
In diesem Jahr fiel der erste Hochsommertag auf jenen Donnerstag, an dem in Deutschland Himmelfahrt im Kalender stand. In Amerika gibt es diesen Feiertag zwar nicht, aber die Hitze hielt bis zum Wochenende, und es traf niemanden unvorbereitet. Sommer beschlossen! Auch wenn offiziell noch Mai war. Ich muss gestehen, für uns kam das etwas plötzlich. Sonntags standen wir an einem Strand von Port Austin, also am "Daumen" der fäustlingsförmigen unteren Halbinsel von Michigan, und betrachteten einigermaßen fassungslos das Gewimmel. Der Strand sah aus wie im Bilderbuch "Wo ist Walter?". Dabei musste der Lake Huron noch eiskalt sein. Als wir zuletzt in Port Austin waren, das war Ende März, türmten sich am Strand die Eisschollen.
Für Deutsche ist das jahreszeitliche Kontrastprogramm anfangs gewöhnungsbedürftig. "Weißt du, in Michigan gibt es eigentlich nur drei Jahreszeiten", erklärte kürzlich eine erfahrene Expat-Frau einer neu Angekommenen. Stimmt. Sechs Monate Winter, drei Monate Sommer - wenn man Glück hat! - und drei Monate Herbst. Der Frühling fällt meistens aus. Man muss sich das einmal vorstellen: Die komplette Infrastruktur der Badeorte am Lake Michigan wird für gerade mal drei, vier Monate in Schuss gehalten - die September sind manchmal noch recht mild. Aber dann geht der Michigander schon bald nicht mehr baden, sondern jagen. Und bei "Dairy Queen" servieren sie noch eine Weile Pumpkin Blizzard, bevor sie das Schild aufhängen: "Thank you for a great season!"
Folglich gilt es, keine Zeit zu verlieren. Auch wenn der Sommer kurzfristig etwas schwächelt. Am Samstagabend wanderten wir zum Leuchtturm von Big Sable Point bei Ludington am Lake Michigan, und der Rückweg führte über den dortigen Campingplatz. Ein riesiger Vollmond war aufgegangen, dann aber hinter Wolken verschwunden. Es war sehr, sehr frisch. Die Camper saßen jedoch frohgemut in kurzen Hosen ums Lagerfeuer und froren heroisch. Im Unterholz stand ein Reh und machte große Augen. Es bewegte sich auch nicht von der Stelle, als wir näher kamen. Endlich mal was los hier. In Winter gibt's an Michigans Stränden nur Schnee. Und Eis. Viel Eis.