Tuesday, July 8, 2014

#Siebenzueins

Während unserer Genfer Zeit wohnten wir in einem großen Mietshaus, wo neben Gastspielern aus aller Herren Länder sowie den ortsüblichen Französischsprachigen auch etliche Deutschschweizer ihr Domizil hatten. Public Viewing war damals noch nicht en vogue. Aber bei Fußballspielen zur Sommerzeit, wenn die Fenster offen standen, kam es doch zu einem gemeinschaftlichen Sporterlebnis. Und dazu musste man nicht einmal den Fernseher anschalten. „Büt, büüt“, schrien die Welschen, wenn ein Tor fiel. „Gool, goool“, tönte es gleichzeitig aus den Wohnungen der Deutschschweizer. In der Tat, wenn es um le football geht, klingt das französische Wort „le but“ tatsächlich wie „butte“. Und die Deutschschweizer sprechen bis heute von einem Goal, weil sie den Fußballsport im 19. Jahrhundert direkt aus dem Vereinigten Königreich importierten. Der FC St. Gallen, der älteste Schweizer Fußballclub, wurde im Jahr 1879 von Briten mitbegründet. Das habe ich mir, räusper, soeben angelesen. Endlich verstehe ich auch, wie es zu anglofonen Vereinsnamen wie dem Grasshopper Club Zürich kam. Danke, Wikipedia! Man lernt doch nie aus.

Der polyglotte Fußballsommer, an den ich mich so lebhaft erinnern kann, war wohl die Weltmeisterschaft im Jahr 1994. Wer da jeweils für wen jubelte, ließ sich schon damals nicht immer genau sagen, aber es spielte auch keine Rolle: Im Schweizer Sport kennt man den Begriff „ehrenvolle Niederlage“. Am nächsten Tag stand’s dann im Boulevardblatt „Blick“, und das Leben ging ganz normal weiter.

Zwanzig Jahre ist das her. Kaum zu glauben. Die WM 2014 wird einem mit Sicherheit ebenfalls unvergesslich bleiben: Auf den Riesenbildschirmen von amerikanischen Pubs gab's plötzlich Soccer! Aber an einem Dienstagnachmittag sitzt man nicht in der Kneipe, und so hätte ich mir zu #WorldCup #GERBRA beinahe wieder Kabelfernsehen gewünscht. Das ist noch nicht oft vorgekommen. Als die Umstellung auf Digital-TV erfolgte, haben wir das Gerät samt Kabel-Abo abgeschafft – und eigentlich nie vermisst. Das Schützenfest heute Nachmittag ließ sich auf SPON und Twitter allerdings nur mühsam verfolgen. In dem Tempo, wie die Tore fielen, konnte man gar nicht aktualisieren. Und die Blitzkrieg-Witze im Netz waren auch nicht sehr originell.

Und jetzt all die Bilder von den heulenden Brasilianern. Der kleine Junge, der in seine Cola schnieft – das kann ich ja noch nachvollziehen. Aber dass ein ganzes Land in Trauer versinkt, das schon weniger. Es wird mit Krawallen gerechnet. Was ist das für ein Sportsgeist? Wer nicht verlieren kann, soll auch nicht spielen. Genau das ist das Faszinierende am „Sommermärchen“ von 2006, als der Gastgeber Deutschland zwar nur den dritten Platz belegte, aber die Fans trotzdem bis zum Finale weiter feierten. Alles nur ein Spiel. Das sollte man auch dem Bundestrainer einmal sagen. Bitte lächeln, Herr Löw!

Nachtrag vom 13. Juli: Jetzt strahlt sogar Jogi Löw. Wer zuletzt lacht, wird Weltmeister.