Sunday, April 29, 2007

Belegte Seele

Wer im Schwabenland lebt, kann einfach in eine Bäckerei gehen und sagen: „Eine Seele, bitte!" Das ist dann kein frommer Wunsch, sondern die Grundlage für ein ordentliches Vesper. Eine Seele ist ein baguetteartiges Gebäck, das meistens mit Salz und Kümmel bestreut wird. Genau genommen handelt es sich um ein Dinkelbrot, außen knusprig und innen feucht, aber auch etwas schwer. Richtig herzhaftes Brot eben.

Aber selbst in Deutschland sind Seelen außerhalb Baden-Württembergs nur schwer aufzutreiben. Deswegen staunte ich nicht schlecht, als einer meiner Schüler kürzlich sein Pausenbrot auswickelte: Es war einigermaßen länglich und hatte eine appetitliche goldbraune Farbe. Eine belegte Seele, ein eher ungewöhnlicher Anblick hier zu Lande. Die habe seine Mutter gebacken, sagte der junge Mann. Ich blickte wohl etwas verwundert, worauf er stolz erklärte: „Das ist eben eine tüchtige schwäbische Hausfrau!"

Um keine bösen Zuschriften zu riskieren: Ich höre immer wieder, dass sich deutsche Expats ihr Brot selber backen – und zwar nicht nur die aus Süddeutschland. Ich selbst bin in dieser Hinsicht eher untüchtig. Das eine oder andere anständige Baguette lässt sich auch in Metro Detroit finden, und damit gebe ich mich für gewöhnlich zufrieden. Mein Seelenheil hängt zum Glück nicht vom regelmäßigen Verzehr von 36-Korn-Brot ab.

Da fällt mir aber ein, dass ich noch eine importierte Brotbackmischung im Vorratsschrank stehen habe, ein Geschenk von Europe's Fine Food. Vielleicht sollte ich mich doch einmal daran versuchen?

Und hier noch eine ältere Geschichte über die Gründerin von Europe's Fine Food: Die Thamms, Schwaben in Detroit

Wednesday, April 18, 2007

Motown Possibilities

"You should change MOTOWN BLUES to ,Motown Possibilities‘."

DENNIS ARCHER, früherer Bürgermeister von Detroit, beim gestrigen SAE-Empfang der deutschamerikanischen Handelskammer, als ich ihm von meinem Blog erzählte.

Sunday, April 15, 2007

Die Rebe weint – vor Freude

Wenn der Winter bis in den April hinein dauert, setzt hier langsam das cabin fever ein – Lagerkoller macht sich breit. Ich muss schon sagen, dass ich in dieser Jahreszeit mit Michigan stets ein wenig hadere: Ein Leben ohne Frühling ist einfach unerfreulich. Jedenfalls im Frühjahr. „Aber der kommt schon noch“, versichern mir dann gute Freunde, die schon lange hier leben, mit einem aufmunternden Lächeln. Nein, ihr Lieben, das stimmt einfach nicht. Denn wird es nach dem langen Winter endlich wieder warm, dann mutet das Wetter bereits sommerlich an. Auch das Donnerwetter kürzlich, bevor es wieder kalt wurde, war in keiner Weise frühlingshaft.

Ein wonnig zartes Frühlingslüftchen, das einen zuweilen noch ein bisschen frösteln lässt, gibt’s hier zu Lande einfach nicht. Der Wind ist entweder beißend kalt – oder aber unangenehm warm und feucht, und man bekommt Kopfschmerzen. Frühling geht anders. Frühling ist dann am schönsten, wenn er noch eine Ahnung ist. Etwa, wenn auf der Schwäbischen Alb die Märzenbecher im Wolfstal blühen. Im engsten und dunkelsten Tal, das man sich vorstellen kann, zwischen hohen Felswänden, stoßen die zarten Blütenglöckchen durch Schnee und Eis. Auch im Schweizer Jura gibt es tief eingeschnittene Täler voll mit Märzenbechern.

Wenn ich an Frühling denke, fällt mir überhaupt die Schweiz ein. Die Uferlandschaft des Genfersees. Schon der Februar bringt Tage mit einer Luft wie Champagner. Sicher, auch Kälteeinbrüche gehören zu dieser Jahreszeit, und oft erfrieren die Magnolienblüten in den Genfer Parks. Aber die Winzer am Lac Léman können sich bei ihrer Arbeit von den ersten milden Sonnenstrahlen wärmen lassen. Und im März brennen in den Weinbergen bei Lausanne überall die Rebenfeuer. Falls der Rauch nicht die Sicht verschleiert, scheinen die Savoyer Alpen auf der französischen Seite des Sees zum Greifen nahe, und das Wasser ist vergissmeinnichtblau (genau wie von Max Frisch in „Stiller“ beschrieben). In den Rebbergen hoch über Cully – auf halber Strecke zwischen Lausanne und Vevey – ist die Aussicht einfach überwältigend. Die Vignerons, die ich auf meinen Spaziergängen traf, waren stolz auf die Landschaft, zu deren Einzigartigkeit sie mit ihrer Hände Arbeit beitrugen. „Il est beau, notre pays!

