Wednesday, April 10, 2013

Die Achtziger-Amnesie

Im Film „(500) Days of Summer“ spielt die Band The Smiths eine wichtige Rolle: Die beiden Hauptfiguren, verkörpert von Joseph Gordon-Levitt und Zooey Deschanel, treffen sich im Aufzug; der junge Mann hört Musik, das Mädchen spricht ihn darauf an, trällert auch ein paar Takte mit („To die by your side is such a heavenly way to die“), und er ist hin und weg. Und mich ließ der Kinobesuch leicht verwirrt zurück: Obwohl mir die Melodie vage bekannt vorkam, war mir weder der Song noch die Gruppe ein Begriff. Das war erstaunlich, schien es sich dabei doch um allgemeines Pop-Kulturgut zu handeln. Wenigsten kannte ich den Namen von Sänger Morrissey, wie sich nach kurzer Recherche herausstellte. Der war mir allerdings eher wegen seiner politischen Aussagen im „Rolling Stone“ aufgefallen. Aber warum hatte ich die Band damals in den Achtzigern überhaupt nicht wahrgenommen?

Es kann natürlich sein, dass die auf Youtube oft parodierte (und einmal sogar mit Legofiguren nachgestellte) Aufzugsszene die Band bei Jüngeren erst richtig bekannt gemacht hat. Bei Brit-Rock-Fans meines Alters liegen die Dinge schon anders. „(500) Days of Summer“ lief im Jahr 2009, und seither habe ich gelegentlich über diese popkulturelle Gedächtnislücke den Kopf geschüttelt. Diese Woche habe ich nun endlich kapiert, warum The Smiths bei mir nie auf dem Radar aufgetaucht waren. Das wurde mir klar, als ich nach Tod von Margaret Thatcher am 8. April Morrisseys Nachruf las: eine letzte Abrechnung. Der Musiker bezeichnet die Politikerin darin als „a terror without an atom of humanity“.

Diese und ähnliche Nachrufe lassen mich frösteln. Ich erinnere mich jetzt wieder, wie das war, in den Achtzigern, als ein scharfer Wind von der Insel wehte, und die soziale Kälte langsam in alle Ritzen und Winkel kroch. Wir sehnten uns nach Wärme und Sonne und fuhren nach Möglichkeit in den Süden, wo wenigstens das Wetter erträglich war. Was damals aus Großbritannien kam, wurde einfach ausgeblendet – das galt für die eiserne Lady, die weder für die Kunst im Allgemeinen noch für Popmusik im Besonderen etwas übrig hatte, ebenso wie für ihre Kritiker. „The Final Cut“ von 1982 ist bis heute das Pink-Floyd-Album, das mich am wenigsten interessiert hat. Und wen ich vorher nicht kannte, habe ich gar nicht wahrgenommen, wie ich jetzt weiß.

Dass Maggie Thatcher mit Betonfrisur und Handtasche im Anschlag durchregieren konnte, lag daran, dass sie demokratisch gewählt und anschließend zwei Mal im Amt bestätigt wurde. Jetzt ist sie tot, und die Geschichte wird über sie urteilen. Posthumer Hass ist idiotisch.

Saturday, April 6, 2013

Bitte mit Widmung


Meine Schwester und mein Schwager haben sich zu meinem runden Geburtstag etwas einfallen lassen. Ein Buch, natürlich, das kommt immer gut an und lässt sich am einfachsten verschicken. Damit das Geschenk auch wirklich ankommt. Aber wie wird daraus etwas Besonderes? Richtig, durch eine Widmung. Ich nehme an, noch vor dem Buchkauf überlegten sich die beiden, wer dafür wohl in Frage käme. Sie entschieden sich dann für einen gewissen empirischen Kulturwissenschaftler aus Tübingen.

„Ursprünglich sollte ja der Papst ein Grußwort zu Deinem Geburtstag schreiben“, lauteten die launigen Glückwünsche dazu, „aber nach dessen beruflicher Umorientierung ist Hermann Bausinger persönlich eingesprungen...“ Das lassen wir für diesmal gelten.

Nun ist der gute Professor Bausinger Jahrgang 1926 und seit zirka zwanzig Jahren emeritiert, aber er hat offenbar sein Zimmer in der Außenstelle des Ludwig-Uhland-Instituts behalten, und er empfängt auch immer noch zur Sprechstunde nach Vereinbarung, wie aus der Website der Universität hervorgeht. Es war also nicht allzu kompliziert, ihn aufzustöbern. Wie ich von meiner Mutter erfahren habe, kam Bausinger dem Widmungs-Wunsch in einer seiner Sprechstunden gerne nach, wurde aber vorsorglich noch mit einer Pralinenschachtel oder dergleichen bestochen. Ich habe zwar nie bei ihm studiert, im Gegensatz zu einigen ehemaligen Kollegen bei der Zeitung, war ihm aber wohl vom Namen her vage ein Begriff. „Hier sind die Berge, die Ihnen fehlen...“ schrieb er in das Bändchen „Albgeschichten“, das er mit herausgegeben hat. Da hat er wohl gegoogelt, denn dass ich die Berge vermisse, steht irgendwo in einer Bio.

Seit wann kenne ich eigentlich Bausinger? Wie gesagt, ich habe nie einen Kurs bei ihm belegt, höchstens einmal einen Vortrag von ihm gehört. Aber ich weiß genau, ich war einmal bei einer Pressekonferenz im Ludwig-Uhland-Institut, dessen Direktor er damals war, im Haspelturm des Schlosses. Nur, wie konnte das überhaupt sein? Bei der Zeitung fiel die Uni nämlich nicht in meinem Zuständigkeitsbereich, und zwar grundsätzlich nie. Es muss also noch in der Zeit beim Radio gewesen sein, als ich meine ersten journalistischen Schritte unternahm. Und tatsächlich, irgendwann fiel es mir ein, denn ich habe noch das Buch, das damals vorgestellt wurde: eine Untersuchung zur Partykultur der Fünfziger. Jawohl. Über Spießer und Cocktailspieße.

Nun, jedenfalls weiß ich mit Bestimmtheit, wann ich den Professor zum letzten Mal persönlich getroffen habe: Das war beim Konzert von Titi Winterstein in der Rottenburg-Oberndorfer Kulturgarage. Damals saß Bausinger direkt hinter mir. Wie andere Nebensächlichkeiten habe ich mir das nur gemerkt, weil die ganze Veranstaltung so unglaublich war – der Jazzgeiger in einer ehemaligen Busgarage! Die Fußnote einer Erinnerung. Aber das ist nun auch schon gute zehn Jahre her.

Tuesday, April 2, 2013

Das halbe Jahrhundert

Kaum hat man sich ein bisschen eingelebt, ist man schon fünfzig.