In „Benny’s Family Dining“ gibt’s große Portionen zu günstigen Preisen, und auf der Speisekarte findet sich auch ein herzhaftes „Arbeiterfrühstück“ – für einen hart trainierenden Schwimmer genau das Richtige. Zwei Eier sind die übliche Portion, Michael Phelps aß immer drei. In Form von umgedrehten Spiegeleiern, dazu Bratkartoffeln, Würstchen und Toast, je nach Appetit durften es noch ein paar Streifen Speck sein. Das einfache Restaurant unweit der universitären Sportanlagen in Ann Arbor öffnet um 6 Uhr früh, und meist so gegen 7 kam Phelps zur Tür herein. Nach dem Morgentraining hatte er einen Mordshunger, und bis das Essen kam, so erzählt Restaurantbesitzer Benny Shehaj, verdrückte er erst einmal eine Schale Reispudding. Irgendwo müssen die 10.000 Kalorien, die Phelps nach Medienberichten täglich verbraucht, schließlich herkommen.
Vier Jahre lang trainierte Michael Phelps (23) in der Tübinger Partnerstadt. Nach sechs Mal Gold und zwei Mal Bronze bei den Spielen im Jahr 2004 in Athen zog er nach Ann Arbor – sein persönlicher Coach Bob Bowman hatte als Cheftrainer bei der Schwimm-Mannschaft der University of Michigan angeheuert. Und so blieb Phelps nichts anderes übrig, als seine Heimatstadt Baltimore im Bundesstaat Maryland zu verlassen und ebenfalls nach Michigan umzusiedeln. Bowman, gleichzeitig Mentor und Vaterersatz für Phelps, dessen Eltern sich scheiden ließen, als er neun war, hatte ihn schon als hyperaktiven Elfjährigen unter die Fittiche genommen.
Mit 19 Jahren kam Phelps dann nach Ann Arbor. Er sollte dort studieren und mit den Elite-Schwimmern der U-M beim „Club Wolverine“ trainieren. Aber zunächst lief alles nicht ganz so wie geplant. Der Winter kam, und es wurde kalt. Viel kälter als in der Ostküstenstadt Baltimore. Phelps war verletzt, konnte nicht trainieren – und hatte heftiges Heimweh.
Aber nach den anfänglichen Schwierigkeiten gelang es ihm doch, sich einzuleben. Er kaufte sich eine Eigentumswohnung in der Main Street und lernte, selbstständig zu werden. Auch im Haushalt. Kleinere Pannen ließen sich dabei nicht immer vermeiden. Laut US-Presse erzählte Phelps gerne die Anekdote, wie er einmal gewöhnliches Geschirrspülmittel in die Spülmaschine gab. Der Spülschaum muss anschließend kniehoch in der Wohnung gestanden haben.
Irgendwann schmiss Phelps sein Studium und konzentrierte sich ganz aufs Training im „Canham Natatorium“, also in der Schwimmhalle der U-M. Dabei lenkte ihn nur wenig ab – dass der Gold-Olympionike von Athen in Ann Arbor trainierte, blieb der breiten Öffentlichkeit verborgen. Schwimmen ist kein Zuschauersport, und selbst ein Medaillengewinner wie Phelps genoss damals nur mäßige Popularität. Für die Uni konnte er als Profi nicht an Wettkämpfen teilnehmen, und so schwamm er sozusagen unter dem Radar. Zumindest war das so, bevor der US-Fernsehsender NBC ihn zum „Gesicht der Spiele“ machte.
Wenn er nicht trainierte, saß Michael Phelps gern mit seiner Bulldogge, die auf den schönen Namen Herman hört, auf dem Sofa und faulenzte. Das ergibt sich jedenfalls aus einem Fernsehspot, der den jungen Mann auf besagtem Sofa beim Müsli-Essen zeigt. Denn Phelps mag zwar irgendwann gelernt haben, wie man eine Spülmaschine bedient, aber zum Kochen brachte er es nicht. Weil niemand ständig Müsli essen kann, lernten ihn vor allem die Restaurantbesitzer von Ann Arbor kennen und lieben: Der Appetit des Schwimmers war legendär. Dass der Restaurantinhaber Shehaj eine besondere Sympathie für Phelps pflegt, lag allerdings nicht nur daran: Er sei selbst ein Schwimmer, sagt Shehaj, der vor 16 Jahren aus Albanien in die USA kam. Wie er ihn beschreiben würde? Er zuckt mit den Schultern. „Ganz normal. Nett.“
Seine Wohnung in Ann Arbor hat der Schwimmstar schon im Frühjahr verkauft, und auch nach den Spielen in Peking wird er allenfalls nur kurz in Michigan vorbeischauen. Denn sein Coach übernimmt künftig den Club in Baltimore, der ihn groß machte, und Phelps wird ihm wieder folgen. „Ich gehe zurück nach Hause“, sagte der Schwimmer bei einem Empfang in Detroit Anfang August, „aber Michigan ist der Platz, wo ich erwachsen wurde.“
Weil der Goldjunge Phelps inzwischen doch enorm populär ist, hat man in „Casey’s Tavern“ in Ann Arbor, wo er gerne einen Hamburger aß, sein Bild mit Autogramm vorsorglich abgenommen – offenbar wurde befürchtet, es könnte Beine bekommen. Aber es werde auf jeden Fall an seinen Platz zurückkehren, hieß es in der rustikalen Bierkneipe. Dass die Leute nach den Olympischen Spielen wieder vergessen, wie Michael Phelps aussieht, ist diesmal ohnehin nicht zu befürchten: Dafür werden all die Werbeverträgen, die er nach dem Rekorderfolg in Peking einsammelte, schon sorgen. Unter anderem wird Phelps auf den Schachteln von Kellogs-Frühstücksflocken zu sehen sein.