Saturday, December 23, 2006

Jahresenddekoration

Die Schule, in der ich einmal die Woche deutsche Literatur unterrichte, führt Weihnachten nicht im Kalender - die Schüler haben jetzt einfach Winterferien. In der Adventszeit schmückte kein Christbaum die öden Flure, aufs Lehrerpult kam kein Tannenzweiglein und keine Kerze. Und zu Hanukkah wurde auch keine Menora aufgestellt. Die Schulbehörde gibt sich politisch korrekt: Die Lehrer und Lehrerinnen sind angehalten, ihren Schülern "Happy Holidays" zu wünschen, frohe Festtage. Statt der kulturellen Vielfalt, welche die Schule sonst predigt, hat sich ein einfältiger Kahlschlag der Traditionen durchgesetzt.

Damit geht die Schule den jahreszeitlichen Konflikten einfach aus dem Weg. Das Gezeter, das alljährlich das Aufstellen von Weihnachtsbäumen im öffentlichen Raum begleitet, hat in den USA längst einen hysterischen Charakter angenommen. Dabei stellte der Supreme Court schon im Jahr 1989 fest, dass der Christbaum selbst kein religiöses Symbol darstellt, sondern vielmehr das säkulare Zelebrieren des Weihnachtfestes verkörpert. Und alle Jahre wieder darf sich ein Professor in der "New York Times" über die vorchristlichen Wurzeln des Festes auslassen - mit dem Hinweis, dass Weihnachten in Amerika schon immer einen säkularen und kommerziellen Hintergrund hatte. Die Puritaner lehnten Weihnachten genau deswegen ab.

Die Dekorateure der Einkaufszentren sind vom kommerziellen Charakter des Christbaums offenbar fest überzeugt - Lichterglanz und Plastiktannengrün darf nirgends fehlen. Aber ansonsten bereitet ihnen die Vorgabe, die Tempel des Kommerzes säkular zu schmücken, offenbar einiges Kopfzerbrechen. In der "Somerset Collection" in Troy residiert Santa in einem mehrstöckigen Schloss, das aufmerksamen Mall-Besuchern bekannt vorkommen dürfte: Es leistet auch an Halloween gute Dienste. Statt zwielichtiger Geister tummeln sich jetzt freundliche Narren in den Lüften und verteilen Geschenke aus Füllhörnern. Eine ganze Ladung guter Gaben schwebt auch per Schiff heran - ikonografisch ein interessanter Fall, denn das Narrenschiff ist als mittelalterliches Motiv der Kunst und Literatur eindeutig religiös konnotiert. In einem anderen Teil der Mall sollen Elfen in Grün- und Blautönen die Kunden in Kauflaune bringen. Die seltsamen Jahresendflügelfiguren wirken allerdings mehr wie eine missglückte Inszenierung von Shakespeares Sommernachtstraum.

Allerdings hat sich die Weihnachts-Phobie noch nicht überall durchgesetzt: Die Postangestellte, bei der ich meine Weihnachtsbriefe aufgab, wünschte mir beherzt: "Merry Christmas!" Und die Regierung in Lansing bezeichnete den Weihnachtsbaum vor dem Kapitol heuer wieder als "Christmas Tree". Der "Holiday Tree" wurde ausgemustert.

Sunday, December 17, 2006

Person of the Year: Me. And You

Zum Glück gibt es von "TIME" auch eine gedruckte Ausgabe. Sonst würden Internet-Muffel und Computer-Hasser nie erfahren, wen das Magazin heuer zur "Person of the Year" gekürt hat: Mich - und alle anderen, die diese wichtige Nachricht bereits online erfahren haben.

Als bloggende und digital fotografierende Journalistin, die ihre Erzeugnisse überwiegend übers Internet vertreibt, darf ich mir jetzt einmal selbst auf die Schulter klopfen. Und meinem Leser gleich mit dazu. Dass es so etwas gibt wie Leser meiner Texte, das entnehme ich dem eingebauten Zähler. Erstaunlich, was die Leute so alles suchen, die dann letztendlich auf meiner Seite landen. Ganz oben auf der Hitliste der Suchbegriffe in jüngster Zeit: der Pelzmärte.

Mit einem ausgegoogelten Verfahren versuche ich zu verhindern, dass ich nicht ganz sang- und klanglos im Cyberspace verschwinde. Die Suchmaschinen finden mich - also bin ich. Aber eigentlich ist es geradezu unwahrscheinlich, dass der durchschnittliche Internet-User auch noch zum Lesen fremder Beiträge kommen. Schließlich ist er selbst rund um die Uhr damit beschäftigt, Content herzustellen. Laut Census Bureau haben im vergangenen Jahr 13 Millionen Menschen in den USA einen Blog angelegt, dabei gibt es gerade mal 39 Millionen erklärter Blog-Leser.

Das gibt mir zu denken. Vielleicht haben die ganzen Besucher von MOTOWN BLUES nur das hübsche Foto im Header betrachtet. Aber das wäre ja auch schon etwas.

Saturday, December 2, 2006

Pelzmärte und Co.

In meiner Kindheit gab es um die Weihnachtszeit mehrere Gabenbringer, die allerdings nicht alle gleich beliebt waren. Eher von der netten Sorte war der Nikolaus: Er kam in der Nacht zum 6. Dezember und steckte Nüsse und Schokolade in meine dicken Winterstiefel. Falls er eine Rute dabei hatte, brauchte mich das nicht zu stören – ich schlief um diese Zeit. Für die Geschenke an Weihnachten war bei uns daheim das liebe Christkind zuständig, von dem man ebenfalls nichts zu befürchten hatte. Allerdings war am Christfest noch eine andere Bescherfigur unterwegs, die weitaus weniger Begeisterung bei den Kindern hervorrief: der Pelzmärte. Mit dem drohten uns die Erwachsenen, wenn wir nicht brav waren.

Der Pelzmärte war eine wilde Gestalt mit äußerst zwiespältigem Charakter. Erst drohte er mit Rutenhieben, aber dann ließ er sich doch erweichen, folgsame Kinder mit guten Gaben aus seinem groben Rupfensack zu bescheren. Ich erinnere mich allerdings nicht, ob ich ihm jemals begegnet bin, solange ich noch an ihn glaubte. An Weihnachten gab es übrigens auch Schokoladen-Nikoläuse. Der Begriff „Weihnachtsmann“ kam in meiner Kinderwelt hingegen nicht vor. Und erst viele Jahre später machte ich mir überhaupt Gedanken über die seltsamen gabenbringenden Figuren aus meiner Heimat am Rande der Schwäbischen Alb.

Als ich in Rottenburg am Neckar bei der Lokalzeitung arbeitete, zeigte sich nicht zuletzt, dass ich in Sachen Brauchtum einiges aufzuarbeiten hatte. Aufgewachsen bin ich in der Nähe von Tübingen, das zu Altwürttemberg gehörte und wo die Reformation mit vielen volkstümlichen Bräuchen gründlich aufgeräumt hatte. Im nahen Rottenburg, das unter vorderösterreichischer HerrschaftNikolaus oder Santa Claus? © Cornelia Schaible katholisch geblieben war, hatten die alten Traditionen überlebt. Und in der Bischofsstadt wusste man auch genau, wie der Nikolaus auszusehen hatte – der trug nicht etwa ein rotes Kostüm mit weißem Pelzbesatz, wenn er über den Weihnachtsmarkt schritt, sondern das Gewand eines Bischofs mit Stab und Mitra. Wie es sich für den heiligen Nikolaus geziemt, denn der war im 4. Jahrhundert Bischof von Myra in Kleinasien. Der Heilige wurde unter anderem als Wohltäter der Kinder verehrt, und so machte er im volksfrommen Brauchtum als Bescherfigur Karriere.

In den evangelischen Flecken im angrenzenden Württemberg wurde der Nikolaus mit der Reformation allerdings in Rente geschickt – jegliche Form der Heiligenverehrung galt als suspekt. Wie mir meine Mutter erst kürzlich bestätigte, kam in ihrer eigenen Kindheit kein Nikolaus vor. Sankt Martin, als barmherziger Mantelteiler für die Rolle des Gabenbringers ähnlich qualifiziert, konnte sich jedoch auch auf evangelischem Gebiet über die Jahrhunderte mogeln. Wie dies möglich war, erfuhr ich bei einem Rottenburger Vortrag des Volkskundlers Werner Mezger.

Prof. Werner Mezger ist allen Fasnetsfans im Südwesten Deutschlands von Umzugs-Übertragungen im Fernsehen ein Begriff. Der Freiburger Brauchtumsforscher ist aber nicht nur ein renommierter Fastnachts-Experte – er hat sich auch intensiv mit Martinsbräuchen befasst. Das gehört enger zusammen, als man zunächst denkt. Zu den Erscheinungen der Brauchlandschaft in evangelischen Gebieten, so der Volkskundler, gehören vermummte Gestalten wie der Pelzmärte, eine ziemlich unheimliche Bescherfigur mit Anklängen an die Brauchgestalt des Nikolaus. Aber wieso dann Märte, also Martin? Ganz einfach: Der heilige Martinus wurde als Namenspatron von Martin Luther in den reformierten Gebieten eher toleriert als Nikolaus.

Wie austauschbar die beiden Brauchgestalten mancherorts sind, zeigt sich an ihren dienstbaren Geistern: Knecht Ruprecht, ursprünglich ein Begleiter des heiligen Nikolaus, ist im Fränkischen mit dem „Pelzmärtl“ unterwegs, wie mir eine Freundin berichtete. Die eindeutig negativ besetzten Gestalt des Ruprecht – als Brauchtumsfigur ein Kapitel für sich – hat ihren Ursprung in einem mittelalterlichen Kinderschreck. Häufig sind aber der Heilige und sein wilder Knecht zu einer einzigen Figur verschmolzen, was deren seltsam unberechenbares Wesen erklärt. So erinnert bei Pelzmärte und Konsorten nur noch der Name an einen frommen Mann. Abgesehen davon ist den „eigentümlichen Zwitterscheinungen zwischen den Brauchgestalten Martinus und Nikolaus“ (Mezger) ein entschieden unheiliges Auftreten gemeinsam.

Kein Wunder, dass der Nikolaus in einer modernen bürgerlichen Ausgabe plötzlich überall salonfähig wurde: Meine Geschwister und ich hatten von einer weitgehend säkularisierten Neuauflage der Tradition profitiert. Und dieser Neuzeit-Nikolaus verdrängte die konkurrierende Brauchgestalt dann ziemlich schnell – als meine Großeltern nicht mehr lebten, war auch der Pelzmärte aus dem familiären Sprachgebrauch verschwunden. Gleichzeitig feierte der heilige Martinus ein Comeback in seiner ursprünglichen Gestalt – der Volkskundler sieht das als „Braucherneuerung“. Nicht nur im Bistum Rottenburg-Stuttgart, wo der Heilige als Diözesan-Patron verehrt wird, begeht man den 11. November vielerorts mit Martinsritt und Mantelteilung. Oft wird das Martinsfest ökumenisch gefeiert. Deutsche im Ausland begreifen es sogar als wesentlichen Bestandteil ihrer Herkunftskultur: Eine deutsch-amerikanische Kindergruppe hier in Metro Detroit hat nun schon zum zweiten Mal einen Laternenlauf mit Martinsspiel organisiert.

Aber auch die Erscheinung von wilden Kläusen und anderen rauen Gesellen hat sich in einigen deutschsprachigen Brauchlandschaften bis heute gehalten; im Elsass etwa wird das Christkind von einer Schreckfigur namens Hans Trapp begleitet. Krampus heißt der Kerl im bairischen Sprachraum. Das Auftreten dieser Figuren ist dabei nicht unbedingt an Weihnachten gebunden – in einigen Schweizer Gegenden sind Silvesterkläuse unterwegs. Gelegentlich tragen sie Schellenstränge wie die Fastnachtsnarren. Da haben wohl einfach die wilden Gestalten, die seit germanischen Zeiten in den Nächten um den Jahreswechsel ihr Unwesen treiben, einen christlichen Namen angenommen. Und für alle gilt: "Von drauß' vom Walde komm ich her..."

Selbst der amerikanische Santa Claus, den die Niederländer als „Sinterklaas“ in die Vereinigten Staaten brachten, hat die wilden Sitten seiner europäischen Verwandten noch nicht ganz abgelegt: Immerhin steigt er durch den Kamin in die Häuser. Was eigentlich gar nicht zu seinem schönen roten Gewand passt. Und am Nordpol, wo Santa bekanntlich mit Mrs. Claus wohnt, unterstützt ihn ein ganzes Heer von Elfen bei den Weihnachtsvorbereitungen. Abgesehen davon tritt Santa, genau wie der deutsche Weihnachtsmann, heutzutage meist in einer gänzlich säkularisierten Form auf – von allen guten Geistern verlassen.

Wednesday, November 22, 2006

Turkey Country

Neuankömmlinge in den USA brauchen meist eine kleine Weile, um sich an die neuen Dimensionen zu gewöhnen. Alles so groß hier! Die Autos, die Straßen, die Einkaufszentren und die Plastikbehälter für Orangensaft, die eine Gallone fassen – es gibt kaum etwas, das nicht großzügiger bemessen wäre als in der alten Heimat. Der Kühlschrank schluckt mühelos den Inhalt von dreiundzwanzig Plastiktüten aus dem Supermarkt, und im mehrstöckigen Riesen-Backofen verliert sich die transkontinental umgezogene Auflaufform, die früher knapp in die RöhreEin wohlgeratener Thanksgiving-Turkey © Cornelia Schaible
einer durchschnittlichen deutschen Einbauküche passte. Das irritiert. Ein Trost: Die Verunsicherung hält höchstens bis zum ersten Thanksgiving. Dann macht sie einer neuen Erkenntnis Platz. An diesem Feiertag zeigt sich nämlich, warum alles in Amerika so riesig sein muss, Landschaft inklusive. Und plötzlich passt alles zusammen.

