Monday, August 28, 2006

Michigan State Fair

Schon einmal gesehen, wie eine Kuh kalbt? Oder wie 15 rosige Ferkel die Zitzen einer Muttersau traktieren? Wenn Detroiter Landluft schnuppern wollen, brauchen sie derzeit nur auf der Woodward Avenue bis zur Stadtgrenze zu fahren – bis zum Fairground an der Ecke von Eight Mile Road. Dort hat noch bis zum 4. September der Michigan State Fair seine Tore geöffnet. Und der Besucher erhält die Gelegenheit, einmal mitten in der Stadt zu besichtigen, woran er sonst nur auf der Country Road vorbeifährt.

Ein State Fair – gleiches gilt für den County Fair, die regionale Variante – ist eine Mischung aus Jahrmarkt, Rummel, Gewerbeschau und Landwirtschaftsausstellung. Es ist die Kirmes der Amerikaner, Karussell und Zuckerwatte inklusive. Das bunte Jahrmarktstreiben hat Tradition: DerImbissbuden auf dem Michigan State Fair in Detroit © Cornelia Schaible Michigan State Fair, der älteste seiner Art im Lande, hatte 1849 Premiere; seit 1905 ist er immer am selben Standort in Detroit. Das Grundstück hatte die Michigan Agricultural Society damals angeblich für einen Dollar erworben.

Heute kostet schon der Eintritt 9 Dollar für Erwachsene, was indessen nicht übertrieben viel erscheint: Dafür wird schließlich allerhand geboten. Und gerade der aus Europa stammende Besucher erhält ein Stück weit Einblick in ein ländliches und volkstümliches Amerika, das er sonst kaum je zu Gesicht bekäme – jedenfalls nicht in den Suburbs. Wo sonst hat man Gelegenheit, einem Ziegenmelkwettbewerb der Landjugend beizuwohnen? Der landwirtschaftliche Teil des State Fairs ist überhaupt der spannendste – die Dreh- und Fahrgeschäfte sind weniger der Hit. Ein Riesenrad steht in jedem Vergnügungspark, und für rasantere Rüttel- und Schüttelmaschinen fährt man besser nach Cedar Point. Auch die Verkäufer von Super-Schrubbern oder Wunder-Töpfen, in denen Gemüse ganz ohne Wasser gar wird und trotzdem nicht anbrennt, sehen ihren Kollegen anderswo zum Verwechseln ähnlich.

Was den Besuch des Michigan State Fairs wirklich lohnt, ist „The Miracle of Life Exhibit“. Sowas gibt’s nur in Amerika: staunende Kinder, die zusehen, wie eine Kuh in die Wehen kommt. Die Geburt wird sogar per Video aufgezeichnet. Und das Kalb, das ziemlich lange braucht, bis es endlich auf eigenen Beinen stehen kann, wird von einer vielstimmigen Besucherschar angefeuert: „Come on, Baby!“ Kalbende Kühe, ferkelnde Säue – zumindest die Frage: „Wo kommen denn die kleinen Kühe her?“ ist damit ein für alle Mal beantwortet. Aufklärung auf die tierische Art. Ach ja, es gibt auch schlüpfende Hühner und Truthähne. Und winzige Wachtelküken.

Das ist aber noch nicht alles. Die Haustiere, die der Durchschnittsamerikaner sonst allenfalls in Stücken und unter Plastikfolie im Supermarkt zu sehen bekommt, sind bei der landwirtschaftlichen Ausstellung des „Michigan State Fair“ leibhaftig zu bewundern: Schafe im Frisierumhang, die noch auf den Schönheitswettbewerb warten. Grunzende Ringelschwanzträger, die es offensichtlich mögen, wenn man ihnen den Schweinenacken krault. Und dann gibt's noch die Tiere, die nicht auf dem Speisezettel der Amerikaner stehen und gerade deswegen in ihrer Existenz gefährdet sind – all die schönen Pferde! Erstaunlicherweise besteht in den USA trotzdem ein großes Reservoir an Kaltblutrassen, die in Europa schon fast untergegangen sind. Wie die ursprünglich aus der Normandie stammenden Percheron, die als Zugpferde eingesetzt werden – ein Percheron-Gespann ist einfach eine Schau. Die Tiere sind riesig: Mit den Vorfahren der Percheron zogen die alten Ritter in den Kampf. In Frankreich werden die massigen Pferde heute hauptsächlich zur Fleischproduktion gezüchtet.

