Thursday, December 25, 2008

Palmen, Goldsterne und Kokosnüsse

Zugegeben, die Weihnachtsdekoration wirkte etwas fehl am Platz. Goldsterne unter Palmen! Aber die Temperaturen in Miami kurz vor dem Fest waren genau richtig, um dem Winter in Michigan kurzzeitig zu entfliehen – meistens über zwanzig Grad Celsius.

In den Palmen selbst hingen allerdings keine Christbaumkugeln, sondern Kokosnüsse. Manche lagen auch auf den Boden – wer im Palmenwäldchen am South Beach wandelt, lebt gefährlich.Weihnachtsdekoration in Miami Beach © Cornelia Schaible Mein Mann hob eine Nuss auf und wanderte eine Weile mit ihr herum wie das Hörnchen in „Ice Age“. Später warf er sie weg, bereute es dann aber. „Ich wäre gerne einmal mit einer Kokosnuss gereist“, sagte er.

Das Schöne an Kokosnüssen ist, dass sie kostenlos als Snack zur Verfügung stehen. Falls man weiß, wie man sie öffnet. Als wir vom MacArthur Causeway, der Miami Beach und Miami verbindet, in den Watson Park abbogen, war ein Mann am Straßenrand gerade bei der Ernte. Er lebte offenbar unter der Brücke; wir sahen dort seinen Einkaufswagen mit den wenigen Habseligkeiten geparkt. Wir stellten dann das Auto ab und schauten hinüber zum Port of Miami, wo die Kreuzfahrtschiffe der Carnival-Linie vor Anker liegen. Fünf Schiffe waren gerade da, jedes so groß wie ein Hochhaus. Dann fuhren wir zurück auf den Causeway in Richtung Miami.

Der Mann mit der Kokosnuss saß am Straßenrand. Er hatte die Nuss inzwischen geöffnet. Frühstück!

Als wir wieder in Detroit waren, lagen zwanzig Zentimeter Schnee. Das Auto mussten wir allerdings nicht auf dem Parkplatz ausgraben. Das hatte der eisige Wind schon erledigt.

Vielleicht hätten wir die Kokosnuss doch mitnehmen sollen.

Tuesday, December 23, 2008

The President-Elect's Beachwear

"Speedos? Only Olympic athletes are allowed to wear speedos. That's it. There are no exceptions. (I'm looking at you, overweight German tourists.)

The President-elect's beachwear is perfectly acceptable."

"Thank goodness for Obama on many levels. I'm so sick of wrinkled old white men."

LESERKOMMENTARE von "lizziekw" und "sfn8iv" auf der "Huffington Post" zu einem Artikel über Paparazzi-Aufnahmen, die den künftigen Präsidenten in Badeshorts beim Hawaii-Urlaub zeigen. Der Artikel endet mit der Bemerkung, wenigstens habe Barack Obama keine Speedos getragen.

Thursday, November 27, 2008

Protokoll einer Truthahn-Begnadigung

Zu Thanksgiving müssen in den USA rund 45 Millionen Truthähne ihr Leben lassen. Einer davon, ein eher zierliches Exemplar, schmurgelt gerade in unserem Backofen.

Zur Tradition gehört, dass der Präsident alle Jahre wieder einen Turkey begnadigt. Für die lahme Ente Bush war das Puten-Pardon eine willkommene Gelegenheit, sich endlich wieder einmal den Fotografen zu stellen. Damit keiner denkt, er sei schon klammheimlich nach Texas abgereist. Pumpkin heißt der glückliche Puter, der nach seiner Begnadigung übrigens per United Airlines nach LA fliegen durfte, um dort an der Disney-Thanksgiving-Parade teilzunehmen. Mit von der Partie: ein zweiter Puter namens Pecan, dem allerdings kein Fernsehauftritt vergönnt war.

Man muss schon sagen, Bush beherrscht das Zeremoniell inzwischen perfekt. Was man von Sarah Palins Versuch, etwas Ähnliches hinzukriegen, nicht gerade behaupten kann. Ihre Version einer Truthahn-Begnadigung hätte das Prädikat „Peinlichster Auftritt einer Politikerin aller Zeiten“ zu Recht verdient.

Die Gouverneurin von Alaska fand nichts dabei, das Fernsehteam in den Geflügelstall mitzuschleppen, was schon einmal keine gute Idee war. Merke: Wenn du einen Truthahn begnadigst, zeige möglichst nicht seine Leidensgenossen, deren Schicksal keine so glückliche Wendung nimmt. Das hätten die Fernsehzuschauer indessen noch verkraftet. Aber dass die gewesene Vizekandidatin der Republikaner dann munter weiter plauderte, während hinter ihr ein Arbeiter einen Truthahn nach dem anderen in den Entsafter steckte – nun, da schmeckt das Festmahl gleich nochmal so gut. Und man wird den Eindruck nicht los, dass sich diese Frau irgendwann um Kopf und Kragen redet.

Es gibt doch so manches, wofür man heute dankbar sein kann.

Friday, November 14, 2008

Schliemann am Schreibtisch

In der vierten Klasse wollte ich noch Archäologin werden. Das fällt mir jetzt wieder ein, wenn ich meinen Schreibtisch betrachte. Mein persönliches Troja. Da türmt sich Schicht auf Schicht, jede bestehend aus Zeitungsausschnitten, Artikel-Ausdrucken, Notizblöcken, Landkarten und anderem recherchemäßig wichtigen Material. Irgendwo unter den obersten Feinschichten, die sich mit der späten Wahlperiode beschäftigen, muss das Material zu meiner jüngsten Reisereportage liegen. Dazu älterer Stoff zu einem weiteren Artikel. Ich hatte gerade damit angefangen, als die Geschichte über uns hereinbrach. Dann schrieb ich eine Weile nur noch über Battleground States, das Mehrheitswahlrecht und den Bradley-Effekt. Zumindest die oberste Schicht hat einen historischen Kern, dessen bin ich mir ganz sicher.

Es wird mir nun nichts anderes übrigbleiben, als vorsichtig mit Ausgrabungen zu beginnen – mit aller gebotenen wissenschaftlichen Sorgfalt. Jedenfalls hat die Vermutung, ich hätte vor der Wahlzeit an wichtigen Dingen gearbeitet, in den neuesten Grabungsergebnissen eine Stütze gefunden. Unlängst habe ich Spuren journalistischer Tätigkeit entdeckt, die mehr als fünf Jahre zurückreichen. Solange bin ich nun schon in den USA. Mein Mann sieht dem Ganzen übrigens kopfschüttelnd zu – sein Schreibtisch ist fast leer. Aber er ist auch kein Schreiberling, und seine alten Chemiezeitungen türmen sich unter dem Schreibtisch. Eine Art Altpapier-Akropolis im Parterre. Die verschüttete Unterstadt. Einen Troja-Streit werden wir deswegen aber nicht anfangen.

Wie immer bei derartigen Grabungen werden auch Dinge zutage kommen, nach denen niemand gesucht hat. Ich selbst schon bin gespannt auf die publizistischen Schätze, die ich heben werde! Morgen ist Samstag, und möglicherweise kann die Grabungsserie noch an diesem Wochenende beendet werden.

Tuesday, November 11, 2008

Hungry for Change

Bis vor kurzem gingen viele noch von einer eingebauten republikanischen Mehrheit in diesem Lande aus. Ich muss gestehen, dass ich dazu gehörte.

Die Republikaner würden notfalls auch eine gebackene Kartoffel wählen, las ich ein paar Wochen vor den Wahlen in einem liberalen Blogforum. Schnurzegal wer der Kandidat (oder die Kandidatin) ist – die rechte Mehrheit wird schon irgendwie für den Wahlsieg sorgen.

Nun hat sich allerdings herausgestellt, dass die Marke McCain höchstens in Form von tiefgekühlten Kartoffelstäbchen ins Weiße Haus einzieht (falls die Obamas so etwas essen). Beim nebenstehenden Billboard, gesehen an der Woodward Avenue in Detroit, handelt es sich nämlichMcCain-Fritten-Werbung in Detroit © Franz Gingl mitnichten um übrig gebliebene Wahlwerbung – da hat sich nur die kanadische Frittenfirma McCain ein Späßchen gemacht. Wäre einmal interessant zu wissen, wie viele Autofahrer darauf hereingefallen sind. Schon vor vielen Monaten wunderte man sich in Bloggerkreisen, warum das Logo des republikanischen Präsidentschaftskandidaten so pommesmäßig daherkam: Das ging wohl voll ins Kartoffel-Auge. Die Frittenleute lachten sich ins Fäustchen, färbten ihre Tüten patriotisch blau und blieben ansonsten konsequent beim Thema. Wahlzeit!

Es gab in Downtown Detroit allerdings auch wenig Werbe-Konkurrenz vom gleichnamigen Kandidaten. Wozu auch – dass McCain in der überwiegend von Afroamerikanern bewohnten City of Detroit keine Chance hat, war schon lange klar. Die Überraschung ist vielmehr, dass er in der ganzen Metropole nicht viel ausrichten konnte: Barack Obama siegte auch in den Suburbs. Und das galt nicht nur für die Metropole Detroit: Obama, the Metropolitan Candidate.

Nach der Wahl fiel mir wieder ein, dass ich das alles schon einmal gelesen hatte: Ein Schreiber in der „Washington Post“ hatte das richtig vorausgesehen. „The High Rise of the First Metropolitan Candidate“ von Alec MacGillis – ich hatte keine Mühe, den Artikel online wiederzufinden – beschrieb die USA als “urban-suburban nation, with two-thirds of the population now residing in its largest metropolitan areas”. Und trotzdem tun die Republikaner immer noch so, als lebten die Amerikaner überwiegend auf der Farm. Für ihre Wähler trifft das allerdings schon zu. Aber die sind heutzutage in der Minderheit.

Urbane Zentren, Vorstädte und Collegetowns wählten Obama. Im Wesentlichen waren das die Jungen, die Gebildeten, die Schwarzen, die Mehrheit der Latinos und – ganz generell – 54 Prozent der Frauen. Macht insgesamt 53 Prozent der Wählerstimmen. „Hungry for Change?“ Wahrscheinlich. Allerdings war das auch ein Slogan der Frittenfirma.

Mehr zum Thema auf suite101: Warum Barack Obama gewonnen hat

Wednesday, November 5, 2008

A Beautiful Day

In Ann Arbor, wo Obama einen 83-Prozent-Sieg einfuhr, zogen Studenten über den Campus, und im nahen Detroit tanzten Menschen auf den Straßen: Impressionen vom Wahltag im Bundesstaat Michigan.

Schon in der Frühe wurden überall im Land lange Schlangen vor den Wahllokalen gemeldet, und die Tübinger Partnerstadt Ann Arbor machte keine Ausnahme. In der Unistadt hatten sich im September rund 6000 neue Wähler registrieren lassen, darunter viele Studenten. Strahlender Sonnenschein machte das Warten leicht; für einen 4. November war das Wetter ungewöhnlich warm. Dazu kam eine festliche Aufbruchstimmung – anders lässt sich das nicht beschreiben. UndObama-Büro in Detroit © Franz Gingl noch mehr Leute als sonst hatten einen Kaffeebecher in der Hand, eine bekannte Kaffeehauskette gab zur Feier des Tages einen aus. Die Botschaft war: Wählen gehen!

Unter den Erstwählern waren nicht nur junge Leute: Im Detroiter Fernsehen bekannten gestandene Menschen in den Dreißigern und Vierzigern, zum ersten Mal an die Urne gegangen zu sein. Manche brachten Kinder mit zum Wahllokal, sie sollten den historischen Moment miterleben. Und es gab jede Menge Barack-Obama-T-Shirts. Anhänger des Republikaners John McCain verhielten sich vergleichsweise diskret; sie warben allenfalls mit einem Schildchen im Vorgarten.

In der Michigan-Metropole Detroit, an deren südwestlichem Rand die Stadt Ann Arbor liegt, waren die politischen Präferenzen sichtbar verteilt – zumindest in den reichen Vorstädten lag McCain bei der Abstimmung per Rasenschildchen vorn. Anders im überwiegend von Afroamerikanern bewohnten Detroit: Zehntausende hatten dort bei Veranstaltungen Obama zugejubelt. Und im traditionell demokratischen Ann Arbor, das die Obama-Kampagne erheblich gesponsert hatte (wir berichteten), war der Wahlausgang ohnehin klar. Wie die Lokalzeitung „Ann Arbor News“ kürzlich berichtete, wurde aus einem Garten in der Innenstadt ein McCain-Schildchen geklaut – wahrscheinlich war es das einzige. Noch weniger fein war, dass der Besitzer außerdem ein Päckchen mit Hundekot zugestellt bekam.

Im Laufe des Wahltags wuchs die Spannung. In Chicago, wo Obama mit seiner Familie lebt, strömten die Leute in den Grant Park unweit vom Ufer des Michigansees. Die Großstadt Chicago liegt knapp fünf Autobahnstunden von Ann Arbor entfernt, und viele wünschten, sie wären dort. Aber Wahltage sind gewöhnliche Arbeitstage in Amerika, und so war das für die meisten nicht zu schaffen.

