Friday, May 19, 2006

Der Schokoladenflieger

Gail Halvorsen hat Humor. Sonst wäre er einst wohl kaum auf die Idee gekommen, aus Taschentüchern und Bindfäden Fallschirmchen zu fabrizieren und daran Schokoladetafeln aufzuhängen. Es brauchte mehr als Mut, um diese süße Fracht dann bei der Berliner Luftbrücke über der von Russen eingeschlossenen Stadt abzuwerfen - eine ordentliche Portion jugendlicher Übermut und Leichtsinn gehörte zweifellos auch dazu. So wurde aus dem Piloten der US-Luftwaffe der "Candy Bomber" und eine Figur der Zeitgeschichte.

Das breite Lachen, das auf den Schwarzweißfotos von damals auffällt, hat sich Colonel Halvorsen bis heute bewahrt. Auch das Fliegen hat der 85-Jährige nicht aufgegeben. Einer der Rosinenbomber, eine C-54, wird heutezutage als Museumsflugzeug bestaunt. Der Schokoladenflieger selbst wirkt ganz und gar nicht antiquiert. Man kann mit ihm sogar über E-MailGail Halvorsen, der Candy Bomber © Cornelia Schaible
korrespondieren - ich habe weitaus jüngere Bekannte, die sich nicht mehr mit dem Internet anfreunden wollen. Als ich Halvorsen beim Deutschlehrer-Stammtisch in der Detroiter "Dakota Inn" kennenlernte, scherzte er über sein Alter: "Meine Frau und ich sind zusammen 167 Jahre alt", sagt er, "und ich bin derjenige, der über 100 ist."

Das ist natürlich charmant, vor allem wenn man bedenkt, dass er mit seiner Jugendliebe verheiratet ist. Lorraine Pace Mitchell war seine feste Freundin zu Schulzeiten - "his Bear River High School steady of 1939", steht in Halvorsens offizieller Kurz-Biografie. "Sie war ein Cowgirl", erklärte der Colonel beim Stammtisch, "und das gefiel mir." Aber dann kamen Hitler und der Krieg dazwischen. "Then she met someone with more hair", sagt Halvorsen und lacht.

Halvorsen heiratete erst, als er in Deutschland schon eine Berühmtheit war - im April 1949 gab der Schokoladepilot Alta Jolley aus Zion National Park das Ja-Wort. Den Heiratsantrag hatte er ihr mit einem Fallschirmchen gemacht - der Ring war daran aufgehängt. Aber flugtüchtig war das Verlobungsgeschenk offenbar nicht, denn er musste es von Hand übergeben. Davon existiert ein Foto: Beide scheinen sich dabei köstlich zu amüsieren. "Alta is responsible for most of the good things that ever happened to him", steht in seiner Biografie. Sie starb kurz vor dem 50-jährigen Ehejubiläum.

Und Lorraine? Sie war schon seit Jahren verwitwet, als sie ihren alten Schwarm im Fernsehen wiedersah. Darauf nahm sie Kontakt zu ihm auf - "and we started dating again", erzählte Halvorsen. Vor sechs Jahren heirateten die beiden. Im Sommer leben sie auf einer Farm in Utah, und die Wintermonate verbringen sie im sonnigen Arizona. "Wir wandern viel", sagt Gail Halvorsen, den die Freunde "Hal" nennen. Auch die Leidenschaft für Pferde verbindet Gail und Lorraine - auf der Visitenkarte des Candy Bombers ist nicht etwa eine C-54 abgebildet, sondern ein stilisierter Reiter. "Wenn Gott wollte, dass wir überall hin zu Fuß gehen", so Halvorsen mit einem Augenzwinkern, "warum hätte er uns dann Pferde gegeben?"