Gleich neben der Halle, in der die schönsten Pferdegespanne gekürt werden, steht der Kuhstall. Dort wird Milch mit Schokogeschmack ausgeschenkt. Hey, wir sind in Amerika! Da sind die Kühe zwar nicht lila, sondern nur langweilig braun oder schwarz-weiß – dafür geben sie offenbar Schokolademilch. Damit sich die State-Fair-Besucher ein wenig stärken können. Von der Verpflegung an einer Imbissbude mit Corndogs oder Elephant Ears ist eher abzuraten – der Gestank von Altöl aus der Fritteuse überzieht den ganzen Platz. Wer für sich und seine Lieben keine gastrische Krisen riskieren möchte, verzichtet besser darauf.

Friday, August 18, 2006

Say Ya to Da Yoopers (2)

Auf der Oberen Halbinsel von Michigan, üblicherweise kurz U.P. genannt, gilt der Bär als Sympathieträger. Sonst würde nicht so häufig mit ihm geworben. Auch vor dem „Rainbow Lodging Motel“ in Silver City steht einer – ein eher zahmes Exemplar aus Holz, leicht verwittert, das die Autofahrer mit der linken Tatze grüßt. Ein Schild lädt dazu ein, kurz hereinzuschauen und ein Zimmer in Augenschein zu nehmen. Das Motel wirbt zwar mit einem Privatstrand am Lake Superior, aber die meisten Gäste dürften eher Wandern als Baden im Sinn haben: Zum Porcupine Mountains Wilderness State Park ist es von hier aus nur noch ein Katzensprung. Und dort, so steht in den Reiseführern, leben besonders viele Bären.

Der in den Waldgebieten Nordamerikas beheimatete Schwarzbär (Ursus americanus) gilt als scheu; wenn er einen Menschen sehe, ergreife der Bär üblicherweise die Flucht, steht in einem Informationsblatt der Porcupine Mountains. Möglicherweise fürchtet sich aber nicht nur das Tier. „Sie sollten darauf gefasst sein, Bären zu treffen“, warnt die Frau an der Rezeption des „Rainbow“-Motels. „Auch hier im Dorf.“ Die Bildschirmtapete ihres Computers zeigt eine Bärenmutter mit drei Jungen. Das Foto sei nicht im Park entstanden, erklärt sie, sondern hinter dem Café gleich nebenan: „Die füttern die Bären.“

Das ist nun genau das, was die Ranger im nahen Naturpark unbedingt verhindern wollen. Denn: „Lernen die Bären erst, Futter mit Menschen in Verbindung zu bringen, können sie gefährlich werden.“ Ihre natürliche Scheu gehe dann verloren. In den Porcupine Mountains wird diese Regel offenbar befolgt – Bären und die Wanderer scheinen gut miteinander auszukommen. Zumindest halten die Bären respektvollen Abstand: Sie überqueren die Straße zum Parkeingang angeblich immer einige Meter vom Kassenhäuschen entfernt. Wir verlassen den Park allerdings, ohne Bären gesehen zu haben. Das Panorama mit dem Lake of the Clouds, der den Titel vieler Wanderführer schmückt, war die Reise allein schon wert. Petze gibt’s auch anderswo: zum Beispiel im nächsten Dorf.

Wenn man einen schönen Sommerabend in Silver City verbringt und nach dem Dinner noch Lust auf etwas Süßes bekommt, wird man zwangsläufig beim „End of the Rainbow Café“ landen. Und dort, gleich hinter der am Waldrand gelegenen Imbissbude – nein, das ist kein Hund. Das schwarze Tier, das dort sitzt und frisst, ist um einiges größer. Es ist ein ausgewachsener Bär, der an irgendetwas nagt, vermutlich an einem Hühnerbein. Nach kurzer Zeit kommt noch ein weiterer Bär aus dem Wald, offenbar ebenfalls auf der Suche nach einem Snack, den er anschließend geduldig vom Boden klaubt. „Wir füttern ihnen Reste und Sonnenblumenkerne“, steht auf einem Blatt, das neben der Selbstbedienungstheke des winzigen Cafés mit der Aufschrift „RESTARAUNT“ hängt. Die Spezialität des Hauses: frittiertes Huhn. Und zum Nachtisch gibt’s Eis. Wir nehmen Kirscheis, mit dicken schwarzen Michigan-Kirschen drin.