Der Wahlabend dauerte dann doch etwas länger als gedacht. Nachts um elf verkündeten die Fernsehsender endlich den Sieg Obamas. Seine Fans verschickten E-Mails: „Hurra, wir haben gewonnen!“ Auf dem Bildschirm: weinende Menschen, selbst altgediente Fernsehjournalisten schluckten. 400 Jahre nach Ankunft der ersten afrikanischen Sklaven in Nordamerika wählten die USA einen schwarzen Präsidenten. In den großen Städten, auch in Detroit, feierten die Menschen in der Nacht auf den Straßen.

Auch in Ann Arbor hielt es viele nicht zu Hause. Kurz nach halb zwölf, so berichten die lokalen Medien, kamen die ersten feiernden Studenten auf dem zentralen Campus zusammen. Die Menschenmenge setzte sich in Bewegung, und bald zogen 1000 Leute durch die Unistadt. „So etwas habe ich noch nie gesehen“, zitiert die „Ann Arbor News“ Bürgermeister John Hieftje, der gerade in einer Kneipe seinen eigenen Wahlsieg feierte – er wurde für eine fünfte Amtszeit bestätigt. „Man konnte sie kommen hören, und dann ging die halbe Bar nach draußen und lief mit.“

Die Lokalzeitung, die zwei Mal stramm für Bush gestimmt hatte, konnte sich diesmal übrigens nicht zur Unterstützung eines Kandidaten durchringen – beide hätten eine mangelhafte Kampagne geführt, so die Begründung. In Washtenaw County, also im Landkreis, erhielt McCain nicht einmal 29 Prozent der Stimmen – weniger als Bush im Jahr 2004. Auch die Demokraten im Kongress profitierten von der Obama-Begeisterung: Zwei Republikaner aus dem Repräsentantenhaus verloren im Südwesten Michigans ihren Sitz an den demokratischen Herausforderer.

Im 15. Bezirk, zu dem Ann Arbor gehört, wurde der demokratische Abgeordnete John Dingell mit 73 Prozent im Amt bestätigt. Aber auch Dingell, das am längsten amtierende Mitglied des Repräsentantenhauses, bekommt zu spüren, dass jetzt ein anderer Wind weht: Zu lange hat er die Interessen der Detroiter Autoindustrie gegen Umweltauflagen verteidigt, und so verliert er jetzt wahrscheinlich den Vorsitz im Energie-Ausschuss des Hauses. Der demokratische Senator Carl Levin, seit 1979 im Amt, kann sich über 71 Prozent der Stimmen freuen.

Sunday, November 2, 2008

Die Sache mit den Swing States

In deutschen Publikationen ist derzeit ziemlich häufig zu lesen, dass die US-Präsidentschaftswahlen in den Swing States entschieden werden. Das stimmt so nicht ganz: Swing States sind vielmehr diejenigen Staaten, in denen George W. Bush im Jahr 2004 knapp gewonnen oder John Kerry knapp verloren hat. Dazu gehört auch Michigan - trotzdem passiert hier nichts Wahlentscheidendes, denn Barack Obama führt in den meisten Umfragen zweistellig. Der Bundesstaat ist also nur in der Retrospektive ein Swing State; im Übrigen hat nach 1988 kein Republikaner mehr den Staat gewonnen. Deshalb hat John McCain hier auch schon Anfang Oktober das Handtuch geworfen.

Nun ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass die Swing States trotzdem eine Rolle im Wahlkampf spielen - jedenfalls in einem frühen Stadium. Ob es sich dann aber tatsächlich um einen Battleground State handelt, entscheiden die weiteren Umfragen. Und in den Tossup States, also den Münzwurfstaaten, bleibt es tatsächlich bis zum Ende spannend: Niemand weiß, auf welche Seite die Münze fällt.

Das erklärt manches. Zum Beispiel die Frage: Was hat die Obama-Kampagne in Arizona verloren? Dass McCains Heimatstaat an den Demokraten geht, ist eher unwahrscheinlich. Nun, es ist ganz einfach: Obama denkt schon an 2012. Die Offensive ist nichts anderes als der Versuch, einen neuen Swing State zu produzieren. Nach der Wahl ist vor der Wahl.

Mehr zum Thema auf suite101: Wahlen in den USA: Noch Fragen?

Saturday, November 1, 2008

Sportlicher Kampfgeist in Ann Arbor

Wer wird gewinnen? Am letzten Wochenende im Oktober, zehn Tage vor dem Wahltermin, herrscht in Ann Arbor Kampfstimmung. Allerdings hat das weniger mit den Präsidentschaftswahlen zu tun – Tübingens US-Partnerstadt ist vom Footballfieber gepackt.

Wie an jedem Samstag, an dem ein Heimspiel im Stadion der University of Michigan (U-M) ansteht, geht es in er Innenstadt von Ann Arbor hoch her. Wolverines heißen die Lokalmatadore, und man erkennt sie und ihre Fans leicht am Uni-Logo: einem gelben „M“ auf blauem Grund. Die meisten Einheimischen tragen am Spieltag blaue oder gelbe Kleidung, was wahrscheinlich nur Europäer lustig finden können. Amerikanischer College-Football ist eine ernsthafte Angelegenheit, auch in der Tübinger Partnerstadt im US-Bundesstaat Michigan.

Das gilt vor allem am Tag der grünen Invasion. Die Grünen, das sind die Spartans von der Michigan State University (East Lansing), die Erzrivalen der U-M. Die Begegnung ist der HöhepunktUnparteiischer T-Shirt-Laden in Ann Arbor © Cornelia Schaible
der Saison. Schon am späten Vormittag stauen sich Autos mit Spartan-Aufklebern in der Hauptstraße der Tübinger Partnerstadt. Es ist ein kalter Herbsttag, und bald sind viele grüne Anoraks unterwegs. Der Inhaber eines T-Shirt-Ladens hängt die Flaggen beider Mannschaften außen ans Schaufenster – Geschäftssinn schlägt Lokalpatriotismus. Auch sonst gibt sich der Besitzer unparteiisch. Jedenfalls lassen die übrigen Auslagen diesen Rückschluss zu: Im Angebot sind T-Shirts, die für beide Präsidentschaftskandidaten werben, für den Demokraten Barack Obama und für seinen republikanischen Konkurrenten John McCain.

Auf die Frage, ob sich McCain-T-Shirts im traditionell Demokraten-freundlichen Ann Arbor überhaupt verkaufen, gibt der Mann nur zögerlich Auskunft. Ja, er habe einige verkauft, antwortet er dann. Die Journalistin lässt nicht locker: Aber wahrscheinlich mehr von der Obama-Sorte? Der Ladenbesitzer bejaht. „Das will ich aber hoffen“, ruft eine Passantin, die das Gespräch mitbekommen hat. „Das will ich aber schwer hoffen!“

Außerhalb des T-Shirt-Ladens dürfte es in der Innenstadt von Ann Arbor nur wenig Hinweise auf die Existenz des republikanischen Kandidaten geben – abgesehen vom Büro der McCain-Wahlhelfer selbst. Auf der Kampagnen-Website ist es als lokales „Victory Office“ (zu Deutsch „Siegesbüro“) aufgeführt. Aber offenbar glauben in der Partei nicht einmal mehr die Optimisten daran, dass die Republikaner am 4. November die 17 Wahlmänner aus Michigan für sich verbuchen können: Schon Anfang Oktober haben John McCain und seine Vizekandidatin Sarah Palin den Wahlkampf in Michigan offiziell eingestellt. Meinungsumfragen zufolge liegt Barack Obama im Bundesstaat mit 17 Prozentpunkten in Führung. Und wie heißt die Stadt in Michigan, aus der die meisten Spenden für die Obama-Kampagne kamen? Richtig, Ann Arbor. Eine knappe halbe Million Dollar waren es Presseberichten zufolge.

Obwohl es keinen Zweifel daran gibt, wen man in der Tübinger Partnerstadt gern im Präsidentenamt sähe, sind die Wahlhelfer im lokalen Obama-Büro an der Ecke von West Liberty und First Street sehr aktiv. Nun, vielleicht nicht gerade vor einem Heimspiel – ein gelbes „M“ am Gebäude deutet schon an, dass auch Wahlkämpfer bisweilen Prioritäten setzen. In diesem Fall geht Sport vor Politik. Allerdings denken nicht alle so: Immer wieder sieht man Leute, die ihren Einkäufen nach vom Markt kommen und außer dem Gemüse noch ein Barack-Obama-Rasenbanner nach Hause tragen. Abgesehen von Werbespots im Fernsehen und im Internet spielt sich der US-Wahlkampf vor allem in Vorgärten ab. Wahlplakate im öffentlichen Raum sind nicht üblich.

Die Quelle für die Obama-Schilder findet sich schließlich auf dem Wochenmarkt: ein Stand der Demokraten. Die Republikaner? Fehlanzeige. Auch Adrian Cleypool hat mit ihnen nichts am Hut: Daran prangen vielmehr Obama-Anstecker, die Cleypool neben passenden T-Shirts aus der eigenen Druckerei verkauft. Schon den ganzen Sommer über stand er jeden Samstag auf demAdrian Cleypool aus Ann Arbor © Cornelia Schaible<br /> Markt – dabei hat ihm der Hut gute Dienste geleistet. Jetzt wirkt der Strohhut nicht mehr saisongemäß. Der Wahlkampf war lang: Seit anderthalb Jahren sei er für Obama im Einsatz, so der 63-Jährige.

Cleypool, der ursprünglich aus Rotterdam stammt, ist seit dem Vietnamkrieg politisch aktiv. Als er eingezogen werden sollte, verweigerte er den Militärdienst aus Gewissensgründen – nach stundenlangem FBI-Verhör konnte er sich damit sogar durchsetzen. Seinen Ersatzdienst leistete Cleypool, der vorher in einer anderen Region von Michigan gelebt hatte, im Krankenhaus in Ann Arbor. Und er blieb in der Unistadt hängen. Von einem Wahlsieg Obamas verspricht er sich eine grundsätzlich Änderung der politischen Kultur – „einen großen Aufbruch“, wie er es nennt.

Mit einem Schild im Garten zeigen die Leute, „dass sie zur Obama-Familie gehören“, meint er. Aktivisten wie Cleypool möchten vor allem sicherstellen, dass die Wähler tatsächlich an die Urnen gehen – sonst nützen die ganzen schönen Umfragewerte nichts. Im Mehrheitswahlsystem der USA, bei dem die siegreiche Partei alle Wahlmänner eines Bundesstaates für sich verpflichtet, bringen oft wenige Stimmen die Entscheidung. 537 Wählerstimmen in Florida verhalfen George W. Bush im Jahr 2000 zum Sieg. Der Demokrat Al Gore erhielt landesweit mehr Wählerstimmen als Bush, wurde aber trotzdem nicht Präsident.

Für knappe Wahlausgänge ist gerade Ann Arbor berühmt. Im Jahr 1977 wurden die Bürgermeisterwahlen mit einer einzigen Stimme entschieden – das steht jedenfalls in einem Blättchen, das zur Wahlzeit in der Filiale einer bekannten Kaffeeshop-Kette ausliegt. Ann Arbors Bürgermeister John Hieftje, der am 4. November für eine fünfte Amtszeit zur Wahl steht, hat in dieser Hinsicht allerdings nichts zu befürchten – es gibt zwar einen Gegenkandidaten von der Libertarian-Partei, aber der stellt keine ernsthafte Konkurrenz dar.

Das soll nicht heißen, dass der Favorit in Ann Arbor nicht gelegentlich einmal verliert. Das Spiel der U-M gegen Michigan State endet 21-35 – der erste Sieg der Spartans seit 2001 über die lange Zeit übermächtigen Wolverines.

Zurück zur Politik. Wie gut sind die Chancen von Barack Obama? Adrian Cleypool gibt sich zuversichtlich: „Am Tag nach der Wahl drucke ich neue T-Shirts.“ Mit der Aufschrift „President Obama“.

Thursday, October 23, 2008

Memo: The Winner Takes It All

Gestern hatte ich ein Live-Gespräch mit der Volkshochschule Offenburg. Angekündigt wurde die Veranstaltung im "Offenburger Tageblatt" (und anderen Medien) mit einem Interview, das ich hier auszugsweise wiedergebe:

Frau Schaible, Sie leben an den Großen Seen. Da haben sich in der Vergangenheit viele deutsche Auswanderer angesiedelt. Spürt man den deutschen Einfluss noch?
Manchmal wünscht man sich seinen deutschen Akzent natürlich weg. Aber dank meines Akzents bekomme ich viele schöne Geschichten deutschstämmiger Michiganer zu hören. Nach offiziellen Angaben hat jeder vierte Einwohner des Bundesstaates deutsche Vorfahren. Sobald ich den Mund aufmache, klickt bei denen etwas. Und dann erzählen sie mir von ihrem deutschen Großvater oder ihrer Großmutter, die einst in die Staaten auswanderten, um ihr Glück zu machen.

