Monday, July 13, 2009

Das Märchen vom Fischer und seiner Frau

Es waren einmal ein Fischer und seine Frau, die wohnten zusammen in einer kleinen Hütte dicht bei der See, und der Fischer fuhr alle Tage in seinem Motorboot hinaus, um Lachse zu fangen. Dabei freute er sich immer über das herrlich klare Wasser in jener nördlichen Gegend, die Alaska genannt wird.

Eines Tages zog der Fischer, der übrigens den schönen Namen Todd trägt, einen großen Lachs aus dem Wasser. Es war ein Königslachs. Da öffnete der Fisch plötzlich sein Maul und fing an zu sprechen. „Hör mal, Todd“, sagte er, „ich bin in Wirklichkeit gar kein Alaska-Lachs, sondern ein verwunschener König. Was bringt es dir, wenn du Fischfilets aus mir machst? Ich schmecke nämlich überhaupt nicht. Setz mich einfach wieder ins Wasser und lass mich schwimmen. „Kein Problem“, sagte Todd, „einen Lachs, der sprechen kann, hätte ich sowieso freigelassen. Das fällt bei uns unter das catch-and-release law.“ Und so brachte er den Lachs zurück in die See.

Aber als der Lachs im klaren Wasser davonschwamm, zog er einen langen Streifen von Blut nach sich.

Als der Fischer nach Hause kam und seiner Frau von dem ungewöhnlichen Fang erzählte, war diese gar nicht zufrieden. „Was bist du nur für ein Dummkopf“, sagte die Frau, die Sarah Louise heißt. Sie schüttelte ihren Kopf, sodass beinahe ihr Dutt in Unordnung geriet. „Warum hast du dir denn nichts gewünscht? Wer einen verwunschenen Lachskönig fängt, darf sich etwas wünschen. Du hättest dir ein richtiges Haus wünschen können, an einem Inlandsee, mit Bergen im Hintergrund. Ich habe es satt, in dieser Hütte zu wohnen. Das ist nicht mein American Dream!“ Da schaute Todd betreten drein und wusste nicht, was er entgegnen sollte. Seine Frau musste deutlicher werden. „Geh noch einmal hin“, befahl sie, „und sage dem Lachs, dass wir gerne ein schöneres Haus hätten. Am besten eine Villa am See in Wasilla.“

Todd, der seiner Frau noch nie einen Wunsch ausgeschlagen hatte, ging also zurück an die Küste, wo er immer zu fischen pflegte. Die See war auf einmal gar nicht mehr klar; das Wasser war mit grünlichen Algen bedeckt und roch nicht besonders gut. Er stellte sich an den Strand und rief:

Salmon, Salmon in the Sea,
komm doch bitte schnell wie nie!
Meine Frau Sarah Louise
will was – oder sonst gibt’s Krise.“

„Was willse denn“, fragte der Lachs, der seinen Kopf aus dem grünlichen Schlick streckte. „Ein H-haus in W-wasilla“, stotterte Todd, dem ganz unheimlich zumute war. „Geh einfach mal gucken“, sagte der Lachs. „Sie hat es schon.“

Tatsächlich wohnte Sarah Louise jetzt in einem großen Haus, und zu Todds großer Verblüffung war sie auch noch Bürgermeisterin geworden. Das gefiel ihr zunächst sehr, und sie lebte mit ihrem Mann und ihren Kindern ein paar Jahre lang im großen Haus am kleinen See in Wasilla. Sarah Louise war sehr beschäftigt, weil sie viele Gebäude errichten ließ, darunter ein riesiges Sportstadion, in dem halb Alaska Platz hatte. Todd ging nur noch zum Lachsfischen, wenn das Wetter günstig war.

Aber irgendwann hatte Sarah Louise den Spaß an ihrem Job verloren. Eines Sonntags – die Familie hatte gerade Karibugulasch gegessen, denn im Hause des Fischers mag man bekanntlich keinen Fisch – sagte sie in scherzhaftem Ton zu ihrem Mann: „Todd, Sweetheart, hast du wieder einmal etwas vom verwunschenen Lachs gehört? Ich glaube, ein kleiner Tapetenwechsel täte uns allen gut.“

Als der Sonntagnachmittag um war, hatte sie Todd weichgekriegt, und er versprach, zum Lachs zu gehen und erneut um einen Gefallen zu bitten. Gleich am Montagmorgen ging er zur Küste, die jetzt von einem violett schillernden schwarzen Morast überzogen war, und er rief:

Salmon, Salmon in the Sea,
komm doch bitte schnell wie nie!
Meine Frau Sarah Louise
will was – oder sonst gibt’s Krise.“

Was willse denn“, fragte der Lachs, der seinen Kopf aus der übelriechenden dunklen Soße streckte. „S-sie w-will Gouv-v-verneurin werden“, brachte er mit Mühe heraus. „Geh einfach mal gucken“, sagte der Lachs. „Sie ist es schon.“

Tatsächlich war Sarah Louise jetzt Gouverneurin von Alaska, was ihr recht zu behagen schien. Was ihr nicht so gut gefiel, war der Gouverneurspalast in der etwas abgelegenen Hauptstadt Juneau – das Gebäude sah fast aus wie ein normales Haus. Deshalb blieb Sarah Louise in Wasilla wohnen und ging nur ab und zu nach Juneau. Aber sie amüsierte sich ganz gut und baute auch wieder alles Mögliche, zum Beispiel eine Brücke nach Nirgendwo. Todd ging nur noch fischen, wenn er Lust hatte; sonst sah er seiner Frau beim Regieren zu oder passte auf die Kinder auf.

