Saturday, September 29, 2007

Zum Süßmost gibt's Donuts

Die Dexter Cider Mill ist eine einfache Holzkonstruktion, dunkelrot gestrichen mit weiß umrahmten Fenstern, wie sie auch irgendwo an der Ostküste stehen könnte – so haben schon die ersten Siedler auf amerikanischem Boden gebaut. Der Anbau dient als Verkaufsraum, das Tor steht offen. Gleich am Eingang hängen Konterfeis von Abraham Lincoln und George Washington. Die beiden Herren machen ernste Gesichter, wie es sich für ehemalige US-Präsidenten gehört.

Drinnen duftet es nach gebranntem Zucker und Süßmost. Hinter dem mit rotgewürfeltem Tuch bedeckten Verkaufstresen steht eine junge Frau, die einem Ehepaar eine Gallone Cider und eineHistorische Cider Mill in Dexter, Michigan © Cornelia Schaible Tüte Äpfel verkauft. Sie begrüßt die Besucher und lacht, als diese sie mit Fragen überhäufen. „Wenn Sie etwas über die Geschichte der Cider Mill wissen wollen, müssen Sie schon meinen Vater fragen.“ Der könne aber nicht weit sein. „Dad!“ ruft sie.

Richard Koziski steht im Nebenraum am Kühlbehälter und füllt Cider in Plastikgefäße ab. „Wollen Sie probieren?“ fragt er und reicht einen Becher voll über den Tisch. Der Cider ist sehr dunkel, er hat etwa die gleiche Farbe wie die braun glänzenden Karamell-Äpfel vorne auf der Ladentheke, und er schmeckt schwer und süß. Die Beigabe von Birnen, die dem schwäbischen Most seine räse Spritzigkeit verleiht, ist hier nicht üblich. Dafür wird versucht, durch geschickten Verschnitt der Apfelsorten einen wohlschmeckenden Cider zu erzeugen. Im Staat Michigan, einem der wichtigsten Apfelanbaugebiete der USA, werden über 30 Sorten kommerziell angebaut, sagt Koziski. Darunter so alte Varietäten wie der seit gut 200 Jahren bekannte McIntosh-Apfel.

Wahrscheinlich stammt der McIntosh von einer alten französischen Sorte ab. Der Legende nach hatten bereits die Franzosen, die von 1701 an am Detroit River siedelten, Apfelkerne im Gepäck. Most mundete ihnen ebenso wie den Engländern – 1760 ging die Siedlung in britischen Besitz über. 1796 kam Detroit unter amerikanische Verwaltung; von diesem neuen Zentrum aus wurde ganz Michigan besiedelt. Auf frisch gerodetem Gelände wurden nicht nur Äcker angelegt, so ist überliefert, sondern stets auch Obstbäume gepflanzt.

Gerade in der Gegend um Ann Arbor ließen sich Anfang des 19. Jahrhunderts zahlreiche Einwanderer aus Süddeutschland nieder, wie die vielen Nachnamen belegen, die auf -le enden – auch der Name der Verfasserin steht mehrfach im Telefonbuch. Die Pioniere aus Schwaben dürften ihre eigene Mostkultur mitgebracht haben. Einige kleinere Mostpressen mit Handkurbel, die Richard Koziski in einem Lagerraum aufgestellt hat, sehen entsprechenden Exponaten aus schwäbischen Heimatmuseen jedenfalls verblüffend ähnlich.

Für die Mostproduktion im großen Stil nutzte man einst in ganz Michigan die Wasserkraft, um die Äpfel zu zerkleinern und zu pressen. Obwohl sie ihr Mühlrad längst eingebüßt hat und mit Strom betrieben wird, bietet die Dexter Cider Mill einen malerischen Anblick am Ufer des Hudson River. Der fließt auch durch die Universitätsstadt Ann Arbor. Das macht Dexter zum beliebten Ausflugsziel bei den Studenten: Sie brauchen nur ein Stück am Fluss entlangzuradeln, um in den Genuss von Cider und frischen Donuts zu kommen. „Es ist eine Tradition“, sagt Koziski. „Und wir zeigen ihnen, wie man schon vor mehr als 100 Jahren Cider gemacht hat.“ Er habe praktisch nichts verändert seit der Übernahme der Mühle vor 20 Jahren. Die Dexter Cider Mill ist laut Koziski die älteste im Staat, die ununterbrochen in Betrieb ist: Seit 1886 fließt hier im Herbst Most aus der Presse.