Mehr über den Candy Bomber gibt's auf "Wirtschaftswetter": Der süße Geschmack der Freiheit

Wednesday, May 17, 2006

Lauch ohne Hauch

Reist jemand in nächster Zeit nach Deutschland? Ja? Nur zu, das lässt sich jetzt wieder gefahrlos tun. Die Bärlauch-Saison dürfte inzwischen vorüber sein. Mitte April, als mein Mann und ich auf Heimatbesuch waren, hatte das berüchtigte Kraut hingegen Hochkonjunktur. „Sie reisen zu früh ab“, rief der Wirt des Gasthofs „Adler“ in Blaubeuren aus der Küche, als wir unsere Koffer an der Rezeption vorbeirollten. „Am Samstag machen wir Maultaschen mit Bärlauch!“

Na, das hätte gerade noch gefehlt. Bekanntlich scheiden sich schon die Geister bei der Frage, ob Spinat in die Maultaschenfüllung gehört – meine Mutter beispielsweise würde darauf mit einem entschiedenen „Nein!“ antworten. Der Blaubeurener „Adler“-Wirt wiederum hält Maultaschen ohne Spinat nicht einmal für diskussionswürdig, wie er mir mit Nachdruck versicherte. Das ist in Ordnung, der Mann versteht sein Handwerk. Seine Schwaben-Ravioli schmeckten ausgezeichnet. Aber was bitte hat der Bärlauch darin verloren? Maultaschen mit Knoblauchgeschmack – Mahlzeit.

Wohlgemerkt: Ich mag das Knoblauchdüftlein, das einem Anfang April im süddeutschen Buchenwald in die Nase steigt. Riecht nach Frühling, auf eine ganz besondere Art. Es muss nicht immer Veilchen sein. Für mich ist das Liliengewächs Bärlauch (Allium ursinum) ein Natur-Erlebnis fürs Riechorgan. Unbestritten ist auch sein Platz in der Pflanzenheilkunde. Aber essen möchte ich das grüne Kraut nicht. Es erinnert mich an – nein, nicht wirklich an Knoblauch. Eher an Gras mit Knoblauchgeschmack. Mit dieser Meinung scheine ich indessen plötzlich alleine dazustehen. Deutschland isst Bärlauch. Und kein Gericht ist davor sicher. „Weißt du, jetzt werden schon ganze Menüs damit angeboten“, sagte mein Bruder, ein Feinschmecker und begnadeter Hobbykoch. „Von der Vorspeise bis zum Dessert – alles mit Bärlauch.“

Bärlauch, die grüne Pest auf dem Teller, besetzt in der Regional-Küche neuerdings die gastronomische Nische der Rucola. Ein echtes Zeitgeist-Kraut, das übrigens schon die jungsteinzeitlichen Siedler am Bodensee schätzten. Handelt es sich also in Wirklichkeit um einen Rückfall in die Jäger-und-Sammler-Phase in wirtschaftlich schwieriger Zeit? Im Gegensatz zu den Amerikanern, die mit dem Jagen nie ganz aufhörten, besinnen sich die Deutschen jetzt wieder aufs Sammeln. Und das trotz Fuchsbandwurm und Verwechslungsgefahr. Denn leider kommt es immer wieder vor, dass Kräuterunkundige die – ganz und gar nicht nach Knoblauch riechenden – Maiglöckchenblätter für Bärlauch halten und sich vergiften. Auch die Verwechslung mit Herbstzeitlosenblättern führte schon zu Todesfällen.

Wie sich bei unserer Deutschlandreise zeigte, vermag das niemanden abzuschrecken: Bärlauch scheint neuerdings in aller Munde. Selbst in einer sehr ländlichen Gemeinde auf der Schwäbischen Alb, ich glaube es war in Zwiefaltendorf, wo der Storch hoch droben fröhlich auf dem Nest klapperte, hatte das Dorfgasthaus „Bärlauch-Spezialitäten“ angeschrieben. Sogar Filialbäckereien haben neuerdings Brot und Brötchen im Programm, die gehäckselten Bärlauch enthalten. „Lauch ohne Hauch“, warb eine Bäckerei, in der wir frühstückten. Allerdings verzehrten wir Gebäck, das ohne die grünliche Zutat auskam. Hatte ich schon erwähnt, dass ich das Zeug nicht mag? Bärlauch mag vielleicht keine Knoblauchfahne nach sich ziehen, schmeckt dafür aber auch längst nicht so gut und rund und ausgewogen wie Knoblauch: Schmalspur-Knoblauch eben.

