Monday, November 3, 2014

In Ann Arbor geht die Ära Hieftje zu Ende

Im Online-Vorlesungsverzeichnis der University of Michigan findet sich ein Kurs über Kommunalverwaltung und Bürgerbeteiligung. Kursbeginn: Anfang Januar. Der Name des Dozenten? John Hieftje, „derzeit der Bürgermeister von Ann Arbor“, wie es in der Kurzbiografie heißt. Die Universität muss die Webseite bald aktualisieren, denn bereits am 10. November wird es offiziell einen neuen Mayor geben. Der 63-jährige Hieftje will sich dann auf die Lehrtätigkeit, schon vorher sein zweites berufliches Standbein, konzentrieren. Vorerst jedenfalls.

Die Abschiedsparty für John Hieftje ist schon geplant: Sechs Mal wurde er im Amt bestätigt, aber ein siebtes Mal wird es nicht geben – sein Nachfolger wird morgen gewählt. Und was kommt dann? Dass er als Bürgermeister aufhöre, bedeute nicht, dass er sich aus dem Berufsleben zurückziehe, betonte Hieftje bei einem Telefongespräch. Er habe einige Eisen im Feuer; Näheres will er dazu nicht sagen. Kein Ruhestand also, aber wie ernst ist es ihm mit dem Rückzug aus der Politik? Will er seine Karriere vielleicht auf anderer Ebene fortsetzen? Nein, er habe nicht vor, noch einmal für ein politisches Amt zu kandidieren, sagt der Demokrat, der in „A2“ 14 Jahre lang eine solide grüne Kommunalpolitik machte. „Ich nehme Abstand von der Politik“, sagt Hieftje in jenem gelassen-heiteren Ton, der für ihn typisch ist.

John Hieftje ist eher ein Mann der leisen Töne – „soft-spoken“ heißt das auf Englisch, und genau mit diesem Ausdruck wird er in der lokalen Presse oft beschrieben. Das heißt aber nicht, dass es ihm an Selbstsicherheit mangelt. Hieftje gab schon vor Jahr und Tag bekannt, dass er kein weiteres Mal kandidieren würde, und wenn man ihn dann fragt, warum er die Entscheidung in der laufenden Amtsperiode getroffen und damit nicht noch etwas gewartet habe, gibt er die einfache Antwort: „Alles, was ich mir vorgenommen habe, ist getan.“

Das mag nun etwas überraschen, denn Hieftje hat sicher vieles auf den Weg gebracht, aber bei etlichen Projekten ist das Ziel in weiter Ferne. Auf die schnellere Zugverbindung nach Chicago etwa wartet Ann Arbor noch; sie soll erst im Jahr 2016 oder später kommen. „Das sind Bundesgelder“, so Hieftje, da habe man wenig Einfluss darauf. Er sei dem Gouverneur von Florida – einem Republikaner – jedenfalls unendlich dankbar, dass dieser Regierungsinvestitionen in den Bahnausbau ablehnte, „denn deswegen bekommen wir 200 Millionen Dollar extra“. Er ist daher zuversichtlich, das Ann Arbor irgendwann einen neuen Bahnhof bekommt, und dass es mit dem Ausbau des Schienennahverkehrs bald vorangeht.

Hieftje sagt aber auch oft, dass er das Glück hatte, auf die Arbeit fähiger Bürgermeister und Stadträte vor ihm aufzubauen – die hohe Lebensqualität in Ann Arbor sei nicht über Nacht entstanden und auch nicht in den letzten 14 Jahren. Gerade in jüngster Zeit konnte die Stadt im Südwesten der Autometropole Detroit eine Reihe von Auszeichnungen einheimsen, die belegen, dass einiges richtig gelaufen sein muss: So wurde Ann Arbor erst kürzlich vom Wirtschaftsmagazin „Forbes“ zur gebildetsten Stadt Amerikas ernannt; von anderer Seite gab es hohe Platzierungen für Fußgängerfreundlichkeit sowie das Radwegenetz. Und das Onlinemagazin „The Daily Beast“ erklärte Ann Arbor schon 2012 zur fünftglücklichsten Stadt Amerikas, nicht zuletzt wegen der im regionalen und nationalen Vergleich niedrigen Arbeitslosenquote, die inzwischen deutlich unter fünf Prozent liegt.