Werden Sie als Deutsche oft nach Ihrer Meinung zu den Kandidaten gefragt?
Politische Diskussionen sind etwa bei Partys tabu – deshalb werde ich gerade als Deutsche – unter vier Augen – oft nach meiner Meinung zur politischen Situation in den USA gefragt, weniger nach den Kandidaten selbst.(...)

Wie ist die Situation in Detroit?
Die Metropolregion Detroit, das wirtschaftliche Zentrum des Bundesstaates Michigan, zeichnet sich durch drei charakteristische Merkmale aus: die ums Überleben kämpfende Autoindustrie, starke Gewerkschaften und eine überwiegend von Afroamerikanern bewohnte Innenstadt. Das spricht alles für die Demokraten. Tatsächlich hat Michigan, derzeit regiert von der Demokratin Jennifer Granholm, in allen Präsidentschaftswahlen nach 1988 demokratisch gewählt. Zu Großveranstaltungen mit Barack Obama in Detroit und in der Hauptstadt Lansing kamen jeweils zwischen 15.000 und 30.000 Leute, und zwar aus allen Schichten der Bevölkerung. Die Events des Republikaners John McCain zogen deutlich weniger Publikum an.

Derzeit liegt Obama vorne. Glauben Sie noch an Überraschungen?
Ich denke, dass diese Wahl auch ganz anders als gedacht und prognostiziert ausgehen kann. Umfragen sind überhaupt mit Vorsicht zu genießen – die Bevölkerung in den einzelnen Bundesstaaten wählt den Präsidenten ja nicht direkt, sondern sie bestimmt die Wahlmänner. Und zwar geht das nach dem "The-winner-takes-it-all"-Prinzip: Die einfache Mehrheit entscheidet, und dann stellt die siegreiche Partei alle Wahlmänner des jeweiligen Staates. Die Stimmen für den Gegenkandidaten fallen schlichtweg unter den Tisch. Der Demokrat Al Gore erhielt mehr Wählerstimmen als George W. Bush – und wurde trotzdem nicht Präsident. Und nicht vergessen: Vor vier Jahren wurde George W. Bush im Amt bestätigt. Das sagt auch schon einiges aus. […]

Monday, October 20, 2008

Wahlkampf im Vorgarten

Gelegentlich soll ich fürs deutsche Publikum erklären, wie eigentlich der Wahlkampf in den USA aussieht. Also, abgesehen von Fernsehdebatten und Werbespots. Wie sich das im Straßenbild bemerkbar macht. „Gibt’s eigentlich auch Wahlplakate?“, wurde ich kürzlich gefragt. Nein, die gibt’s nicht, jedenfalls nicht im öffentlichen Raum – hier hängen definitiv keine Politikerporträts an Straßenlaternen.

Der Wahlkampf in den USA wird überwiegend in den Vorgärten ausgetragen. Bunte Rasenschildchen verraten die politischen Präferenzen der einzelnen Wohnsiedlungen; manchmal prangen die Namen des bevorzugten Kandidaten auch an Hauswänden oder an einer anderen exponierten Stelle. Im Appartmentkomplex nebenan hat einer „Obama for President“ an der Balkonbrüstung hängen. Klar, nicht jeder hat einen Vorgarten. Dazu sollte man erwähnen, dass nicht nur die Namen der Präsidentschaftskandidaten den herbstlich mit Laub gesprenkelten Rasen zieren: Am 4. November werden auch ein gutes Drittel des Senatsmitglieder und das komplette Repräsentantenhaus neu gewählt, dazu sind in manchen Staaten Gouverneurswahlen, zusätzlich müssen in Landkreisen und Gemeinden vom Bürgermeister bis zum Polizeichef viele Ämter neu besetzt werden – ein Wahlmarathon. Daher treiben es manche Vorgartenbesitzer ziemlich bunt.

Nun ist es aber offenbar so, dass sich Hausbesitzer am liebsten dann politisch outen, wenn der Nachbar sein Kreuzchen an der gleichen Stelle macht – so manch eine Subdivision in den Vorstädten scheint ganz auf McCain zu setzen. Die koordinierte Abstimmung per lawn sign machtUS-Präsidentschaftswahlkampf im Vorgarten © Cornelia Schaible es nicht einfach, für illustrative Zwecke beide Kandidaten-Schilder gleichzeitig aufs Bild zu bekommen.

Bei unserem letzten Kurztrip an die Sleeping Bear Dunes wurden wir schließlich fündig: Die Wochenendhausbesitzer am Crystal Lake in Benzie County scheinen nicht unbedingt erpicht darauf, in politischer Harmonie mit dem Nachbarn zu leben. Der Grundstückbesitzer der Obama-Seite meines Fotos meinte jedenfalls sinngemäß, der Anblick würde seinen Nachbarn schon fuchsen. „Manche klauen die Schilder auch“, fügte er noch vieldeutig hinzu. Diese Art von nachbarlichem Wahlkampf ist auch bereits in einem Youtube-Video festgehalten.

Die Schilder müssen auch sonst für einiges herhalten. Am Tag zuvor hatte ich bereits versucht, ein ähnliches Bild in Northport aufzunehmen. Da fiel mir plötzlich auf, dass das Obama-Schild – offenbar auf McCain-Territorium – von Löchern übersät war. Es handelte sich eindeutig um Einschusslöcher – irgendjemand hatte mit der Schrotflinte darauf geschossen.

Mir war das schon von weitem aufgefallen, weil ich eine Gegenlichtaufnahme versucht hatte. Durch die Löcher im Obama-Logo fielen Sonnenstrahlen.

Wednesday, October 8, 2008

McCain looked old

"Brokaw looked old. McCain looked old. Obama looked young."

TOM SHALES, Kolumnist der "Washingon Post", über die gestrige zweite Debatte der US-Präsidentschaftskandidaten, moderiert vom altgedienten NBC-Journalisten Tom Brokaw. Während Barack Obama sprach, wanderte John McCain im Hintergrund ziellos umher, was ziemlich unheimlich wirkte - "Gollum with a mic" schrieb Bob Cesca auf der "Huffington Post".

Saturday, September 27, 2008

Happy Birthday, Model T!

„Dieser kleine Raum ist die Geburtsstätte des Model T“, sagte der ehrenamtliche Mitarbeiter, der die Besuchergruppe durch das Piquette-Werk in Detroit führte. Die alte Fabrik, heute kurz T-Plex genannt, war das zweite Werksgebäude der Ford Motor Company. Und hier gelang Henry Ford, was er sich von Anfang an vorgenommen hatte: aus dem damaligen Luxusgut Auto ein Massenprodukt zu machen. Vor hundert Jahren, am 27. September 1908, verließ das erste Model T die Montagehalle – das Auto, das die Welt verändern sollte.

Die „Tin Lizzie“ war ein solcher Erfolg, dass Ford schon 1910 nach Highland Park ins nächstgrößere Fabrikgebäude umziehen musste. Insgesamt wurden mehr als 15 Millionen Model Ts gebaut, und bis heute sind rund eine Viertelmillion des unverwüstlichen Vehikels fahrtauglich. Um ein Model T zu reparieren, braucht man kaum mehr als einen Satz Schraubenschlüssel – nicht zuletzt deswegen ist die Karre bei Hobbyschraubern so beliebt. Samstags hängen Model-T-Fans in der zum Museum umfunktionierten alten Fabrik herum und fachsimpeln ein bisschen. Im T-Plex werden auch regelmäßig Workshops angeboten.

Außerdem macht es natürlich Eindruck, mit einem Model T durch die Gegend zu knattern. Ein Wägelchen zum Knuddeln. Das Auto komme nicht zuletzt bei Damen großartig an, erzählte mir Thomas Mullin, der ein 1916er Touring Car restauriert hat. „Sie fahren darauf ab. Es ist mindestens so gut wie ein Golden Retriever!“

Mehr zum Thema auf suite101: Die Geburtsstätte des Model T in Detroit

Saturday, September 13, 2008

Frankfort, Michigan

Zwei Autos begegnen sich auf einer Dorfstraße. Sobald sie auf gleicher Höhe sind, bleiben sie einfach stehen, und die Fahrer unterhalten sich durch die geöffnete Windschutzscheibe. DieLogo einer Fischhandlung in Frankfort, Michigan © Cornelia Schaible Konversation dauert einige Minuten lang, und solange umkurvt der spärliche übrige Verkehr das Hindernis mitten auf der Straße anstandslos. Niemand hupt. Dann setzen sich die beiden Fahrzeuge wieder in Bewegung. Alles geht seinen gewohnten Gang.

Zuletzt konnte ich so etwas vor etlichen Jahren in Italien beobachten. Oder war es in Spanien? Egal. Jedenfalls hatte ich nicht damit gerechnet, die oben geschilderte Szene in den USA zu erleben. Sicher wäre das auch nicht überall möglich – aber in Frankfort, Michigan, kommt das schon vor. Wie ich vor einer Woche feststellen konnte.

Kein Ahnung, warum wir bis her nie in Frankfort waren. Wahrscheinlich deswegen, weil wir die Namensgebung für einen Ort am Lake Michigan nicht besonders einfallsreich fanden. Aber besonders originell waren die Gründerväter bei der Benennung ihrer Siedlungen auch woanders nicht (siehe auch Holland, Michigan, und so fort).

Es mag auch daran liegen, dass Frankfort in den meisten Michigan-Reiseführern mehr oder weniger übergangen wird. Es liegt ein Stück südlich der Sleeping Bear Dunes, und irgendwie fällt es dabei durch den Rost. Die Dünen bei Empire und Glen Arbor sind einfach höher. Und was den Tourismus angeht, hat Frankfort seine glanzvollsten Zeiten längst hinter sich – es gab sogar einmal ein Grand Hotel nach der Art dessen, wie es heute noch auf Mackinac Island steht. Frankfort ist auch in keiner Hinsicht irgendwie niedlich und fremdenverkehrsmäßig aufgehübscht. Aber die Mainstreet geht in Richtung Westen, und der Abendspaziergang zum Strand führt direkt in den Sonnenuntergang.

Heute übernachten die meisten Besucher in Motels oder mieten ein Cottage, und sie kommen nicht wegen der Sommerfrische, sondern zum Fischen. Dummerweise wird man dann morgens um halb vier von Anglern geweckt, die schon mitten in der Nacht völlig von der Rolle sind. Bis wir dann so gegen halb zehn auf der Pier einlaufen, ziehen die ersten schon mit ihrem Fang von dannen. Und Boy, das sind keine kleinen Fische: Im Spätsommer ziehen sie silbrigglänzende Lachse aus dem Lake Michigan, die mehr als zwanzig Pfund auf die Waage bringen können. Kein Wunder, dass man überall Räucheröfen sieht (und riecht). Wer will das alles essen?

Erfreulicherweise gibt es trotzdem eine ganze Reihe von Restaurants und Taverns in Frankfort, die einen Besuch zu lohnen scheinen. Das eine oder andere Restaurant, das wir schon ausprobiert haben, werden wir sicher ein andermal wieder besuchen. Wie sich so viel Gastronomie in diesem Fischerörtchen halten kann, ist uns allerdings ein Rätsel. Wahrscheinlich lässt sich Frankfort mit dem gleichen Spruch definieren wie St. Ignace (das stand dort auf dem T-Shirt der Bedienungen im Mackinaw Grille): A drinking village with a fishing problem.

Sunday, August 24, 2008

Wo Michael Phelps trainierte - und sich durchfutterte

In „Benny’s Family Dining“ gibt’s große Portionen zu günstigen Preisen, und auf der Speisekarte findet sich auch ein herzhaftes „Arbeiterfrühstück“ – für einen hart trainierenden Schwimmer genau das Richtige. Zwei Eier sind die übliche Portion, Michael Phelps aß immer drei. In Form von umgedrehten Spiegeleiern, dazu Bratkartoffeln, Würstchen und Toast, je nach Appetit durften es noch ein paar Streifen Speck sein. Das einfache Restaurant unweit der universitären Sportanlagen in Ann Arbor öffnet um 6 Uhr früh, und meist so gegen 7 kam Phelps zur Tür herein. Nach dem Morgentraining hatte er einen Mordshunger, und bis das Essen kam, so erzählt Restaurantbesitzer Benny Shehaj, verdrückte er erst einmal eine Schale Reispudding. Irgendwo müssen die 10.000 Kalorien, die Phelps nach Medienberichten täglich verbraucht, schließlich herkommen.

Vier Jahre lang trainierte Michael Phelps (23) in der Tübinger Partnerstadt. Nach sechs Mal Gold und zwei Mal Bronze bei den Spielen im Jahr 2004 in Athen zog er nach Ann Arbor – sein persönlicher Coach Bob Bowman hatte als Cheftrainer bei der Schwimm-Mannschaft der University of Michigan angeheuert. Und so blieb Phelps nichts anderes übrig, als seine Heimatstadt Baltimore im Bundesstaat Maryland zu verlassen und ebenfalls nach Michigan umzusiedeln. Bowman, gleichzeitig Mentor und Vaterersatz für Phelps, dessen Eltern sich scheiden ließen, als er neun war, hatte ihn schon als hyperaktiven Elfjährigen unter die Fittiche genommen.