Damit sich Gäste und Bären nicht in die Quere kommen, hat der Besitzer zwischen dem Parkplatz und der Waldwiese hinter dem Café, wo sich die Bären tummeln, einen starken Maschendrahtzaun aufgestellt. Denn ganz Abend über kommen Eltern mit ihren Kindern, die dann eine Weile eisschleckend am Zaun stehen, bevor sie wieder davonfahren. Die Bären nehmen kaum Notiz.

Bären zu füttern mag zwar nicht im Sinne der Naturschützer sein. Aber es ist auf jeden Fall gut fürs Geschäft.

Friday, August 11, 2006

Als Grönland noch weiß war

Nach der morgendlichen Online-Lektüre verschiedener Zeitungen, die meinen Kenntnisstand über Flüssig-Sprengstoffe erheblich erweiterte, dachte ich über die Folgen des jüngsten Terrorplots für künftige Flugreisen nach. Ich meine – das Verbot von Kontaktlinsenflüssigkeit im Handgepäck trifft mich wirklich hart. Üblicherweise nehme ich die Linsen erst im Flugzeug heraus, um keine roten Kaninchenaugen zu bekommen. Künftig müsste ich mit der ungewohnten BrilleGrönland - schon im April mehr braun als weiß © Cornelia Schaible schon durch die Kontrolle stolpern. Auch das noch.

Und dann überlegte ich mir, wie das war, als ich zum letzten Mal entspannt geflogen bin – mit der praktischen kleinen Nagelschere im Necessaire. Im Handgepäck, versteht sich. Der Lufthansa-Flug nach Detroit ging von Frankfurt aus, und zwischen den Anschlüssen war noch jede Menge Zeit zum Shoppen. Zu meiner Überraschung hatten sie mich in die Business-Class gesetzt, und ich machte mir ein paar Notizen. Nur schade, dass die Flugroute weit südlich von Grönland lag. Ein Jahr zuvor hatte ich Grönland vom Flieger aus gesehen; die Insel sah so unschuldig weiß aus wie auf der Karte in meinem Schulatlas. Man konnte sogar Gletscher erkennen. Diesmal musste ich mich mit Beobachtungen zum Menü begnügen:

Ich hatte die Ravioli mit feiner Füllung und getrockneten Tomaten-Streifen in Morchelsauce gewählt. Gar nicht schlecht. So winzige Mörchelchen, wie sich in meinem Teller fanden, hatte ich allerdings noch nie gesehen. Wahrscheinlich waren sie in der Mikrowelle eingegangen. Über den Sinn und Unsinn von Feinschmecker-Mahlzeiten im Flieger ließe sich ohnehin trefflich streiten. Das Kleinkind zur Rechten aß ebenfalls Ravioli und guckte dabei „Shrek“. Es wollte gerade eine Nudel aufspießen, als eine besonders spannende Szene über den Videobildschirm neben seinem Platz flimmerte – die Gabel blieb auf halber Höhe über dem Teller stehen.

Eigentlich hatte ich vor, aus diesen feinsinnigen Bemerkungen eine nette kleine Glosse zu basteln. Aber dann kamen wichtigere Ereignisse dazwischen. Die Zeitungen druckten auch eine ganze Weile keine Glossen mehr. Mein letzter entspannter Flug war am 9. September 2001.

Heutzutage fliege ich Northwest Airlines, und bei dieser Fluggesellschaft hilft – zumindest bei domestic flights – nicht einmal ein upgrade, es gibt sowieso nur Nüsschen. Man muss schon froh sein, wenn das aufs Gründlichste durchsuchte Gepäck gleichzeitig mit einem ankommt. Vor jedem Flug fragt man sich: Was ziehe ich bloß an? Die oberen Schichten müssen schnell abzulegen sein. Keine Metallreißverschlüsse! Selbst Grönland ist nicht mehr das, was es einmal war: Beim Heimflug vom Deutschlandbesuch über Ostern gab es wieder einmal freie Sicht auf Grönland. Diesmal erstrahlte die Insel aber nicht in reinem Weiß, sondern hatte braune Ränder. Die Küsten waren völlig aper. Tauwetter auf Grönland im April?

