Nach der morgendlichen Online-Lektüre verschiedener Zeitungen, die meinen Kenntnisstand über Flüssig-Sprengstoffe erheblich erweiterte, dachte ich über die Folgen des jüngsten Terrorplots für künftige Flugreisen nach. Ich meine – das Verbot von Kontaktlinsenflüssigkeit im Handgepäck trifft mich wirklich hart. Üblicherweise nehme ich die Linsen erst im Flugzeug heraus, um keine roten Kaninchenaugen zu bekommen. Künftig müsste ich mit der ungewohnten Brille schon durch die Kontrolle stolpern. Auch das noch.
Und dann überlegte ich mir, wie das war, als ich zum letzten Mal entspannt geflogen bin – mit der praktischen kleinen Nagelschere im Necessaire. Im Handgepäck, versteht sich. Der Lufthansa-Flug nach Detroit ging von Frankfurt aus, und zwischen den Anschlüssen war noch jede Menge Zeit zum Shoppen. Zu meiner Überraschung hatten sie mich in die Business-Class gesetzt, und ich machte mir ein paar Notizen. Nur schade, dass die Flugroute weit südlich von Grönland lag. Ein Jahr zuvor hatte ich Grönland vom Flieger aus gesehen; die Insel sah so unschuldig weiß aus wie auf der Karte in meinem Schulatlas. Man konnte sogar Gletscher erkennen. Diesmal musste ich mich mit Beobachtungen zum Menü begnügen:
Ich hatte die Ravioli mit feiner Füllung und getrockneten Tomaten-Streifen in Morchelsauce gewählt. Gar nicht schlecht. So winzige Mörchelchen, wie sich in meinem Teller fanden, hatte ich allerdings noch nie gesehen. Wahrscheinlich waren sie in der Mikrowelle eingegangen. Über den Sinn und Unsinn von Feinschmecker-Mahlzeiten im Flieger ließe sich ohnehin trefflich streiten. Das Kleinkind zur Rechten aß ebenfalls Ravioli und guckte dabei „Shrek“. Es wollte gerade eine Nudel aufspießen, als eine besonders spannende Szene über den Videobildschirm neben seinem Platz flimmerte – die Gabel blieb auf halber Höhe über dem Teller stehen.
Eigentlich hatte ich vor, aus diesen feinsinnigen Bemerkungen eine nette kleine Glosse zu basteln. Aber dann kamen wichtigere Ereignisse dazwischen. Die Zeitungen druckten auch eine ganze Weile keine Glossen mehr. Mein letzter entspannter Flug war am 9. September 2001.
Heutzutage fliege ich Northwest Airlines, und bei dieser Fluggesellschaft hilft – zumindest bei domestic flights – nicht einmal ein upgrade, es gibt sowieso nur Nüsschen. Man muss schon froh sein, wenn das aufs Gründlichste durchsuchte Gepäck gleichzeitig mit einem ankommt. Vor jedem Flug fragt man sich: Was ziehe ich bloß an? Die oberen Schichten müssen schnell abzulegen sein. Keine Metallreißverschlüsse! Selbst Grönland ist nicht mehr das, was es einmal war: Beim Heimflug vom Deutschlandbesuch über Ostern gab es wieder einmal freie Sicht auf Grönland. Diesmal erstrahlte die Insel aber nicht in reinem Weiß, sondern hatte braune Ränder. Die Küsten waren völlig aper. Tauwetter auf Grönland im April?
Natürlich weiß ich, dass sich die globale Erwärmung nicht per Ferndiagnose an Grönlands Südspitze festmachen lässt – vielleicht hatte es einfach lange nicht geschneit. Aber es passt. Keine Ahnung, ob man vom Flieger aus erkennen kann, dass auch das Inlandeis schmilzt. Jedenfalls schmilzt es. Und zwar erheblich schneller, als man bisher dachte. Auch das las ich heute Morgen, und zwar in einem Artikel in der "San Francisco Chronicle", der sich auf eine aktuelle Publikation von Wissenschaftlern der University of Texas bezog. Womöglich war das die Nachricht des heutigen Tages, die einem am meisten Angst einflößen müsste. Noch mehr als der Einfallsreichtum islamistischer Terroristen oder die Nahostkrise. „An Inconvenient Truth“ nennt das Al Gore. Woher er in seinem Film den Optimismus nimmt, der Klimawandel sei noch zu stoppen, ist mir ein Rätsel. Politiker haben andere Prioritäten – wer will es ihnen derzeit verdenken.