An die 150 Cider Mills soll es in Michigan noch geben, und ihre kulturhistorische Bedeutung wird oft betont: Viele spiegeln ein Stück amerikanische Geschichte wider. Erster Inhaber der Dexter Cider Mill war ein Veteran aus dem Sezessionskrieg. Kurz nach 1900 erwarb ein gewisser Otto Wagner – „auch ein deutscher Name“, bemerkte Koziski – die Cider Mill. In der Wagnerschen Familie blieb die Mosterei dann, bis Koziski sie kaufte. Früher habe er bei Ford gearbeitet, und daher die ersten fünf Jahre nur an Wochenenden gemostet, erzählt Koziski: „Im Herbst haben wir sieben Tage in der Woche gearbeitet – fünf Tage im Betrieb, und am Samstag und Sonntag hier.“

Seit er im Ruhestand ist, hat die Dexter Cider Mill in der Saison mittwochs bis sonntags geöffnet, und zwar weit bis in den November hinein. Die ganze Familie ist eingespannt: Ehefrau Katherine, die früher mal bei Kellogg’s in der Versuchsküche arbeitete und ein hoch gelobtes Apfelkochbuch verfasst hat, bäckt Kuchen. Und die Töchter mit Anhang helfen ebenfalls abwechselnd mit: Wie die Mostpresse funktioniert, erklärt Schwiegersohn Martin Steinhauer, der Mann von Nancy, die an diesem Tag den Verkauf macht.

„Die Konstruktion ist sehr einfach“, sagt Steinhauer, der sonst Computer-Software verkauft. Die zerkleinerten Äpfel werden in ein Tuch eingeschlagen und auf einen Lattenrost aus Eichenholz gelegt, darauf kommt wieder ein Rost und eine Schicht Äpfel, und so fort. Der Stapel kommt in eine hydraulische Presse – und unten fließt der Saft heraus. Pro Pressung werden rund 1500 Pounds Apfelschnitze verarbeitet, gut 680 Kilogramm; das ergibt jeweils 100 Gallonen oder 378 Liter Süßmost. Und so, wie er herauskommt, wird der Most auch verkauft: „It’s all natural“, so Steinhauer, „alles ganz natürlich.“

Weil er sein Stöffchen so naturbelassen will, ist Richard Koziski auf Direktvermarktung angewiesen – im Supermarkt verkaufter Süßmost muss pasteurisiert werden, das ist gesetzlich vorgeschrieben. Sein Cider fängt nach fünf Tagen an zu gären. Und wie viele Gallonen Most produziert die Cider Mill in einer Saison? Da grinst Koziski nur ganz breit und sagt: „Das weiß ich nicht. Ich will es nicht wissen.“

(Erschienen im Schwäbischen Tagblatt am 15. Oktober 2003.)

Wednesday, September 26, 2007

Proper Pronunciation

Mit der richtigen Aussprache von Namen ist es so eine Sache. Bei Lech Wałęsa etwa habe ich irgendwann kapituliert - der ging mir nicht einmal unter Anleitung einer polnischen Kommilitonin locker über die Zunge. Mit Sprachen, die von vorneherein einen Teil ihrer Buchstaben durchstreichen, habe ich zugegebenermaßen etwas Mühe. Smørrebrød, Smørrebrød røm, pøm, pøm, pøm!

Amerikaner tun sich bekanntlich mit allen fremden Sprachen schwer. Deswegen ist es nur verständlich, dass Präsident Bush bei seiner UN-Rede eine kleine Aussprachehilfe für ausländische Namen im Manuskript stehen hatte - beispielsweise „sar-KO-zee“. Inklusive der richtigen Betonung. Hat da etwa jemand gelacht? In den USA ist diese Art der phonetischen Schreibweise von Eigen- und Familiennamen weit verbreitet. Man findet sie sogar in der "New York Times", wie das folgende Zitat aus dem Autoblog vom 21. Mai 2007 zeigt:
Q: How do you pronounce DaimlerChrysler in German?
A: Daimler. The Chrysler is silent.

