mann gemeinsam die Bescherung an. Arm in Arm am Jersey Shore. Der Dicke war Chris Christie, Governeur des hart getroffenen Bundesstaates New Jersey, und der andere war der Präsident. Der Beginn einer wunderbaren Bromance, die bis heute hohe Wellen schlägt.

Es war ein langes Jahr, und am Wahlabend ging dann irgendwie doch alles ganz schnell. Heute wurde noch bekannt, dass Obama auch Florida knapp gewonnen hat. Hut ab vor denen, die stundenlang vor den Wahllokalen Schlange gestanden hatten, um ihre Stimme abzugeben. Das waren die 47 Prozent, und dann noch ein paar mehr.

Friday, November 9, 2012

Jubel auf dem Campus

Am späten Dienstagabend, kurz nach 23 Uhr Ostküstenzeit, ertönte ein Jubelschrei über den Campus, berichtet „The Michigan Daily“, die Unizeitung aus Ann Arbor. Das war der Moment, in dem die Nachrichtensender den Wahlsieg von Präsident Obama verkündeten. In der Tübinger US-Partnerstadt hatten viele Studenten am Wahlabend grüppchenweise die Auszählung im Fernsehen verfolgt. Als der Wahlausgang feststand, habe sich Erleichtung breit gemacht, schreibt das Uniblatt weiter. Hunderte von Studenten versammelten sich daraufhin spontan auf dem „Diag“, dem zentralen Platz auf dem Unigelände, um Obamas Wiederwahl zu feiern. 2008 war das schon ähnlich gewesen.

Wie in Ann Arbor zeigte sich landesweit, dass es der Obama-Kampagne tatsächlich gelungen war, eine neue Generation von Jungwählern zu mobilisieren – ein entscheidender Faktor bei der Wahl, die dem Demokraten Obama eine zweite vierjährige Amtszeit beschert. Dass er in Ann Arbor punkten kann, war allerdings nie die Frage: In der traditionell demokratischen Tübinger Partnerstadt erhielt der Präsident 67 Prozent der Stimmen. Spannender war, wie die Wahl im Michigan insgesamt ausgehen würde – dem Bundesstaat fiel als „Swing State“ eine wahlentscheidende Rolle zu. Nun, Barack Obama gewann ihn mit 51 Prozent und schnitt somit noch einen halben Prozentpunkt höher ab als im Landesdurchschnitt.

Das Ergebnis mag auf den ersten Blick überraschen, denn der unterlegene republikanische Kandidat Mitt Romney kommt ursprünglich aus Michigan, und sein Vater war sogar Gouverneur im Bundesstaat. Aber Michigan ist auch die Heimat der US-Automobilindustrie, die im Krisenjahr 2009 vor dem Bankrott stand und nur durch eine vorübergehende Verstaatlichung gerettet werden konnte – eine der ersten Amtsaktionen von Präsident Obama, die rund eine Million direkt und indirekt von der Autoindustrie abhängiger Arbeitsplätze sicherte. Sein Herausforderer Romney hatte diese staatliche Intervention aber stets abgelehnt und bis zuletzt im Wahlkampf schlecht geredet. Bei der Bevölkerung war das wohl nicht so gut angekommen, übrigens genau wie im benachbarten Ohio, einem weiteren Schlüsselstaat mit viel Industrie, der an Obama ging.

Wednesday, November 7, 2012

A Vote for Change

„President Obama’s reelection, ironically, isn’t about hope and change. The hope is largely gone, but the changes are already happening.

The Affordable Care Act — the single most significant bill of Obama’s first term — is law. It’s law that mostly won’t go into effect until 2014, but it’s law nevertheless. Mitt Romney’s key campaign promise was that, on day one, he’d begin working to pass a new law that would repeal it. But Obama doesn’t have to do anything to make health reform happen. […] Obama’s reelection is all that was required to for the United States of America to join every other industrialized country in having a universal — or at least very near-to-universal — health-care system.“

EZRA KLEIN auf dem „Wonkblog“ der „Washington Post“, veröffentlicht kurz nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses. Seine Schlussfolgerung: Die erste Wahl war noch für „Hope“, aber die Wiederwahl garantiert erst den „Change“.

Tuesday, November 6, 2012

Breaking

„Four more years.“

BARACK OBAMA auf Twitter.

