Schon einmal gesehen, wie eine Kuh kalbt? Oder wie 15 rosige Ferkel die Zitzen einer Muttersau traktieren? Wenn Detroiter Landluft schnuppern wollen, brauchen sie derzeit nur auf der Woodward Avenue bis zur Stadtgrenze zu fahren – bis zum Fairground an der Ecke von Eight Mile Road. Dort hat noch bis zum 4. September der Michigan State Fair seine Tore geöffnet. Und der Besucher erhält die Gelegenheit, einmal mitten in der Stadt zu besichtigen, woran er sonst nur auf der Country Road vorbeifährt.
Ein State Fair – gleiches gilt für den County Fair, die regionale Variante – ist eine Mischung aus Jahrmarkt, Rummel, Gewerbeschau und Landwirtschaftsausstellung. Es ist die Kirmes der Amerikaner, Karussell und Zuckerwatte inklusive. Das bunte Jahrmarktstreiben hat Tradition: Der Michigan State Fair, der älteste seiner Art im Lande, hatte 1849 Premiere; seit 1905 ist er immer am selben Standort in Detroit. Das Grundstück hatte die Michigan Agricultural Society damals angeblich für einen Dollar erworben.
Heute kostet schon der Eintritt 9 Dollar für Erwachsene, was indessen nicht übertrieben viel erscheint: Dafür wird schließlich allerhand geboten. Und gerade der aus Europa stammende Besucher erhält ein Stück weit Einblick in ein ländliches und volkstümliches Amerika, das er sonst kaum je zu Gesicht bekäme – jedenfalls nicht in den Suburbs. Wo sonst hat man Gelegenheit, einem Ziegenmelkwettbewerb der Landjugend beizuwohnen? Der landwirtschaftliche Teil des State Fairs ist überhaupt der spannendste – die Dreh- und Fahrgeschäfte sind weniger der Hit. Ein Riesenrad steht in jedem Vergnügungspark, und für rasantere Rüttel- und Schüttelmaschinen fährt man besser nach Cedar Point. Auch die Verkäufer von Super-Schrubbern oder Wunder-Töpfen, in denen Gemüse ganz ohne Wasser gar wird und trotzdem nicht anbrennt, sehen ihren Kollegen anderswo zum Verwechseln ähnlich.
Was den Besuch des Michigan State Fairs wirklich lohnt, ist „The Miracle of Life Exhibit“. Sowas gibt’s nur in Amerika: staunende Kinder, die zusehen, wie eine Kuh in die Wehen kommt. Die Geburt wird sogar per Video aufgezeichnet. Und das Kalb, das ziemlich lange braucht, bis es endlich auf eigenen Beinen stehen kann, wird von einer vielstimmigen Besucherschar angefeuert: „Come on, Baby!“ Kalbende Kühe, ferkelnde Säue – zumindest die Frage: „Wo kommen denn die kleinen Kühe her?“ ist damit ein für alle Mal beantwortet. Aufklärung auf die tierische Art. Ach ja, es gibt auch schlüpfende Hühner und Truthähne. Und winzige Wachtelküken.
Das ist aber noch nicht alles. Die Haustiere, die der Durchschnittsamerikaner sonst allenfalls in Stücken und unter Plastikfolie im Supermarkt zu sehen bekommt, sind bei der landwirtschaftlichen Ausstellung des „Michigan State Fair“ leibhaftig zu bewundern: Schafe im Frisierumhang, die noch auf den Schönheitswettbewerb warten. Grunzende Ringelschwanzträger, die es offensichtlich mögen, wenn man ihnen den Schweinenacken krault. Und dann gibt's noch die Tiere, die nicht auf dem Speisezettel der Amerikaner stehen und gerade deswegen in ihrer Existenz gefährdet sind – all die schönen Pferde! Erstaunlicherweise besteht in den USA trotzdem ein großes Reservoir an Kaltblutrassen, die in Europa schon fast untergegangen sind. Wie die ursprünglich aus der Normandie stammenden Percheron, die als Zugpferde eingesetzt werden – ein Percheron-Gespann ist einfach eine Schau. Die Tiere sind riesig: Mit den Vorfahren der Percheron zogen die alten Ritter in den Kampf. In Frankreich werden die massigen Pferde heute hauptsächlich zur Fleischproduktion gezüchtet.
Gleich neben der Halle, in der die schönsten Pferdegespanne gekürt werden, steht der Kuhstall. Dort wird Milch mit Schokogeschmack ausgeschenkt. Hey, wir sind in Amerika! Da sind die Kühe zwar nicht lila, sondern nur langweilig braun oder schwarz-weiß – dafür geben sie offenbar Schokolademilch. Damit sich die State-Fair-Besucher ein wenig stärken können. Von der Verpflegung an einer Imbissbude mit Corndogs oder Elephant Ears ist eher abzuraten – der Gestank von Altöl aus der Fritteuse überzieht den ganzen Platz. Wer für sich und seine Lieben keine gastrische Krisen riskieren möchte, verzichtet besser darauf.