Nun, wie oben bereits besprochen, inzwischen kann man wieder unbesorgt nach Deutschland reisen. Die Maiglöckchen blühen, die Bärlauch-Pflanzen auch, und selbst der botanische Laie sollte die beiden jetzt auseinanderhalten können. Und wer Bärlauchpesto im Reformhaus kauft, kann sowieso davon ausgehen, dass die Pflanze vom Biobauern stammt. Nicht aus dem Buchenwald. Im Übrigen – was soll diese übertriebene Fixierung auf den Bärlauch. Der schmeckt jetzt ohnehin bitter. Leute, esst mehr Brennnesseln! Löwenzahn ist auch sehr lecker.

Sunday, May 7, 2006

Mit Bush per du

Mit Bush ist es weit gekommen, wenn er jetzt schon die "Bild" zum Interview ins Oval Office bittet. Immerhin konnten die Deutschen so erfahren, was sie schon immer über den US-Präsidenten wissen wollten. Nämlich: Im Gegensatz zu seinem Daddy, der schon einmal ahnungslosen Touristen im Weißen Haus auflauerte und den Präsidenten zum Anfassen spielte, legt George W. Wert auf einen ordentlichen Sicherheitsdienst. "Seit dem 11. September bewacht eine Elite-Einheit des Secret Service den Garten rund um das Weiße Haus", berichtet die "Bild am Sonntag" mit Liebe zum Detail. "Die Männer tragen enge, nachtschwarze Kampfanzüge, sind mit Präzisions-MP und Handfeuerwaffen ausgerüstet. Sie stoppen jeden, der den schwarzen Eisenzaun rund ums White House überwindet." Da möchten wir aber hoffen, dass Kai Diekmann den Vordereingang benutzt hat.

Ach ja, und neben dem Präsidentenschreibtisch hängt ein Bild: "Ein Cowboy quält sich mit dem Pferd einen morastigen Berg hinauf. Ein Blick in Bushs Kämpferseele." Kämpferseele? Kämpferseele. Aber was einen wirklich rührt an dieser präsidentiellen Home-Story ist die Sache mit dem Efeu. Jawohl, Efeu. Auf dem Kamin-Sims, so berichtet die BamS, steht nämlich seit 20 Jahren immer derselbe Efeu. Das sind nun endlich die ganz harten Fakten! Wir erfahren sogar den botanischen Namen des zähen Pflänzchens: Plectrantus australis. "Die meistfotografierte Pflanze der Welt!" Das wird noch ordentlich für Gesprächsstoff sorgen an deutschen Stammtischen. "Unter ihren Blättern saßen schon Hunderte Staats- und Regierungschefs." Jetzt also auch Angela Merkel. Wow!

Wen interessiert da noch, dass Bush meinte: "Ich habe langsam erkannt, dass es in der Natur der deutschen Bevölkerung ist, dass sie Krieg verabscheut", und dafür volles Verständnis zeigt. Der US-Präsident, ein Deutschen-Versteher. Viel schöner ist doch, dass er sich mit unserer Angela so gut verträgt. "Merkel jetzt auch mit Bush per Du", titelte dazu die BamS - was soll denn das schon wieder heißen? Der Ami an sich duzt - genauer gesagt, ihrt - jeden, was bleibt ihm auch anderes übrig. "Brother, where art thou" ist ein Satz von Shakespeare. Und Bush redet sowieso jeden mit Vornamen an, insofern ist an der Begrüßung "Hello Ändschela" nichts weiter bemerkenswert.

Leuten, die er wirklich mag, verpasst Bush einen Spitznamen. "Hello Ändschie" - das wäre etwas anderes gewesen.