Saturday, November 3, 2012

US-Wahlen: Klinken putzen für Obama

Der Mann mit dem Obama-T-Shirt erkennt mich sofort wieder. „Natürlich – wir haben vor vier Jahren miteinander gesprochen!“, sagt Adrian Cleypool, und er weiß auch, dass er damals in einem Artikel vorkam, sogar mit Bild. Klar hat das mitgekriegt: Der 67-jährige politische Aktivist wohnt in Chelsea in der Nähe von Ann Arbor, Tübingens US-Partnerstadt, und auf die privaten Nachrichtenkanäle zwischen den Sister Cities war noch immer Verlass. Wie vor der vergangenen Wahl hat Cleypool auch diesmal einen Stand auf dem Wochenmarkt, wo er Obama-Artikel aus Eigenproduktion feilbietet: Neben bedruckten Leibchen gibt’s Anstecker und vor allem Autoaufkleber aus Vinyl – „die gehen leicht wieder ab“, versichert er einem Kunden.

Wahlherbst in Ann Arbor. Auf dem Markt dominieren dicke orangefarbene Kürbisse für Halloween-Dekorationen, ein scharfer Wind fegt Laub durch die Straßen, und auf den Bürgersteigen drängen sich fröhliche junge Menschen in seltsam uniformer Kleidung. Fast alle tragen blaue Sachen mit einem gelben „M“ auf Brust oder Rücken. Das ist nun allerdings keine politische Botschaft, sondern eine sportliche – Studenten der lokalen University of Michigan tun so ihre Unterstützung fürs universitäre Football-Team kund. Sogar an einem Samstag, an dem „Michigan“ auswärts spielt. Politik haben sie eher nicht im Kopf. Und genau deswegen macht sich Yonah Lieberman ein bisschen Sorgen.

Yonah Lieberman ist 20 Jahre alt, kommt aus Washington D.C. und studiert in Ann Arbor Geschichte im Hauptfach. Ich treffe ihn im Obama-Wahlbüro unweit des Marktes im Yonah Lieberman © Cornelia SchaibleStadtviertel Kerrytown, wo ein liebevoll handgemaltes Schild mit dem Wahlkampf-Logo des Amtsverteidigers den Weg weist: „Volunteer Here“, steht da, „Hier freiwillig melden“. Das Büro der demokratischen Partei koordiniert die ehrenamtlichen Wahlhelfer, die dann entweder zum Telefon greifen oder sich selbst auf den Weg machen. Yonah Lieberman bevorzugt den persönlichen Kontakt: „Ich habe heute an 56 Türen geklopft“, erklärt er stolz.

Der junge Mann wirkt ähnlich aufgekratzt wie die Gleichaltrigen im Straßenbild der Unistadt, denen die Begeisterung übers coole Studentenleben auch nach acht Wochen Herbstsemester noch ins Gesicht geschrieben steht. Bei Lieberman hat der Enthusiasmus aber andere Gründe: „Ich kann zum ersten Mal wählen – ich meine, den Präsidenten!“, sagt er freudestrahlend. Bei den Kongresswahlen 2010 habe er zwar auch schon abgestimmt; in den USA ist man mit Vollendung des 18 Lebensjahres wahlberechtigt. Aber jetzt könne er endlich Obama wählen. Was ihn am derzeitigen US-Präsidenten so beeindruckt? „Obama steht für Chancengleichheit“, sagt er und wirkt auf einmal ernst. Wäre Romney Präsident, würde er alles unterminieren, was Obama erreicht hat.

„Alles“ – damit meint Yonah Lieberman vor allem Obamas Gesundheitsreform. Obwohl wesentliche Teile des Gesetzes, etwa die allgemeine Krankenversicherungspflicht, erst in den kommenden Jahren in Kraft treten, profitieren gerade Studenten bereits jetzt davon: Sie können bis zum Alter von 26 Jahren bei ihren Eltern mitversichert sein. Früher hatten viele Studenten entweder keine Krankenversicherung oder einen so hohen Eigenanteil, dass sie den Arztbesuch scheuten.