Der Lernprozess startet mit dem Versuch, einen Truthahn in passender Größe zu erwerben. Einen Zwei-Personen-Truthahn, um genau zu sein. Für ein frisch nach Amerika ausgewandertes Ehepaar, das typischerweise weder auf eine Großfamilie noch einen mitessenden Bekanntenkreis zurückgreifen kann, braucht es keinen Riesenvogel. Ein traditioneller Festtagsbraten muss trotzdem sein – lokales Brauchtum verdient Respekt, und damit basta. Dafür braucht’s nicht einmal interkulturelles Training. Also: kein schwindsüchtiges Ersatz-Federvieh, keine Gans und keine Ente. All das können Exil-Deutsche noch an Weihnachten servieren. An Thanksgiving Day muss ein richtiger Truthahn auf den Tisch.

Und so nähert sich der Käufer hoffnungsfroh der gigantischen Kühltheke, in der eine ganze Armada von gerupften Riesenvögeln liegt. Schluck – der zierlichste unter ihnen wiegt vierzehn Pfund. Geht’s nicht auch kleiner? Hilfesuchend wendet man sich an den nächstbesten Supermarktangestellten, der eingedosten Pumpkin Pie ins Regal räumt. „Schätzchen“, sagt der und lächelt mitleidig, „wenn dir das zuviel ist, dann kauf doch eine Putenbrust.“

Eine Putenbrust? Das käme einer Kapitulation gleich. Thanksgiving ohne einen Turkey mit allem Drum und Dran – undenkbar. Dabei ist nicht einmal gesichert, dass die Pilgerväter anno 1621 Truthahn auf dem Menü hatten, als sie mit einem Festtagsschmaus die reiche Ernte feierten und damit die Tradition begründeten. Zum Feiern hatten sie jedenfalls allen Grund: Im Winter zuvor waren einige der Engländer, die an Bord der „Mayflower“ gewesen waren, einfach verhungert. Und hätten ihnen die indianischen Ureinwohner nicht beigebracht, Mais anzubauen, wäre es dem Rest wahrscheinlich genauso ergangen.

Drei Tage lang feierten die neuenglischen Siedler gemeinsam mit den Indianern, das ist schriftlich bezeugt. Da wurde ordentlich aufgetischt: Von Hirschbraten ist die Rede sowie von dem reichlich vorhandenen Geflügel – wahrscheinlich gab’s auch am Spieß gegrillten Truthahn, gewissermaßen als kleinen Happen zwischendurch. Nur von Thanksgiving sprach damals noch keiner; der Begriff bürgerte sich erst später ein. Im Jahr 1863 erklärte Abraham Lincoln das Erntedankfest zum nationalen Feiertag. Erst unter Präsident Franklin D. Roosevelt wurde dann festgelegt, Thanksgiving grundsätzlich am vierten Donnerstag im November zu feiern – nicht etwa am letzten, was nicht immer auf dasselbe herauskommt.

Zu Roosevelts Zeiten war Thanksgiving aber längst Turkey Day. Das hat praktische Gründe: Erst einmal macht so ein Vogel viel her, und im Zentrum einer Festtafel wirkt er überdies kompakter als – um nur ein Beispiel zu nennen – ein Rehrücken. Ein Truthahn ist trotzdem handlich, und man muss ihn nicht selbst schießen. So geht man ans Kühlregal, sucht sich einen aus und wuchtet das Vieh in den Einkaufswagen. Vielleicht schrumpft das Tier ja beim Braten noch ein bisschen. Einkäufe im Auto verstauen – gut, dass die hier zu Lande so geräumig sind, bei einem dieser putzigen deutschen Kleinwagen wäre der Kofferraum jetzt voll. Daheim vorm Kühlschrank wird einem schlagartig klar, was die tiefere Bestimmung dieses äußerlich so schlichten Gerätes ist: Einmal im Jahr muss ein Truthahn reinpassen. Und zwar ohne Wenn und Aber.

Dasselbe gilt für den Backofen, in dem der Vogel gemütlich vor sich hin schmurgelnd ein paar Stunden verbringt. Letztlich erweist sich der Turkey somit als das Maß aller Dinge – zumindest in Amerika: Wäre das Land lediglich auf Grillhähnchen zugeschnitten, sähe alles ganz anders aus. Dann wären auch die Farmen kleiner. Und man bräuchte nicht diese breiten Straßen, auf denen riesige Trucks fahren, die Truthähne transportieren. Selbst die Wälder wären übersichtlicher, lebten darin nicht wilde Turkeys. Oder sind die Truthähne nur deshalb so groß, weil die Wälder…?

Sei’s drum. Nur wer einmal den Braten gerochen hat, wer gesehen hat, was sonst noch alles aufgefahren wird, vom Preiselbeerkompott über den Süßkartoffelauflauf bis zum Kürbiskuchen, kann das Land in seiner ganzen Größe wirklich verstehen. Und kapiert dann auch, warum in den Staaten die Portionen so groß sind: So ein üppiges Mahl wie an Thanksgiving hätten die Amerikaner am liebsten jeden Tag. Wenn auch nicht immer mit Turkey.

Und noch ein Tipp für alle, die ein unamerikanisch zierliches Vögelchen bevorzugen: Im Bio-Supermarkt ist die Pute meistens eine Nummer kleiner – wenn auch ein wenig teurer. Dafür ohne Antibiotika aufgezogen und mit Freilandhaltung bis zum Schlachttag.

Happy Thanksgiving!

Wednesday, November 8, 2006

Ein Stimmprozent für eine Million

„Ein guter Tag für die Demokraten“, titelte die „Ann Arbor News“, die Lokalzeitung aus der Tübinger Partnerstadt, heute in ihrer Online-Ausgabe. Das kann man wohl sagen – schließlich haben demokratische Kandidaten auf fast allen politischen Ebenen abgeräumt: Nicht nur im Repräsentantenhaus in Washington, sondern auch in Lansing im Bundesstaat Michigan stellen Demokraten jetzt die Mehrheit. Somit weiß Gouverneurin Jennifer Granholm künftig zumindest einer Kammer hinter sich, was das Regieren erheblich angenehmer machen dürfte; der Senat in Michigan bleibt republikanisch. Granholm selbst kann sich über ein komfortables Ergebnis freuen: 56 Prozent der Wähler stimmten für die amtierende Demokratin; ihr republikanischer Herausforderer Dick DeVos erhielt 42 Prozent der Stimmen.

Die Höhe des Wahlsieges kam laut Presseberichten selbst für die Anhänger der Amtsinhaberin überraschend. Denn der Geschäftsmann und Milliardär Dick DeVos, dessen Vater die Reinigungsmittelfirma Amway gründete, führte den teuersten Wahlkampf aller Zeiten in Michigan – 41 Millionen Dollar kostete der Spaß. Immerhin 35 Millionen Dollar hatte der Ex-Amway-Präsident dafür aus seinem Privatvermögen beigesteuert. Ein Stimmprozent kostete also knapp eine Million. Sauber!

Worüber unzählige Fernsehspots allerdings nicht hinwegtäuschen konnten: Eine konkrete Agenda ließ DeVos, ein Vertreter der christlichen Rechten, bis zum Schluss vermissen. Trotz schwieriger Wirtschaftslage im Bundesstaat Michigan setzten die Wähler daher wieder auf Granholm, die für den Niedergang der Autoindustrie schließlich nichts kann: "Unsere Wirtschaft hat sich 100 Jahre lang in diese Richtung entwickelt", sagte die Governeurin bei einem Interview. "Wir können jetzt nicht einfach einen Schalter umlegen und die Sache über Nacht verändern." Granholm möchte stattdessen den Strukturwandel in vernünftige Bahnen lenken und mehr Hightechfirmen nach Michigan bringen. Vor allem im Einzugsgebiet der Unistadt Ann Arbor erzielte sie mit dieser Strategie erste Erfolge. Insofern erstaunt es nicht, dass die charismatische Gouverneurin in Washtenaw County, zu dem Ann Arbor gehört, knapp 68 Prozent der Stimmen erhielt.

Noch besser schnitt Bürgermeister John Hieftje ab: Der Demokrat mit grünem Programm wurde mit 79 Prozent im Amt bestätigt. Hieftje, Bürgermeister seit dem Jahr 2000 und schon zum dritten Mal wieder gewählt, will in der kommenden Legislaturperiode neben der Stabilisierung der Stadtfinanzen vor allem seine ökologischen Projekte weiter verfolgen – die Förderung erneuerbarer Energien sowie eine Bahnverbindung zum Flughafen und ins nahe Detroit gehören zu seinen wichtigsten Anliegen. Wenn sie ihn noch ein paarmal wählen, fahren Metro Detroiter irgendwann im Bähnchen nach Ann Arbor zum Bummeln. Und müssen dann aufpassen, dass sie nicht von Radlern über den Haufen gefahren werden. Wie in Tübingen.

In der Unistadt Ann Arbor sorgte am Tag nach der Wahl allerdings ein anderes Thema für Gesprächsstoff: Per Volksentscheid wurde in Michigan auch die so genannte „Affirmative Action“ abgeschafft; 58 Prozent der Wähler befürworteten den Vorschlag. „Affirmative Action“ – ein Begriff, der sich nur schwer ins Deutsche übersetzen lässt und meistens mit „positive Diskriminierung“ wiedergegeben wird – ist eine Quotenregelung, die Minderheiten etwa den Zugang zur Universität erleichtern soll. Nicht nur afroamerikanische Studenten an der „University of Michigan“ zeigten sich über den Ausgang der Abstimmung enttäuscht. Universitätspräsidentin Mary Sue Coleman kündigte an, gerichtlich gegen den Entscheid vorzugehen. „Diversität macht uns stark“, sagte sie in einer Ansprache vor Studenten.

Mehr über John Hieftje, Bürgermeister von Ann Arbor: Ann Arbor, ein grünes Biotop in Amerika

Monday, November 6, 2006

Disappointing Dick

Als Jennifer Granholm im Jahr 2002 zur Governeurin von Michigan gewählt wurde, schien die demokratische Partei einen neuen Star zu haben – wäre sie nicht in Kanada geboren, hätte man sie womöglich als künftige Präsidentschaftskandidatin gehandelt. Jennifer Granholm ist telegen, äußerst eloquent und vertritt ihre Sache stets mit Enthusiasmus. Der unaufhaltsame Niedergang der einheimischen Autoindustrie in Michigan – die japanischen Autobauer errichten ihre Fabriken im Süden des Landes, wo die Gewerkschaften nur wenig Einfluss haben – schadete ihrer Popularität indessen ganz erheblich. Und noch im Sommer sah es aus, als stünde im Bundesstaat Michigan ein Regierungswechsel bevor: Der Republikaner Dick DeVos, Milliardär und Geschäftsmann, lag in Umfragen deutlich vor Granholm.

Seit den drei Fernsehdebatten, bei denen sich die Kandidaten gegenseitig scharf attackierten, hat die Harvard-Absolventin Granholm in der Wählergunst augenscheinlich wieder zugelegt – die Meinungsforscher sehen sie nach jüngsten Umfragen mit mehr 10 Prozentpunkten in Führung. Es mag damit damit zu tun haben, dass DeVos bei der ersten Fernsehdebatte nahezu jeden Satz mit „This is so disappointing“ anfing. Die rhetorisch nicht besonders eindrucksvolle Performance des Herausforderers blieb sicher im Wählergedächtnis haften – plötzlich war die Rede von „Disappointing Dick“. Das passte auch sehr schön auf einen Bumpersticker.

Vor allem aber fragten sich viele Leute, ob ein Ex-Firmenboss als Gouverneur wirklich eine so gute Idee ist, wie sie zuerst dachten. Denn Dick DeVos ist nicht irgendein Geschäftsmann aus Michigan, sondern der Sohn des Amway-Gründers Richard DeVos. Amway, heute ein Teil des Alticor-Konzerns, vertreibt weltweit Reinigungsmittel und andere Haushaltsprodukte per Netzwerk-Marketing über lokale Geschäftspartner – auch in Deutschland ist Amway äußerst aktiv. „Willkommen in einer Welt voller Chancen“, steht auf der deutschen Amway-Website.

Es ist vor allem eine Welt voller Chancen für den Unternehmer. Bei den Fernsehdebatten wurde Granholm nicht müde zu betonen, dass DeVos in seiner Zeit als Amway-Präsident in den 90er-Jahr viel Geld in China investierte, dafür aber in Michigan 1000 Stellen strich. Was in den Zeitungen ebenfalls Schlagzeilen machte: Dick DeVos steckte mehr als 41 Millionen Dollar in den Gouverneurs-Wahlkampf, davon 35 Millionen aus eigener Tasche – ein Rekord im Industriearbeiterstaat Michigan, aber wahrscheinlich ohne Sympathiebonus. Granholm hat im Wahlkampf knapp 15 Millionen ausgegeben.

Dass DeVos, ein evangelikaler Christ, gegen embryonale Stammzellenforschung ist, Abtreibung auch nach Vergewaltigung oder Inzest strikt ablehnt und an den Schulen am liebsten „Intelligentes Design“ im naturwissenschaftlichen Unterricht einführen würde, mag manchen Wählern ebenfalls nicht gefallen. Interessant wurde es, als plötzlich Rasenschildchen und Billboards mit der Aufschrift "www.republicansforgranholm.com" auftauchten. Jene Republikaner, die DeVos das Fürchten lehrte, teilen die Überzeugung, „dass der beste CEO für den Staat Michigan Jennifer Granholm ist“.

Die morgigen Wahlen dürften spannend werden.