That was the joke in Detroit after the, ahem, merger of Daimler-Benz and Chrysler led to disagreements over whether the new company’s name should be pronounced ,DIME-ler‘ or ,DAME-ler.‘ Fortunately, the question became irrelevant this week after DaimlerChrysler agreed to sell Chrysler to a Manhattan-based private equity firm, Cerberus Capital Management, which pronounces its name SIR-burr-us.
Die Neigung, manche Namen einfach stumm zu übergehen, zeigt Bush ebenfalls. Den iranischen Präsidenten jedenfalls erwähnte er in besagter Rede mit keinem Wort. Der hat aber auch einen besonders vertrackten Namen. Selbst die Nachrichtensprecherin Katie Couric benutzt eine Eselsbrücke für den Unaussprechlichen, wie die "New-York-Times"-Kolumnistin Maureen Dowd heute berichtet: "I'm a dinner jacket."

Wir haben für den Hausgebrauch ebenfalls beschlossen, dass wir Machmud Achmadinedschad nicht bei vollem Namen nennen - das dauert jedes Mal knapp vier Sekunden, habe ich herausgefunden, und das ist entschieden zu viel Lebenszeit. Wir nennen ihn schon lange A-Punkt. Basta.

Hier gibt's eine praktische Aussprachehilfe, von Afrikaans bis Weißrussisch.

Monday, September 24, 2007

Vom Glück, die Salatsauce frei wählen zu können

And what kind of dressing would you like?“

Da haben wir den Salat. Es gibt diese Momente, in denen mir wieder einmal so richtig bewusst wird, wo ich jetzt eigentlich lebe: nämlich in dem fabelhaften Land, das die uneingeschränkte Wahlfreiheit propagiert – jedenfalls bei den Salatsaucen. Oder bei der Zubereitung von Frühstückseiern. Scrambled, sunny-side up oder over easy? Das Mitspracherecht in Menüfragen ist ein amerikanisches Grundrecht. Und es herrscht Wahlpflicht. Wenigstens beim Salatdressing.

In Italien darf der Hungrige selbst mit Essig und Öl kleckern, wenn er Lust auf Grünzeug bekommt. Er muss sich dann allenfalls darüber ärgern, dass sich das Salz bei Tisch nie richtig auflöst. Und die Franzosen? Die finden, dass eine Vinaigrette zu allem passt. Womit sie meistens recht haben. Nur in Amerika muss ich mir selbst aussuchen, worin ich meinen langweiligen Eisbergsalat ertränke. "Ranch, Thousand Islands, Raspberry Vinaigrette, Blue Cheese or Honey Mustard?"

Die Bedienung zückt den Block und lächelt mich aufmunternd an. „Blue Cheese“, sage ich schließlich. „I’d like it on the side.“

Mehr zum Thema Wahlfreiheit im Lokal: Zwanzig Fragen zum Frühstück

Monday, September 17, 2007

Helga Janz-Wagner

„Gerade komme ich wieder von einem Restaurant, wo ich meinen Wein vorgestellt habe“, sagte mir Helga Janz-Wagner kürzlich am Telefon. Und es klang so, als könnte sie es immer noch nicht fassen, dass ihr Wein hier im Raum Detroit so viel Resonanz erfährt. Winzerwein aus Rheinhessen!

Helga Janz-Wagner, Jahrgang 1958, wuchs auf einem Weingut in der Nähe von Mainz auf. Schon früh unterstützte sie ihre Familie im Betrieb – alles, was mit Wein zu tun hatte, war für sie Alltag.Helga Janz-Wagner importiert Wein aus Rheinhessen © Cornelia Schaible Verständlich, dass sie als Heranwachsende davon eher Abstand gewinnen wollte. Und als sie Betriebswirtschaft studierte und selbst eine Familie gründete, schlug sie zunächst einmal einen anderen Weg ein.

Eine ausgedehnte Radtour durch Frankreich öffnete ihr schließlich die Augen für die Schönheit der verschiedenen Weinlandschaften: „Wir fuhren mit unseren bepackten Fahrrädern quer durchs Elsass, durch das Weinanbaugebiet in Burgund bis in die Auvergne im Massif Central“, erinnert sie sich. Das Interesse am Wein war wieder geweckt.

Aber erst in den USA kam Helga Janz-Wagner auf die Idee, den Wein aus der Heimat zu vermarkten. Als mitreisende Ehefrau eines Ingenieurs, der für die Firma nach Michigan gegangen war, hatte sie zunächst noch keine Ahnung, was sie selbst in der neuen Umgebung anstellen sollte. Aber sie besaß einen kleinen Vorrat an Wein. Ihr Vater hatte ihr vorsorglich neun Kisten des heimischen Erzeugnisses mitgegeben. Und der Wein kam bei Freunden und Bekannten so gut an, dass Janz-Wagner beschloss, für Nachschub zu sorgen – und eine Importlizenz zu beantragen.

