Reist jemand in nächster Zeit nach Deutschland? Ja? Nur zu, das lässt sich jetzt wieder gefahrlos tun. Die Bärlauch-Saison dürfte inzwischen vorüber sein. Mitte April, als mein Mann und ich auf Heimatbesuch waren, hatte das berüchtigte Kraut hingegen Hochkonjunktur. „Sie reisen zu früh ab“, rief der Wirt des Gasthofs „Adler“ in Blaubeuren aus der Küche, als wir unsere Koffer an der Rezeption vorbeirollten. „Am Samstag machen wir Maultaschen mit Bärlauch!“
Na, das hätte gerade noch gefehlt. Bekanntlich scheiden sich schon die Geister bei der Frage, ob Spinat in die Maultaschenfüllung gehört – meine Mutter beispielsweise würde darauf mit einem entschiedenen „Nein!“ antworten. Der Blaubeurener „Adler“-Wirt wiederum hält Maultaschen ohne Spinat nicht einmal für diskussionswürdig, wie er mir mit Nachdruck versicherte. Das ist in Ordnung, der Mann versteht sein Handwerk. Seine Schwaben-Ravioli schmeckten ausgezeichnet. Aber was bitte hat der Bärlauch darin verloren? Maultaschen mit Knoblauchgeschmack – Mahlzeit.
Wohlgemerkt: Ich mag das Knoblauchdüftlein, das einem Anfang April im süddeutschen Buchenwald in die Nase steigt. Riecht nach Frühling, auf eine ganz besondere Art. Es muss nicht immer Veilchen sein. Für mich ist das Liliengewächs Bärlauch (Allium ursinum) ein Natur-Erlebnis fürs Riechorgan. Unbestritten ist auch sein Platz in der Pflanzenheilkunde. Aber essen möchte ich das grüne Kraut nicht. Es erinnert mich an – nein, nicht wirklich an Knoblauch. Eher an Gras mit Knoblauchgeschmack. Mit dieser Meinung scheine ich indessen plötzlich alleine dazustehen. Deutschland isst Bärlauch. Und kein Gericht ist davor sicher. „Weißt du, jetzt werden schon ganze Menüs damit angeboten“, sagte mein Bruder, ein Feinschmecker und begnadeter Hobbykoch. „Von der Vorspeise bis zum Dessert – alles mit Bärlauch.“
Bärlauch, die grüne Pest auf dem Teller, besetzt in der Regional-Küche neuerdings die gastronomische Nische der Rucola. Ein echtes Zeitgeist-Kraut, das übrigens schon die jungsteinzeitlichen Siedler am Bodensee schätzten. Handelt es sich also in Wirklichkeit um einen Rückfall in die Jäger-und-Sammler-Phase in wirtschaftlich schwieriger Zeit? Im Gegensatz zu den Amerikanern, die mit dem Jagen nie ganz aufhörten, besinnen sich die Deutschen jetzt wieder aufs Sammeln. Und das trotz Fuchsbandwurm und Verwechslungsgefahr. Denn leider kommt es immer wieder vor, dass Kräuterunkundige die – ganz und gar nicht nach Knoblauch riechenden – Maiglöckchenblätter für Bärlauch halten und sich vergiften. Auch die Verwechslung mit Herbstzeitlosenblättern führte schon zu Todesfällen.
Wie sich bei unserer Deutschlandreise zeigte, vermag das niemanden abzuschrecken: Bärlauch scheint neuerdings in aller Munde. Selbst in einer sehr ländlichen Gemeinde auf der Schwäbischen Alb, ich glaube es war in Zwiefaltendorf, wo der Storch hoch droben fröhlich auf dem Nest klapperte, hatte das Dorfgasthaus „Bärlauch-Spezialitäten“ angeschrieben. Sogar Filialbäckereien haben neuerdings Brot und Brötchen im Programm, die gehäckselten Bärlauch enthalten. „Lauch ohne Hauch“, warb eine Bäckerei, in der wir frühstückten. Allerdings verzehrten wir Gebäck, das ohne die grünliche Zutat auskam. Hatte ich schon erwähnt, dass ich das Zeug nicht mag? Bärlauch mag vielleicht keine Knoblauchfahne nach sich ziehen, schmeckt dafür aber auch längst nicht so gut und rund und ausgewogen wie Knoblauch: Schmalspur-Knoblauch eben.
Nun, wie oben bereits besprochen, inzwischen kann man wieder unbesorgt nach Deutschland reisen. Die Maiglöckchen blühen, die Bärlauch-Pflanzen auch, und selbst der botanische Laie sollte die beiden jetzt auseinanderhalten können. Und wer Bärlauchpesto im Reformhaus kauft, kann sowieso davon ausgehen, dass die Pflanze vom Biobauern stammt. Nicht aus dem Buchenwald. Im Übrigen – was soll diese übertriebene Fixierung auf den Bärlauch. Der schmeckt jetzt ohnehin bitter. Leute, esst mehr Brennnesseln! Löwenzahn ist auch sehr lecker.