Friday, August 30, 2013

Semesteranfang, und noch scheint die Sonne

„Das Seltsame am Sommer ist, dass er so schnell vergeht.”

Das schreibt Malin in ihr Tagebuch. Und recht hat sie. Malin, das ist die älteste Tochter des Schriftstellers Melcher, der mit seinen insgesamt vier Kindern „Ferien auf Saltkrokan“ macht. Ich bin einmal mit einer Fähre durch die Schären vor Stockholm gefahren, aber das war natürlich kein kleiner tuckernder Dampfer wie im Buch von Astrid Lindgren, sondern eines dieser riesigen Schiffe, die nicht zu einer kleinen Insel fahren, sondern schnurstracks nach Finnland. Immerhin, es gab damals einen roten Abendhimmel, und als die Fähre durch die Schärenlandschaft glitt, winkten manchmal sogar Leute. Ich glaube allerdings nicht, dass wir an einer Insel vorbeikamen, die Astrid Lindgren als Vorbild gedient haben könnte. Dafür sah alles viel zu aufgeräumt und gediegen aus. Mehr Villen als bunte Sommerhäuser.

„Ferien auf Saltkrokan“, das war für mich immer die ultimative Sommersehnsuchtslektüre. Weil das Buch in meinem Elternhaus zurückgeblieben war und längst von meiner Schwester beschlagnahmt wurde, habe ich es mir kürzlich wieder gekauft. Amazon schickt einem so etwas innerhalb nützlicher Zeit über den Teich. Ich hätte mir natürlich auch die englische Ausgabe zulegen können, aber die scheint gerade vergriffen zu sein.

Es ist trotzdem seltsam, das Buch nach so vielen Jahren wieder in die Hand zu nehmen. Mit welcher Figur aus dem Buch sollte ich mich nun identifizieren? Etwa mit Melcher? Wahrscheinlich eher mit Tjorven. Die ist gewissermaßen alterslos.

Zum Lesen setze ich mich auf den Balkon, und die Sonne sticht noch ganz ordentlich, aber es ist September, und das Semester hat schon wieder angefangen. Man hat in Michigan wirklich das Gefühl, als finge die Uni mitten in den Ferien an. Weil es noch so warm ist. Am Ende des Semesters wird es dann Winter sein.

Aber immerhin steht diese sonnige Lektüre künftig in meinem Bücherregal. Ein bisschen Meer und Mittsommer zum Nachschlagen zwischen zwei Buchdeckeln. Denn so viel Sommer hat im richtigen Leben sowieso kein Mensch. Nicht einmal in Schweden.

Wednesday, August 14, 2013

Studentenstadt mit wechselnder Besetzung

„Dohoggeddiadiaemmerdohogged.“

Gesehen kürzlich, bei einem Heimatbesuch: Das Wortungetüm, ein klassisch schwäbischer Spruch, beschildert eine rustikale Bank in der Tübinger Altstadt. Die Bank befindet sich vor dem Restaurant „Mauganestle“ an der Burgsteige, die wir erklimmen, um mal wieder die Aussicht vom Schloss Hohentübingen zu genießen. Auf die Stadt und die Stätte meiner Bildung am Neckar. Die Bank selbst ist zu diesem Zeitpunkt übrigens verwaist – wer setzt sich schon am helllichten Tag vor ein Lokal. Aber vor dem benachbarten Wohnhaus sind sämliche Sitzgelegenheiten vergeben.

Ein paar junge Männer, offenbar Mitglieder einer Studenten-WG, hängen herum, blinzeln in den leicht bedeckten Himmel, rauchen und haben nichts zu tun. Als wir wieder herunterkommen, bietet sich das gleiche Bild gepflegten studentischen Müßiggangs, nur mit neuen Darstellern. Übrigens ist die ganze Stadt voll mit jungen Leuten, die keinerlei Eile zu haben scheinen, und in den Straßencafés ist kaum ein Tisch mehr frei. In der Tat: Da hocken die, die immer da hocken. Nur eben mit wechselnder Besetzung. Generationen von Studenten kommen und gehen, aber es sieht immer noch aus wie vor dreißig Jahren. Und falls das Studieren tatsächlich stressiger sein sollte als damals, lassen sich die heutigen Protagonisten davon nichts anmerken.