Eines Tages legte ein großes Kreuzfahrtschiff im Hafen von Alaska an. An Bord waren Gesandte der konservativen Partei Amerikas, und sie wollten mit Sarah Louise reden, von der sie schon viel gehört hatten. Sarah Louise setzte ihr strahlendstes Lächeln auf und kochte Karibugulasch. Die Gesandten waren begeistert. Ein paar Monate später ernannte der konservative Präsidentschaftskandidat die Gouverneurin von Alaska zu seiner Vertreterin. Sarah Louise freute sich sehr, dass sie Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika werden sollte. Sie reiste durchs Land, und viele Leute jubelten ihr zu. Sie kaufte auch viele schöne Kleider für sich und ihre Familie – Todd bekam seidene Unterhosen.

Leider hatte Sarah Louise niemand gesagt, dass man nur Vizepräsidentin werden kann, wenn man vom Volk gewählt wird. Als der konservative Kandidat die Wahl verlor, musste Sarah Louise wieder nach Alaska zurück, was sie als entsetzliche Schmach empfand. Irgendwann hatte sie das Regieren dort so satt, dass sie das Fernsehen nach Wasilla bestellte und ihren Rücktritt verkündete. „Nur tote Lachse schwimmen mit dem Strom“, sagte sie. Das verstand niemand – außer dem Lachs.

Der bekam auch bald schon wieder Besuch. Sarah Louise hatte nämlich kapiert, dass letztlich nur der Lachs Wünsche erfüllen konnte; konservative Gesandte, die auf Kreuzfahrtschiffen kamen, waren in Wirklichkeit machtlos. So stand Todd eines Tages vor einer schwarzen, gefährlich blubbernden Masse am Strand und rief den Lachs:

Salmon, Salmon in the Sea, …“

Der Fisch ließ sich nicht lange bitten, streckte seine Kopf aus dem widerlich stinkenden schwarzen Zeug und wollte wissen, was die Gattin nun wünsche. „Jetzt will sie – sie will Präsidentin werden“, sagte Todd ganz leise und zögerlich. Immerhin schaffte er es, nicht zu stottern. „Geh einfach mal nach Washington gucken“, sagte der Lachs. „Sie sitzt schon im Weißen Haus.“

Tatsächlich fand Todd seine Frau im Oval Office, wo sie bereits mit Regieren beschäftigt war – sie hatte die Lobbyisten der Ölindustrie zum Gespräch eingeladen. „Drill, Baby, drill!“, rief sie ihrem Mann zu. Todd zuckte zusammen und schlich in den Gemüsegarten, den die Frau eines früheren Präsidenten angelegt hatte. Aber Sarah Louise und er mochten überhaupt keinen Spinat. Und Karibugulasch gab’s nicht in Washington.

Auch sonst war es nicht so ganz das Rechte in Washington. Ein so großes Land zu regieren war ungeheuer viel Arbeit, wie sich herausstellte, und keiner jubelte mehr. Als First Dude konnte Todd überhaupt nicht mehr fischen gehen, denn der Secret Service hatte es ihm verboten. Außerdem fürchtete er sich vor den Wünschen seiner Frau.

Und eines Tages war es wieder so weit. Kurz vor dem Zubettgehen, als sie ihr Haar schon gelöst hatte, wandte sich die Präsidentin an ihren Mann. „Todd“, sagte Sarah Louise, „ich muss mit dir reden.“ Und dann sagte sie die Worte, vor denen er sich schon lange gefürchtet hatte. Schließlich hatte seine Frau schon früher ihre E-Mails gelegentlich mit „Himmlischer Vater“ unterschrieben.

Eines Morgens fand sich Todd in aller Frühe in einer kleinen Bucht an Marylands Küste wieder. Er war allein. Irgendwie hatte er es geschafft, die Sicherheitsbeamten abzuhängen. Über der Chesapeake Bay zog ein Gewitter auf. Es donnerte und blitzte, und das Wasser war tiefschwarz und gurgelte und roch wie die Pest. Unheimliche gepanzerte Krabben stiegen ans Land. Er war sich nicht sicher, ob man den Lachskönig auch an der östlichen Küste rufen konnte, aber er wollte es wenigstens versuchen. „Salmon, Salmon…”

„Was willse denn“, fragte eine vertraute Stimme. Der Lachs! Todd konnte ihn in der schwarzen Höllensuppe kaum erkennen. Todd schluckte. „Sie will Gott werden!“, schrie er verzweifelt.

„Geh einfach mal gucken, sie sitzt schon wieder in eurer alten Fischerhütte.“

Da sitzen sie immer noch. Und sonntags essen sie Karibugulasch.