Saturday, November 3, 2012

US-Wahlen: Klinken putzen für Obama

Der Mann mit dem Obama-T-Shirt erkennt mich sofort wieder. „Natürlich – wir haben vor vier Jahren miteinander gesprochen!“, sagt Adrian Cleypool, und er weiß auch, dass er damals in einem Artikel vorkam, sogar mit Bild. Klar hat das mitgekriegt: Der 67-jährige politische Aktivist wohnt in Chelsea in der Nähe von Ann Arbor, Tübingens US-Partnerstadt, und auf die privaten Nachrichtenkanäle zwischen den Sister Cities war noch immer Verlass. Wie vor der vergangenen Wahl hat Cleypool auch diesmal einen Stand auf dem Wochenmarkt, wo er Obama-Artikel aus Eigenproduktion feilbietet: Neben bedruckten Leibchen gibt’s Anstecker und vor allem Autoaufkleber aus Vinyl – „die gehen leicht wieder ab“, versichert er einem Kunden.

Wahlherbst in Ann Arbor. Auf dem Markt dominieren dicke orangefarbene Kürbisse für Halloween-Dekorationen, ein scharfer Wind fegt Laub durch die Straßen, und auf den Bürgersteigen drängen sich fröhliche junge Menschen in seltsam uniformer Kleidung. Fast alle tragen blaue Sachen mit einem gelben „M“ auf Brust oder Rücken. Das ist nun allerdings keine politische Botschaft, sondern eine sportliche – Studenten der lokalen University of Michigan tun so ihre Unterstützung fürs universitäre Football-Team kund. Sogar an einem Samstag, an dem „Michigan“ auswärts spielt. Politik haben sie eher nicht im Kopf. Und genau deswegen macht sich Yonah Lieberman ein bisschen Sorgen.

Yonah Lieberman ist 20 Jahre alt, kommt aus Washington D.C. und studiert in Ann Arbor Geschichte im Hauptfach. Ich treffe ihn im Obama-Wahlbüro unweit des Marktes im Yonah Lieberman © Cornelia SchaibleStadtviertel Kerrytown, wo ein liebevoll handgemaltes Schild mit dem Wahlkampf-Logo des Amtsverteidigers den Weg weist: „Volunteer Here“, steht da, „Hier freiwillig melden“. Das Büro der demokratischen Partei koordiniert die ehrenamtlichen Wahlhelfer, die dann entweder zum Telefon greifen oder sich selbst auf den Weg machen. Yonah Lieberman bevorzugt den persönlichen Kontakt: „Ich habe heute an 56 Türen geklopft“, erklärt er stolz.

Der junge Mann wirkt ähnlich aufgekratzt wie die Gleichaltrigen im Straßenbild der Unistadt, denen die Begeisterung übers coole Studentenleben auch nach acht Wochen Herbstsemester noch ins Gesicht geschrieben steht. Bei Lieberman hat der Enthusiasmus aber andere Gründe: „Ich kann zum ersten Mal wählen – ich meine, den Präsidenten!“, sagt er freudestrahlend. Bei den Kongresswahlen 2010 habe er zwar auch schon abgestimmt; in den USA ist man mit Vollendung des 18 Lebensjahres wahlberechtigt. Aber jetzt könne er endlich Obama wählen. Was ihn am derzeitigen US-Präsidenten so beeindruckt? „Obama steht für Chancengleichheit“, sagt er und wirkt auf einmal ernst. Wäre Romney Präsident, würde er alles unterminieren, was Obama erreicht hat.

„Alles“ – damit meint Yonah Lieberman vor allem Obamas Gesundheitsreform. Obwohl wesentliche Teile des Gesetzes, etwa die allgemeine Krankenversicherungspflicht, erst in den kommenden Jahren in Kraft treten, profitieren gerade Studenten bereits jetzt davon: Sie können bis zum Alter von 26 Jahren bei ihren Eltern mitversichert sein. Früher hatten viele Studenten entweder keine Krankenversicherung oder einen so hohen Eigenanteil, dass sie den Arztbesuch scheuten.