Saturday, October 28, 2006

Alles wegen RaDau

Die Stadt Daun in der Vulkaneifel, so erfahre ich bei Wikipedia, ist berühmt für ihre Maare und ihre Mineralquellen. Außerdem befindet sich dort ein Vulkanmuseum sowie eine Lokalredaktion des „Trierischen Volksfreundes“ – jawohl, so kann eine Zeitung heute noch heißen. Was man im Wikipedia-Artikel (noch) nicht erfährt: Die Stadt hat es sogar in ein amerikanisches Schulbuch geschafft, genauer gesagt in ein Deutschbuch. Das verdankt sich allerdings nicht den oben genannten Sehenswürdigkeiten, sondern einem Dauner Schülerradio mit dem schönen Namen RaDau. Und weil die Deutschlehrerin Janet Harris darüber mehr wissen wollte, konnte ihre Klasse an der Farmington High School in Metro Detroit schließlich sogar einen leibhaftigen Dauner begrüßen: Der Anglistikstudent Tobias Reiche, 25, absolvierte vor kurzem ein Praktikum in Farmington.

Ich gebe zu, an diesem Punkt wird die Geschichte ein bisschen kompliziert. Aber Tobias Reiche hat mir den Hergang geduldig erklärt, und vielleicht schaffe ich es sogar, seinen stundenlangen Bericht einigermaßen kurz wiederzugeben. Reiche war nämlich keinesfalls beim Schülerradio mit von der Partie – aber er besuchte das Gymnasium, an dem RaDau gemacht wird: das Thomas-Morus-Gymnasium. In einem mediengeschichtlich frühen Zeitalter, nämlich vor über 18 Jahren, richtete dort eine „Truppe unerschrockener Radiomacher“ ein rudimentäres Tonstudio mit Eierkarton-Schalldämmung ein. So steht es jedenfalls auf der RaDau-Website. Die karge technische Grundausstattung, bestehend aus alten Tonbandgeräten und Kassettenrekordern, konnte „dank Spenden der heimischen Wirtschaft“ offenbar rasch modernisiert werden.

Wie man ebenfalls auf der Website erfährt, standen bald nicht nur Pausensendungen auf dem Programm: „Seit 1994 ist RaDau Mitausrichter der internationalen Jugendmedienwoche.“ In jenem Jahr brachte das Magazin „Juma“ für junge Deutschlernende, das bis vor kurzem auch in Detroiter Deutsch-Klassenzimmern herumlag, einen Bericht über RaDau. Und dieser Artikel diente dann als Grundlage für den Text im US-Lehrbuch „Deutsch aktuell“. Die Zeitschrift „Juma“ wurde übrigens Anfang dieses Jahres eingestellt – RaDau existiert augenscheinlich immer noch. Die Website des Schülerradios wurde allerdings schon lange nicht mehr aktualisiert. Eine der letzten Eintragungen im Gästebuch ist die von Janet Harris am 2. März 2003: „Wissen Sie, dass Radio Daun in einem amerikanischen Lehrbuch für Deutsch als Fremdsprache vorkommt? (…) Meine Schüler würden sich freuen, wenn Sie von sich hören lassen.“

Das Dauner Thomas-Morus-Gymnasium ließ tatsächlich von sich hören, dann kam wieder Post aus Farmington, und im Juli 2004 berichtete sogar der „Trierische Volksfreund“ über „RaDau im US-Lehrbuch“. Es lebe die Medienvielfalt! Den Artikel im Lokalblatt las – nein, nicht Tobias Reiche, der studierte nämlich seit 2002 Anglistik und Politikwissenschaft in Koblenz. Auf Lehramt. Seine Mutter habe den Artikel gefunden, erzählt Reiche, und sie habe auch die Idee gehabt, er könne mit Janet Harris im fernen Farmington Kontakt aufnehmen. Sogar Lokalzeitungen können mitunter eine globale Wirkung entfalten.

Harris lud den Anglistikstudenten schließlich ein, ein Praktikum an ihrer High School zu machen, was Reiche nicht ungelegen kam – er wollte schon lange mal die Verwandtschaft in Amerika besuchen. Das Visum erhielt er allerdings buchstäblich in letzter Minute: an einem Freitagnachmittag kurz vor Dienstschluss des US-Konsulats, 24 Stunden vor dem Abflug. Tobias Reiche zeigt auf einer Deutschlandkarte, wo er herkommt © Cornelia SchaibleVorausgegangen war eine hektische Fahrt im Smart nach Frankfurt, die Tobias Reiche sehr mitreißend schildern kann. Dass der junge Deutsche ein so kleines Auto fährt – und das auf der German autobahn! – darüber konnten sich die Schüler aus Farmington übrigens nicht genug wundern.

Dafür staunt Tobias Reiche, der am 1. August in den USA ankam, immer noch darüber, „wie groß hier alles ist“ – nicht nur die Autos. Vom Fußballfeld der Farmington High School, die 1400 Schüler hat, werden seine Freunde zu Hause sicher noch viel hören. „Das wäre der Traum eines jeden Regionalligisten!“ Was ihm sonst noch aufgefallen ist: „Der total offene Umgang miteinander.“ An der Farmington High School gehe es deutlich unverkrampfter zu als seiner alten Schule, sagt Reiche, der im Moment noch auf Verwandtenbesuch ist und am letzten Oktobertag wieder nach Deutschland zurückfliegt. „Das freundliche und entspannte Miteinander in den Klassen, auch zwischen Schülern und Lehrern, hat mich sehr beeindruckt.“

Thursday, October 19, 2006

Standortbestimmung

Als ich mich einst anschickte, in die USA auszuwandern, reagierten Freunde und Bekannte recht unterschiedlich auf diesen Schritt. Einige bedauerten mich. Andere konnten die Entscheidung nachvollziehen – immerhin arbeitete mein Mann schon in Detroit. Und eine Kollegin gestand mir eines Tages rundheraus, sie beneide mich: „Alles hinter sich lassen und irgendwo noch einmal ganz neu anfangen – das wäre mein Traum!“

Der Umzug in ein anderes Land als Neuanfang: Darauf haben schon viele gehofft. Äußerlich ist zunächst tatsächlich vieles neu: die Wohnung, die Umgebung, die Nachbarn, die Schule der Kinder. Gerade die Frauen, die ihren Ehemann beim Auslandsaufenthalt begleiten, haben alle Hände voll zu tun: Ein kompletter Haushalt muss – bei völlig neuer Versuchsanordnung – wieder zum Laufen gebracht werden. Und der Mann? Der geht einfach in ein anderes Büro. Seine Frau unternimmt derweil lustige Experimente mit amerikanischen Küchengeräten oder lernt, was ein Transformator ist. Zum Glück besitzen die Relocaterinnen ganze Ordner voll mit nützlichen Anleitungen, inklusive einer Umrechnungstabelle für Backofentemperaturen. Meist haben sie auch Hinweise parat, was man wo kriegt. Damit nicht jede Einkaufsfahrt zur Expedition wird. Denn die Familienmitglieder wollen satt werden, nicht Testesser spielen.

Dass Relocationfirmen neben praktischer Alltagshilfe oft noch interkulturelles Training für mitreisende Ehefrauen anbieten, halte ich für ausgesprochen sinnvoll. Das mildert den Kulturschock, erspart so manche frustrierende Erfahrung und hält den Kopf frei für Wichtigeres: Im Idealfall schafft es den nötigen Freiraum, damit die Frauen auch ganz persönlich vom neuen Umfeld profitieren können. Und nicht unversehens wieder in den alten Trott fallen, im schmucken neuen Heim. Denn wir wissen es längst: Ein Umzug über Ländergrenzen bedeutet keinesfalls, dass im Leben alles automatisch anders und besser wird. Und das liegt nicht zuletzt an uns selbst. Egal, wohin wir gehen, unsere persönlichen Eigenschaften und Erfahrungen haben wir immer im Gepäck.

Wenn ich mit deutschen Expat-Frauen hier in Metro Detroit rede, bin ich immer wieder überrascht, wie viel Berufserfahrung und Spezialwissen, wie viel Lebensklugheit und Talent hier versammelt ist. Gleichzeitig bin ich schockiert: Nur ganz selten sind sich diese Frauen nämlich ihrer Fähigkeiten, ihres persönlichen und beruflichen Potenzials bewusst. „Aber das ist doch nichts Besonderes“, höre ich immer wieder. Tiefstapelei – eine typisch weibliche Eigenschaft. Das erinnert mich an meine Zeit als Lokaljournalistin. Ich habe oft über ehrenamtliche Tätigkeiten geschrieben, und nicht selten musste ich meinen Gesprächspartnerinnen aus Kirchengemeinden und Vereinen erst gut zureden, wenn ich am nächsten Tag eine Geschichte in der Zeitung haben wollte.

Die „trailing spouses“ oder „mitausreisenden Ehefrauen“ befinden sich nun allerdings in einer Situation, die das Selbstbewusstsein nicht gerade stärkt: Für den Mann bedeutet die Auslandsentsendung üblicherweise eine Verbesserung in der Position, er steigt also im Status – bei der Frau ist es das genaue Gegenteil, denn sie musste dafür nicht selten ihren Arbeitsplatz kündigen. Kein Wunder, wenn sie sich in der neuen Umgebung nur noch über den berufstätigen Partner definiert. Denn Anerkennung für die eigene Leistung bleibt aus. Außerdem fördert der Auslandsaufenthalt die traditionelle Rollenverteilung: Er geht arbeiten, sie besorgt den Haushalt und kutschiert die Kinder zum Fußball. „Ich bin nur als Anhängsel hier“ – wie oft habe ich das schon gehört!

Aber trotzdem – oder gerade deswegen – bedeutet der Ortswechsel eine einmalige Chance. Da fallen mir immer meine Klamotten ein, die ich vor der Abreise in Koffer und Kisten packte. Als der Container endlich in Detroit ankam und meine geliebten Tweedjäckchen wieder ordentlich im Schrank hingen, wurde ich sehr vergnügt: Klar, das waren immer noch die alten Sachen – aber niemand kannte sie hier! Ich hatte praktisch einen Schrank voll mit neuen Outfits. Ähnlich verhält es sich mit den Bildungsabschlüssen und beruflichen Qualifikationen, die Frauen mitbringen: Im Lichte der neuen Lebensumstände gesehen wirken sie wie neu. Wer weiß, was sich jetzt oder später daraus machen lässt? Man muss nur einmal anfangen, das alles in Ruhe zu sortieren.

Der Auslandsaufenthalt gibt den nötigen Abstand dazu.

Sunday, October 8, 2006

Deutsches in Detroit

Deutsche, die nach Detroit ziehen, staunen oft darüber, wie viele Landsleute sie in der neuen Umgebung treffen. Meistens knüpfen die Neuankömmlinge Kontakte zu Expats, die sich in einer ähnlichen Situation befinden – und so bleiben Mitarbeiter deutscher Firmen auf Auslandseinsatz sowie ihre Familienangehörigen meistens unter sich. Dass es im Großraum Detroit zahlreiche Vereine und Clubs alteingesessener Deutschamerikaner gibt, ist vielen schlichtweg nicht bekannt. Auch die Vielfalt von Geschäften, die ihr Lebensmittelangebot auf den Geschmack deutscher Kunden abgestimmt haben, dürfte nicht allen geläufig sein. Jawohl, man kann in Detroit richtigen Quark kaufen! Und wer deutsche Essiggurken oder eine ganz bestimmte Sorte Gummibärchen zum Überleben braucht, für den ist ebenfalls gesorgt.

Aber wie kommen nun die Spätzle zum Exil-Schwaben? Und wie findet der Gemischte Chor neue Sänger und Sängerinnen? Christina Griesser, die rührige Präsidentin der German Professional Women’s Organisation (GPWA), hatte eine Idee: „Wir müssen die verschiedenen Gruppen einfach einmal zusammenbringen“, schlug sie bei einem Delegiertentreffen des German American Cultural Center (GACC) vor. Der GACC ist der Dachverband von insgesamt 14 in Metro Detroit ansässigen Clubs und Vereinen mit deutschem, österreichischem oder Schweizer Hintergrund.

Zugegeben, es dauerte ein bisschen, bis Christina Griesser für ihr Anliegen genügend begeisterte Mitstreiter fand. Eine German American Networking Fair in der Carpathia-Halle, dem deutsch-amerikanischen Zentrum in Sterling Heights, das gab es schließlich noch nie. Und bei den Hütern deutscher Tradition in Amerika sind so neumodische Aktionen naturgemäß schwer durchzusetzen. Aber die GPWA-Präsidentin schaffte es. Über 50 Anbieter und Clubs kamen heute Nachmittag in die Carpathia – und trotz des schönen Herbstwetters war die Messe ordentlich besucht. Der Carpathia-Club hatte die Halle kostenlos zur Verfügung gestellt, und der Eintritt war frei. GACC-Präsident Frank Sinz bedauerte nur, dass deswegen keiner die genaue Besucherzahl feststellen konnte: „Nächstes Mal müssen wir unbedingt Tickets ausgeben!“

Auch der deutsche Honorarkonsul Fred Hoffman drehte eine Runde durch die Halle. Jim Stokes, der die Regierung des Bundesstaates im Südosten Michigans vertritt, übermittelte Grüße von Gouverneurin Jennifer Granholm. „2,7 Millionen Menschen mit deutscher Abstammung leben in Michigan“, sagte Stokes. Mehr als ein Viertel der Bevölkerung also. Das erklärt die große Zahl deutscher Vereine in Detroit, von denen erstaunlich viele bis heute überlebt haben: Zum GACC gehören unter anderem der Detroit Schwaben Unterstützungs-Verein, der GBU/Saxonia Rheingold Gemischter Chor und der Sport Club 1924. Bereits aus den Namen geht hervor, dass es sich um altehrwürdige Institutionen handelt. Und die Mitglieder sind oft nicht mehr die Jüngsten – manche Clubs, etwa die Austrian Society, haben zwar den Nachwuchs integriert, möchten aber auf jeden Fall auch Neuankömmlinge ansprechen.

