Die Stadt Daun in der Vulkaneifel, so erfahre ich bei Wikipedia, ist berühmt für ihre Maare und ihre Mineralquellen. Außerdem befindet sich dort ein Vulkanmuseum sowie eine Lokalredaktion des „Trierischen Volksfreundes“ – jawohl, so kann eine Zeitung heute noch heißen. Was man im Wikipedia-Artikel (noch) nicht erfährt: Die Stadt hat es sogar in ein amerikanisches Schulbuch geschafft, genauer gesagt in ein Deutschbuch. Das verdankt sich allerdings nicht den oben genannten Sehenswürdigkeiten, sondern einem Dauner Schülerradio mit dem schönen Namen RaDau. Und weil die Deutschlehrerin Janet Harris darüber mehr wissen wollte, konnte ihre Klasse an der Farmington High School in Metro Detroit schließlich sogar einen leibhaftigen Dauner begrüßen: Der Anglistikstudent Tobias Reiche, 25, absolvierte vor kurzem ein Praktikum in Farmington.
Ich gebe zu, an diesem Punkt wird die Geschichte ein bisschen kompliziert. Aber Tobias Reiche hat mir den Hergang geduldig erklärt, und vielleicht schaffe ich es sogar, seinen stundenlangen Bericht einigermaßen kurz wiederzugeben. Reiche war nämlich keinesfalls beim Schülerradio mit von der Partie – aber er besuchte das Gymnasium, an dem RaDau gemacht wird: das Thomas-Morus-Gymnasium. In einem mediengeschichtlich frühen Zeitalter, nämlich vor über 18 Jahren, richtete dort eine „Truppe unerschrockener Radiomacher“ ein rudimentäres Tonstudio mit Eierkarton-Schalldämmung ein. So steht es jedenfalls auf der RaDau-Website. Die karge technische Grundausstattung, bestehend aus alten Tonbandgeräten und Kassettenrekordern, konnte „dank Spenden der heimischen Wirtschaft“ offenbar rasch modernisiert werden.
Wie man ebenfalls auf der Website erfährt, standen bald nicht nur Pausensendungen auf dem Programm: „Seit 1994 ist RaDau Mitausrichter der internationalen Jugendmedienwoche.“ In jenem Jahr brachte das Magazin „Juma“ für junge Deutschlernende, das bis vor kurzem auch in Detroiter Deutsch-Klassenzimmern herumlag, einen Bericht über RaDau. Und dieser Artikel diente dann als Grundlage für den Text im US-Lehrbuch „Deutsch aktuell“. Die Zeitschrift „Juma“ wurde übrigens Anfang dieses Jahres eingestellt – RaDau existiert augenscheinlich immer noch. Die Website des Schülerradios wurde allerdings schon lange nicht mehr aktualisiert. Eine der letzten Eintragungen im Gästebuch ist die von Janet Harris am 2. März 2003: „Wissen Sie, dass Radio Daun in einem amerikanischen Lehrbuch für Deutsch als Fremdsprache vorkommt? (…) Meine Schüler würden sich freuen, wenn Sie von sich hören lassen.“
Das Dauner Thomas-Morus-Gymnasium ließ tatsächlich von sich hören, dann kam wieder Post aus Farmington, und im Juli 2004 berichtete sogar der „Trierische Volksfreund“ über „RaDau im US-Lehrbuch“. Es lebe die Medienvielfalt! Den Artikel im Lokalblatt las – nein, nicht Tobias Reiche, der studierte nämlich seit 2002 Anglistik und Politikwissenschaft in Koblenz. Auf Lehramt. Seine Mutter habe den Artikel gefunden, erzählt Reiche, und sie habe auch die Idee gehabt, er könne mit Janet Harris im fernen Farmington Kontakt aufnehmen. Sogar Lokalzeitungen können mitunter eine globale Wirkung entfalten.
Harris lud den Anglistikstudenten schließlich ein, ein Praktikum an ihrer High School zu machen, was Reiche nicht ungelegen kam – er wollte schon lange mal die Verwandtschaft in Amerika besuchen. Das Visum erhielt er allerdings buchstäblich in letzter Minute: an einem Freitagnachmittag kurz vor Dienstschluss des US-Konsulats, 24 Stunden vor dem Abflug. Vorausgegangen war eine hektische Fahrt im Smart nach Frankfurt, die Tobias Reiche sehr mitreißend schildern kann. Dass der junge Deutsche ein so kleines Auto fährt – und das auf der German autobahn! – darüber konnten sich die Schüler aus Farmington übrigens nicht genug wundern.
Dafür staunt Tobias Reiche, der am 1. August in den USA ankam, immer noch darüber, „wie groß hier alles ist“ – nicht nur die Autos. Vom Fußballfeld der Farmington High School, die 1400 Schüler hat, werden seine Freunde zu Hause sicher noch viel hören. „Das wäre der Traum eines jeden Regionalligisten!“ Was ihm sonst noch aufgefallen ist: „Der total offene Umgang miteinander.“ An der Farmington High School gehe es deutlich unverkrampfter zu als seiner alten Schule, sagt Reiche, der im Moment noch auf Verwandtenbesuch ist und am letzten Oktobertag wieder nach Deutschland zurückfliegt. „Das freundliche und entspannte Miteinander in den Klassen, auch zwischen Schülern und Lehrern, hat mich sehr beeindruckt.“