Wednesday, October 31, 2007

Unheimlicher Spaß

Als ich ein Kind war, schnitzte ich in dieser Jahreszeit Rübengeister. Meine etwas jüngere Kusine war mit Eifer dabei. Ich weiß überhaupt nicht mehr, wer uns das beigebracht hatte, aber irgendwie muss sich ein bisschen geisterhaftes Treiben auch im Schwabenland gehalten haben – eine vage vorchristliche Erinnerung an den Vorabend des Tages, aus dem die Kirche Allerheiligen machte.

Unsere Rübenfratzen hatten allerdings keinen Bezug zu organisiertem Brauchtum; wir freuten uns einfach an den von Kerzen erleuchteten Maskengesichtern. Und meine Kusine verspeiste einmal voll Genuss ein Stück Rübe, das über der Flamme geröstet war. Das Wort Halloween kannten wir damals noch nicht. Und wir forderten keine Süßigkeiten, auch nicht beim Laternenlaufen, das sich eher sporadisch ergab.

Wie ich auf Wikipedia erfahre, hat sich im deutschsprachigen Raum aber gelegentlich ein Heischebrauch um die Rübengeister erhalten, der mancherorts im Martinssingen am 11. November aufgegangen ist: Die Kinder ziehen mit ihren Lichtern von Haus zu Haus und bitten um Süßigkeiten. Genau wie bei den Iren, die verwandtes Brauchtum einst nach Nordamerika exportierten. Dass es nun in Deutschland in veränderter Form wieder eingeführt wird, freut nicht alle – Halloween scheint derzeit der am meisten verhasste US-Import zu sein. Selbst Santa Claus im roten Kunstfaserkostüm hat mehr Fans.

„Süßes oder Saures" – für die evangelische Kirche ist das keine Frage. Am 31. Oktober ist Reformationstag, und sonst gar nichts. Hielt sie im vergangenen Jahr für Kinder noch Lutherbonbons bereit, heißt es heuer für Halloween-Anhänger: „Gib ihnen Saures!" Bislang war mir ein Rätsel, wie sich Halloween überhaupt so schnell ausbreiten konnte. Noch im Jahr 2003 veröffentlichte ich einen Hintergrundsartikel in der „Südwestpresse" über den seltsamen Feiertag, der auch in den USA immer mehr an Bedeutung zulegt. Zitat: „Gemessen am Konsumverhalten darf Halloween inzwischen zu den höchsten amerikanischen Feiertagen gerechnet werden. Zu keiner anderen Zeit werden mehr Süßigkeiten genascht. Das traute Heim wird nur noch zu Weihnachten üppiger dekoriert als für den 31. Oktober."

Heute las ich auf Zeit-Online, dass kurioserweise der Golf-Krieg zur Ausbreitung der fremden Halloween-Bräuche beitrug – als Präsident Bush senior erstmals gegen den Irak ins Feld zog, wurde vielerorts der Karneval aus Pietätsgründen abgesagt. Stattdessen wurden die Faschingskostüme dann an Halloween getragen. So sieht erfolgreiches Marketing aus.

Aber auch die Amerikaner treiben es jedes Jahr bunter, wenn es wieder auf Ende Oktober zugeht. Neuerdings ist Halloween sogar auf den Hund gekommen – Herrchen kann aus einer Vielzahl von Verkleidungen wählen. Sehr hübsch sind alle möglichen tierischen Kostüme, von Marienkäfer bis Stinktier.

Mein Vorschlag, wie Hundchen auf jeder Halloween-Party garantiert gut ankommt: als Hot Dog.

Wednesday, October 17, 2007

Eine Rede gehört zum Essen

Erst der Vortrag, dann das Essen? Oder umgekehrt? Vielleicht auch beides gleichzeitig: Der Redner legt los, wenn alle anderen speisen. Bei der Planung eines Vortragsabends plädierte ich jedenfalls für Letzteres. Und ich verteidigte meine Position auch gegenüber dem Einwand, es sei „merkwürdig, wenn sich jemand da vorne abquält und einen Vortrag hält", während die Zuhörerschaft isst. Das empfiehlt sich aus einem guten Grund: Genau dann ist der Geräuschpegel nämlich am geringsten. Außerdem hat sich die Anordnung seit Jahrhunderten bewährt.