Mit 19 Jahren kam Phelps dann nach Ann Arbor. Er sollte dort studieren und mit den Elite-Schwimmern der U-M beim „Club Wolverine“ trainieren. Aber zunächst lief alles nicht ganz so wie geplant. Der Winter kam, und es wurde kalt. Viel kälter als in der Ostküstenstadt Baltimore. Phelps war verletzt, konnte nicht trainieren – und hatte heftiges Heimweh.

Aber nach den anfänglichen Schwierigkeiten gelang es ihm doch, sich einzuleben. Er kaufte sich eine Eigentumswohnung in der Main Street und lernte, selbstständig zu werden. Auch im Haushalt. Kleinere Pannen ließen sich dabei nicht immer vermeiden. Laut US-Presse erzählte Phelps gerne die Anekdote, wie er einmal gewöhnliches Geschirrspülmittel in die SpülmaschineEingang zum Canham Natatorium der U-M, wo Michael Phelps vier Jahre lang trainierte © Cornelia Schaible gab. Der Spülschaum muss anschließend kniehoch in der Wohnung gestanden haben.

Irgendwann schmiss Phelps sein Studium und konzentrierte sich ganz aufs Training im „Canham Natatorium“, also in der Schwimmhalle der U-M. Dabei lenkte ihn nur wenig ab – dass der Gold-Olympionike von Athen in Ann Arbor trainierte, blieb der breiten Öffentlichkeit verborgen. Schwimmen ist kein Zuschauersport, und selbst ein Medaillengewinner wie Phelps genoss damals nur mäßige Popularität. Für die Uni konnte er als Profi nicht an Wettkämpfen teilnehmen, und so schwamm er sozusagen unter dem Radar. Zumindest war das so, bevor der US-Fernsehsender NBC ihn zum „Gesicht der Spiele“ machte.

Wenn er nicht trainierte, saß Michael Phelps gern mit seiner Bulldogge, die auf den schönen Namen Herman hört, auf dem Sofa und faulenzte. Das ergibt sich jedenfalls aus einem Fernsehspot, der den jungen Mann auf besagtem Sofa beim Müsli-Essen zeigt. Denn Phelps mag zwar irgendwann gelernt haben, wie man eine Spülmaschine bedient, aber zum Kochen brachte er es nicht. Weil niemand ständig Müsli essen kann, lernten ihn vor allem die Restaurantbesitzer von Ann Arbor kennen und lieben: Der Appetit des Schwimmers war legendär. Dass der Restaurantinhaber Shehaj eine besondere Sympathie für Phelps pflegt, lag allerdings nicht nur daran: Er sei selbst ein Schwimmer, sagt Shehaj, der vor 16 Jahren aus Albanien in die USA kam. Wie er ihn beschreiben würde? Er zuckt mit den Schultern. „Ganz normal. Nett.“

Seine Wohnung in Ann Arbor hat der Schwimmstar schon im Frühjahr verkauft, und auch nach den Spielen in Peking wird er allenfalls nur kurz in Michigan vorbeischauen. Denn sein Coach übernimmt künftig den Club in Baltimore, der ihn groß machte, und Phelps wird ihm wieder folgen. „Ich gehe zurück nach Hause“, sagte der Schwimmer bei einem Empfang in Detroit Anfang August, „aber Michigan ist der Platz, wo ich erwachsen wurde.“

Weil der Goldjunge Phelps inzwischen doch enorm populär ist, hat man in „Casey’s Tavern“ in Ann Arbor, wo er gerne einen Hamburger aß, sein Bild mit Autogramm vorsorglich abgenommen – offenbar wurde befürchtet, es könnte Beine bekommen. Aber es werde auf jeden Fall an seinen Platz zurückkehren, hieß es in der rustikalen Bierkneipe. Dass die Leute nach den Olympischen Spielen wieder vergessen, wie Michael Phelps aussieht, ist diesmal ohnehin nicht zu befürchten: Dafür werden all die Werbeverträgen, die er nach dem Rekorderfolg in Peking einsammelte, schon sorgen. Unter anderem wird Phelps auf den Schachteln von Kellogs-Frühstücksflocken zu sehen sein.

Saturday, August 23, 2008

Albtraum-Autos auf der Dream Cruise

Wenn ich eine Landstraße oder eine Straßenszene in der Stadt fotografiere, versuche ich meistens, Fahrzeuge miteinzubeziehen. Allerdings klappt das selten so, wie ich mir das wünsche – da kommt viel zu lange kein flotter Sportwagen oder nostalgischer Straßenkreuzer insDream Cruise 2008 © Cornelia Schaible Bild, der ein interessanter Hingucker wäre. Meistens muss ich eine ganze Karawane von schwarzen und grauen Minivans und SUVs am Sucher vorbeiziehen lassen, bis endlich ein einigermaßen fotogenes Vehikel auftaucht. Manchmal klappt das auch einfach nicht. Und ein SUV versaut bekanntlich jedes Bild.

Nun geht man ja als Fotograf/in gerade deswegen auf die Woodward Dream Cruise, damit man endlich mal wieder ein paar richtige Amischlitten vor die Linse bekommt. Schön wär’s. Neuerdings meint jeder Chevy-Suburban-Besitzer, er könne sich einfach unauffällig bei der Dream Cruise einreihen. So war das wenigstens bei der jüngsten Cruise vor einer Woche. Wenn man tatsächlich fotografieren möchte, sollte man besser schon an den Tagen zuvor anrücken. Denn ein eintägiges Ereignis ist die Dream Cruise schon lange nicht mehr.

Die Autos von heutzutage kann man dann in 50 Jahren bei einer Nightmare Cruise bewundern.

Mehr zum Thema auf Pagewizz: Die Woodward Dream Cruise in Detroit

Thursday, August 14, 2008

Vor fünf Jahren: Der Blackout von 2003

Als das Licht ausgeht, ist es kurz nach vier Uhr nachmittags. Es dauert eine Weile, bis die Leute begreifen, dass nicht nur ihr Block betroffen ist. Ich befinde mich zu diesem Zeitpunkt in der Somerset Collection, einer ziemlich großen Mall in einer der Vorstädte Detroits, und wühle mich durch die Kleiderständer eines Kaufhauses, weil ich für die Hochzeit meiner Schwester noch etwas zum Anziehen brauche. Die Neonröhren flackern noch einmal kurz auf, eine Verkäuferin sagt: „Oh Gott – bitte nicht“, und dann wird’s auch schon dunkel. Fast dunkel. Eine schummrige Notbeleuchtung hat sich angeschaltet, und ich bewege mich in Richtung Ausgang. „Vielleicht sind zu viele Klimaanlagen an“, meint eine Kundin. Es ist der erste richtig heiße Augusttag in Michigan, und niemand schwitzt hier gern. Die Kaufhausangestellten stehen in Grüppchen herum, einige telefonieren hektisch. Manche Cell Phones, wie Handys in den Staaten genannt werden, funktionieren, andere nicht. Meines lässt mich im Stich.

„Der Strom ist in ganz Detroit weg“, sagt jemand. Und plötzlich geht es von Mund zu Mund: Nicht nur Michigan, die ganze Ostküste Amerikas ist betroffen, auch New York City. „You’re kidding“, sagt eine ältere Dame, der ich das erzähle, „Sie machen wohl Witze.“ Die Frau sitzt auf einer Bank im verglasten, sonnendurchfluteten Innenhof des Einkaufszentrums, und ich setze mich dazu – was bleibt mir anderes übrig. Die Geschäfte haben inzwischen geschlossen. Und auf der Straße bahnt sich ein beachtliches Verkehrschaos an, wie ich von der Mall aus beobachten kann.

Vor allem kurz nach dem Stromausfall am Donnerstagnachmittag habe es überall kleinere Auffahrunfälle gegeben, berichtet der Sheriff von Ann Arbor, Daniel Minzey, später im Radio: „Die Ampel blinkten zunächst, und die Leute waren verwirrt.“ Tübingens Partner-City ist ebenso betroffen wie die meisten anderen Städte in Südost-Michigan – alle hängen sie Stromnetz der Großen Seen, das unter anderem von den Wasserkraftwerken der Niagara-Fälle gespeist wird. In Ann Arbor hat man zumindest das Verkehrsproblem bis zum Abend im Griff: Dem Sheriff zufolge werden die wichtigsten Ampeln der Universitätsstadt über Generatoren mit Strom versorgt.

Im Großraum Detroit, wo rund fünf Millionen Menschen leben, geht’s derweil auf den wichtigsten Verbindungen nur im Schritttempo voran. Sie habe für die paar Meilen bis zum Einkaufszentrum über eine Stunde gebraucht, erzählt Jewel Gopwani, Reporterin bei der Detroit Free Press. Sie kommt gerade noch rechtzeitig, um die beiden bedauernswerten Menschen zu interviewen, die über zwei Stunden lang im Lift der Mall eingeschlossen waren – man konnte sie in ihrer gläsernen Kapsel zwar sehen, aber nicht erreichen. Einer der Eingeschlossenen, ein 47-jähriger Kalifornier aus Los Angeles, hat keine Lust auf viele Worte. Er will einfach schnell weg.

Als es heißt, der Verkehr habe sich beruhigt, fahre ich ebenfalls in meine Vorstadt zurück, nach Auburn Hills. Alle Kreuzungen, deren Ampeln ausgefallen sind, sind jetzt „four-way-stops“, erklärt der Radiosprecher: Das heißt, alle müssen zunächst anhalten und dürfen dann in der Reihenfolge wieder losfahren, wie sie angekommen sind. Für fünf Counties, wie die Landkreise hier heißen, wurde der Notstand ausgerufen, höre ich außerdem; Washtenaw County mit Ann Arbor gehört dazu. Mancherorts werden Ausgangssperren verhängt. Es gibt weiterhin Mutmaßungen darüber, was wohl der Auslöser war für die Kettenreaktion, die über 100 Kraftwerke lahm legte. Ein Blitzschlag, wie zunächst vermutet, kann’s nicht gewesen sein. Offenbar lag's an drei fehlerhaften Übertragungsleitungen in Ohio.

Im Haus suche ich nach einer Kerze und Streichhölzern. Ich öffne den Speiseschrank und betrachte meine spärlichen Vorräte – ich fürchte, auf Katastrophen bin ich nicht eingerichtet. Auch mein Festnetz-Anschluss ist Strom-abhängig, und so kann ich nicht einmal meinen Mann in San Francisco anrufen. Das Autoradio ist meine einzige Informationsquelle, und ich gehe zurück zum Wagen, wo ich der Rede von George W. Bush lausche. „Wir werden versuchen, das Problem so bald wie möglich in den Griff zu bekommen“, verspricht der US-Präsident und versichert, es habe sich nicht um einen terroristischen Anschlag gehandelt.

Es sind viel mehr Leute im Hof als sonst, und ich lerne Nachbarn kennen, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Aus den Fenstern dringt milder Kerzenschein. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal nach Amerika komme, und dann fällt der Strom aus. Und ich muss meine Notizen dazu bei Kerzenlicht in den Computer hacken – mein Laptop läuft dank Akku hoffentlich noch eine Weile.

Am nächsten Morgen tröpfelt aus dem Wasserhahn nur noch ein dünnes Rinnsal. Auch kommunale Wasserpumpen laufen mit Strom. Ich putze mein Zähne mit Wasser aus der Flasche, eine Gallone voll besitze ich noch. Auf einer Suche nach einem offenen Supermarkt werde ich überraschend schnell fündig; nach einem heftigen Eissturm mit tagelangem Stromausfall im April haben sich viele Geschäfte Generatoren zugelegt. Vor den wenigen Tankstellen, die geöffnet sind, bilden sich Schlangen. Mancherorts wird das Benzin knapp, heißt es, ebenso das Eis zum Kühlen. Die Stimmung ist trotzdem gut: In Gärten und Parkanlagen gibt’s spontane Grillpartys – die Leute verbraten das Fleisch aus ihren Tiefkühltruhen, das sonst verderben würde.

Außerdem entwickelt sich am Freitag ein regelrechter Einkaufstourismus ins südwestliche Michigan, das vom Blackout verschont ist. Die Bewohner von Ann Arbor zieht’s ins 17 Meilen entfernte Chelsea – und als sie wieder nach Hause kommen, stellen viele erfreut fest, dass sie wieder Strom haben. Im südwestlichen Teil des Ballungsgebietes brennt am Abend überall wieder Licht. Downtown Detroit und die nördlichen Vorstädte müssen noch warten. Daimler-Chrysler gibt aber im Radio bekannt, dass die Spätschicht am Samstag in allen Werken wieder antreten soll. Und die Ampel bei meiner Siedlung funktioniert wieder, auch das ein gutes Zeichen.

Ich gehe gegen Mitternacht zu Bett. Um halb eins wache ich wieder auf – die Digitalanzeige des Weckers blinkt. Und in der Küche brummt friedlich der Kühlschrank: Hurra, ich bin wieder am Netz! Das Wasser, das Samstagmorgen aus dem Wasserhahn kommt, ist eine ziemlich trübe Brühe, zum Trinken nicht geeignet. Eine Dusche riskiere ich trotzdem – es ist herrlich.

