Monday, September 25, 2006

Wir Migranten oder: abgemeldet

Vor ein paar Jahren ging ich ins Rathaus in Rottenburg am Neckar, um eine Lohnsteuerkarte zu beantragen. Nach einer längeren Phase freier journalistischer Tätigkeit war ich im Begriff, eine feste Stelle in der Lokalredaktion meiner Heimatzeitung anzutreten – und wurde somit wieder lohnsteuerpflichtig. Fragte sich nur, in welcher Steuerklasse. Im Bürgerbüro des süddeutschen Städtchens waltete damals eine resolute Persönlichkeit, die auch mit schwierigen Antragstellern schnell fertig wurde. Ich schilderte ihr meine Situation: dass mein Mann seit einiger Zeit im Ausland wohne und arbeite, dass wir aber keinesfalls getrennt lebten. Da runzelte sie die Stirn und beschied: „Das gibt’s nicht!“

Im Prinzip hatte die gute Frau Recht. Dass jemand die Heimat verlässt, um in der Fremde Arbeit zu finden, und der Ehepartner aus praktischen Gründen zurückbleibt – vor noch nicht allzu langer Zeit war das gewiss kein deutscher Lebensentwurf. So etwas machten allenfalls die Gastarbeiter, wie man sie früher nannte, die aus Italien, dem ehemaligen Jugoslawien oder der Türkei kamen, um in Deutschland ihr Brot zu verdienen. Heute spricht man vornehm von „Menschen mit Migrationshintergrund“. Migranten, das waren jedenfalls immer die anderen. Das galt solange, bis in Deutschland die Akademikerschwemme Schlagzeilen machte.

Mein Mann ist promovierter Chemiker. In Deutschland qualifiziert das für alles mögliche, allerdings nur selten für eine Anstellung in der Industrie. „Ich kenne auch einen Chemiker. Er hat einen Copyshop“ – so oder ähnlich lautet die Reaktion, wenn ich deutschen Bekannten vom Beruf meines Mannes erzähle. Ich selbst weiß von einem Chemiker mit Doktortitel, der die Spedition seiner Eltern leitet. Zur Eröffnung eines Copyshops fühlte sich mein Mann jedoch nicht berufen, und eine Spedition hatte er auch nicht geerbt. So entschloss er sich zu einem Schritt, den viele Naturwissenschaftler wagen, die in Deutschland keine Zukunft mehr sehen: Er ging in die USA.

Es war allerdings eine Auswanderung auf Umwegen, denn nach einem Postdoc-Aufenthalt in Texas forschte er erst noch zweieinhalb Jahre lang in Japan. Dann bekam er eine Stelle in Michigan. Die Einwanderungsbehörde der Vereinigten Staaten honorierte seine wissen-schaftliche Qualifikation letztlich mit einer Green Card: In den USA gilt mein Mann als „outstanding scientist“. So subventioniert der deutsche Staat den amerikanischen Wissenschaftsbetrieb.

Übrigens gelang es der städtischen Angestellten im Rottenburger Rathaus einst doch noch, meine Lohnsteuerklasse herauszufinden: Steuerklasse 1, wie für ledige Beschäftigte. Ein im Ausland arbeitender Ehemann zählt fürs Finanzamt nicht. „Zahlt Ihr Mann denn auch Steuern in Amerika?“ fragte die Angestellte streng. Ich bejahte. „Dann kann er hier aber keinen Wohnsitz mehr haben!“ Ein paar Wochen später erhielt mein völlig perplexer Ehemann ein Schreiben vom Einwohnermeldeamt: Er war abgemeldet.

Ich arbeitete noch eine Weile als Redakteurin. Als die Zeitung meine Stelle strich, verzichtete ich darauf, mich dem Heer arbeitsloser Journalisten anzuschließen. Schreiben kann man überall, dachte ich, und so zog ich vor gut drei Jahren zu meinem Mann nach Detroit. Auswandern liegt im Trend: Allein im vergangenen Jahr verließen dem Statistischen Bundesamt zufolge 145.000 Deutsche ihre Heimat. Nicht alle geben der Behörde Bescheid – ich selbst habe mich ordentlich abgemeldet. „Bei Wegzug ins Ausland: Staat angeben“, stand auf dem Formular.