Warum sollten sie auch. Alles geht seinen gewohnten Gang; das Pflaster in den mittelalterlichen Gassen ist holprig, aber die Stocherkähne gleiten leicht über den Neckar. Alles beim Alten und doch immer wieder jung und gerade erst eingetroffen. Nur die arbeitende Bevölkerung, die das Ganze am Laufen hält, wird ernsthaft älter. Ich werfe einen Blick in die italienische Café-Bar am Affenfelsen, wie der Volksmund das Stück Mauer nennt, wo auch die hocken die da immer undsoweiter, und da steht tatsächlich Michele, der hinter seiner Espressomaschine grau geworden ist. Ansonsten hat er sich nicht verändert, und er bietet nach wie vor einen erfreulichen Anblick. Soll heißen, in der Rückenansicht. Ein echter Barista legt großen Wert auf den tadellosen Sitz seiner Hosen. Davon könnten die Jungen noch was lernen.

Ein Stück weiter auf dem Marktplatz steht der Crêpes-Mann in seinem Stand, gießt Pfannkuchenteig auf die heiße Platte und zieht ihn dann wieder ab, so dass nur eine hauchdünne Schicht zurückbleibt. Seit Jahrzehnten macht er das. Er ist irgendwie hängen geblieben in der Unistadt. Manch einer ist da verhockt. Goethe kam 1797; er blieb nur kurz. Im Gegensatz zu Hölderlin. Der zog 1807 in den Turm, der später nach ihm benannt wurde, und wohnte 36 Jahre lang dort. Bis zu seinem Tode. Das Gebäude an der Neckarfront ist postkartengerecht restauriert. Schräg gegenüber am anderen Ufer befindet sich mein altes Gymnasium, nur ein paar Schritte entfernt von der Hauptredaktion meiner Heimatzeitung. Ich bin nie sitzen geblieben.

Wenn man längere Zeit in den USA gelebt hat, kommt einem Europa älter vor. Sowieso. Was der spanischen Kolonisierung in Nordamerika voranging, ist im allgemeinen Bewusstsein wenig präsent. Die „Schätze der Menschheit“, die das Tübinger Schlossmuseum zeigt, sind vergleichsweise berühmt und auch Gegenstand des Lokalstolzes, wie das Elfenbeinpferdchen aus der Vogelherdhöhle, 35.000 Jahre alt. Wir treffen nachmittags kurz vor Torschluss ein und haben daher keine Gelegenheit zum Museumsbesuch, aber ich habe es schon früher mehrfach gesehen. Das kleine Kunstwerk relativiert manches.

Auf dem Rückweg die Burgsteige abwärts, kurz nach der Bank und den müßiggängerischen Studenten, fällt meinem Mann eine Jahreszahl auf: „1491“ steht da auf einem Schlussstein in einem Türbogen. 1491! Damals mussten bereits Studenten in diesen Gassen unterwegs gewesen sein – die Universität wurde 1477 gegründet.

Kolumbus war im Jahr 1491 gerade in Spanien und suchte nach einem Sponsor für seine Expedition. Erst nach dem Fall von Granada im folgenden Jahr hatte der Genueser Erfolg mit seinem Fundraiser.

Saturday, August 10, 2013

Redoxreaktionen im Red Ox

„[…] Um an der Oakland Universität Freunde zu finden, solltest du nur über organische Chemie reden. Wenn du nur über organische Chemie redest, wird niemand verstehen, worüber du redest. Das ist eine wirklich gute Sache! Es ist auch eine gute Idee, Anmachsprüche, die über organische Chemie sind, zu benutzen. Wenn du Anmachsprüche über organische Chemie benutzt, werden sich viele Frauen in dich verlieben.

Nahe bei der Oakland Universität gibt es viele Restaurants. Wenn du Hunger hast, probier das ,Red Ox‘ aus! ,Red Ox‘ ist eine Taverne, in der Chemiker über Redoxreaktionen diskutieren. […]“

Meine STUDENTIN Miranda in einem Aufsatz, der als Brief an einen fiktiven deutschen Austauschstudenten konzipiert war. Sie war sehr stolz auf ihren Text und das gelungene Wortspiel. Wir gehen auch in diese Kneipe, eine richtige American Sports Bar, aber ich würde mal vermuten, dass die Gespräche beim Bier typischerweise nicht von Redoxreaktionen handeln. Die Studentin schrieb das im Wintersemester; ich persönlich bevorzuge das Lokal in der wärmeren Jahreszeit, weil es dann ruhiger ist und man auch draußen auf der Terrasse sitzen kann. Drinnen auf den Riesenbildschirmen läuft derweil Baseball. Wie gestern. Solange die Tigers spielen, ist noch Sommer.