Und am Samstagabend bei der traditionellen Dream Cruise auf der Woodward Avenue, wo die Detroiter Autonarren unter Anteilnahme von rund zwei Millionen Zuschauern mit Straßenkreuzern und getunten Schlitten auf und ab fahren, frage ich mich erstaunt: „War da was?“

(Erschienen im Schwäbischen Tagblatt am 18. August 2003.)

Tuesday, July 29, 2008

Von tall zu small

Als die Wohnungsverwaltung kürzlich unsere Waschmaschine auftauschte, fiel mir an der neuen zunächst nichts Besonderes auf. Innen sah sie jedenfalls immer noch aus wie ein Rührgerät. Robust und von schlichter Schönheit. Erst als ich dann eine Ladung Wäsche einfüllte, fiel mir auf: Früher lautete die Bezeichnung der Waschladungen small, medium und large, heute habe ich die Auswahl zwischen small, large und super. They supersized my washing machine!

Dabei geht der Trend doch eigentlich in die umgekehrte Richtung. Etwa die Kaffeehauskette Starbucks, wo der kleinste Kaffeebecher schon „tall“ ist, muss nun downsizen. Ausgerechnet der Laden in Rochester, wo ich im Jahr 2000 meinen ersten Latte trank – ich bestellte hartnäckig immer die Größe „small“, nie „tall“ – gehört zu den 600 Filialen, die geschlossen werden sollen. Vielleicht ändert sich bald auch die Bezeichnung der Kaffeebechergrößen?

Bisher finden die Amerikaner eher selten, dass etwas klein aber fein sein kann. Größer ist besser, so lautet die Grundregel. Nur beim fahrbaren Untersatz gibt es Anzeichen, dass ein Umdenken im Gange ist, und so backen sie hier wohl bald kleinere Autos. Dazu passt, dass sich der Mini in den USA so gut verkauft wie nie zuvor. Ohne dass ihn BMW zuvor in Maxi umtaufen musste.

Friday, June 27, 2008

The Jarrett House, Dillsboro NC

Kulinarische Reisen in den USA? Aber ja doch. Wir finden zunehmend Geschmack daran. Nicht erst, seit wir Austern in Apalachicola gegessen haben. Seafood ist hier ohnehin das Beste, was man sich vorstellen kann, an beiden Küsten. So richtig solide Küche, das Slow Food der guten alten Zeit, haben wir in den Südstaaten gefunden. Das war im vergangenen Jahr, als wir zur Zeit der Rhododendronblüte in den Smoky Mountains waren. Wir bereisten vor allem den südlichen Teil, der zu North Carolina gehört.

Nun gibt es in North Carolina eine ganze Menge einfacher Lokale, die geräucherte Rippchen und Pulled Pork servieren – zu erkennen sind sie am Smoking Pit, der irgendwo im Hinterhof steht. Und wenn es dort appetitlich riecht, sind die Barbeque Ribs meistens auch gut. Idealerweise sind sie so zart, dass das Fleisch vom Knochen fällt und man eigentlich überhaupt kein Messer braucht. Aber meine Kapazität für Schweinerippchen ist begrenzt. Zum Glück wird in North Carolina aber auch noch richtig gekocht. Wie im „Jarrett House“ in Dillsboro.

Dillsboro ist ein kleiner Ort am Südrand der Smokies, der an der alten Eisenbahnstrecke nach Asheville liegt. „The Jarret House“, erbaut im Jahr 1884, ist eine historische Herberge mit Restaurationsbetrieb aus der Zeit, als der Sommerurlaub in den Bergen Mode wurde. Die Leute, die einst mit der Bahn in die Sommerfrische nach Asheville fuhren, machten Halt in Dillsboro zum Mittagessen. Der im Ofen gegarte Schinken der Inn, die damals noch einen anderen Namen hatte, muss weitherum berühmt gewesen sein.

Der Schinken steht heute noch auf der Karte, aber – wie schon gesagt – so viel Schwein muss nicht sein. Wir entschieden uns für Southern Fried Chicken und Pot Roast. Bevor das Hauptgericht auf den Tisch kam, servierte die überaus freundliche Bedienung sauer Eingelegtes und Cole Slaw, dazu die im Süden obligatorischen Biscuits. Es waren die luftigsten und feinsten Biscuits, die ich je gegessen habe, einfach perfekt. Das Huhn war frittiert, aber überhaupt nicht fettig, wunderbar zart unter der würzigen Hülle. Und der Pot Roast hatte offenbar viele Stunden lang geschmort. Das Beste aber waren eigentlich die Beilagen: grüne Bohnen, Salzkartoffeln und schön altmodisches Apfelkompott. Die Bohnen waren nicht halb roh und geschmacklos, wie heute meistens üblich. Es gab stattdessen richtige Stangenbohnen in Stücken, die so ähnlich schmeckten wie damals bei meiner Oma. Vom Gemüse gab’s sogar Nachschlag, und wir ließen nicht viel übrig.

Zum Nachtisch aßen wir Pfirsich-Cobbler mit Vanilleeis. Und das Ganze kostete zusammen nicht einmal 40 Dollar.

The Jarrett House, Dillsboro © Cornelia Schaible


The Jarrett House
100 Haywood Road
Dillsboro, NC 28725

www.jarretthouse.com





Mehr zum Thema auf suite101: Frühsommer in den Smoky Mountains

Wednesday, June 25, 2008

Ritter, Tod und Teufel

Vor genau fünf Jahren war ich bei einer Vorstellung im Theater Lindenhof; das war die letzte Veranstaltung, die ich besuchte, bevor ich nach Detroit abreiste. Fünf Jahre! Die Lindenhöfler fehlen mir, die Alb auch.

Das waren Bilder, die nie ich nie vergessen werde: immer wieder Durchblicke auf die Salmendinger Kirche, wie eine Glucke über dem Dorf vor rosigem Abendhimmel. Das war sicher der Höhepunkt beim Spaziergang durch Melchingen zur Ruine, dem Auftakt zum Stück „Ritter, Tod und Teufel" der Lindenhöfler. Auch wenn man nach dem Geschmack von Ex-Kollege Triebold „zu viele offene Scheunentore einrennen musste“, wie er damals in seiner Kritik monierte. Außerdem missfielen ihm die Gardinen. Ich hätte eher an den Glasbausteinen, Eternitplatten und Oberbayern-Balkonen aus dem Baumarkt Anstoß genommen, die manches alte Bauernhaus entstellten. Der Gang durch Melchingen war trotzdem witzig: Man wusste nie, ob etwas inszeniert war oder aus dem prallen Älbler-Leben gegriffen. Einige ältere Eingeborene verfolgten von ihrem Feierabendbänkchen aus kopfschüttelnd das Treiben der Theatergänger. Bestimmt war vieles ebenso gestellt wie die Beschriftung einer Reihe von Parkplätzen: RITTER, TOD, TEUFEL, SÄNGER JUN., SÄNGER SEN.

Auf dem Grillplatz auf halber Höhe kam eine Art Ritter auf der Vespa angedüst – Don Quichotte, der gegen die Windkraftanlage in der Ferne zu Felde zog.

Dann der verzauberte Wald mit Schaufensterpuppenarmen, die aus Bäumen wuchsen (nachts trugen sie Laternen, um den Besuchern heimzuleuchten) und Abbildungen von seltsamen Spottgeburten, die sich bei genauerem Hinsehen als Röntgenbilder von Fröschen, Geckos und ähnlichem entpuppten. Irgendwo baumelte auch noch ein Kronleuchter im Geäst. Und überall waren schwarze Mäntel mit großen hochgeklappten Krägen aus einem versteiften Stoff aufgestellt, die einem gespenstisch mit ihrem leeren Ärmel den Weg wiesen.

Ein weiß geschminkter Berthold Biesinger brach aus dem Wald und lockte: „Kommen Sie!“, um anschließend die Besucher zum Verweilen aufzufordern: „Warten Sie eine kleine Ewigkeit!"

Irgendwo fiedelte ein schwarz gekleideter gefallener Engel, der einen nutzlosen Flügel an der Seite hängen hatte. Silvia Danek raunte einem etwas ins Ohr, Gerd Plankenhorn war oben an der Ruine – das heißt, am Nordpol – gerade am Erfrieren, aus allen Fensteröffnungen lugten schwarze Raben, und ganz oben aus dem Mauerwerk ragte ein Galgen, an dem wiederum einer der steifen Mäntel hing. Daneben stand eine weiß gekleidete Gina Maas, die Schauerliches rezitierte. Ich habe vergessen, was es war.
Oben in der Ruine, wo die vier Wandergruppen nach und nach eintrafen, waren Wassergläser und Körbe mit Bauernbrotscheiben zur Stärkung der Theatergänger aufgestellt. Es blieb wenig übrig – „Wasser und Brot geht immer", bemerkte jemand.

Die vier Bauernlümmel – junge Miminnen direkt von der Schauspielschule –, welche die einzelnen Gruppen begleitet hatten, verwandelten sich in Pagen. Susanne Hinkelbein, ganz in Schwarz mit roten Cowboystiefeln und einer fürchterlichen blonden Perücke, setzte sich ans Klavier, und dann konnten die „Geschichten aus dem Schattenreich“ ihren Anfang nehmen. Mit allem, was die deutsche Romantik an Schauerlichem zu bieten hatte: Von Uhland und Chamisso und Conrad Ferdinand Meyer. Am Eulenturm war’s unheimlich, „zwei Füße zuckten in der Glut“, und der Rabe krächzte „Nimmermehr“. Die schrecklichste Moritat zum Schluss wurde ironisch mit der Nachfrage: „Kommt do irgendwann no Musik?“ gebrochen.

Schattenhaftes und Unheimliches. Hauptthema: Abschied. „Nimmer – nimmermehr.“

Tuesday, June 17, 2008

Detroit, Barack City

History in the Making“ stand auf dem T-Shirt eines jungen Mannes in der langen Schlange vor der Joe-Louis-Arena in Detroit, in der drei Stunden später Barack Obama sprechen sollte.

Wenn das Geschichtemachen nur nicht so lange dauern würde.

Mir persönlich ging es gestern viel zu langsam. Und auch mein Mann war einfach nur noch schlecht gelaunt, als wir eine kleine Ewigkeit später aus der Halle kamen. Nachdem wir stundenlang auf klebrigen roten Klappsitzen ausgeharrt hatten – offenbar war der Eishockey-Cup-Sieg der Red Wings mit viel Bier begossen worden. Nachdem sich unsere Sitznachbarn durch diverse Schachteln Pizza gefuttert hatten. Nachdem wir uns über die Zeile „DETROIT BARACK CITY“ auf dem Monitor gefreut hatten. Nachdem irgendwann ein angeblich sehr berühmter Chor gesungen hatte. Nachdem wir der Nationalhymne gelauscht hatten, vorgetragen von einer mir unbekannten Sängerin. Nachdem der Pistons-Basketballer Chauncey Billups zum Wählen aufgerufen hatte. Nachdem Gouverneurin Jennifer Granholm, „mad as hell“ auf Bush, das 100-Meilen-pro-Gallone-Auto versprochen hatte, selbstverständlich made in Michigan. Nachdem Al Gore, erst seit gestern als Obama-Unterstützer unterwegs, auch noch etwas gemeint hatte.

Al Gore. Ich hatte ihn noch nie zuvor leibhaftig gesehen, und merkwürdigerweise nahm ich ihm gestern seine Niederlage gegen Bush übel. Seine Anwesenheit machte in erster Linie bewusst: Barack Obama muss das Ding erst noch gewinnen.

Nachdem Obama gesprochen hatte, wünschte ich mir vor allem eines: Dass ich nie mehr die Slogans „We need change“ und „Yes, we can“ zu hören brauche. Keine Missverständnisse: Ich traue Obama zu, dass er in diesem Land grundsätzliche Änderungen auf den Weg bringen kann. Aber es wäre schön, wenn er damit schon einmal anfangen könnte.

Wir haben Bush ausgesessen. Siebeneinhalb Jahre lang. Aber so langsam verlieren wir die Geduld. Werden kribbelig. Noch einmal sechs Monate! Und dazu Wahlkampf. Fast wünscht man sich, es wäre schon November. Und dabei hat der Sommer offiziell noch nicht einmal angefangen.

Friday, June 13, 2008

Der Stapellauf der Fitz vor 50 Jahren

Bei einer Feierstunde im Lake Erie Metropark am vergangenen Samstag zelebrierten ehemalige Schiffsbauer den Stapellauf der Edmund Fitzgerald vor 50 Jahren. Tatsächlich war der LaunchSpezialbräu zum Gedenken an die Edmund Fitzgerald © Cornelia Schaible der "Queen of the Lakes" ein gutes Stück weiter flussaufwärts in River Rouge, aber die Werft existiert heute nicht mehr.

Zum Vergnügen der übrigen, meist viel jüngeren Anwesenden erzählten die Zeitzeugen von kleinen Pannen, die den großen Tag begleitet hatten: Erst hatten die Werftarbeiter Mühe, die blockierenden Keile wegzuhauen. Und als dann das Schiff endlich ins Wasser rutschte, verursachte das eine Riesenwelle, und vor allem die Zuschauer auf der Ehrentribüne wurden gründlich nass. Das Publikum lauschte diesen Anekdoten gespannt – das war ganz im Sinne von Roscoe Clark, der die Veranstaltung organisiert hatte.