„Wir haben sonst kaum Gelegenheit, mit den neu zugewanderten Deutschen zu reden“, erklärte Marianne Krenzer, GACC-Vorstandsmitglied und nach eigener Auskunft „seit 49,5 Jahren in den USA“. Nicht nur, dass sich selten Berührungsmöglichkeiten ergeben: „Ich hatte auch das Gefühl, dass wir nicht offen genug sind – und das wollen wir nun ändern.“ Insofern war die Messe sicher ein Erfolg: Viele Leute hätten ihm erzählt, sie seien zum ersten Mal in der Carpathia, freute sich George Schemmel jr. vom GACC, der Christina Griesser bei der Organisation der Networking Fair unterstützt hatte. Und etliche Besucher hatten keine Ahnung, dass es in Detroit eine deutschsprachige Zeitung gibt, berichtete Verleger Knuth Beth. Die „Nordamerikanische Wochenpost“ konnte im vergangenen Jahr 150-jähriges Bestehen feiern.

„Die Leute waren erstaunt, wie viele Angebote es gibt, die auf ein deutschsprachiges Publikum zielen“, sagte Martina Dorn von „The Newcomers Network“. Neben Relocationfirmen gibt es vor allem Immobilienmakler oder Finanzexperten, die sich auf deutsche Kunden spezialisiert haben. Die lieben Kleinen sind bei den German American Kids (GA Kids) gut aufgehoben. Wahrscheinlich naschen sie dort deutsche Schokolade – auch in der Carpathia-Halle war Candy made in Germany heiß begehrt. Neben all den deutschen Lebensmitteln durfte deutscher Wein nicht fehlen. Und das füllt nun wirklich eine Lücke im Angebot, was ebenso US-Kunden interessieren könnte: „Wein ist auch in Amerika ein Kulturgut geworden“, sagte Helga Janz-Wagner, die Erzeugnisse vom Weingut ihrer Eltern anbot und fleißig Proben ausschenkte. Den Zwiebelkuchen dazu hatte sie selbst gebacken. Und welcher Tropfen mundete den Deutschen am besten? „Der Dornfelder“, antwortete ihr Mann.

Unter den Ausstellern waren auch zwei deutschsprachige Kirchengemeinden: „Viele Besucher hatten keine Ahnung, dass es hier sowas gibt", sagte Pfarrer Haiko Behrens von der Gemeinde St. Peter’s in Warren. „Sie waren sehr angetan – vor allem im Hinblick auf Weihnachten.“

Wednesday, October 4, 2006

Sophia Holley Ellis

„Vielleicht ist es ein Weltrekord“, sagt Sophia Ellis. Im Bundesstaat Michigan sei sie jedenfalls bestimmt die dienstälteste Lehrkraft. Die Detroiter Deutschlehrerin, die im Juni in den Ruhestand ging, kann in der Tat auf eine stattliche Anzahl von Dienstjahren zurückblicken: Seit 1950 stand sie im Dienst der Detroit Public Schools, zuletzt an der Martin Luther King High School.

Ganz am Anfang ihrer Laufbahn hatte Sophia Ellis naturwissenschaftliche Fächer unterrichtet, später aber vor allem Deutsch – dieser Sprache galt schon immer ihre ganze Leidenschaft, auch außerhalb des Klassenzimmers. Für ihre Verdienste wurde Ellis gestern bei einem Empfang der deutsch-amerikanischen Handelskammer anlässlich des Tages der Deutschen Einheit vom deutschen Honorarkonsul Fred Hoffmann geehrt.

„In Deutschland haben mich die Leute manchmal gefragt, warum ich so viel Deutsch gelernt habe“, erzählte Sophia Ellis den Gästen beim Empfang im Historischen Museum Detroit. „Und ich sagte dann, ich wollte eine berühmte Wissenschaftlerin werden!“ Darauf habe sie ihr Pate gebracht, hatte sie mir schon früher einmal erklärt: „Er sagte, dass alle großen Wissenschaftler aus Deutschland kommen.“ Wie der Mediziner Robert Koch. Und sie träumte davon: „Ich würde werden wie er.“

Zu diesem Zweck las sie eifrig die Detroiter Abendpost und hörte deutsches Radio. Deutsche Einwanderer waren bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die dominierende ethnische Gruppe inSophia Ellis, Barbara Weidendorf und eine Schwarzwälder Kirschtorte © Cornelia Schaible Detroit, und so lernte Ellis die Sprache schon als junges Mädchen. Auch an der High School belegte sie Deutsch als erste Fremdsprache. Und sie setzte sich in den Kopf, auf jeden Fall zu studieren.

Ihren Bachelor-Abschluss machte Ellis 1949. Dann wurde sie Lehrerin für Biologie – „ich musste einfach Geld verdienen“. Ihre Deutsch-Studien betrieb sie nebenher weiter. 1964 absolvierte sie in Ann Arbor an der University of Michigan noch ihren Master in deutscher Sprache und Literatur, als einzige schwarze US-Amerikanerin in jenem Jahr. Ihren Traum, einmal nach Deutschland zu reisen, hatte sie sich schon Jahre vorher erfüllt: Im Sommer 1955 arbeitete Ellis erstmals bei einem Freiwilligen-Projekt mit und half dabei, einen Bunker in einen Kirchenraum umzubauen. Die Bunkerkirche St. Sakrament in Düsseldorf-Heerdt ist heute ein Baudenkmal. Zur deutschen Gastfamilie von damals hält Sophia Ellis bis heute Kontakt.

Für ihre Bemühungen um die deutsch-amerikanischen Beziehungen erhielt Ellis 1995 das Bundesverdienstkreuz. Und erst jüngst wurde sie in Washington vom National Council for International Visitors mit dem „Educator of the Year Award“ ausgezeichnet. „Insgesamt hat sie in diesem Jahr schon acht Auszeichnungen bekommen“, staunte Honorkonsul Hoffman beim Handelskammer-Empfang. Verabschiedungs-Partys gab es noch ein paar mehr: Besonders zünftig feierte der Deutschlehrer-Stammtisch im „Rathskeller Dakota Inn“ – mit einer prächtigen Schwarzwälder Kirschtorte zum Dessert (siehe Bild oben).

Ein ausgedehnter Aufenthalt in Deutschland – am besten ein ganzes Jahr – gehört zu Ellis‘ Plänen für den Ruhestand. Außerdem will sie ihre endlich ihre Doktorarbeit in Angriff nehmen. Sophia Ellis: „Hoffentlich werde ich fertig, bevor ich 98 bin.“

Mehr über Sophia Ellis: Fremdsprache als Freiraum

Monday, September 25, 2006

Wir Migranten oder: abgemeldet

Vor ein paar Jahren ging ich ins Rathaus in Rottenburg am Neckar, um eine Lohnsteuerkarte zu beantragen. Nach einer längeren Phase freier journalistischer Tätigkeit war ich im Begriff, eine feste Stelle in der Lokalredaktion meiner Heimatzeitung anzutreten – und wurde somit wieder lohnsteuerpflichtig. Fragte sich nur, in welcher Steuerklasse. Im Bürgerbüro des süddeutschen Städtchens waltete damals eine resolute Persönlichkeit, die auch mit schwierigen Antragstellern schnell fertig wurde. Ich schilderte ihr meine Situation: dass mein Mann seit einiger Zeit im Ausland wohne und arbeite, dass wir aber keinesfalls getrennt lebten. Da runzelte sie die Stirn und beschied: „Das gibt’s nicht!“

Im Prinzip hatte die gute Frau Recht. Dass jemand die Heimat verlässt, um in der Fremde Arbeit zu finden, und der Ehepartner aus praktischen Gründen zurückbleibt – vor noch nicht allzu langer Zeit war das gewiss kein deutscher Lebensentwurf. So etwas machten allenfalls die Gastarbeiter, wie man sie früher nannte, die aus Italien, dem ehemaligen Jugoslawien oder der Türkei kamen, um in Deutschland ihr Brot zu verdienen. Heute spricht man vornehm von „Menschen mit Migrationshintergrund“. Migranten, das waren jedenfalls immer die anderen. Das galt solange, bis in Deutschland die Akademikerschwemme Schlagzeilen machte.

Mein Mann ist promovierter Chemiker. In Deutschland qualifiziert das für alles mögliche, allerdings nur selten für eine Anstellung in der Industrie. „Ich kenne auch einen Chemiker. Er hat einen Copyshop“ – so oder ähnlich lautet die Reaktion, wenn ich deutschen Bekannten vom Beruf meines Mannes erzähle. Ich selbst weiß von einem Chemiker mit Doktortitel, der die Spedition seiner Eltern leitet. Zur Eröffnung eines Copyshops fühlte sich mein Mann jedoch nicht berufen, und eine Spedition hatte er auch nicht geerbt. So entschloss er sich zu einem Schritt, den viele Naturwissenschaftler wagen, die in Deutschland keine Zukunft mehr sehen: Er ging in die USA.

Es war allerdings eine Auswanderung auf Umwegen, denn nach einem Postdoc-Aufenthalt in Texas forschte er erst noch zweieinhalb Jahre lang in Japan. Dann bekam er eine Stelle in Michigan. Die Einwanderungsbehörde der Vereinigten Staaten honorierte seine wissen-schaftliche Qualifikation letztlich mit einer Green Card: In den USA gilt mein Mann als „outstanding scientist“. So subventioniert der deutsche Staat den amerikanischen Wissenschaftsbetrieb.

Übrigens gelang es der städtischen Angestellten im Rottenburger Rathaus einst doch noch, meine Lohnsteuerklasse herauszufinden: Steuerklasse 1, wie für ledige Beschäftigte. Ein im Ausland arbeitender Ehemann zählt fürs Finanzamt nicht. „Zahlt Ihr Mann denn auch Steuern in Amerika?“ fragte die Angestellte streng. Ich bejahte. „Dann kann er hier aber keinen Wohnsitz mehr haben!“ Ein paar Wochen später erhielt mein völlig perplexer Ehemann ein Schreiben vom Einwohnermeldeamt: Er war abgemeldet.

Ich arbeitete noch eine Weile als Redakteurin. Als die Zeitung meine Stelle strich, verzichtete ich darauf, mich dem Heer arbeitsloser Journalisten anzuschließen. Schreiben kann man überall, dachte ich, und so zog ich vor gut drei Jahren zu meinem Mann nach Detroit. Auswandern liegt im Trend: Allein im vergangenen Jahr verließen dem Statistischen Bundesamt zufolge 145.000 Deutsche ihre Heimat. Nicht alle geben der Behörde Bescheid – ich selbst habe mich ordentlich abgemeldet. „Bei Wegzug ins Ausland: Staat angeben“, stand auf dem Formular.

Wednesday, September 13, 2006

Super mit Wasserstoff

Im Prinzip ist die Brennstoffzelle als Fahrzeugantrieb eine prima Sache - sie macht das Null-Emissions-Auto möglich. Allerdings hat das mit Wasserstoff betriebene Minikraftwerk im Auto einen Schönheitsfehler, genauer gesagt zwei: Die mobile Brennstoffzellen-Technik ist bislang technisch unzuverlässig und dazu noch sagenhaft teuer. "Die Brennstoffzelle gilt in der Automobilindustrie als Antriebssystem der Zukunft" ist daher ein Satz ohne Verfallsdatum. Egal, wen und wann man danach fragt - von der Serienreife der Brennstoffzelle sind wir immer 10 bis 15 Jahre entfernt. Das war schon vor Jahren so, und das wird sich nie ändern.

Im Doku-Film "Who Killed the Electric Car?" wird die Brennstoffzelle mit dem Mechanical Rabbit bei Hunderennen verglichen: Wir kommen ihr nie wirklich näher. Die Meute hechelt nur immerzu hinter ihr her. Wäre die Marktreife der Brennstoffzelle ein ernsthaftes Ziel, würden etwa bei DaimlerChrysler nicht nur ein paar Hansel daran herumdoktern, irgendwo in der hintersten Ecke im Keller des Headquarters in Auburn Hills. Nun, die unheilvolle Allianz von Autoindustrie und Erdölkonzernen wird schon dafür sorgen, dass diese scheinbar so greifbare Alternative in unerreichbarer Ferne bleibt. Und gelegentlich wirbt man auf der Autoshow mit der umweltfreundlichen Technik: Brennstoffzellen-Forschung als Feigenblatt.

Es geht aber auch anders: BMW nimmt an diesem seltsamen Rennen nicht teil - und setzt trotzdem auf Wasserstoff als Energieträger. Der soll aber nicht in der Brennstoffzelle in Strom umgewandelt, sondern direkt verbrannt werden: "Wasserstoff ist der Brennstoff der Zukunft, und wir sehen den Verbrennungsmotor - zumindest für BMW - auch weiterhin als das Antriebs-Aggregat der Zukunft", sagte mir BMW-Entwicklungschef Prof. Burkhard Göschel bei einem Interview im vergangenen Jahr (hier findet sich der vollständige Text).

Auch das klang damals noch ein bisschen wie ferne Zukunftsmusik. Das Konzept des Wasserstoff-Verbrennungsmotors hat der bayerische Autokonzern nun deutlich schneller umgesetzt als erwartet: Gestern präsentierte BMW "die weltweit erste mit Wasserstoff betriebene Luxuslimousine für den Alltagsbetrieb", wie es in der Pressemeldung heißt, den "Hydrogen 7". So richtig alltäglich ist diese zum Wasserstoffauto umgerüstete Limousine aus der 7er-Reihe aber auch wieder nicht. Sie soll in einer Kleinstserie hergestellt und - da offenbar unbezahlbar - an ausgewählte Kunden verleast werden.