Bis heute wird in vielen Klöstern während der Mahlzeiten vorgelesen. Ob der Mönch, der als Tischleser fungiert, schon vorher etwas zu essen bekommt oder diesen Dienst mit knurrendem Magen versieht, ist mir nicht bekannt. Dass sich der Mensch nicht bloß den Bauch füllen, sondern auch geistige Nahrung zu sich nehmen sollte, besitzt selbst außerhalb klösterlicher Lebensformen Gültigkeit. Die Frage ist nur, ob er beides gleichzeitig tun sollte. Wahrscheinlich enspricht es amerikanischem Pragmatismus, dass die Zeit zum Essen allein zu schade ist. Und, wie schon angedeutet: Sind die Zuhörer am Kauen, halten sie wenigstens den Mund.

Für „Luncheon Speeches" ist der Vortrag während des Essens ein konstituierendes Merkmal. Es gibt sie auch in der Version „Brown Paper Bag" – in diesem Fall futtert das Publikum selbst Mitgebrachtes aus Tüten und Tupperware. In Frankreich wäre so etwas schlecht vorstellbar, so genannte „déjeuner-discours" kommen dort meines Wissens nur ausnahmsweise vor. Wenn Franzosen essen, sind sie hundertprozentig bei der Sache. Und sie unterhalten sich dabei auch gerne: Am liebsten reden sie beim Essen übers – Essen. Was ich, praktische Überlegungen einmal beiseitegelegt, auch vorziehe.

Saturday, October 6, 2007

Memo an die lieben Mitgliederinnen

Kürzlich erhielt ich von der Organisatorin meines Buchclubs eine E-Mail, die mit dem Satz endete: „Neue Mitgliederinnen sind herzlich eingeladen.“ Vorsorglich hatte die Schreiberin noch in Klammern hinzugefügt: „Sagt man so?“

Andere haben da weniger Bedenken, sonst würde ich neuerdings nicht alle naslang über „Mitgliederinnen“ stolpern. Offenbar ist die weibliche Anredeform mittlerweile so volkstümlich, dass sich Frauen nie und nimmermehr mitgemeint fühlen, wenn die Bezeichnung auf „-er“ endet: der Politiker, der Lehrer oder auch der Leser sind eindeutig männlich – im Singular wie im Plural. Also drucken Zeitungen täglich ein paar Seiten mehr, damit sich ihre Leser und Leserinnen alle gleichermaßen wiederfinden, angefangen bei den Schülern und Schülerinnen bis hin zu den Rentnern und Rentnerinnen.

Die sprachliche Geschlechterdifferenzierung ist ein Muss, das habe ich schon vor vielen Jahren erfahren. Als ich noch in der Schweiz an meiner Dissertation herumdokterte, fuhr ich einmal nach Basel zu einem Kongress über feministische Literaturwissenschaft. Untergebracht war ich bei zwei forschen Schweizerinnen, die nach eigenem Bekunden nichts für das männliche Geschlecht übrig hatten – auch nicht in der Grammatik. „Meine Gästin ist schon da!“ verkündete eine der beiden am Telefon. Sie sagte das natürlich auf Schwyzerdütsch, und es klang irgendwie bedeutend. Ich war beeindruckt.

Nun sollte man die Feminisierung der Sprache nicht zu weit treiben. Die Pluralform „Mitglieder“ zu verweiblichen, ist jedenfalls blanker Unsinn – schließlich heißt es im Singular „das Mitglied“, und das ist eindeutig ein sächliches Hauptwort. Wer es trotzdem gerne zweigeschlechtlich hätte, sollte sich an das deutsche Vereinswesen halten. Dort ist für die geschätzten Mitgliederinnen längst eine andere Anrede in Gebrauch, die nicht nur zu Karneval gerne aus der Kalauerkiste gekramt wird: „Liebe Mitglieder und Ohneglieder…“