Natürlich weiß ich, dass sich die globale Erwärmung nicht per Ferndiagnose an Grönlands Südspitze festmachen lässt – vielleicht hatte es einfach lange nicht geschneit. Aber es passt. Keine Ahnung, ob man vom Flieger aus erkennen kann, dass auch das Inlandeis schmilzt. Jedenfalls schmilzt es. Und zwar erheblich schneller, als man bisher dachte. Auch das las ich heute Morgen, und zwar in einem Artikel in der "San Francisco Chronicle", der sich auf eine aktuelle Publikation von Wissenschaftlern der University of Texas bezog. Womöglich war das die Nachricht des heutigen Tages, die einem am meisten Angst einflößen müsste. Noch mehr als der Einfallsreichtum islamistischer Terroristen oder die Nahostkrise. „An Inconvenient Truth“ nennt das Al Gore. Woher er in seinem Film den Optimismus nimmt, der Klimawandel sei noch zu stoppen, ist mir ein Rätsel. Politiker haben andere Prioritäten – wer will es ihnen derzeit verdenken.

Wednesday, August 9, 2006

Say Ya to Da Yoopers (1)

Auf einem Satellitenbild ist der Bundesstaat Michigan ebenso einfach zu erkennen wie auf der USA-Karte, die über meinem Schreibtisch hängt – das sind die beiden Landzungen, die von den drei größten der Großen Seen eingefasst werden. Jeder Michigander ist mächtig stolz darauf, dass sein Heimatstaat die längste Küstenlinie nach Alaska hat. Vielleicht hätte man genauer nachmessen sollen, dann wäre sie noch länger.

Die besondere geografische Lage bringt auch sonst allerhand Merkwürdigkeiten mit sich: Die Upper Peninsula von Michigan grenzt an Wisconsin, die Lower Peninsula an Indiana und Ohio. Untereinander sind dieDie Mackinac Bridge verbindet die beiden Halbinseln von Michigan © Cornelia Schaible Obere und Untere Halbinsel nur durch eine Brücke verbunden, die Mackinac Bridge. Damit ist über das Verhältnis der jeweiligen Bewohner schon alles gesagt. Erschwerend hinzu kommt: Wer von unten nach oben will oder umgekehrt, muss Brückenzoll entrichten. Wenn man geschickt misst, nämlich zwischen den beiden Verankerungspunkten, ist Mighty Mac übrigens die drittlängste Hängebrücke der Welt.

Von knapp 10 Millionen Michigandern wohnen gerade mal etwas mehr als 300.000 auf der Upper Peninsula. Im Sommer bevölkern zusätzlich ein paar Urlauber die U.P., plus eine unbekannte Anzahl Moskitos. Vielleicht liegt es an den letzteren, dass sich der Touristen-Ansturm trotz großartiger Landschaftsbilder – Prädikat „wildromantisch“ – ziemlich in Grenzen hält. Aufgegebene Motels gehören zum Landschaftsbild. In vielen Gegenden riskiert der Reisende eher, einem Bär zu begegnen als einem anderen Touristen. Nach den Ferien sind die Yoopers, wie sich die Bewohner der U.P. nennen, ohnehin wieder weitgehend unter sich. Sie sind auch zweifellos ein bisschen eigen. „Jetzt leben wir schon seit mehr als 30 Jahren hier oben – und gelten noch immer noch als Flatlander“, sagt Pat Long, die gemeinsam mit ihrem Mann Bob das „Downtowner Motel“ in Houghton betreibt.

Im Gegensatz zur Lower Peninsula, die höchstens ein paar sandige Hügel aufweisen kann, gibt es auf der U.P. schroffe Felsen und Geländerücken, die im Westen sogar an Berge erinnern – das sind die Porcupine Mountains, kurz „Porkies“ genannt. Wer dort wandern will, muss die U.P. allerdings sehr mögen. Laut Mapquest beträgt die reine Fahrzeit von Detroit nach Ontonagon am Rand des Naturparks 9 Stunden und 35 Minuten.

Say ya to da U.P., eh!