Der "Hydrogen 7", in dessen Tank der Flüssigwasserstoff bei minus 253 Grad Celsius gespeichert wird, ist gewiss ein "Meilenstein auf dem Weg zu einer nachhaltigen und schadstofffreien Mobilität", wie BMW schwärmt. Dummerweise ist dieser Weg aber noch keineswegs von Wasserstoff-Tankstellen gesäumt - und so handelt es sich bei der Wasserstoff-Limousine in Wirklichkeit um ein bivalentes Fahrzeug, das noch einen zweiten Tank besitzt und und auch ganz herkömmlich mit Superbenzin betrieben werden kann.

Nachtrag vom 17. September 2006:
GM hat inzwischen die Serienreife des ersten Fuel-Cell-Fahrzeugs angekündigt - das ist der bereits bei der Autoshow 2005 vorgestellte Sequel, dem inzwischen die Marke "Chevy" aufgepappt wurde. Der könnte schon 2011 in Massenproduktion gehen, heißt es in Presseberichten. Aber ja doch. Wo diese Brennstoffzellen-Autos dann den Wasserstoff hernehmen sollen, verrät das Unternehmen nicht. Sie könnten nicht mal die erste öffentliche Wasserstoff-Tankstelle in deutschen Landen anzapfen, die BMW kürzlich in Kooperation mit Total in München eröffnet hat - denn da gibt's nur Flüssigwasserstoff. Für den komprimierten Wasserstoff, den der Sequel braucht, existiert noch nicht einmal ein Industrie-Standard.

Monday, September 11, 2006

Der Tag, an dem Amerika verstummte

Das Unheimlichste an jenem Tag war die Stille. Totenstille. Gewöhnlich liegt eine Art Grundgeräusch über dem Großraum Detroit - die Motor-City brummt. Aber am 11. September war es, als hätte jemand den Stecker herausgezogen. Man hörte nur das Zirpen der Zikaden.

Nach dem Terror-Angriff an der Ostküste hatten "die Großen Drei" der Automobilstadt - DaimlerChrysler, Ford und GM - ihre Arbeiter und Angestellten heimgeschickt. Gegen Mittag waren die Straßen wie leer gefegt. Keine Flugzeuge am strahlend blauen Septemberhimmel, alle Flughäfen waren geschlossen. Geschlossen auch Regierungsgebäude und Schulen. Die Grenze nach Kanada war dicht. Und wie im mittleren Westen dürfte es an diesem Tag im ganzen Land ausgesehen haben: Die Menschen hatten sich in die Familie geflüchtet, schauten sich die Schreckensbilder im Fernsehen an. Auf einen Schlag hatte das Land aufgehört zu produzieren und zu konsumieren. (...) Amerika war im Entsetzen vereint.

Die Maßlosigkeit dieses Entsetzens in Worte zu fassen fiel schwer. Die Frage, wo man gerade war, als John F. Kennedy erschossen wurde, sei ersetzt worden, schrieb die Kolumnistin Rochelle Riley in der "Detroit Free Press": "Von jetzt an werden wir uns daran erinnern, wo wir waren, als Amerika seine bisher größte Herausforderung bestehen musste." Nun, als JFK ermordet wurde, lag ich in den Windeln. Aber wie ich am 11. September 2001 vor dem Radio kauerte - der Fernseher war kaputt - und die Horror-Nachrichten hörte, werde ich nie mehr vergessen.

Zu Besuch in Auburn Hills, einem langweiligen Detroiter Vorort, der neuerdings durch den DaimlerChrysler-Hauptsitz eine gewisse Bedeutung erlangt hat, war ich urlaubshalber spät aufgestanden. Gewohnheitsmäßig klickte ich die CNN-Homepage an, was nicht funktionierte. Auch andere Internet-Info-Seiten ließen sich nicht aufrufen. Nur bei TAGBLATT-Online kam ich durch, und so erfuhr ich über meine Heimatzeitung im fernen Tübingen von der Katastrophe. Die Attacke auf das World Trade Center war der erste Terrorangriff, den man sich per Real Player als Video vorspielen konnte: der Turm - das Flugzeug, scheinbar widerstandslos in das Gebäude eindringend - der Feuerball. Wieder und wieder.

Noch Tage danach stand Amerika unter Schock: Auch in Detroit kennt fast jeder jemanden, der jemanden kennt, der in einem der WTC-Zwillingstürme arbeitet, aber zum Zeitpunkt des Anschlages gerade einen Arzttermin hatte, sein Kind zum Kindergarten brachte oder noch in der U-Bahn steckte. Oder jemanden, der jetzt vermisst wird. Klar, das Leben musste weitergehen. Auf der Menütafel der Hühnerbraterkette stand: POPCORN CHICKEN GOD BLESS AMERICA. […]

(Erschienen im September 2001 im Schwäbischen Tagblatt, leicht gekürzt.)

Monday, August 28, 2006

Michigan State Fair

Schon einmal gesehen, wie eine Kuh kalbt? Oder wie 15 rosige Ferkel die Zitzen einer Muttersau traktieren? Wenn Detroiter Landluft schnuppern wollen, brauchen sie derzeit nur auf der Woodward Avenue bis zur Stadtgrenze zu fahren – bis zum Fairground an der Ecke von Eight Mile Road. Dort hat noch bis zum 4. September der Michigan State Fair seine Tore geöffnet. Und der Besucher erhält die Gelegenheit, einmal mitten in der Stadt zu besichtigen, woran er sonst nur auf der Country Road vorbeifährt.

Ein State Fair – gleiches gilt für den County Fair, die regionale Variante – ist eine Mischung aus Jahrmarkt, Rummel, Gewerbeschau und Landwirtschaftsausstellung. Es ist die Kirmes der Amerikaner, Karussell und Zuckerwatte inklusive. Das bunte Jahrmarktstreiben hat Tradition: DerImbissbuden auf dem Michigan State Fair in Detroit © Cornelia Schaible Michigan State Fair, der älteste seiner Art im Lande, hatte 1849 Premiere; seit 1905 ist er immer am selben Standort in Detroit. Das Grundstück hatte die Michigan Agricultural Society damals angeblich für einen Dollar erworben.

Heute kostet schon der Eintritt 9 Dollar für Erwachsene, was indessen nicht übertrieben viel erscheint: Dafür wird schließlich allerhand geboten. Und gerade der aus Europa stammende Besucher erhält ein Stück weit Einblick in ein ländliches und volkstümliches Amerika, das er sonst kaum je zu Gesicht bekäme – jedenfalls nicht in den Suburbs. Wo sonst hat man Gelegenheit, einem Ziegenmelkwettbewerb der Landjugend beizuwohnen? Der landwirtschaftliche Teil des State Fairs ist überhaupt der spannendste – die Dreh- und Fahrgeschäfte sind weniger der Hit. Ein Riesenrad steht in jedem Vergnügungspark, und für rasantere Rüttel- und Schüttelmaschinen fährt man besser nach Cedar Point. Auch die Verkäufer von Super-Schrubbern oder Wunder-Töpfen, in denen Gemüse ganz ohne Wasser gar wird und trotzdem nicht anbrennt, sehen ihren Kollegen anderswo zum Verwechseln ähnlich.

Was den Besuch des Michigan State Fairs wirklich lohnt, ist „The Miracle of Life Exhibit“. Sowas gibt’s nur in Amerika: staunende Kinder, die zusehen, wie eine Kuh in die Wehen kommt. Die Geburt wird sogar per Video aufgezeichnet. Und das Kalb, das ziemlich lange braucht, bis es endlich auf eigenen Beinen stehen kann, wird von einer vielstimmigen Besucherschar angefeuert: „Come on, Baby!“ Kalbende Kühe, ferkelnde Säue – zumindest die Frage: „Wo kommen denn die kleinen Kühe her?“ ist damit ein für alle Mal beantwortet. Aufklärung auf die tierische Art. Ach ja, es gibt auch schlüpfende Hühner und Truthähne. Und winzige Wachtelküken.

Das ist aber noch nicht alles. Die Haustiere, die der Durchschnittsamerikaner sonst allenfalls in Stücken und unter Plastikfolie im Supermarkt zu sehen bekommt, sind bei der landwirtschaftlichen Ausstellung des „Michigan State Fair“ leibhaftig zu bewundern: Schafe im Frisierumhang, die noch auf den Schönheitswettbewerb warten. Grunzende Ringelschwanzträger, die es offensichtlich mögen, wenn man ihnen den Schweinenacken krault. Und dann gibt's noch die Tiere, die nicht auf dem Speisezettel der Amerikaner stehen und gerade deswegen in ihrer Existenz gefährdet sind – all die schönen Pferde! Erstaunlicherweise besteht in den USA trotzdem ein großes Reservoir an Kaltblutrassen, die in Europa schon fast untergegangen sind. Wie die ursprünglich aus der Normandie stammenden Percheron, die als Zugpferde eingesetzt werden – ein Percheron-Gespann ist einfach eine Schau. Die Tiere sind riesig: Mit den Vorfahren der Percheron zogen die alten Ritter in den Kampf. In Frankreich werden die massigen Pferde heute hauptsächlich zur Fleischproduktion gezüchtet.

Gleich neben der Halle, in der die schönsten Pferdegespanne gekürt werden, steht der Kuhstall. Dort wird Milch mit Schokogeschmack ausgeschenkt. Hey, wir sind in Amerika! Da sind die Kühe zwar nicht lila, sondern nur langweilig braun oder schwarz-weiß – dafür geben sie offenbar Schokolademilch. Damit sich die State-Fair-Besucher ein wenig stärken können. Von der Verpflegung an einer Imbissbude mit Corndogs oder Elephant Ears ist eher abzuraten – der Gestank von Altöl aus der Fritteuse überzieht den ganzen Platz. Wer für sich und seine Lieben keine gastrische Krisen riskieren möchte, verzichtet besser darauf.

Friday, August 18, 2006

Say Ya to Da Yoopers (2)

Auf der Oberen Halbinsel von Michigan, üblicherweise kurz U.P. genannt, gilt der Bär als Sympathieträger. Sonst würde nicht so häufig mit ihm geworben. Auch vor dem „Rainbow Lodging Motel“ in Silver City steht einer – ein eher zahmes Exemplar aus Holz, leicht verwittert, das die Autofahrer mit der linken Tatze grüßt. Ein Schild lädt dazu ein, kurz hereinzuschauen und ein Zimmer in Augenschein zu nehmen. Das Motel wirbt zwar mit einem Privatstrand am Lake Superior, aber die meisten Gäste dürften eher Wandern als Baden im Sinn haben: Zum Porcupine Mountains Wilderness State Park ist es von hier aus nur noch ein Katzensprung. Und dort, so steht in den Reiseführern, leben besonders viele Bären.

Der in den Waldgebieten Nordamerikas beheimatete Schwarzbär (Ursus americanus) gilt als scheu; wenn er einen Menschen sehe, ergreife der Bär üblicherweise die Flucht, steht in einem Informationsblatt der Porcupine Mountains. Möglicherweise fürchtet sich aber nicht nur das Tier. „Sie sollten darauf gefasst sein, Bären zu treffen“, warnt die Frau an der Rezeption des „Rainbow“-Motels. „Auch hier im Dorf.“ Die Bildschirmtapete ihres Computers zeigt eine Bärenmutter mit drei Jungen. Das Foto sei nicht im Park entstanden, erklärt sie, sondern hinter dem Café gleich nebenan: „Die füttern die Bären.“

Das ist nun genau das, was die Ranger im nahen Naturpark unbedingt verhindern wollen. Denn: „Lernen die Bären erst, Futter mit Menschen in Verbindung zu bringen, können sie gefährlich werden.“ Ihre natürliche Scheu gehe dann verloren. In den Porcupine Mountains wird diese Regel offenbar befolgt – Bären und die Wanderer scheinen gut miteinander auszukommen. Zumindest halten die Bären respektvollen Abstand: Sie überqueren die Straße zum Parkeingang angeblich immer einige Meter vom Kassenhäuschen entfernt. Wir verlassen den Park allerdings, ohne Bären gesehen zu haben. Das Panorama mit dem Lake of the Clouds, der den Titel vieler Wanderführer schmückt, war die Reise allein schon wert. Petze gibt’s auch anderswo: zum Beispiel im nächsten Dorf.

Wenn man einen schönen Sommerabend in Silver City verbringt und nach dem Dinner noch Lust auf etwas Süßes bekommt, wird man zwangsläufig beim „End of the Rainbow Café“ landen. Und dort, gleich hinter der am Waldrand gelegenen Imbissbude – nein, das ist kein Hund. Das schwarze Tier, das dort sitzt und frisst, ist um einiges größer. Es ist ein ausgewachsener Bär, der an irgendetwas nagt, vermutlich an einem Hühnerbein. Nach kurzer Zeit kommt noch ein weiterer Bär aus dem Wald, offenbar ebenfalls auf der Suche nach einem Snack, den er anschließend geduldig vom Boden klaubt. „Wir füttern ihnen Reste und Sonnenblumenkerne“, steht auf einem Blatt, das neben der Selbstbedienungstheke des winzigen Cafés mit der Aufschrift „RESTARAUNT“ hängt. Die Spezialität des Hauses: frittiertes Huhn. Und zum Nachtisch gibt’s Eis. Wir nehmen Kirscheis, mit dicken schwarzen Michigan-Kirschen drin.

Damit sich Gäste und Bären nicht in die Quere kommen, hat der Besitzer zwischen dem Parkplatz und der Waldwiese hinter dem Café, wo sich die Bären tummeln, einen starken Maschendrahtzaun aufgestellt. Denn ganz Abend über kommen Eltern mit ihren Kindern, die dann eine Weile eisschleckend am Zaun stehen, bevor sie wieder davonfahren. Die Bären nehmen kaum Notiz.

Bären zu füttern mag zwar nicht im Sinne der Naturschützer sein. Aber es ist auf jeden Fall gut fürs Geschäft.

