Als ich zum ersten Mal in den USA bei einer Gartenparty eingeladen war, bekam ich unvermutet Gelegenheit, meine Kenntnis amerikanischer Brauchformen zu erweitern.
Das runde, lampionartige Teil mit der Micky-Maus-Figur darauf hatte ich einfach für Dekoration gehalten. Bis zu dem Moment, als die Kinder auf Geheiß anfingen, sich vor Micky Maus aufzustellen. Das erste Kind in der Reihe bekam einen Plastikknüppel in die Hand und fing an, auf den armen Micky einzudreschen. Dann schlug das nächste zu, und so fort. Bis der Hohlkörper aus Karton platzte – und die lieben Kleinen alle auf dem Boden lagen und sich um Schokolade und Bonbons balgten. Die Figur war randvoll mit Süßigkeiten gefüllt.
Dass sich dieser Partyspaß Piñata nennt, erfuhr ich erst beim nächsten Fest. Und seither habe ich schon viele platzen sehen, denn Piñatas sind heutzutage auch in den USA sehr populär. Woher sie stammen, ist dank des „N“ mit Tilde darüber leicht zu erkennen – es handelt sich um einen kulturellen Import aus Mexiko.
Nach einiger Online-Recherche fand ich auch heraus, dass der Brauch einen europäischen Ursprung hat und zu Fastnacht und Karneval gehört. Allerdings war der Behälter früher aus Ton – in Italien nannte man das eine pignatta.
Das Wort existiert offensichtlich heute noch, allerdings war für mich nicht klar, welche Bedeutung es genau hat. Und so wandte ich mich per E-Mail an den suite101-Kollegen Klaus Schwehn, der im Gebiet der Oberitalienischen Seen lebt.
Er antwortete dankenswerterweise sehr schnell (denn ich wollte meinen Artikel bald veröffentlichen): „Da musste ich erst mal in unserem Tante-Emma-Laden, der Maria Carla heißt, nachfragen. Denn sie weiß ALLES. Also im hiesigen Dialekt (am südlichen Alpenrand, Provinz Como) ist es ein ganz normaler Kochtopf, beispielsweise aus Aluminium, der im Hochitalienischen pentola heißt. Ein Brötchen kaufender Feriengast hat mir indessen versichert, der Begriff sei umgangssprachlich in ganz Italien verbreitet, ein ebenfalls anwesender Sizilianer hat es bestätigt. Mein gedruckter, etwas älterer Pons sagt auch, umgangssprachlich (Koch-)topf, der neue online-Pons kennt das Wort nicht. Es ist hier schon lustig: Wenn man eine Frage hat, gibt das halbe Dorf Auskunft.“
Eine pignatta entspricht also dem schwäbischen „Hafen“ (wie in „Stockhafen“ oder „Kochhafen“) – der war ursprünglich auch aus irdenem Material. Ich forschte noch ein wenig weiter und siehe da: Es gibt in Italien tatsächlich noch lokales Brauchtum rund um aufgehängte Tontöpfe, die mit Stöcken zerschlagen werden - etwa bei der "Festa de San Piero de Casteo" (in meinem Text habe ich das auf Hochitalienisch geschrieben) gibt es "Gioco delle Pignatte".
Das ist übrigens einer Amerikanerin aufgefallen, die darin natürlich sofort die Ähnlichkeit zum mexikanischen Brauch erkannt hat. Sie staunte vor allem darüber, dass kleine Kinder mit Stöcken auf schwere Tontöpfe einschlagen – aber offenbar lässt man sie dabei vorsichtshalber Helme tragen.
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