Clark, der in Michigan lebt, erforscht seit Jahren das Schicksal der Edmund Fitzgerald. Weil der Frachter aber für gewöhnlich nur mit seinem tragischen Ende in Verbindung gebracht wird, wollte er für einmal die Geschichte des Schiffes von einer anderen Seite beleuchten. „Noch nie hat jemand die harte Arbeit der Schiffsbauer gewürdigt", sagte er. Und für die Arbeiter bedeutete die Fitzgerald eben mehr als das Gedenken an ihre letzte Reise. Das Spezialbräu mit dem sturmumtosten Frachter auf dem Etikett, das Clark als Souvenir aushändigte, erinnerte allerdings schon daran. Das dunkle Porter der Great Lakes Brewing Co. ist übrigens nach dem bayerischen Reinheitsgebot gebraut.

Den Untergang der Edmund Fitzgerald bei der Feierlichkeit gänzlich auszublenden, war sicher auch nicht das Ziel der Veranstaltung. So war auf dem Gelände ein 1974 Dodge Challenger zu sehen, der dem 20-jährigen Crewmitglied Bruce Lee Hudson gehört hatte. Hudson arbeitete als Deckhelfer auf der Fitz. Vor der Abschlussfahrt der Saison 1975 hatte er sein Auto im Hafen von Toledo abgestellt: Der Frachter sollte ins Winterdock nach Cleveland, und dann wollte der junge Mann den Challenger abholen und gemeinsam mit einem Kumpel nach Kalifornien fahren.

Bruce Lee Hudson kam nie nach Kalifornien. Nach dem Untergang der Fitzgerald im Lake Superior, bei dem die gesamte 29-köpfige Besatzung umkam, bewahrte seine Familie den Wagen 20 Jahre lang im Originalzustand auf. Heute befindet sich der Challenger in Privatbesitz; das Auto ist gelegentlich bei Classic Car Shows zu sehen.

Aus dem Archiv: Der Untergang der Edmund Fitzgerald
Mehr zum Thema auf suite101: Das Wrack der Edmund Fitzgerald

Tuesday, June 10, 2008

The Girl in the Race

"America, this is our moment. This is our time. Our time to turn the page on the policies of the past. Our time to bring new energy and new ideas to the challenges we face. Our time to offer a new direction for this country that we love."

BARACK OBAMA am 3. Juni 2008 in St. Paul, Minnesota, als er nach Ende des Vorwahlkampfes die Nominierung sicher hatte und sich selbst zum demokratischen Präsidentschaftskandidaten ausrief.

"Today, as I suspend my campaign, I congratulate him on the victory he has won and the extraordinary race he has run. I endorse him, and throw my full support behind him. And I ask all of you to join me in working as hard for Barack Obama as you have for me. I have served in the Senate with him for four years. I have been in this campaign with him for 16 months. I have stood on the stage and gone toe-to-toe with him in 22 debates. I have had a front row seat to his candidacy, and I have seen his strength and determination, his grace and his grit. In his own life, Barack Obama has lived the American Dream."

HILLARY CLINTON am 9. Juni 2008 in Washington, D.C., als sie ihren Wahlkampf offiziell beendete und zur Unterstützung Barack Obamas aufrief.

"He's the girl in the race. Clinton came out tough; she voted for the war. Obama came out as the person bringing people together and offering messages of hope and reconciliation."

MARIE WILSON von der Organisation White House Project, die Frauen in Führungspositionen bringen möchte, im jüngsten "Time Magazine".

Friday, May 23, 2008

Der schnellste Weg zum Null-Emissions-Auto

Deutsche Denkweisen lassen sich nicht einfach auf die USA übertragen, das merkte die Tübinger Delegation bei ihrem Besuch in der US-Partnerstadt Ann Arbor immer wieder. Und Oberbürgermeister Boris Palmer musste zudem feststellen, dass sich seine smarte Dienstwagenwahl vielleicht doch nicht so weit herumgesprochen hat, wie er dachte – Daimler hatte zwar eine Presse-Information herausgegeben, als der Tübinger OB auf einen Smart Fortwo Micro Hybrid umsattelte, aber in den USA war das im Wesentlichen nur einem grünen Autoblog eine Meldung wert.

Im Forschungs- und Innovationszentrum von Ford in Dearborn bei Detroit hatte man jedenfalls noch nichts davon gehört: Als sich Palmer bei einem informativen Runden Tisch einigen hochkarätigen Ford-Managern vorstellte und seine Geschichte erzählte ("Vielleicht haben Sie davon gehört"), schauten die Herrschaften eher betreten drein. Das bemerkenswerte personelle Aufgebot bei diesem Programmpunkt (normalerweise sieht man diese Leute von weitem bei der Autoshow) verdankte sich den Kontakten und nicht zuletzt der Hartnäckigkeit von Carolyn Melchers, eine der Stützen der Städtepartnerschaft auf der Tübinger Seite. Die aus Detroit stammende Vorsitzende des Partnerschafts-Freundeskreises organisierte auch alle anderen Treffen und Veranstaltungen.

In Dearborn erfuhr die Tübinger Gruppe, was Ford unter Nachhaltigkeit in der Automobilindustrie versteht. Technisch wäre es längst möglich, statt der heutigen Schluckspechte deutlich sparsamere Fahrzeuge oder gar Autos mit Null-Emission auf die US-Straßen zu bringen, stellten die Ford-Leute klar. Nur könnte das niemand zahlen. „Wir wollen aber eine erschwingliche Lösung für Millionen für Autos", sagte John Viera, Direktor für nachhaltige Business-Strategien. Der Plugin-Hybrid (also ein Auto, das an der Steckdose tankt) wird das wahrscheinlich nicht sein: Wie die Chefin der Hybrid-Sparte Nancy Goia offen zugab, stehen dafür noch nicht einmal marktfähige Lithium-Ion-Batterien zur Verfügung. Was jeder im Handy mit sich herumträgt, lässt sich eben mal aufs Auto übertragen: Die Batterie würde zu groß und zu schwer (und mit rund 15.000 Dollar Mehrkosten auch viel zu teuer). Ein interessanter Nebenaspekt bei Elektroautos: Dafür müssten Fahrzeughersteller mit Stromerzeugern kooperieren. „Wir haben vorher noch nie zusammengearbeitet", sagte Goia.

Immerhin war Ford der erste US-Autohersteller, der Hybrid-Fahrzeuge anbot. Dabei handelt es sich allerdings durchweg um schwere Limousinen und Geländewagen, was Boris Palmer zu der Nachfrage veranlasste, ob das wirklich nötig sei. Könnte man nicht einfach kleinere Autos bauen? Nun, auch in den USA werde es demnächst einen Fiesta geben, sagte Gerhard Schmidt, der deutsche Vizepräsident der Ford-Entwicklungsabteilung. Ansonsten herrschten in den USA einfach andere Bedingungen – so ein großes Land brauche auch große Autos. „Und wir müssen schon aufpassen", sagte Schmidt, „dass wir nicht bankrott gehen, bevor wir uns ändern können."

Aus dem Archiv: Tübingen Goes Blue

Tübingen Goes Blue

Der Applaus will gar nicht mehr aufhören, und am Ende spenden die Zuhörer stehend Beifall. Der Vortrag von Boris Palmer in Ann Arbor zum Thema „Climate Change & The City – Klimawandel und die Stadt“ stößt auf großes Interesse. Mehr als 150 Leute sind in die Stadtbibliothek der US-Partnerstadt gekommen, um den „Lord Mayor“ aus Tübingen zu hören. Der Saal ist brechend voll. „Das hat er gut gemacht“, sagt die mitgereiste Stadträtin Ulrike Heitkamp anerkennend, fügt aber gleich hinzu: „Es war auch ein dankbares Publikum. Im Gemeinderat hat er es nicht immer so leicht.“

Um Palmer bildet sich derweil ein kleiner Auflauf. Einige Zuhörer wollen „Deutschlands grünsten Bürgermeister“, wie es in der Ankündigung hieß, auch aus der Nähe kennenlernen. Und der Tübinger OB genießt den Auftritt sichtlich. Überhaupt ist der Aufenthalt in der Sister City eineDer Tübinger OB Boris Palmer, die Raubvogelexpertin Francie Krawcke und ein junger Weißkopf-Seeadler im Leslie Science and Nature Center Ann Arbor © Cornelia Schaible nette Abwechslung – das ist ihm deutlich anzumerken. Wenn man als „der neue Joschka“ gehandelt wird, wie etwa die deutsche Ausgabe des Magazins „Vanity Fair“ titelte, ist eine kleine Auszeit vom Ruhm zur Abwechslung durchaus willkommen. Zu viele Vorschusslorbeeren können auch eine Bürde sein.

In Ann Arbor hat man immerhin gemerkt, dass es einen englischsprachigen Wikipedia-Artikel über Boris Palmer gibt, denn das Foto auf dem Veranstaltungsplakat der Stadtbücherei ist das selbe wie in dem Online-Lexikon. Dass ihn die lokale Presse weitgehend ignoriert, irritiert den medienbewussten OB jedoch sichtlich. Am Morgen vor dem Vortrag kauft er sich extra eine „Ann Arbor News“ und blättert sie von vorn bis hinten durch, in der Hoffnung, wenigstens einen klitzekleinen Hinweis auf die Veranstaltung zu finden – vergeblich.

Es ist allerdings kein Wunder, dass die Zeitung nicht über die offizielle Delegation aus der deutschen Partnerstadt berichtet. „Die haben wir abgeschrieben“, erklärt Ann Arbors Bürgermeister John Hieftje später in einem anderen Zusammenhang, als es über die mangelhafte Berichterstattung der Zeitung über umweltfreundliche Projekte der Stadt ging. „Die haben zwei Mal Bush unterstützt. Beim ersten Mal haben wir es gerade noch verstanden, aber dann …“.

Auf diese Weise hat Palmer in Ann Arbor mehrfach das Vergnügen, sich einem Publikum präsentieren zu dürfen, dem er völlig unbekannt ist. „Tübingen hat 84 000 Einwohner, eine Universität und einen grünen Bürgermeister“, sagt er munter. „Und der bin ich.“ Alle lauschen gespannt, wenn er etwa übers schöner Wohnen im Französischen Viertel berichtet, und dass es besser sei, „wenn wir die Kinder auf der Straße spielen lassen und nicht die Autos“. Noch keiner hat von seiner smarten Dienstwagen-Wahl gehört oder weiß, warum er die übermotorisierten Produkte der einheimischen Autoindustrie verschmäht: „Ich bin doch kein Bankräuber auf der Flucht, sondern ein Oberbürgermeister. Ich muss nicht so rasen!“

Nicht nur an dieser Stelle erntet Palmer die wohl kalkulierten Lacher. Das gefällt den Amerikanern: Ehrgeizig und blitzgescheit wirkt er, da kann er gern auch ein bisschen ein Spinner sein. Er ist von der Sorte jener Überflieger, die in Garagen an seltsamen Dingen basteln, die dann später die Welt verändern. Ein „Nerd“, ein Streber, ist das auf Englisch, und so einen belächelt man vielleicht ein wenig, aber man zollt ihm trotzdem höchsten Respekt. Und hört ihm gebannt zu. „Er hat halt eine Vision“, drückt es Stadträtin Heitkamp aus.

Vor allem verpackt er seine Thesen anschaulich und amüsant. Palmer, der ein Auslandssemester in Australien verbrachte, hat ein flottes Englisch zur Hand, und wenn ihm gerade das Wort für „Fachwerkhäuser“ nicht einfällt, umschreibt er es geschickt, ohne dass sein Redefluss jemals ins Stocken geriete. Den Slogan „Tübingen macht blau“ habe er gewählt, weil Blau in Deutschland keine Parteifarbe sei. Ach so. Der Berichterstatterin war das nicht klar. Die Übersetzung „Tübingen goes blue“ ist fürs Publikum Grund zum Jubeln: Denn „Go Blue“ ist der Schlachtruf der Sportmannschaften an der University of Michigan in Ann Arbor.

Einer der Zuhörer hätte Palmer am liebsten gleich zum Gouverneur von Michigan gemacht, meint aber, als Politiker habe er in Baden-Württemberg ein leichteres Spiel als im US-Zentrum der Autoindustrie. Da fällt Palmer kurz in einen sehr belehrenden Ton: Die Amerikaner könnten manches für sich reklamieren, aber nicht die Erfindung des Automobils. Wer hat's erfunden? Na, Daimler und Benz!

Die Automobilbranche als Schlüsselindustrie ist aber nicht die einzige Gemeinsamkeit zwischen den Schwaben und den Amerikanern. Robert Williams, 48, der einst in Freiburg studierte und auf Deutsch erklärt: „Ich liebe die grüne Bewegung!“, möchte mit seiner Firma Arbor EcoSystems erschwingliche umweltfreundliche Produkte auf den Markt bringen. Während Palmers Rede macht er sich ausführlich Notizen. „Ich habe festgestellt, dass die Leute nur bereit sind, ihr Verhalten zu ändern, wenn sie dabei Geld sparen“, sagt Williams. Boris Palmer würde das sofort unterschreiben.