Wednesday, September 13, 2006

Super mit Wasserstoff

Im Prinzip ist die Brennstoffzelle als Fahrzeugantrieb eine prima Sache - sie macht das Null-Emissions-Auto möglich. Allerdings hat das mit Wasserstoff betriebene Minikraftwerk im Auto einen Schönheitsfehler, genauer gesagt zwei: Die mobile Brennstoffzellen-Technik ist bislang technisch unzuverlässig und dazu noch sagenhaft teuer. "Die Brennstoffzelle gilt in der Automobilindustrie als Antriebssystem der Zukunft" ist daher ein Satz ohne Verfallsdatum. Egal, wen und wann man danach fragt - von der Serienreife der Brennstoffzelle sind wir immer 10 bis 15 Jahre entfernt. Das war schon vor Jahren so, und das wird sich nie ändern.

Im Doku-Film "Who Killed the Electric Car?" wird die Brennstoffzelle mit dem Mechanical Rabbit bei Hunderennen verglichen: Wir kommen ihr nie wirklich näher. Die Meute hechelt nur immerzu hinter ihr her. Wäre die Marktreife der Brennstoffzelle ein ernsthaftes Ziel, würden etwa bei DaimlerChrysler nicht nur ein paar Hansel daran herumdoktern, irgendwo in der hintersten Ecke im Keller des Headquarters in Auburn Hills. Nun, die unheilvolle Allianz von Autoindustrie und Erdölkonzernen wird schon dafür sorgen, dass diese scheinbar so greifbare Alternative in unerreichbarer Ferne bleibt. Und gelegentlich wirbt man auf der Autoshow mit der umweltfreundlichen Technik: Brennstoffzellen-Forschung als Feigenblatt.

Es geht aber auch anders: BMW nimmt an diesem seltsamen Rennen nicht teil - und setzt trotzdem auf Wasserstoff als Energieträger. Der soll aber nicht in der Brennstoffzelle in Strom umgewandelt, sondern direkt verbrannt werden: "Wasserstoff ist der Brennstoff der Zukunft, und wir sehen den Verbrennungsmotor - zumindest für BMW - auch weiterhin als das Antriebs-Aggregat der Zukunft", sagte mir BMW-Entwicklungschef Prof. Burkhard Göschel bei einem Interview im vergangenen Jahr (hier findet sich der vollständige Text).

Auch das klang damals noch ein bisschen wie ferne Zukunftsmusik. Das Konzept des Wasserstoff-Verbrennungsmotors hat der bayerische Autokonzern nun deutlich schneller umgesetzt als erwartet: Gestern präsentierte BMW "die weltweit erste mit Wasserstoff betriebene Luxuslimousine für den Alltagsbetrieb", wie es in der Pressemeldung heißt, den "Hydrogen 7". So richtig alltäglich ist diese zum Wasserstoffauto umgerüstete Limousine aus der 7er-Reihe aber auch wieder nicht. Sie soll in einer Kleinstserie hergestellt und - da offenbar unbezahlbar - an ausgewählte Kunden verleast werden.

Der "Hydrogen 7", in dessen Tank der Flüssigwasserstoff bei minus 253 Grad Celsius gespeichert wird, ist gewiss ein "Meilenstein auf dem Weg zu einer nachhaltigen und schadstofffreien Mobilität", wie BMW schwärmt. Dummerweise ist dieser Weg aber noch keineswegs von Wasserstoff-Tankstellen gesäumt - und so handelt es sich bei der Wasserstoff-Limousine in Wirklichkeit um ein bivalentes Fahrzeug, das noch einen zweiten Tank besitzt und und auch ganz herkömmlich mit Superbenzin betrieben werden kann.

