Erst der Vortrag, dann das Essen? Oder umgekehrt? Vielleicht auch beides gleichzeitig: Der Redner legt los, wenn alle anderen speisen. Bei der Planung eines Vortragsabends plädierte ich jedenfalls für Letzteres. Und ich verteidigte meine Position auch gegenüber dem Einwand, es sei „merkwürdig, wenn sich jemand da vorne abquält und einen Vortrag hält", während die Zuhörerschaft isst. Das empfiehlt sich aus einem guten Grund: Genau dann ist der Geräuschpegel nämlich am geringsten. Außerdem hat sich die Anordnung seit Jahrhunderten bewährt.
Bis heute wird in vielen Klöstern während der Mahlzeiten vorgelesen. Ob der Mönch, der als Tischleser fungiert, schon vorher etwas zu essen bekommt oder diesen Dienst mit knurrendem Magen versieht, ist mir nicht bekannt. Dass sich der Mensch nicht bloß den Bauch füllen, sondern auch geistige Nahrung zu sich nehmen sollte, besitzt selbst außerhalb klösterlicher Lebensformen Gültigkeit. Die Frage ist nur, ob er beides gleichzeitig tun sollte. Wahrscheinlich enspricht es amerikanischem Pragmatismus, dass die Zeit zum Essen allein zu schade ist. Und, wie schon angedeutet: Sind die Zuhörer am Kauen, halten sie wenigstens den Mund.
Für „Luncheon Speeches" ist der Vortrag während des Essens ein konstituierendes Merkmal. Es gibt sie auch in der Version „Brown Paper Bag" – in diesem Fall futtert das Publikum selbst Mitgebrachtes aus Tüten und Tupperware. In Frankreich wäre so etwas schlecht vorstellbar, so genannte „déjeuner-discours" kommen dort meines Wissens nur ausnahmsweise vor. Wenn Franzosen essen, sind sie hundertprozentig bei der Sache. Und sie unterhalten sich dabei auch gerne: Am liebsten reden sie beim Essen übers – Essen. Was ich, praktische Überlegungen einmal beiseitegelegt, auch vorziehe.