Friday, August 11, 2006

Als Grönland noch weiß war

Nach der morgendlichen Online-Lektüre verschiedener Zeitungen, die meinen Kenntnisstand über Flüssig-Sprengstoffe erheblich erweiterte, dachte ich über die Folgen des jüngsten Terrorplots für künftige Flugreisen nach. Ich meine – das Verbot von Kontaktlinsenflüssigkeit im Handgepäck trifft mich wirklich hart. Üblicherweise nehme ich die Linsen erst im Flugzeug heraus, um keine roten Kaninchenaugen zu bekommen. Künftig müsste ich mit der ungewohnten BrilleGrönland - schon im April mehr braun als weiß © Cornelia Schaible schon durch die Kontrolle stolpern. Auch das noch.

Und dann überlegte ich mir, wie das war, als ich zum letzten Mal entspannt geflogen bin – mit der praktischen kleinen Nagelschere im Necessaire. Im Handgepäck, versteht sich. Der Lufthansa-Flug nach Detroit ging von Frankfurt aus, und zwischen den Anschlüssen war noch jede Menge Zeit zum Shoppen. Zu meiner Überraschung hatten sie mich in die Business-Class gesetzt, und ich machte mir ein paar Notizen. Nur schade, dass die Flugroute weit südlich von Grönland lag. Ein Jahr zuvor hatte ich Grönland vom Flieger aus gesehen; die Insel sah so unschuldig weiß aus wie auf der Karte in meinem Schulatlas. Man konnte sogar Gletscher erkennen. Diesmal musste ich mich mit Beobachtungen zum Menü begnügen:

Ich hatte die Ravioli mit feiner Füllung und getrockneten Tomaten-Streifen in Morchelsauce gewählt. Gar nicht schlecht. So winzige Mörchelchen, wie sich in meinem Teller fanden, hatte ich allerdings noch nie gesehen. Wahrscheinlich waren sie in der Mikrowelle eingegangen. Über den Sinn und Unsinn von Feinschmecker-Mahlzeiten im Flieger ließe sich ohnehin trefflich streiten. Das Kleinkind zur Rechten aß ebenfalls Ravioli und guckte dabei „Shrek“. Es wollte gerade eine Nudel aufspießen, als eine besonders spannende Szene über den Videobildschirm neben seinem Platz flimmerte – die Gabel blieb auf halber Höhe über dem Teller stehen.

Eigentlich hatte ich vor, aus diesen feinsinnigen Bemerkungen eine nette kleine Glosse zu basteln. Aber dann kamen wichtigere Ereignisse dazwischen. Die Zeitungen druckten auch eine ganze Weile keine Glossen mehr. Mein letzter entspannter Flug war am 9. September 2001.

Heutzutage fliege ich Northwest Airlines, und bei dieser Fluggesellschaft hilft – zumindest bei domestic flights – nicht einmal ein upgrade, es gibt sowieso nur Nüsschen. Man muss schon froh sein, wenn das aufs Gründlichste durchsuchte Gepäck gleichzeitig mit einem ankommt. Vor jedem Flug fragt man sich: Was ziehe ich bloß an? Die oberen Schichten müssen schnell abzulegen sein. Keine Metallreißverschlüsse! Selbst Grönland ist nicht mehr das, was es einmal war: Beim Heimflug vom Deutschlandbesuch über Ostern gab es wieder einmal freie Sicht auf Grönland. Diesmal erstrahlte die Insel aber nicht in reinem Weiß, sondern hatte braune Ränder. Die Küsten waren völlig aper. Tauwetter auf Grönland im April?

Natürlich weiß ich, dass sich die globale Erwärmung nicht per Ferndiagnose an Grönlands Südspitze festmachen lässt – vielleicht hatte es einfach lange nicht geschneit. Aber es passt. Keine Ahnung, ob man vom Flieger aus erkennen kann, dass auch das Inlandeis schmilzt. Jedenfalls schmilzt es. Und zwar erheblich schneller, als man bisher dachte. Auch das las ich heute Morgen, und zwar in einem Artikel in der "San Francisco Chronicle", der sich auf eine aktuelle Publikation von Wissenschaftlern der University of Texas bezog. Womöglich war das die Nachricht des heutigen Tages, die einem am meisten Angst einflößen müsste. Noch mehr als der Einfallsreichtum islamistischer Terroristen oder die Nahostkrise. „An Inconvenient Truth“ nennt das Al Gore. Woher er in seinem Film den Optimismus nimmt, der Klimawandel sei noch zu stoppen, ist mir ein Rätsel. Politiker haben andere Prioritäten – wer will es ihnen derzeit verdenken.

Wednesday, August 9, 2006

Say Ya to Da Yoopers (1)

Auf einem Satellitenbild ist der Bundesstaat Michigan ebenso einfach zu erkennen wie auf der USA-Karte, die über meinem Schreibtisch hängt – das sind die beiden Landzungen, die von den drei größten der Großen Seen eingefasst werden. Jeder Michigander ist mächtig stolz darauf, dass sein Heimatstaat die längste Küstenlinie nach Alaska hat. Vielleicht hätte man genauer nachmessen sollen, dann wäre sie noch länger.

Die besondere geografische Lage bringt auch sonst allerhand Merkwürdigkeiten mit sich: Die Upper Peninsula von Michigan grenzt an Wisconsin, die Lower Peninsula an Indiana und Ohio. Untereinander sind dieDie Mackinac Bridge verbindet die beiden Halbinseln von Michigan © Cornelia Schaible Obere und Untere Halbinsel nur durch eine Brücke verbunden, die Mackinac Bridge. Damit ist über das Verhältnis der jeweiligen Bewohner schon alles gesagt. Erschwerend hinzu kommt: Wer von unten nach oben will oder umgekehrt, muss Brückenzoll entrichten. Wenn man geschickt misst, nämlich zwischen den beiden Verankerungspunkten, ist Mighty Mac übrigens die drittlängste Hängebrücke der Welt.

Von knapp 10 Millionen Michigandern wohnen gerade mal etwas mehr als 300.000 auf der Upper Peninsula. Im Sommer bevölkern zusätzlich ein paar Urlauber die U.P., plus eine unbekannte Anzahl Moskitos. Vielleicht liegt es an den letzteren, dass sich der Touristen-Ansturm trotz großartiger Landschaftsbilder – Prädikat „wildromantisch“ – ziemlich in Grenzen hält. Aufgegebene Motels gehören zum Landschaftsbild. In vielen Gegenden riskiert der Reisende eher, einem Bär zu begegnen als einem anderen Touristen. Nach den Ferien sind die Yoopers, wie sich die Bewohner der U.P. nennen, ohnehin wieder weitgehend unter sich. Sie sind auch zweifellos ein bisschen eigen. „Jetzt leben wir schon seit mehr als 30 Jahren hier oben – und gelten noch immer noch als Flatlander“, sagt Pat Long, die gemeinsam mit ihrem Mann Bob das „Downtowner Motel“ in Houghton betreibt.

Im Gegensatz zur Lower Peninsula, die höchstens ein paar sandige Hügel aufweisen kann, gibt es auf der U.P. schroffe Felsen und Geländerücken, die im Westen sogar an Berge erinnern – das sind die Porcupine Mountains, kurz „Porkies“ genannt. Wer dort wandern will, muss die U.P. allerdings sehr mögen. Laut Mapquest beträgt die reine Fahrzeit von Detroit nach Ontonagon am Rand des Naturparks 9 Stunden und 35 Minuten.

Say ya to da U.P., eh!

Friday, July 14, 2006

Taken for a Ride

Dr. Z trägt einen Walross-Schnauzbart, spricht Englisch mit ziemlich drolligem Akzent und ist so ungefähr der netteste Deutsche, den man sich hier in Detroit vorstellen kann. Eigentlich heißt er ja Dieter Zetsche, was aber sowieso niemand richtig aussprechen kann. Bis vor ein paar Monaten war Dr. Z noch CEO von Chrysler. An dem Tag, als er Vorstandschef von DaimlerChrysler wurde, knallten im HeadquarterDas Nordamerika-Headquarter von DaimlerChrysler in Auburn Hills © Cornelia Schaible in Auburn Hills - das ist bei mir gleich um die Ecke - die Sektkorken. Morgens um acht. "Und so etwas ist bei DaimlerChrysler eigentlich nicht üblich", sagte mir ein leitender Ingenieur, ein Deutscher.

Als Dr. Z nach Deutschland ging, um fortan den Konzern an die Kandare zu nehmen, waren die Detroiter richtig traurig. Aber jetzt ist Dr. Z auf einmal wieder präsent - jedenfalls optisch. Ganz weg war er nie, schließlich lebt seine Familie noch in einer Detroiter Vorstadt. Das ist kein Problem, DCX hat praktisch einen eigenen Flughafen hier in Oakland County. Dr. Z muss sich nicht durch Kontrollen am Metro-Airport quälen. Anyway, seit ein paar Tagen prangt jedenfalls ein riesiges Konterfei von Dieter am Chrysler-Turm und erschreckt die Autofahrer auf der I-75. "AskDrZ.com" steht da noch. Und dann schaltet man abends den Fernseher ein, und da ist er schon wieder! In einem Werbespot. Auf www.AskDrZ.com, wo Zetsche als sein eigener Avatar auftritt, kann man sich den Spot ebenfalls ansehen. Das Ganze ist eine höchst originelle Werbekampagne - und eine recht hintersinnige dazu.

"Welchen Nutzen hatte eigentlich die Fusion zwischen DaimlerBenz und Chrysler?" fragt ein eifriger Journalist zu Beginn des TV-Spots. "Steig' ein" sagt Dr. Z nur knapp und nimmt den jungen Mann mit auf eine Spritztour, die sich als wahre Höllenfahrt entpuppt. Der Schreiberling, der zunächst eifrig in seinen Block kritzelt, wird dabei immer blasser um die Nase. Dr. Z bleibt ungerührt und quasselt unentwegt. Dahinter steckt nun allerdings mehr, als dass sich Dieter Zetsche selbst auf die Schippe nimmt, wie Marc Pitzke heute auf "Spiegel Online" schreibt. "Dr. Z wirbt mit deutschem Akzent" - das ist lustig, ganz klar. Aber bei aller Selbstironie, mit diesem Filmchen verspottet Zetsche eher die Medien. Es ist eine späte Rache. Und Rache ist süß.

Es ist ja nicht so, dass alle spontan begeistert waren, als Zetsche im Jahr 2000 das Ruder in Auburn Hills übernahm. Die Zeitungen schrieben damals böse Dinge über die Deutschen, die sich Chrysler gekrallt hatten. Und was die Leute so über den angeblichen "Merger of Equals" redeten, "die Fusion unter Gleichen", ist auch nicht unbedingt zitierfähig. Vor allem den einstigen Vorstandsvorsitzenden Jürgen Schrempp, hier zu Lande "Mr. Shrimp" genannt, hatte man in Detroit gefressen. Und dann kam 2000 auch noch dieses Buch über die Hintergründe des Mergers heraus, verfasst von zwei "Detroit News"-Journalisten: "Taken for a Ride. How Daimler-Benz drove off with Chrysler", von Bill Vlasic und Bradley A. Stertz.

"Taken for a Ride" ist ein Wortspiel, das ins Deutsche übertragen nicht funktioniert - kurz und bündig bedeutet es: verarscht. Oder verschaukelt. So mag sich Dieter Zetsche in seinen Anfängen hier in Motor City auch ein wenig vorgekommen sein: Taken for a Ride. Aber zur Überraschung vieler schaffte es der schnauzbärtige Deutsche nicht nur, den Laden bei Chrysler wieder auf Vordermann zu bringen, sondern auch die Belegschaft für sich einzunehmen. Dass die Fusion letztendlich funktionierte, ist vor allem Zetsches Verdienst, sagt man in Detroit. Außerdem sorgte er auf der Autoshow dafür, dass bei der Chrysler-Präsentation wirklich Showtime war, und anschließend zapfte er Bier in der Feuerwache. Zetsche machte sich immer für eine Wiederbelebung von Downtown Detroit stark. Außerdem ist er ein Pistons-Fan. Und er setzte er sich dafür ein, dass die US-Nationalhymne immer schön gesungen wird. Ehrlich.

Nur die Sache mit dem "Taken for a Ride", das wurmt ihn wohl immer noch ein bisschen. Diese Journalisten. Was die alles wissen wollen. "Are you really a doctor?" fragt der Kerl, dem er auf der kurzen Autofahrt das Fürchten lehrt, mit banger Stimme. Da fährt Dr. Z den Karren an die Wand. Im Wortsinne, nicht bildlich. Bumm. "Noch Fragen?"

Nice ride, Dr. Z.

Wednesday, July 12, 2006

Ann Arbor gegoogelt

„Die Leute in Ann Arbor sind ganz aufgeregt", sagte mir John Hieftje heute Morgen am Telefon. Hieftje ist der Bürgermeister der Universitätsstadt im Süden von Metro Detroit, die das größte College-Football-Stadium der Welt ihr eigen nennt. Logo, dass jeder Amerikaner das Emblem der Uni kennt: Ein gelbes "M" auf blauem Grund. Go Blue! Das sagt sich jetzt auch Google - das kalifornische Unternehmen schafft in Ann Arbor 1000 Arbeitsplätze, wie gestern bekannt wurde. Und Mayor Hieftje freut sich: „Das ist genau der Typ von Unternehmen, der hierher passt!"

Nun liegt Ann Arbor im Bundesstaat Michigan, der in jüngster Zeit eher mit seiner krisengeschüttelten Autoindustrie Schlagzeilen machte als mit der Ansiedlung von Hightech-Unternehmen. Im April betrug die Arbeitslosenquote noch 7,2 Prozent und lag damit deutlich über dem US-Durchschnitt. Zwar sank die Quote im Mai um gut einen Prozentpunkt, gleichzeitig hatte aber auch die Zahl der Personen, die dem Arbeitsmarkt in Michigan zur Verfügung stehen, überraschend abgenommen.