Das war aber nicht immer so. Als Hieftje ins Amt kam, befand sich Michigan bereits in einer Dauerrezession, und in Zusammenarbeit mit dem damaligen City Administrator, dem Stadtverwalter, begann Hieftje, die Verwaltung zu verschlanken. Das war ein Prozess, der eigentlich nie ganz aufhörte, und im Jahr 2007 noch einmal drastisch beschleunigt werden musste: Noch vor der Finanzkrise beschloss der Pharmakonzern Pfizer, seinen Standort in Ann Arbor aufzugeben, wodurch 2500 Arbeitsplatz verloren gingen und im Finanzhaushalt der Stadt plötzlich ein riesiges Loch klaffte. „Und dann ging alles den Bach runter“, erinnert sich Hieftje. Allerdings war die Stadt, die Übung im Sparen hatte, besser für die Krise gerüstet als andere Kommunen in Michigan und erholte sich früher wieder von der Großen Rezession. Das sei auch der Grund, warum er sich nicht schon 2012 verabschiedet habe: Er wollte sicher gehen, dass alles wieder im Lot sei, und außerdem musste sich damals gerade ein neuer City Administrator einarbeiten.

Kontinuität ist wichtig für Hieftje, und die erhofft er sich auch von seinem Nachfolger im Amt. Neuer Bürgermeister wird aller Wahrscheinlichkeit nach der Rechtsanwalt und jetzige Stadtrat Christopher Taylor, der sich bei den Vorwahlen im August gegen seine Konkurrenten von der demokratischen Partei durchsetzte. Die Republikaner haben keinen Kandidaten aufgestellt; Taylors einziger Gegenkandidat ist der unabhängige Bryan Kelly, Blogautor und Musiker, dessen Kampagne auf Facebook aber eher als Spaß-Event daherkommt.

Christopher Taylor hat bereits öffentlich bestätigt, dass er die vom bisherigen Bürgermeister und der Stadtverwaltung angestrebten Ziel weiter verfolgen wird. Dazu gehören die ökologischen Projekte genauso wie die Bemühungen, Ann Arbor als Standort für Hightech-Firmen noch attraktiver zu machen, was auch in Zusammenarbeit mit der Uni geschehen soll. Taylor wird sicher auch weiterführen, was für Hieftje Herzensanliegen, Steckenpferd und Markenzeichen in einem war: die mit Grundsteuer finanzierte Bekämpfung von Flächenfraß und Zersiedelung durch einen „grünen Gürtel“ im Norden der Stadt, der neben naturnahen Gebieten auch landwirtschaftliche Nutzfläche konserviert.

Auch wenn er nicht mehr Bürgermeister ist, will Hieftje der Stadt Ann Arbor treu bleiben. Er hofft aber, dass er in Zukunft öfters „in den Norden fahren“ kann, was bei Naturliebhabern in Michigan allgemein populär ist: Die Familie besitzt ein Wochenendhaus am Lake Superior, also am nördlichsten der Großen Seen, und zwar auf der kanadischen Seite. Und wie sieht es mit Reisen nach Deutschland aus, sprich: Tübingen? Ann Arbor ist die Partnerstadt der schwäbischen Universitätsstadt am Neckar. Seine Frau Kathryn habe fest vor, zum 50er-Jubiläum der Städtpartnerschaft in die Sister City zu fahren, sagt Hieftje. Er selbst muss noch sehen, wie es in seinen Terminkalender passt.

Aus dem Archiv: Umweltfreundlich made in USA