Ungeachtet der Tatsache, dass Romney während seiner Amtszeit als Gouverneur von Massachusetts von 2002 bis 2006 eine allgemeine Krankenversicherung einführte, die später als Blaupause für Obamas Gesundheitsreform diente, gehört es zu seinen Wahlversprechungen, „Obamacare“ sofort nach Amtsantritt abzuschaffen. Wissen das die jungen Leute nicht? Während Obama vor vier Jahren die Jungwähler noch in Massen mobilisieren konnte, scheint in diesem Jahr das Interesse gering. Auf die Frage, warum das so ist, hat Lieberman eine überraschende Antwort parat: „Die denken, er gewinnt sowieso!“

Nun, in Ann Arbor könnte man schon den Eindruck bekommen, dass Herausforderer Mitt Romney gegen den Titelverteidiger keine Chance hat – die Tübinger Partnerstadt ist eine Demokraten-Hochburg, und vor vier Jahren holte Obama 83 Prozent der Stimmen. Ein Heimspiel also? Aber nur wenn die Leute Wegweiser zum Obama-Wahlbüro in Ann Arbor © Cornelia Schaibletatsächlich wählen gehen, sagt Yonah Lieberman, und um sie dazu zu bringen, gehe er von Tür zu Tür. Den Wahlausgang sieht er „vorsichtig optimistisch“.

Je mehr Leute am 6. November wählen gehen, desto besser ist das Wahlergebnis für die Demokraten, glaubt auch Pat Honton. Sie ist bei der demokratischen Partei in Washtenaw County, dem Landkreis von Ann Arbor, für die Sichtbarkeit der Kampagne zuständig – was im Klartext bedeutet, dass sie das offizielle Werbematerial für Obama unters Volk bringt. Dazu gehören etwa Schildchen, die man in den Rasen im Vorgarten stecken kann, oder die obligatorischen Aufkleber. Auf einem steht: „Bin Laden is dead and General Motors is alive – Osama bin Laden ist tot und General Motors lebt.“

Der Spruch, der angeblich von Vizepräsident Joe Biden stammt, ist eine Kurzfassung von Obamas Amtszeit. Vor allem die zweite Hälfte müsste dem Präsidenten im Autostaat Michigan eine satte Mehrheit garantieren, so könnte man jedenfalls denken: Denn Romney lehnte die staatliche Rettung der US-Automobilindustrie, die noch von Obamas Vorgänger George W. Bush angeschoben wurde, kategorisch ab. „Lasst Detroit bankrott gehen“, schrieb Romney in einem Meinungsartikel am 18. November 2008 in der „New York Times“ – das war zwei Monate vor der Amtsübernahme von Barack Obama. Der neue Präsident ignorierte solche Ratschläge und schleuste General Motors und Chrysler durch ein beschleunigtes Insolvenzverfahren, außerdem segnete er den Zusammenschluss von Chrysler mit Fiat ab. Mit Erfolg: GM hat ein erstaunliches Comeback erlebt und ist dank des Wachstumsmarktes in China wieder weltgrößter Autohersteller. Bei Chrysler läuft es ebenfalls rund, und an verschiedenen US-Standorten werden zusätzlich Leute eingestellt.

Viele Wähler haben indessen ein kurzes Gedächtnis: „The Detroit News“, eine der beiden Tageszeitungen der nordöstlich von Ann Arbor gelegenen Autometropole, sprach eine Wahlempfehlung für Mitt Romney aus. Kann er so schaffen, was seinem Vater George Romney, dem einstigen Gouverneur von Michigan, nicht gelungen war, nämlich Präsident der Vereinigten Staaten zu werden? Das ist zu bezweifeln. Den Umfragen zufolge liegt immer noch Obama knapp vorn – nicht nur in Michigan, auch in anderen wahlentscheidenden Bundesstaaten.

Sicher ist allerdings, dass Präsident Obama viel von der Strahlkraft des Kandidaten Obama eingebüßt hat – er ist in den vergangenen vier Jahren ergraut. Und oft sieht er müde aus, und zwar nicht nur, wenn er mit Naturkatastrophen zu tun hat wie jüngst mit dem zerstörerischen Hurrikan „Sandy“. Ein gewisser Verschleiß sei eben unvermeidbar, sagt Adrian Cleypool, und er deutet auf seine ziemlich abgenutzte Baseballkappe mit dem Obama-Logo, die er am Tag der Inauguration bekommen hat. Mit dem Präsidentenamt verhalte es sich ähnlich. Aber er sei trotzdem zuversichtlich, dass es Obama noch einmal schaffen werde.