Nachtrag vom 17. September 2006:
GM hat inzwischen die Serienreife des ersten Fuel-Cell-Fahrzeugs angekündigt - das ist der bereits bei der Autoshow 2005 vorgestellte Sequel, dem inzwischen die Marke "Chevy" aufgepappt wurde. Der könnte schon 2011 in Massenproduktion gehen, heißt es in Presseberichten. Aber ja doch. Wo diese Brennstoffzellen-Autos dann den Wasserstoff hernehmen sollen, verrät das Unternehmen nicht. Sie könnten nicht mal die erste öffentliche Wasserstoff-Tankstelle in deutschen Landen anzapfen, die BMW kürzlich in Kooperation mit Total in München eröffnet hat - denn da gibt's nur Flüssigwasserstoff. Für den komprimierten Wasserstoff, den der Sequel braucht, existiert noch nicht einmal ein Industrie-Standard.

Monday, September 11, 2006

Der Tag, an dem Amerika verstummte

Das Unheimlichste an jenem Tag war die Stille. Totenstille. Gewöhnlich liegt eine Art Grundgeräusch über dem Großraum Detroit - die Motor-City brummt. Aber am 11. September war es, als hätte jemand den Stecker herausgezogen. Man hörte nur das Zirpen der Zikaden.

Nach dem Terror-Angriff an der Ostküste hatten "die Großen Drei" der Automobilstadt - DaimlerChrysler, Ford und GM - ihre Arbeiter und Angestellten heimgeschickt. Gegen Mittag waren die Straßen wie leer gefegt. Keine Flugzeuge am strahlend blauen Septemberhimmel, alle Flughäfen waren geschlossen. Geschlossen auch Regierungsgebäude und Schulen. Die Grenze nach Kanada war dicht. Und wie im mittleren Westen dürfte es an diesem Tag im ganzen Land ausgesehen haben: Die Menschen hatten sich in die Familie geflüchtet, schauten sich die Schreckensbilder im Fernsehen an. Auf einen Schlag hatte das Land aufgehört zu produzieren und zu konsumieren. (...) Amerika war im Entsetzen vereint.

Die Maßlosigkeit dieses Entsetzens in Worte zu fassen fiel schwer. Die Frage, wo man gerade war, als John F. Kennedy erschossen wurde, sei ersetzt worden, schrieb die Kolumnistin Rochelle Riley in der "Detroit Free Press": "Von jetzt an werden wir uns daran erinnern, wo wir waren, als Amerika seine bisher größte Herausforderung bestehen musste." Nun, als JFK ermordet wurde, lag ich in den Windeln. Aber wie ich am 11. September 2001 vor dem Radio kauerte - der Fernseher war kaputt - und die Horror-Nachrichten hörte, werde ich nie mehr vergessen.

Zu Besuch in Auburn Hills, einem langweiligen Detroiter Vorort, der neuerdings durch den DaimlerChrysler-Hauptsitz eine gewisse Bedeutung erlangt hat, war ich urlaubshalber spät aufgestanden. Gewohnheitsmäßig klickte ich die CNN-Homepage an, was nicht funktionierte. Auch andere Internet-Info-Seiten ließen sich nicht aufrufen. Nur bei TAGBLATT-Online kam ich durch, und so erfuhr ich über meine Heimatzeitung im fernen Tübingen von der Katastrophe. Die Attacke auf das World Trade Center war der erste Terrorangriff, den man sich per Real Player als Video vorspielen konnte: der Turm - das Flugzeug, scheinbar widerstandslos in das Gebäude eindringend - der Feuerball. Wieder und wieder.

Noch Tage danach stand Amerika unter Schock: Auch in Detroit kennt fast jeder jemanden, der jemanden kennt, der in einem der WTC-Zwillingstürme arbeitet, aber zum Zeitpunkt des Anschlages gerade einen Arzttermin hatte, sein Kind zum Kindergarten brachte oder noch in der U-Bahn steckte. Oder jemanden, der jetzt vermisst wird. Klar, das Leben musste weitergehen. Auf der Menütafel der Hühnerbraterkette stand: POPCORN CHICKEN GOD BLESS AMERICA. […]

(Erschienen im September 2001 im Schwäbischen Tagblatt, leicht gekürzt.)