Offizielle Website der Stadt Tübingen: www.tuebingen.de

Monday, May 19, 2008

Morchelfest

Es hängt alles vom richtigen Baum ab. Deshalb sollte, wer auf der Jagd nach Pilzen ist, erst einmal einen Blick nach oben riskieren, bevor er unten sucht. Allerdings war ich bei Morcheln auch mit dieser Strategie nie so richtig erfolgreich, muss ich zugeben. "Die sind wirklich schwierig",White Morel (Morchella deliciosa) © Franz Gingl sagte mein Mann, nachdem ich auf mehrere Exemplare um uns herum gezeigt hatte, die ihm einfach nicht aufgefallen waren – Morcheln tarnen sich sehr erfolgreich. Am Ende hatten wir immerhin sieben Stück, die ganze Hutparade rechts auf dem Bild. Und wo das war? In einem Zitterpappel-Wäldchen im Gebiet der Sleeping Bear Dunes. Mehr verrate ich nicht.

Wir aßen die Morcheln dann schlicht in Butter gebraten – und am Ende wischten wir noch die Pfanne mit einem Stück Weißbrot aus. Damit nichts vom herrlichen Morchelaroma verloren ginge. Dazu tranken wir einen frühlingshaft duftenden Weißwein von Mr. Ciccone. Der hat nicht zufällig den gleichen Nachnamen wie Madonna: Es handelt sich um ihren Vater. Seitdem Tony Ciccone im Ruhestand ist, macht er Wein in Leelanau. An seinem Pinot Noir muss er allerdings noch ein bisschen arbeiten. Aber vielleicht eignen sich die sandigen Böden Up North einfach nicht für Pinot Noir.

Dafür wächst auf besagten Sandböden ein ganz hervorragender Spargel. Auch dieses grünes Gemüse hatten wir von unserem Wochenendtrip an den Sleeping Bear mitgebracht, und zwar ebenfalls in der freien Natur eingesammelt, an der Böschung einer wenig befahrenen Straße. Ich wollte einen blühenden Kirschenhain fotografieren, und dabei war mir ein dürrer Strauch ganz entschieden im Weg. Ich rupfte ihn aus und bemerkte, das ein Spargel daneben stand. Der Strauch war die Spargelpflanze vom Vorjahr. Es war nicht die einzige; wir ernteten fast ein Pfund. Was für eine liebliche Landschaft, wo Morchelhüte aus dem Laub spitzen und Spargelstangen am Weg stehen!

Saturday, May 17, 2008

Umweltfreundlich made in USA

Im Vergleich zu den meisten anderen Städten des Mittleren Westens wirkt Ann Arbor richtig putzig. Durch die Parkanlagen rund um die Universität flanieren viele junge Leute, es gibt gemütliche Cafés, etliche Galerien sowie kleine Läden, die originellen Krimskrams aus aller Welt anbieten. Wer jedoch auf die Idee kommen sollte, im Zentrum der Tübinger Partnerstadt nach Dingen des täglichen Bedarfs zu suchen, macht nur ein dummes Gesicht. „Ich wollte Zahncreme kaufen“, berichtete Jack Lohrmann, „aber ich habe nichts in der Art gefunden.“

Der Wahl-Tübinger Jack Lohrmann, der ursprünglich aus New York stammt, war einer von 26 Teilnehmern der jüngsten Bürgerreise in die US-Partnerstadt. Ganz am Anfang der Städtepartnerschaft im Jahr 1965 kam Lohrmann schon einmal nach Ann Arbor. „Damals war Amerika das Paradies“, erinnert er sich. Aber dieses Niveau, so sein Eindruck, ließ sich nicht halten – auch nicht in der Tübinger Sister City. Vieles kommt ihm ein wenig vernachlässigt vor, wie die Häuser in der Innenstadt. Die gut verdienende Mittelschicht zieht es (wie überall in den USA) an den Stadtrand ins Grüne. Die Einkaufszentren liegen ebenfalls außerhalb. Und so fuhr die Gastgeberin von Jack Lohrmann, der wie die meisten Reiseteilnehmer privat untergebracht war, am vergangenen Wochenende viele Meilen zum nächsten Supermarkt, damit er seine Zahnpasta bekam.

Stundenlange Anfahrten gehören zum Alltag der Bevölkerung im Raum Detroit, an dessen südwestlichem Rand Ann Arbor liegt. Und gerade „A2“ zieht überdurchschnittlich viele Pendler an. Eigentlich müsste sich Bürgermeister John Hieftje darüber freuen, liegt die Arbeitslosenquote von Ann Arbor mit 5 Prozent doch deutlich unter der des Bundesstaates Michigan. Die Universität allein beschäftige 70.000 Menschen, sagte Hieftje, der in einem Vortrag städtische Umweltprojekte vorstellte. Die von einem Ring von Autobahnen umgebene 114.000-Einwohner-Stadt kann die Pendlerströme aber kaum verkraften: In der Rushhour nach Ann Arbor zu müssen ist ein Albtraum.

Hieftje träumt davon, das einst ausgedehnte Bahnnetz zumindest teilweise wiederzubeleben. Dass öffentlicher Personennahverkehr in der Autometropole Detroit praktisch nicht existiert, hat einen einfachen Grund: In den Zwanzigerjahren kaufte General Motors (GM) die regionalen Bahnen sukzessive auf, um sie anschließend dicht zu machen. Auf diese Weise hielt dieJohn Hieftje © Cornelia Schaible wachsende Autoindustrie die Kunden in Abhängigkeit. Dass sich das zumindest in Ann Arbor ändert, dafür sorgen die Busse der städtischen Verkehrsbetriebe. Studenten fahren umsonst – sie brauchen nur ihren gelben Ausweis zu zücken. Hieftjes ganzer Stolz sind die neuesten Autos mit Hybridtechnologie, mit denen nach und nach die ganze Flotte ersetzt werden soll.

Die neue Technik hat ihren Preis: Eine halbe Million Dollar kostet so ein Hybridbus, angetrieben von einer Kombination aus einem Elektromotor und einem Dieselaggregat, das Biodiesel schluckt. Dafür gibt es Zuschüsse vom Staat. „Dass GM die Busse baut, ist sicher hilfreich“, sagte Hieftje. „Wir kaufen nur amerikanische Produkte.“ Damit fährt der grüne Bürgermeister von Ann Arbor (offiziell ein Demokrat) eine andere Linie als sein Kollege Boris Palmer, der sich mit seinem ersten Dienstauto aus dem Hause Toyota den Zorn des politischen Establishments zuzog.

Auch der städtische Fuhrpark soll mit umweltfreundlichen Fahrzeugen ausgerüstet werden – alles Teil der Kampagne „Ann Arbor's Green Energy Challenge“, mit der die Verwaltung ihren Energieverbrauch bis 2010 um 30 Prozent drosseln möchte. Umweltfreundliche Technologien, so seine Überzeugung, lassen sich in Amerika nur durchsetzen, wenn sie Geld sparen. Wie die LED-Straßenlampen, die den Nachtschwärmern von Ann Arbor neuerdings heimleuchten: „Das finanziert sich selbst.“

Einige ökologische Neuerungen, die Hieftje vorstellte, riss die Tübinger Besucher allerdings nicht gerade von den Sitzen – dass Sonnenkollektoren auf Dächern gut aufgehoben sind, wussten sie schon. Für US-amerikanische Verhältnisse ist das, was Hieftje in Ann Arbor macht, jedoch ziemlich revolutionär. Vor allem sein Kampf gegen Zersiedlung, den er sich ebenfalls auf die Fahnen geschrieben hat. Hieftje kann aber nicht einfach Gebiete für landwirtschaftliche Nutzung ausweisen, um sie vor Überbauung zu schützen. Regionale Raumplanung existiert in diesem Teil der Welt nicht. Hieftje: „Es gibt 28 Verwaltungen um uns herum, und sie sind alle wie kleine Nationen.“ Die Stadt leistet sich daher den Luxus, das Land einfach aufzukaufen. So entstand der „Green Belt“, der Grüne Gürtel von Ann Arbor.

Aus dem Archiv: Ann Arbor gegoogelt

Friday, May 16, 2008

Mit krachledernen Gesängen

"Was dem türkischen Ministerpräsident Erdogan in Köln passiert ist, wiederholte sich fast als Karikatur unter deutschen Auswanderern in Ann Arbor. Auch hier wird ein Deutschtum konserviert, das, vornehm ausgedrückt, befremdend ist. Der türkische Emigrant bewahrt sich so ein vormodernes Türkentum, dass er erschrickt, wenn er in Istanbul die Mädchen nabelfrei heraumlaufen sieht und schnell nach Deutschland zurückkehrt, wo er seine Töchter noch vermummen und zwangsverheiraten kann. Genauso pflegen manche Deutsche in Ann Arbor mit Lederhosen und krachledernen Gesängen ein Deutschtum, das als böse Karikatur der deutschen Vergangenheit wahrgenommen werden kann. In Metzgers Restaurant wurden wir Zeuge und waren wir Staffage einer solchen Aufführung."

ANTON BRENNER, als "Abgesandter der Linken" mit der Tübinger Delegation in Ann Arbor, im Blogbeitrag "Boris Palmer als Green Obama gefeiert".

Monday, May 12, 2008

Es grünt so grün

Woran erkennt man den grünen Oberbürgermeister einer schwäbischen Universitätsstadt beim Besuch in der grünen Sister City?

Klar, am grünen Schlips und grünen Hemd. Umgekehrt hat es die Partnerstadt deutlich schwerer, ihre umweltfreundliche Ausrichtung zu demonstrieren – ein paar Bäume am Straßenrand genügen da nicht. Nicht einmal im Frühling. Auf den ersten Blick sehe Ann Arbor aus wie jede andere US-amerikanische Stadt, meinte Boris Palmer, seit Januar 2007 Tübinger OB: „Viele SUVs und breite Straßen.“

Trotzdem, so sagen die Besucher aus Tübingen, wollen sie von Ann Arbor lernen. Am gestrigenDer Tübinger OB Boris Palmer, Bibliotheksdirektorin Josie Parker und Mayor John Hieftje von Ann Arbor © Cornelia Schaible Pfingstsonntagabend gab es einen Empfang für die 26-köpfige Delegation in der Malletts Creek Branch Library. Schönes Wetter hatten die Besucher nicht mitgebracht. Es goss wie aus Kübeln, als die ersten Gäste eintrafen. Und zwischen Bücherregalen fielen sich gute alte Bekannte in die Arme. Es sei ihr eine besondere Freude, Leute zu begrüßen, die sie in Tübingen kennengelernt habe, sagte Josie Parker, die Leiterin der District Library von Ann Arbor. Vor drei Jahren, als die Städte das 40-jährige Jubiläum ihrer Partnerschaft feierten, war zuletzt eine offizielle Delegation hüben und drüben.

Er wisse sehr wohl, dass die Menschen heute vielerorts Vorbehalte gegenüber Amerika hätten, sagte John Hieftje, der Bürgermeister von Ann Arbor. Allerdings, so stellte er klar, seien nur 28 Prozent der eigenen Bevölkerung einverstanden mit dem Kurs, den das Land eingeschlagen habe – „und in der Stadt Ann Arbor sind es höchstens 10 Prozent“. Hieftje: „Es gibt viel mehr Gemeinsamkeiten zwischen unseren Städten als Unterschiede.“ Ob es auch vergleichbare Ansätze in umweltpolitischen Belangen gibt, wird sich in den nächsten Tagen zeigen.

Bei den Straßenlampen kann die Partnerstadt jedenfalls als leuchtendes Vorbild dienen: In der Downtown von A2 werden seit vergangenem Jahr bei Straßenlaternen und Verkehrssignalen energieeffiziente LED-Lampen eingesetzt. Das sei einmalig in den USA , war darüber in der Lokalpresse zu lesen. Auch nachhaltige Raum- und Stadtplanung wird in dieser Woche mehrfach Thema sein. Hieftje wird bei einer Bustour den „Grünen Gürtel“ vorführen, mit dem Ann Arbor gegen Zersiedelung vorgeht, und Palmer spricht über Tübinger Projekte – mit Sicherheit stellt er die neue Klimaschutzkampagne der Stadt vor.

Die heißt allerdings: „Tübingen macht blau.“

Tuesday, May 6, 2008

Too Close to Call

"Go Gary! (But please tell us the results. It's past my bedtime!)"

LESERKOMMENTAR von "Valerie" in der Online-Ausgabe der "Washington Post" um 11:09 PM, zum Artikel "Gary Mayor Predicts Possible Indiana Shocker" von Alec MacGillis.

Monday, April 28, 2008

Limited Rice Sales

„Bei euch ist der Reis rationiert?“

Die bizarre Nachrichten-Auslese, die es von Amerika nach Europa schafft, kommt postwendend durch den Telefonhörer wieder zurück. Oder jedenfalls das, was mütterliche Besorgnis herausfiltert.

