Wednesday, August 14, 2013

Studentenstadt mit wechselnder Besetzung

„Dohoggeddiadiaemmerdohogged.“

Gesehen kürzlich, bei einem Heimatbesuch: Das Wortungetüm, ein klassisch schwäbischer Spruch, beschildert eine rustikale Bank in der Tübinger Altstadt. Die Bank befindet sich vor dem Restaurant „Mauganestle“ an der Burgsteige, die wir erklimmen, um mal wieder die Aussicht vom Schloss Hohentübingen zu genießen. Auf die Stadt und die Stätte meiner Bildung am Neckar. Die Bank selbst ist zu diesem Zeitpunkt übrigens verwaist – wer setzt sich schon am helllichten Tag vor ein Lokal. Aber vor dem benachbarten Wohnhaus sind sämliche Sitzgelegenheiten vergeben.

Ein paar junge Männer, offenbar Mitglieder einer Studenten-WG, hängen herum, blinzeln in den leicht bedeckten Himmel, rauchen und haben nichts zu tun. Als wir wieder herunterkommen, bietet sich das gleiche Bild gepflegten studentischen Müßiggangs, nur mit neuen Darstellern. Übrigens ist die ganze Stadt voll mit jungen Leuten, die keinerlei Eile zu haben scheinen, und in den Straßencafés ist kaum ein Tisch mehr frei. In der Tat: Da hocken die, die immer da hocken. Nur eben mit wechselnder Besetzung. Generationen von Studenten kommen und gehen, aber es sieht immer noch aus wie vor dreißig Jahren. Und falls das Studieren tatsächlich stressiger sein sollte als damals, lassen sich die heutigen Protagonisten davon nichts anmerken.

Warum sollten sie auch. Alles geht seinen gewohnten Gang; das Pflaster in den mittelalterlichen Gassen ist holprig, aber die Stocherkähne gleiten leicht über den Neckar. Alles beim Alten und doch immer wieder jung und gerade erst eingetroffen. Nur die arbeitende Bevölkerung, die das Ganze am Laufen hält, wird ernsthaft älter. Ich werfe einen Blick in die italienische Café-Bar am Affenfelsen, wie der Volksmund das Stück Mauer nennt, wo auch die hocken die da immer undsoweiter, und da steht tatsächlich Michele, der hinter seiner Espressomaschine grau geworden ist. Ansonsten hat er sich nicht verändert, und er bietet nach wie vor einen erfreulichen Anblick. Soll heißen, in der Rückenansicht. Ein echter Barista legt großen Wert auf den tadellosen Sitz seiner Hosen. Davon könnten die Jungen noch was lernen.

Ein Stück weiter auf dem Marktplatz steht der Crêpes-Mann in seinem Stand, gießt Pfannkuchenteig auf die heiße Platte und zieht ihn dann wieder ab, so dass nur eine hauchdünne Schicht zurückbleibt. Seit Jahrzehnten macht er das. Er ist irgendwie hängen geblieben in der Unistadt. Manch einer ist da verhockt. Goethe kam 1797; er blieb nur kurz. Im Gegensatz zu Hölderlin. Der zog 1807 in den Turm, der später nach ihm benannt wurde, und wohnte 36 Jahre lang dort. Bis zu seinem Tode. Das Gebäude an der Neckarfront ist postkartengerecht restauriert. Schräg gegenüber am anderen Ufer befindet sich mein altes Gymnasium, nur ein paar Schritte entfernt von der Hauptredaktion meiner Heimatzeitung. Ich bin nie sitzen geblieben.

Wenn man längere Zeit in den USA gelebt hat, kommt einem Europa älter vor. Sowieso. Was der spanischen Kolonisierung in Nordamerika voranging, ist im allgemeinen Bewusstsein wenig präsent. Die „Schätze der Menschheit“, die das Tübinger Schlossmuseum zeigt, sind vergleichsweise berühmt und auch Gegenstand des Lokalstolzes, wie das Elfenbeinpferdchen aus der Vogelherdhöhle, 35.000 Jahre alt. Wir treffen nachmittags kurz vor Torschluss ein und haben daher keine Gelegenheit zum Museumsbesuch, aber ich habe es schon früher mehrfach gesehen. Das kleine Kunstwerk relativiert manches.

Auf dem Rückweg die Burgsteige abwärts, kurz nach der Bank und den müßiggängerischen Studenten, fällt meinem Mann eine Jahreszahl auf: „1491“ steht da auf einem Schlussstein in einem Türbogen. 1491! Damals mussten bereits Studenten in diesen Gassen unterwegs gewesen sein – die Universität wurde 1477 gegründet.

Kolumbus war im Jahr 1491 gerade in Spanien und suchte nach einem Sponsor für seine Expedition. Erst nach dem Fall von Granada im folgenden Jahr hatte der Genueser Erfolg mit seinem Fundraiser.