Eine mögliche Erklärung: Immer mehr Menschen ziehen in den Süden der USA, wo die japanischen Autofirmen ihre Fabriken bauen. Die Gewerkschaften haben dort praktisch keinen Einfluss. In Michigan, wo die meisten Autoarbeiter gewerkschaftlich organisiert sind, errichten die Japaner allenfalls Forschungszentren – am liebsten in der Nähe der „University of Michigan". Toyota plant gerade ein neues Technologiezentrum in der Nähe von Ann Arbor, und Hyundai forscht ebenfalls in der Unistadt.

Offenbar schätzt auch Google die Nähe zur renommierten Universität. Derzeit beschäftigt das Internet-Unternehmen mit Hauptsitz im kalifornischen Mountain View 5680 Mitarbeiter. Für die 1000 neuen Jobs, die der Suchmaschinenbetreiber innerhalb der nächsten fünf Jahre nach Ann Arbor bringen will, sollen Presseberichten zufolge heimische Fachkräfte angeheuert werden – ein Studium ist Voraussetzung. Die Stellenausschreibung hat bereits begonnen. "Michigan has been Googled!" sagte Gouverneurin Jennifer Granholm gestern bei der Pressekonferenz. Oder viel mehr Ann Arbor.

Aus Ann Arbor kommt künftig die spezielle Internetwerbung, mit der Google Geld verdient: die so genannten AdWords. Das sind die nervigen Textanzeigen, die bei Eingabe eines Suchwortes gleich neben den Ergebnissen in einer Spalte eingeblendet werden. Zur Entscheidung, das Hauptquartier für Werbung in Ann Arbor anzusiedeln, hat sicher auch beigetragen, dass der Google-Mitbegründer und heutige Produktchef Larry Page ein Absolvent der „U of M" ist. Page, 33, stammt ursprünglich aus East Lansing, ebenfalls Sitz einer Universität. An Uni-Absolventen gibt es in Michigan wahrlich keinen Mangel, allerdings wandern die meisten nach dem Examen ab.

In Michigan hofft man nun natürlich, dass Google eine Vorreiterrolle spielt und sich im Bundesstaat weitere Hightech-Unternehmen und Forschungseinrichtungen ansiedeln, als Ersatz für die verlorenen Arbeitsplätze in der Autoindustrie. Washtenaw County, zu dem Ann Arbor gehört, hat den Wechsel schon vollzogen – der Landkreis im Süden der Autometropole Detroit verzeichnet eine Arbeitslosenquote von gerade mal 4 Prozent. Ein neues Silicon Valley ist Ann Arbor damit aber noch nicht: Google ist das erste große Unternehmen aus dem Bereich der Informationstechnologie in Washtenaw County; ein paar kleinere Firmen sind schon länger hier ansässig. Mayor Hieftje hofft aber, dass weitere nachziehen: „Es kann nicht schaden, noch ein paar Jobs mehr zu kriegen!"

Das Lokalblatt „The Ann Arbor News" stellte heute schon die Frage, wo die Beschäftigten bloß alle parken sollen. Vielleicht gibt Google ja den Anstoß, den Nahverkehr weiter auszubauen. Das ist auch so ein Traum des Bürgermeisters.

Monday, July 3, 2006

Schrumpfkapitol, geschlossen

Am Samstag besuchten wir Lansing, die Hauptstadt von Michigan. Wir wollten das State Capitol besichtigen, wäre ja nett gewesen so kurz vor dem Independence Day. Nicht zuletzt deswegen, weil für die 1879 fertig gestellte Michigan-Regionalausgabe tatsächlich das US-Kapitol in Washington als Modell diente. Was da in der Mitte von Lansing steht, ist natürlich schon eher ein Schrumpfkapitol. Das wäre indessen nicht schlimm, wenn Lansing in irgendeiner Hinsicht an eine Hauptstadt erinnern würde. Bei 115.000 Einwohnern - in Greater Lansing leben sogar über 450.000 - müsste das durchaus drin sein. Die Stadt am Grand River ist nun allerdings der ödeste Ort zwischen Lake Michigan und Lake Huron, den ich bislang kennengelernt habe.

In der Markthalle verloren sich eine Handvoll Farmer aus dem Umland, die kleine Schälchen mit heimischen Erdbeeren und die ersten grünen Tomaten feilboten. Ein paar Radler benutzten den Weg am Fluss, und an der im Reiseführer erwähnten Fischtreppe stand ein Angler. Irgendwo saß ein Schwarzer mit einem Ghettoblaster, aus dem merkwürdigerweise R'n'B-Musik drang. Aber der Mann war auch nicht mehr der Jüngste. Sonst war die Innenstadt menschenleer, die Gegend um das Kapitol wie ausgestorben. Die große Eingangstreppe war abgesperrt, wegen in Bälde zu erwartender Bauarbeiten. Der Besucher wurde zum Eingang unter der Treppe umgeleitet. Dort gab es eine Glastür, hinter der ein kleines Pappschild hing. Das Kapitol sei samstags neuerdings leider geschlossen, war darauf zu lesen, "due to budgetary restrictions". Und dann stand da noch: "Please come again!"

Michigan ist ein armer Staat. Michigan muss sparen. Und daran wird auch der Charme von Gouverneurin Jennifer Granholm nichts ändern. Auch wenn es wahrscheinlich nur an der Sommerpause der Staatsregierung liegt, dass Lansing so verlassen wirkt - es passt. Es ist die Hauptstadt eines Bundesstaates, der unablässig Einwohner verliert. Viele der GM-Arbeiter, die jetzt den krisengeplagten Autokonzern mit einer Abfindung verlassen - in Michigan sind es laut "Detroit Free Press" rund 13500 - werden dem Staat den Rücken kehren und irgendwo im Süden anheuern. Dort, wo die japanischen Autokonzerne ihre Fabriken bauen.

Allein in Lansing haben 3400 Mitarbeiter von GM die Abfindungs- und Vorruhestandsangebote angenommen. Damit verlieren sie nicht nur ihre Krankenversicherung, sondern auch ihre Pension - sie werden ihr Glück woanders suchen. Der Letzte macht dann das Licht aus. Im Kapitol war's schon dunkel.

Wednesday, June 21, 2006

Kleine Geschenke

Der Sommer kam mit einem ordentlichen Donnerwetter. Und weil das irgendwie beim Arbeiten störte, verbrachte ich den Nachmittag in der Mall beim Sale. Als ich so viele Klamotten gesehen hatte, dass ich an Kleidervergiftung litt, genehmigte ich mir zur Erfrischung einen Bananenshake bei "Starbucks" - auf Kosten meiner Schüler. An Montagnachmittagen unterrichte ich nämlich deutsche Literatur und gebe mich gelegentlich der Fantasie hin, ich hätte doch Deutschlehrerin werden sollen. Na ja, das hält immer so lange, bis ich wieder einmal ins Lehrerzimmer zum Kopieren muss...

Jedenfalls erhielt ich in der letzten Deutschstunde vor den Ferien zu meiner großen Überraschung eine Geschenktüte, überreicht von zwei meiner besten Schülerinnen. In der Tüte befand sich eine Duftkerze mit "Pear Blossom"-Aroma. Ich hasse Duftkerzen. Wahrscheinlich war das die Rache für die Grass-Lektüre, "Katz und Maus", die irgendwie keiner goutierte. Am Boden der Tüte - das entdeckte ich aber erst zu Hause - fand sich auch noch eine Giftcard. Und auf der waren immerhin 10 Dollar, wie sich heute herausstellte - die haben sich ja richtig in Unkosten gestürzt! Dann kann alles nicht so schlimm gewesen sein.

Hey, that's America! Sogar die Lehrerschaft wird am Ende des Schuljahrs mit einer Giftcard bedacht. Kleine Geschenke erhalten gute Noten. Über das Phänomen der ubiquitären Geschenkkarte hatte ich schon früher geschrieben - an mir persönlich ging der Trend zum "Kartengruß mit Einlage" bisher allerdings vorbei. Dafür kann ich jetzt mit einer Giftcard bei "Starbucks" bezahlen. Zwei Latte sind noch locker drin. Mal sehen, ob mich das im nächsten Schuljahr milder stimmt.

Mehr zum Thema: Kartengruß mit Einlage

Tuesday, June 13, 2006

Summer, Michigan Style

In Michigan ist Sommer, wenn es Blizzards nur noch bei "Dairy Queen" gibt. Ein DQ Blizzard, das ist Eiscreme mit zerkrümelten Keksen oder zermatschten Schokoriegeln drin, und zwar im Aggregatszustand nach einer Runde im Mixer. Das sieht längst nicht so schlimm aus wie es sich anhört. Und es schmeckt so richtig schön amerikanisch. Strawberry Cheese Quake Blizzard etwa kann ich nur empfehlen, ersetzt eine komplette Mahlzeit. An den ersten sommerlich warmenStrand am Lake Huron in der Nähe von Port Austin, Michigan © Cornelia Schaible Tagen zieht sich dann die Schlange leicht einmal um die Eisbude. Klar, man muss sich ranhalten. Im Winter macht die Eiscreme-Kette ihre Läden in Michigan dicht, nur die Filialen in wohl temperierten Malls bleiben offen.

In diesem Jahr fiel der erste Hochsommertag auf jenen Donnerstag, an dem in Deutschland Himmelfahrt im Kalender stand. In Amerika gibt es diesen Feiertag zwar nicht, aber die Hitze hielt bis zum Wochenende, und es traf niemanden unvorbereitet. Sommer beschlossen! Auch wenn offiziell noch Mai war. Ich muss gestehen, für uns kam das etwas plötzlich. Sonntags standen wir an einem Strand von Port Austin, also am "Daumen" der fäustlingsförmigen unteren Halbinsel von Michigan, und betrachteten einigermaßen fassungslos das Gewimmel. Der Strand sah aus wie im Bilderbuch "Wo ist Walter?". Dabei musste der Lake Huron noch eiskalt sein. Als wir zuletzt in Port Austin waren, das war Ende März, türmten sich am Strand die Eisschollen.

Für Deutsche ist das jahreszeitliche Kontrastprogramm anfangs gewöhnungsbedürftig. "Weißt du, in Michigan gibt es eigentlich nur drei Jahreszeiten", erklärte kürzlich eine erfahrene Expat-Frau einer neu Angekommenen. Stimmt. Sechs Monate Winter, drei Monate Sommer - wenn man Glück hat! - und drei Monate Herbst. Der Frühling fällt meistens aus. Man muss sich das einmal vorstellen: Die komplette Infrastruktur der Badeorte am Lake Michigan wird für gerade mal drei, vier Monate in Schuss gehalten - die September sind manchmal noch recht mild. Aber dann geht der Michigander schon bald nicht mehr baden, sondern jagen. Und bei "Dairy Queen" servieren sie noch eine Weile Pumpkin Blizzard, bevor sie das Schild aufhängen: "Thank you for a great season!"

Folglich gilt es, keine Zeit zu verlieren. Auch wenn der Sommer kurzfristig etwas schwächelt. Am Samstagabend wanderten wir zum Leuchtturm von Big Sable Point bei Ludington am Lake Michigan, und der Rückweg führte über den dortigen Campingplatz. Ein riesiger Vollmond war aufgegangen, dann aber hinter Wolken verschwunden. Es war sehr, sehr frisch. Die Camper saßen jedoch frohgemut in kurzen Hosen ums Lagerfeuer und froren heroisch. Im Unterholz stand ein Reh und machte große Augen. Es bewegte sich auch nicht von der Stelle, als wir näher kamen. Endlich mal was los hier. In Winter gibt's an Michigans Stränden nur Schnee. Und Eis. Viel Eis.

Friday, May 19, 2006

Der Schokoladenflieger

Gail Halvorsen hat Humor. Sonst wäre er einst wohl kaum auf die Idee gekommen, aus Taschentüchern und Bindfäden Fallschirmchen zu fabrizieren und daran Schokoladetafeln aufzuhängen. Es brauchte mehr als Mut, um diese süße Fracht dann bei der Berliner Luftbrücke über der von Russen eingeschlossenen Stadt abzuwerfen - eine ordentliche Portion jugendlicher Übermut und Leichtsinn gehörte zweifellos auch dazu. So wurde aus dem Piloten der US-Luftwaffe der "Candy Bomber" und eine Figur der Zeitgeschichte.

Das breite Lachen, das auf den Schwarzweißfotos von damals auffällt, hat sich Colonel Halvorsen bis heute bewahrt. Auch das Fliegen hat der 85-Jährige nicht aufgegeben. Einer der Rosinenbomber, eine C-54, wird heutezutage als Museumsflugzeug bestaunt. Der Schokoladenflieger selbst wirkt ganz und gar nicht antiquiert. Man kann mit ihm sogar über E-MailGail Halvorsen, der Candy Bomber © Cornelia Schaible
korrespondieren - ich habe weitaus jüngere Bekannte, die sich nicht mehr mit dem Internet anfreunden wollen. Als ich Halvorsen beim Deutschlehrer-Stammtisch in der Detroiter "Dakota Inn" kennenlernte, scherzte er über sein Alter: "Meine Frau und ich sind zusammen 167 Jahre alt", sagt er, "und ich bin derjenige, der über 100 ist."

Das ist natürlich charmant, vor allem wenn man bedenkt, dass er mit seiner Jugendliebe verheiratet ist. Lorraine Pace Mitchell war seine feste Freundin zu Schulzeiten - "his Bear River High School steady of 1939", steht in Halvorsens offizieller Kurz-Biografie. "Sie war ein Cowgirl", erklärte der Colonel beim Stammtisch, "und das gefiel mir." Aber dann kamen Hitler und der Krieg dazwischen. "Then she met someone with more hair", sagt Halvorsen und lacht.