In diesem Fall konnte ich allerdings Entwarnung geben. Just heute Mittag habe ich ein Reisgericht verzehrt, basierend auf einer ordentlichen Portion Uncle Ben’s Reis. Der ist auch weiterhin im Handel frei erhältlich. Allerdings mag die Fünf-Pfund-Packung, die mein Mann immer kauft, schon deutlich weniger gekostet haben. Obwohl die jüngste Reisernte in Kalifornien offenbar sehr ordentlich ausgefallen ist.

Etwas anders verhält es sich mit importiertem Jasmin- oder Basmatireis. Indien hat die Ausfuhr gestoppt, um den Preis besser kontrollieren zu können. Dadurch steigt aber der Weltmarktpreis für Reis weiter an. Und das ist nun tatsächlich eine schlechte Nachricht, vor allem für Leute in den Ländern, in denen der Reis Grundnahrungsmittel ist.

Den Besitzern asiatischer Restaurants in den USA passt diese Entwicklung aber auch nicht. Die kochen nämlich nicht mit Uncle Ben’s. Damit niemand in Versuchung kommt, die Basmati-Bestände hier zu Lande kurzerhand aufzukaufen, hat der Großhandel den Verkauf limitiert. Schon gab es einen Aufschrei. Und die Europäer waren sehr betroffen und fragten sich, ob sie jetzt Care-Pakete schicken müssen. Aber dass Costco und Sam’s Club jetzt Hamsterkäufen einen Riegel vorschieben, heißt noch lange nicht, dass Reis plötzlich rationiert ist. Wenn ich mich richtig erinnere, ist mir der Satz: „Abgabe in handelsüblichen Mengen“ auch schon in Deutschland begegnet.

Vorhin schaute ich zufällig in den Meijer-Prospekt von der vorigen Woche. Dort gab es ein Gebinde mit 24 Coca-Cola-Dosen im Sonderangebot. Limit: 2. Vielleicht hätte ich in der Überschrift schreiben sollen: Jetzt auch Coca-Cola rationiert!

Sunday, April 13, 2008

Amerikas älteste Stadt

Die Stadt kommt einem bis heute spanisch vor. Oder sagen wir einmal, südeuropäisch. Eine richtige Burg aus dem 17. Jahrhundert! Eine Altstadt zum Flanieren. Aus Stein gemauerte Häuser mit luftigen Veranden und schattigen Innenhöfen. In St. Augustine an Floridas NordostküsteCastillo de San Marcos © Cornelia Schaible könnte man fast meinen, man befände sich auf der anderen Seite des Atlantiks. Pedro Menéndez de Avilés gründete die Stadt im Jahr 1565 – lange, bevor sich die Mayflower auf den Weg machte.

Aber altes Gemäuer ist nicht alles. Was einen Aufenthalt in der ältesten Stadt der USA besonders angenehm macht, ist die Gastronomie. Es gibt Fisch und Meeresfrüchte satt, und was aus dem Ozean kommt, ist in der Regel auch solide zubereitet. Zu den interessantesten Gerichten, die wir in St. Augustine probierten, gehörte eine "Minorcan Style Clam Chowder". Minorcan bedeutet nach der Art von Menorca – von der spanischen Insel kamen einst viele Siedler, die sich schließlich in St. Augustine niederließen. Wie alle Immigranten brachten sie ihre Rezepte mit. Wer die New England Clam Chowder, die in ihrer Konsistenz oft an Pudding erinnert, nicht so gerne mag, sollte einmal die Muschelsuppe aus St. Augustine probieren: Diese Variante ist pikant gewürzt und schmeckt nach Thymian, Sonne und Süden.

Ich bin mir nicht sicher, ob die Suppe nun wirklich menorquinisch oder spanisch schmeckt. Aber sie war jedenfalls zum Löffelablecken gut.

Mehr zum Thema auf suite101: Florida entdecken in St. Augustine und Floridas vielfältige Küche

Wednesday, April 2, 2008

Zum Tod von Wally Bronner

Er war der Mann, der einem mitten im Jahr und ohne jede Ironie "Merry Christmas" wünschen konnte. Gerne auch auf Deutsch. Darauf war Wally Bronner besonders stolz: "Ich kann auf Deutsch lesen, schreiben, singen und beten!", gab er mir bei einem Interview zur Auskunft. Der Geschäftsmann aus dem kleinen Ort Frankenmuth in Michigan, dessen Vorfahren aus Deutschland kamen, war eine bemerkenswerte Persönlichkeit: Seine Deutschstämmigkeit betonte er ebenso wie seine Verbundenheit mit dem Staat Michigan, und in einem einzigen Satz konnte er dem Herrgott für Frieden und Wohlstand und dem Militär für Schutz und Beistand danken. Bei ihm erschien diese deutsch-amerikanische Bindestrichidentität ganz natürlich. Gestern starb Wally Bronner, die Personifikation von Weihnachten in Michigan, im Alter von 81 Jahren.

Ein Land, das in Bronners Reden nicht vorkam, war China – dabei dürfte er dort ungleich mehr Arbeitsplätze geschaffen haben als in Frankenmuth. Hoffentlich wissen das die Chinesen, die den bunten Weihnachtsglitzerkram herstellen, dass sie heute allen Grund zum Trauern haben! Aber mögen die Plastiktannenbäume auch "Made in China" sein, der Schilderwald im Weihnachtsland steht trotzdem in Michigan. Wahrscheinlich fällt das nicht allen Besuchern im "Christmas Wonderland" auf, aber neben Weihnachten hatte der gelernte Schildermaler Wally Bronner noch eine zweite große Leidenschaft: Überall gibt's Hinweis-, Informations- und Warntäfelchen in allen möglichen Größen und Variationen.

Wahrscheinlich hängt er seine Schilder jetzt im Himmel auf.

Aus dem Archiv: Wally Bronner
Mehr über Wally Bronner: Ein Weihnachtsgeschäft fürs ganze Jahr

Sunday, March 30, 2008

Unterm Messer

"A brain surgeons's wife doesn't become a brain surgeon by watching her husband operate, even if she was the nurse handing him the scalpel. [Hillary] Clinton may have more knowledge than Barack Obama because she has been in the operating room, but I'm not certain I'd want her handling the scalpel."

LESERBRIEF von David Wilson aus Carson, California, im jüngsten "Time Magazine".

Sunday, March 23, 2008

Spitze Flosse

Bei unserem Osterspaziergang am Ozean schaue ich den braunen Pelikanen beim Jagen zu: Sie stürzen senkrecht aus dem blauen Himmel ins Wasser, den langen Schnabel voran, und schon ist die Beute eingesackt. Sieht ziemlich einfach aus. Im Gegensatz zu den Regenpfeifern, die den ganzen Tag am Strand entlangflitzen und hin und wieder in den Sand picken, müssen Pelikane nur wenig Zeit zur Nahrungsbeschaffung aufwenden. So haben sie genug Muße, stundenlang aufBrauner Pelikan (Pelecanus occidentalis) © Cornelia Schaible einem Pier zu sitzen und den Anglern zuzusehen. Oder für die Fotografen zu posieren.

Plötzlich bemerke ich weiter draußen im Wasser noch etwas anderes: eine dunkle, spitze Rückenflosse. Nein, nicht eine – viele. Dann springt etwas ziemlich Stromlinienförmiges über die Wellen. Und gleich noch einmal. Schwupps! Ein munteres Völkchen tummelt sich da. Aber was genau?

Wir fragen einen Angler, der gemeinsam mit Sohn und Enkel darauf wartet, dass endlich etwas anbeißt. Offenbar konzentriert er sich dabei auf kleinere Fische – er hat jedenfalls nichts gesehen. Sein Enkel läuft Slalom um die Angelruten, die im Sand stecken. Was da draußen schwimmen könnte? „Delfine. Oder Haie“, sagt der Alte mit dem wettergegerbten Gesicht. „Kürzlich lagen zwei Haie hier am Strand.“

Haie?

Weiter vorne am Beach planschen fröhlich Kinder im Wasser. Andererseits: Warum sollte es hier am Golf von Mexiko keine Haie geben? „Yes, they are in the water“, steht in meinem Reiseführer. „At any given time there are a dozen or more just offshore, but for the most part they will leave you alone. To avoid being bitten, stay out of the water if there is a strong scent of fish oil in the air, which means that fish are already being eaten and you may be bitten by mistake.” Oder vielleicht haben sie auch Lust auf ein Dessert?

Nach gründlicher Konsultation meines “Field Guide to Florida” beschließe ich allerdings, dass wir Delfine gesehen haben. Sie tummeln sich offenbar gerne im flachen Wasser, und dass sie so mir nichts dir nichts über die Wellen springen, ist bekannt. Haie sehen anders aus, silbern mit seitlichem Kühlergrill. Ihre Rückenflosse ist zudem dreieckig, nicht sichelförmig.

Falls es einmal auffällig nach Fischöl riechen sollte, bin ich jedenfalls gewarnt.

Thursday, March 20, 2008

Zum Auftauen nach Florida

Wie erkennt man einen Florida-Reisenden am Flughafen?

Ganz einfach: Er trägt kurze Hosen und ein Hawaii-Hemd. Bei Außentemperaturen unter dem Gefrierpunkt, versteht sich. In den Detroiter Vororten liegen noch Schneereste – wir haben schließlich Frühlingsanfang, nicht Sommer. Ferien sind ziemlich kurz in den USA, und für das richtige Urlaubsfeeling vom Start weg riskiert der Amerikaner schon einmal Frostbeulen. Die werden schon wieder auftauen.

Auch im Flieger war es kalt, und so behielt ich meinen Wollschal fest umgewickelt, bis sich unten bereits frühlingshaft ergrünende Landschaften zeigten. In Orlando war es dann tatsächlich schwül warm – was allerdings nicht anhielt. Ich fand es von Neuem beeindruckend, unmittelbar nach Verlassen des Flughafens üppig wuchernde Gewächse zu sehen, die in Deutschland üblicherweise als Zimmerpflanzen gehalten werden.

Meine Shorts zog ich dann erst in Daytona Beach an. Ich steckte auch eine Zehe ins Wasser, aber der Atlantik war doch ein bisschen frisch. Außerdem wehte eine steife Brise. Da es in Amerika keine Strandkörbe gibt, setzten wir uns wieder ins Auto und fuhren am Strand entlang. Wie man das in Daytona eben so macht.

Saturday, March 15, 2008

Alle Vögel sind schon da

Es taut. Endlich! Noch am Montag standen zwei Gänse auf dem zugefrorenen Teich und guckten ziemlich dumm. Die biologische Uhr tickt: Nest bauen, Eier legen. Im Schnee?

Nun, es ist zu früh, um den „Osterspaziergang“ zu deklamieren. Morgen ist auch erst Palmsonntag. Und auf allen Parkplätzen sitzen immer noch riesige graue Schneehaufen, die nur langsam abschmelzen. Aber viele Vögel sind wieder da. Und auch alle, die hier tapfer überwintert haben, singen wieder.

Neulich rief mich mein Mann aus dem Büro an. „Kannst du das hören?“, fragte er. Im Baum vor seinem Fenster saß ein Kardinal, der jauchzte und frohlockte. Nun ist es so, dass Michigans Vogelwelt zwar recht farbenfreudig ist und mit rotem, gelbem oder leuchtend blauem Gefieder glänzt. Aber was das Singen angeht: Sie können’s einfach nicht. Lauter Ein- und Zweitöner. Der amerikanische Robin, die Wanderdrossel, ist zwar mit der Amsel verwandt, hat aber ein sehr viel schlichteres Liedgut.

Ausgerechnet der leuchtend rote Kardinal, der Schönste unter den Schönen, hat auch den interessantesten Gesang. Keine Nachtigall, aber immerhin. Wir würden gerne Kardinäle auf unsere Terrasse locken und haben deshalb Vogelfutter aufgehängt. Auf der Packung war jedenfalls ein Kardinal abgebildet. „Vielleicht hätten wir das Bild mit aufhängen sollen“, sagte mein Mann, „damit der Kardinal auch weiß, dass er gemeint ist.“

Bisher kamen aber nur Spatzen. Und ein Streifenhörnchen. Wir sahen das sofort, weil im Schnee auf der Terrasse plötzliche ganz viele Spuren von winzigen Pfötchen waren. Das Chipmunk hatte alle Körnchen aufgesammelt, die beim Aufhängen aus dem Vogelfutterkuchen gefallen waren. Aber es hatte immer noch Hunger: Das Streifenhörnchen saß nämlich im kahlen Busch und schaute sehnsüchtig zum Vogelfutter hinauf, in der irrwitzigen Hoffnung, den leckeren Körnern auf diese Weise näher zu kommen.

Was haben wir in der Speisekammer, was man einem Streifenhörnchen anbieten könnte? Wir entschieden uns für Risotto-Reis. Das dargebotene Häufchen war am nächsten Morgen fast verschwunden. Und irgendwo lag ein Streifenhörnchen in seiner Höhle und verdaute.

Den Rest erledigten die Spatzen. Ein Kardinal kam bisher leider nicht vorbei.