Ungeachtet der Tatsache, dass Romney während seiner Amtszeit als Gouverneur von Massachusetts von 2002 bis 2006 eine allgemeine Krankenversicherung einführte, die später als Blaupause für Obamas Gesundheitsreform diente, gehört es zu seinen Wahlversprechungen, „Obamacare“ sofort nach Amtsantritt abzuschaffen. Wissen das die jungen Leute nicht? Während Obama vor vier Jahren die Jungwähler noch in Massen mobilisieren konnte, scheint in diesem Jahr das Interesse gering. Auf die Frage, warum das so ist, hat Lieberman eine überraschende Antwort parat: „Die denken, er gewinnt sowieso!“

Nun, in Ann Arbor könnte man schon den Eindruck bekommen, dass Herausforderer Mitt Romney gegen den Titelverteidiger keine Chance hat – die Tübinger Partnerstadt ist eine Demokraten-Hochburg, und vor vier Jahren holte Obama 83 Prozent der Stimmen. Ein Heimspiel also? Aber nur wenn die Leute Wegweiser zum Obama-Wahlbüro in Ann Arbor © Cornelia Schaibletatsächlich wählen gehen, sagt Yonah Lieberman, und um sie dazu zu bringen, gehe er von Tür zu Tür. Den Wahlausgang sieht er „vorsichtig optimistisch“.

Je mehr Leute am 6. November wählen gehen, desto besser ist das Wahlergebnis für die Demokraten, glaubt auch Pat Honton. Sie ist bei der demokratischen Partei in Washtenaw County, dem Landkreis von Ann Arbor, für die Sichtbarkeit der Kampagne zuständig – was im Klartext bedeutet, dass sie das offizielle Werbematerial für Obama unters Volk bringt. Dazu gehören etwa Schildchen, die man in den Rasen im Vorgarten stecken kann, oder die obligatorischen Aufkleber. Auf einem steht: „Bin Laden is dead and General Motors is alive – Osama bin Laden ist tot und General Motors lebt.“

Der Spruch, der angeblich von Vizepräsident Joe Biden stammt, ist eine Kurzfassung von Obamas Amtszeit. Vor allem die zweite Hälfte müsste dem Präsidenten im Autostaat Michigan eine satte Mehrheit garantieren, so könnte man jedenfalls denken: Denn Romney lehnte die staatliche Rettung der US-Automobilindustrie, die noch von Obamas Vorgänger George W. Bush angeschoben wurde, kategorisch ab. „Lasst Detroit bankrott gehen“, schrieb Romney in einem Meinungsartikel am 18. November 2008 in der „New York Times“ – das war zwei Monate vor der Amtsübernahme von Barack Obama. Der neue Präsident ignorierte solche Ratschläge und schleuste General Motors und Chrysler durch ein beschleunigtes Insolvenzverfahren, außerdem segnete er den Zusammenschluss von Chrysler mit Fiat ab. Mit Erfolg: GM hat ein erstaunliches Comeback erlebt und ist dank des Wachstumsmarktes in China wieder weltgrößter Autohersteller. Bei Chrysler läuft es ebenfalls rund, und an verschiedenen US-Standorten werden zusätzlich Leute eingestellt.

Viele Wähler haben indessen ein kurzes Gedächtnis: „The Detroit News“, eine der beiden Tageszeitungen der nordöstlich von Ann Arbor gelegenen Autometropole, sprach eine Wahlempfehlung für Mitt Romney aus. Kann er so schaffen, was seinem Vater George Romney, dem einstigen Gouverneur von Michigan, nicht gelungen war, nämlich Präsident der Vereinigten Staaten zu werden? Das ist zu bezweifeln. Den Umfragen zufolge liegt immer noch Obama knapp vorn – nicht nur in Michigan, auch in anderen wahlentscheidenden Bundesstaaten.

Sicher ist allerdings, dass Präsident Obama viel von der Strahlkraft des Kandidaten Obama eingebüßt hat – er ist in den vergangenen vier Jahren ergraut. Und oft sieht er müde aus, und zwar nicht nur, wenn er mit Naturkatastrophen zu tun hat wie jüngst mit dem zerstörerischen Hurrikan „Sandy“. Ein gewisser Verschleiß sei eben unvermeidbar, sagt Adrian Cleypool, und er deutet auf seine ziemlich abgenutzte Baseballkappe mit dem Obama-Logo, die er am Tag der Inauguration bekommen hat. Mit dem Präsidentenamt verhalte es sich ähnlich. Aber er sei trotzdem zuversichtlich, dass es Obama noch einmal schaffen werde.