Halvorsen heiratete erst, als er in Deutschland schon eine Berühmtheit war - im April 1949 gab der Schokoladepilot Alta Jolley aus Zion National Park das Ja-Wort. Den Heiratsantrag hatte er ihr mit einem Fallschirmchen gemacht - der Ring war daran aufgehängt. Aber flugtüchtig war das Verlobungsgeschenk offenbar nicht, denn er musste es von Hand übergeben. Davon existiert ein Foto: Beide scheinen sich dabei köstlich zu amüsieren. "Alta is responsible for most of the good things that ever happened to him", steht in seiner Biografie. Sie starb kurz vor dem 50-jährigen Ehejubiläum.

Und Lorraine? Sie war schon seit Jahren verwitwet, als sie ihren alten Schwarm im Fernsehen wiedersah. Darauf nahm sie Kontakt zu ihm auf - "and we started dating again", erzählte Halvorsen. Vor sechs Jahren heirateten die beiden. Im Sommer leben sie auf einer Farm in Utah, und die Wintermonate verbringen sie im sonnigen Arizona. "Wir wandern viel", sagt Gail Halvorsen, den die Freunde "Hal" nennen. Auch die Leidenschaft für Pferde verbindet Gail und Lorraine - auf der Visitenkarte des Candy Bombers ist nicht etwa eine C-54 abgebildet, sondern ein stilisierter Reiter. "Wenn Gott wollte, dass wir überall hin zu Fuß gehen", so Halvorsen mit einem Augenzwinkern, "warum hätte er uns dann Pferde gegeben?"

Mehr über den Candy Bomber gibt's auf "Wirtschaftswetter": Der süße Geschmack der Freiheit

Wednesday, May 17, 2006

Lauch ohne Hauch

Reist jemand in nächster Zeit nach Deutschland? Ja? Nur zu, das lässt sich jetzt wieder gefahrlos tun. Die Bärlauch-Saison dürfte inzwischen vorüber sein. Mitte April, als mein Mann und ich auf Heimatbesuch waren, hatte das berüchtigte Kraut hingegen Hochkonjunktur. „Sie reisen zu früh ab“, rief der Wirt des Gasthofs „Adler“ in Blaubeuren aus der Küche, als wir unsere Koffer an der Rezeption vorbeirollten. „Am Samstag machen wir Maultaschen mit Bärlauch!“

Na, das hätte gerade noch gefehlt. Bekanntlich scheiden sich schon die Geister bei der Frage, ob Spinat in die Maultaschenfüllung gehört – meine Mutter beispielsweise würde darauf mit einem entschiedenen „Nein!“ antworten. Der Blaubeurener „Adler“-Wirt wiederum hält Maultaschen ohne Spinat nicht einmal für diskussionswürdig, wie er mir mit Nachdruck versicherte. Das ist in Ordnung, der Mann versteht sein Handwerk. Seine Schwaben-Ravioli schmeckten ausgezeichnet. Aber was bitte hat der Bärlauch darin verloren? Maultaschen mit Knoblauchgeschmack – Mahlzeit.

Wohlgemerkt: Ich mag das Knoblauchdüftlein, das einem Anfang April im süddeutschen Buchenwald in die Nase steigt. Riecht nach Frühling, auf eine ganz besondere Art. Es muss nicht immer Veilchen sein. Für mich ist das Liliengewächs Bärlauch (Allium ursinum) ein Natur-Erlebnis fürs Riechorgan. Unbestritten ist auch sein Platz in der Pflanzenheilkunde. Aber essen möchte ich das grüne Kraut nicht. Es erinnert mich an – nein, nicht wirklich an Knoblauch. Eher an Gras mit Knoblauchgeschmack. Mit dieser Meinung scheine ich indessen plötzlich alleine dazustehen. Deutschland isst Bärlauch. Und kein Gericht ist davor sicher. „Weißt du, jetzt werden schon ganze Menüs damit angeboten“, sagte mein Bruder, ein Feinschmecker und begnadeter Hobbykoch. „Von der Vorspeise bis zum Dessert – alles mit Bärlauch.“

Bärlauch, die grüne Pest auf dem Teller, besetzt in der Regional-Küche neuerdings die gastronomische Nische der Rucola. Ein echtes Zeitgeist-Kraut, das übrigens schon die jungsteinzeitlichen Siedler am Bodensee schätzten. Handelt es sich also in Wirklichkeit um einen Rückfall in die Jäger-und-Sammler-Phase in wirtschaftlich schwieriger Zeit? Im Gegensatz zu den Amerikanern, die mit dem Jagen nie ganz aufhörten, besinnen sich die Deutschen jetzt wieder aufs Sammeln. Und das trotz Fuchsbandwurm und Verwechslungsgefahr. Denn leider kommt es immer wieder vor, dass Kräuterunkundige die – ganz und gar nicht nach Knoblauch riechenden – Maiglöckchenblätter für Bärlauch halten und sich vergiften. Auch die Verwechslung mit Herbstzeitlosenblättern führte schon zu Todesfällen.

Wie sich bei unserer Deutschlandreise zeigte, vermag das niemanden abzuschrecken: Bärlauch scheint neuerdings in aller Munde. Selbst in einer sehr ländlichen Gemeinde auf der Schwäbischen Alb, ich glaube es war in Zwiefaltendorf, wo der Storch hoch droben fröhlich auf dem Nest klapperte, hatte das Dorfgasthaus „Bärlauch-Spezialitäten“ angeschrieben. Sogar Filialbäckereien haben neuerdings Brot und Brötchen im Programm, die gehäckselten Bärlauch enthalten. „Lauch ohne Hauch“, warb eine Bäckerei, in der wir frühstückten. Allerdings verzehrten wir Gebäck, das ohne die grünliche Zutat auskam. Hatte ich schon erwähnt, dass ich das Zeug nicht mag? Bärlauch mag vielleicht keine Knoblauchfahne nach sich ziehen, schmeckt dafür aber auch längst nicht so gut und rund und ausgewogen wie Knoblauch: Schmalspur-Knoblauch eben.

Nun, wie oben bereits besprochen, inzwischen kann man wieder unbesorgt nach Deutschland reisen. Die Maiglöckchen blühen, die Bärlauch-Pflanzen auch, und selbst der botanische Laie sollte die beiden jetzt auseinanderhalten können. Und wer Bärlauchpesto im Reformhaus kauft, kann sowieso davon ausgehen, dass die Pflanze vom Biobauern stammt. Nicht aus dem Buchenwald. Im Übrigen – was soll diese übertriebene Fixierung auf den Bärlauch. Der schmeckt jetzt ohnehin bitter. Leute, esst mehr Brennnesseln! Löwenzahn ist auch sehr lecker.

Sunday, May 7, 2006

Mit Bush per du

Mit Bush ist es weit gekommen, wenn er jetzt schon die "Bild" zum Interview ins Oval Office bittet. Immerhin konnten die Deutschen so erfahren, was sie schon immer über den US-Präsidenten wissen wollten. Nämlich: Im Gegensatz zu seinem Daddy, der schon einmal ahnungslosen Touristen im Weißen Haus auflauerte und den Präsidenten zum Anfassen spielte, legt George W. Wert auf einen ordentlichen Sicherheitsdienst. "Seit dem 11. September bewacht eine Elite-Einheit des Secret Service den Garten rund um das Weiße Haus", berichtet die "Bild am Sonntag" mit Liebe zum Detail. "Die Männer tragen enge, nachtschwarze Kampfanzüge, sind mit Präzisions-MP und Handfeuerwaffen ausgerüstet. Sie stoppen jeden, der den schwarzen Eisenzaun rund ums White House überwindet." Da möchten wir aber hoffen, dass Kai Diekmann den Vordereingang benutzt hat.

Ach ja, und neben dem Präsidentenschreibtisch hängt ein Bild: "Ein Cowboy quält sich mit dem Pferd einen morastigen Berg hinauf. Ein Blick in Bushs Kämpferseele." Kämpferseele? Kämpferseele. Aber was einen wirklich rührt an dieser präsidentiellen Home-Story ist die Sache mit dem Efeu. Jawohl, Efeu. Auf dem Kamin-Sims, so berichtet die BamS, steht nämlich seit 20 Jahren immer derselbe Efeu. Das sind nun endlich die ganz harten Fakten! Wir erfahren sogar den botanischen Namen des zähen Pflänzchens: Plectrantus australis. "Die meistfotografierte Pflanze der Welt!" Das wird noch ordentlich für Gesprächsstoff sorgen an deutschen Stammtischen. "Unter ihren Blättern saßen schon Hunderte Staats- und Regierungschefs." Jetzt also auch Angela Merkel. Wow!

Wen interessiert da noch, dass Bush meinte: "Ich habe langsam erkannt, dass es in der Natur der deutschen Bevölkerung ist, dass sie Krieg verabscheut", und dafür volles Verständnis zeigt. Der US-Präsident, ein Deutschen-Versteher. Viel schöner ist doch, dass er sich mit unserer Angela so gut verträgt. "Merkel jetzt auch mit Bush per Du", titelte dazu die BamS - was soll denn das schon wieder heißen? Der Ami an sich duzt - genauer gesagt, ihrt - jeden, was bleibt ihm auch anderes übrig. "Brother, where art thou" ist ein Satz von Shakespeare. Und Bush redet sowieso jeden mit Vornamen an, insofern ist an der Begrüßung "Hello Ändschela" nichts weiter bemerkenswert.

Leuten, die er wirklich mag, verpasst Bush einen Spitznamen. "Hello Ändschie" - das wäre etwas anderes gewesen.

Tuesday, April 25, 2006

Happy Hour an der Tankstelle

Mag sein, dass viele nur deswegen gegen Ethanol als Kraftstoff sind, weil George W. Bush neuerdings dafür ist.

Es sind freilich nicht nur die üblichen Bedenkenträger, die es für eine Schnapsidee halten, aus Mais oder Zuckerrüben gewonnenen Alkohol in den Tank eines Autos zu schütten. Auf den ersten Blick mag es tatsächlich obszön erscheinen, für den Mobilitätsdrang der Industrienationen auch noch pflanzliche Grundnahrungsmittel zu verbrauchen. Aber auf dieser Welt würden bestimmt nicht mehr Leute satt, wenn die USA ihre Mais-Überproduktion einfach verrotten ließen. Das Ziel der Ethanol-Befürworter ist ohnehin, längerfristig Zellulose in Kraftstoff zu verwandeln - also Abfallprodukte aus Land- und Forstwirtschaft wie Maisstängel, Stroh und Holzspäne. Die kanadische Firma Iogen, Volkswagen und Shell prüfen gerade die Wirtschaftlichkeit einer Produktionsanlage für Zellulose-Ethanol in Ostdeutschland. Das Know-how, dank Biosprit aus nachwachsenden Rohstoffen von fossilen Energieträgern unabhängig zu werden, dürfte indessen auch ärmeren Ländern zugute kommen.

Und George W. Bush? Wenn der Mann einmal einen lichten Moment hat, sollte man das getrost hinnehmen - auch wenn ihm in Bezug auf die globale Erwärmung das entscheidende Erweckungserlebnis noch fehlt. Vielleicht ist der inzwischen schon legendäre Satz aus seiner jüngsten Lage-der-Nation-Rede "America is addicted to oil" das einzige Bush-Vermächtnis, an das sich die Nachwelt mit Wohlwollen erinnert. Womöglich weiß der US-Präsident das sogar selbst, trommelt neuerdings deswegen so eifrig für die erneuerbaren Energien. Welchen Grund hätte der Ölmann Bush sonst, plötzlich auf Sonnenenergie und Wasserstoff zu setzen? Allerdings verkörpert Bush persönlich auch nicht "Big Oil", sondern eher "Small Oil", wie er selbst einmal betonte - seine Ölfirma Arbusto hat nie auch nur einen einzigen Tropfen Öl gefördert, sondern bloß das Geld der Investoren verheizt. Wie bei Biografin Kitty Kelley nachzulesen, kursierte in Texas einst der Witz, Bush würde nicht einmal im lokalen 7-Eleven-Laden eine Dose Motorenöl finden... Für ihn war eben schon immer Past Peak Oil.

Jedenfalls hat Bush heute in einer Rede vor der Renewable Fuels Association wieder kräftig für alternative Kraftstoffe Wind gemacht - eigentlich hätte es darum gehen sollen, angesichts stetig steigender Benzinpreise die Mineralölkonzerne zur Räson zu bringen, schließlich streichen diese Milliardengewinne ein. Die Ölmultis haben auch weiterhin von Bush nichts zu befürchteten, wie sich bei der Gelegenheit herausstellte: Die Mehrbelastung durch die angekündigte Rücknahme von Steuererleichterungen bestreiten die doch lässig aus der Portokasse. Dafür machte sich Bush für sparsame Hybridantriebe, sauberen Diesel und Ethanol stark.

Bei derzeit genau 619 Tankstellen in den USA, die das auf Ethanol basierende E85 im Angebot haben, sieht es allerdings nicht danach aus, dass sich Autofahrer demnächst in größerem Stil zur Happy Hour an der Tankstelle treffen und ihr Vehikel mit der Spirituose aus der Zapfsäule abfüllen. Der reichste Mann der Welt hat indessen klar gemacht, dass er bei der Party mit dabei sein will: Bill Gates ist kürzlich mit 84 Millionen Dollar beim kalifornischen Biospritunternehmen Pacific Ethanol eingestiegen.

Nachtrag:
Natürlich habe ich wieder einmal schamlos übertrieben. Einem älteren Artikel aus dem "Rolling Stones" - Titel: "All Hat no Cattle" - entnahm ich, dass Bush nach jahrelanger erfolgloser Suche doch noch fündig wurde. Seine Firma dürfte aber weniger als 50.000 Barrel gefördert haben. Vielleicht hat er, frei nach Reinhard Mey, schließlich eine Pipeline angestochen: "Hab Erdöl im Garten, ob's stürmt oder schneit..."