Dafür hat sie sicher einen ausgesprochen günstigen Zeitpunkt erwischt. Amerikaner trinken so viel Wein wie nie zuvor. Gleichzeitig steigt das Interesse an deutschen Weinen, vor allem Riesling – die USA sind der zweitgrößte Absatzmarkt für edle Tropfen aus Good Old Germany. „Überalls gibt’s Weinbars, und viele Restaurants bieten regelmäßig Weinproben an“, wunderte sich Janz-Wagner noch vor einiger Zeit. Jetzt organisiert sie sowas selbst – in nächster Zeit hat sie gleich zwei Weinproben geplant.

Mehr über Helga Janz-Wagner: Weißherbst für heiße Sommerabende

www.weinnet.eu

Monday, September 3, 2007

Belle Isle, die Schöne

Zur Zeit der ersten Siedler war die Insel voller Klapperschlangen. Deswegen hielten die Franzosen dort Schweine, die mit den rattlers offenbar kurzen Prozess machten. Als es dann später auf der "Isle aux Cochons" keine Schweine und keine Klapperschlangen mehr gab, nicht einmal mehr Franzosen, fand die Detroiter Bevölkerung den Namen unpassend. Wie unromantisch! Seit 1845 trägt die kleine Insel im Detroit River den Namen Belle Isle, benannt nach einer gewissen Miss Isabella Cass, die man wahrscheinlich nicht kennen muss.

Im Jahr 1879 kaufte die Stadt Detroit Belle Isle. Zahlreiche Bauprojekte sorgten im Anschluss daran, dass die "Schöne Insel" ihrem Namen bald alle Ehre machte. Sogar der prominente Landschaftsgärtner Frederick Law Olmsted, der unter anderem den Central Park in New York plante, lieferte Entwürfe. Das Anna Scripps Whitcomb Conservatory, ein Gewächshaus aus dem Jahr 1904, sowie das Aquarium aus dem gleichen Jahr sind Werke des Detroiter Architekten Albert Kahn. Das Casino wird allerdings nur selten genutzt und ist baulich nicht im allerbesten Zustand. Und das öffentliche Aquarium, das älteste in den Vereinigten Staaten, wurde 2005 geschlossen. Auch andere historische Gebäude sind verlassen und vom Verfall bedroht.

Insgesamt spiegelt Belle Isle den Niedergang der Stadt Detroit wider - ganz offensichtlich ist kein Geld da, um die Einrichtungen zu unterhalten und die Grünanlagen zu pflegen. Nur der Brunnen aus weißem Marmor, ein architektonisches Meisterwerk von 1925 mit dem Namen "James Scott Fountain", ist in hervorragendem Zustand. Als ich beim Weihnachtsmarkt in der Carpathia im vergangenen Jahr Postkarten vom Belle-Isle-Brunnen mit Detroit im Hintergrund anbot, erinnerte sich eine ältere Frau: "Da war ich bei einem Schulausflug!" Das mag wohl ein paar Jahrzehnte her sein. Seither hat sie es nicht mehr dorthin geschafft.

Ein Ausflugsort der Detroiter ist die Insel aber immer geblieben. Samstagsabends geht man dorthin zum Cruisen, sonntags zum Picknick. Außerdem gibt's auf Belle Isle den einzigen Strand der City of Detroit. Der Unternehmer und Rennstallbesitzer Roger Penske brachte auch Vorstädter wieder auf die Insel: Am gestrigen Labor Day wurde dort der Detroit Indy Grand Prix gefahren - das erste Autorennen seit 2001. Wir hatten gestern immerhin das Vergnügen, das Ganze vom Flugzeug aus zu sehen, als wir aus Deutschland zurückkamen. Bei strahlendem Sommerwetter. Es sah richtig niedlich aus.

Nun stellt sich natürlich die Frage, ob ein Autorennen das richtige Mittel ist, um der schönen Insel städteplanerisch endlich wieder gerecht zu werden. Belle Isle ist unzweifelhaft ein äußerst beschauliches Fleckchen Erde, das eine Postkartenaussicht auf Detroit, die Ambassador Bridge und Windsor bietet. Ein Stadtpark mit einer internationalen Grenze in Reichweite! Gelegentlich kann man sogar Frachter vorbeifahren sehen. "In other cities, a place like this would get more attention", zitierte die Free Press eine Detroiterin. Das kann man wohl sagen.