Als wir vor ein paar Wochen in den Weinbergen auf der Old Mission Peninsula bei Traverse City im Schnee spazierten, das war Anfang März, realisierte ich zum ersten Mal, dass der Rebschnitt hier in Michigan bei Minusgraden vonstatten geht. Wie lange dauert es wohl noch, bis auf Old Mission die Reben weinen? Wenn im Frühjahr der Saft in der Rebe steigt, tritt er an der frischen Schnittstelle aus und bildet einen dicken Tropfen: Das freut den Dichter („Tränen weint die arme Rebe“ – Justinus Kerner) und den Fotografen. Ich habe diesen Moment allerdings erst einmal mit der Kamera erwischt; man muss schon am richtigen Tag in den Weinberg kommen. Am Genfersee war das Anfang April.

Wann immer der Wein in Michigan weint, ich bin mir ganz sicher: Es muss sich um Freudentränen handeln.

Sunday, April 8, 2007

Candy Cross

Jetzt ist mir endlich klar, wieso Ostereier bunt gefärbt werden: Damit man sie beim fröhlichen Eiersuchen im Schnee leichter findet. Erstaunlich viele Kirchengemeinden und Stadtverwaltungen hier in der Umgebung veranstalten traditionell einen Easter Egg Hunt, das ist mir erst heuer aufgefallen. Zum hiesigen Brauchwesen gehört natürlich auch der Osterhase, der in diesen Tagen vermehrt an Straßenrändern auftritt und als rosafarbenes oder weißes Easter Bunny die Autofahrer zu einem Geschäft locken soll. Schokoladehasen hingegen treten nicht in der Vielfalt (und auch nicht in der Qualität) auf, wie man es von Deutschland her kennt.

Dafür entdeckten wir kürzlich im Supermarkt eine für uns ungewohnte österliche Süßigkeit: einCandy Cross © Cornelia Schaible Candy Cross, wahlweise erhältlich in Milchschokolade oder in weißer Schokolade. Hergestellt wird es von der Firma R.M. Palmer, die sich auf Süßigkeiten zu hohen amerikanischen Feiertagen spezialisiert hat – sei es nun Weihnachten, Valentinstag, Ostern oder Halloween. Womöglich entstand das Produkt aus dem Wunsch heraus, der christlichen Kundschaft zu Ostern nicht nur heidnische Symbole in Schokoladenform anzubieten. Was sollen Hasen und Eier? Das Kreuz und die Auferstehung stehen im Mittelpunkt! "Happy Easter" steht auf der Packung.

Verfolgt man den Gedanken weiter, erscheint er gar nicht mehr so abwegig: Immerhin sind aus deutschen Brauchlandschaften Gebildbrote mit Kreuzdarstellungen bekannt (meines Wissens allerdings nicht zu Ostern). Außerdem zieren unschuldige Rosen das Kreuz. Dazu fällt einem unwillkürlich ein, dass kürzlich eine anatomisch korrekte Christusfigur aus Schokolade in New York für einen Eklat sorgte. Die Skulptur, die in einem Hotel gezeigt wurde, bis ein Proteststurm die Ausstellung beendete, besteht aus 200 Pfund Milchschokolade.

Das Schokokreuz wiegt nur 71 Gramm, hat aber stolze 380 Kalorien. Es enthält 43 Gramm Zucker und 4 Gramm Protein. Empfohlene Serving Size ist übrigens die ganze Packung, also das komplette Kreuz – der richtige Snack zum Ende der Fastenzeit. Bisher erschien es mir allerdings irgendwie blasphemisch, das Kreuz einfach anzuknabbern. Aber wenn mich irgendwann ein Heißhunger auf Schokolade überfällt, wer weiß – vielleicht esse ich dann auch ein Candy Cross.

Nachtrag:
Wie ich erst nach dem Schreiben feststellte, sorgten derartige Schokoladenkreuze durchaus schon für Kontroverse, wie aus dem AP-Bericht von 2005 ersichtlich.

Thursday, April 5, 2007

Alles wird Knut

Was in Deutschland passiert, halten die US-Medien nur selten für berichtenswert. Neuerdings schicken sie aber so viele Journalisten nach Berlin wie seit den Tagen des Mauerfalls nicht mehr. Nein, die gehen nicht ins Regierungsviertel – die machen einen Besuch im Zoo. Das EU-Jubiläum? Zum Gähnen. Mit Cuddly Knut ist das schon etwas anderes: Seit Tierschützer dem Berliner Eisbärenbaby am liebsten das Fell über die Ohren gezogen hätten, weil es nicht artgerecht gehalten wird, hat Germany einen neuen Sympathieträger. Und das ist Knut so!

Sogar auf die Titelseite der „New York Times“ hat es der kleine Eisbär geschafft. CNN zeigte mehrfach zu bester Sendezeit, wie Knut vergnügt durchs Gehege purzelt. Das sei aber auch das süßeste Eisbärjunge, das man sich vorstellen können, schwärmte eine Sprecherin. Noch viel niedlicher als die in freier Wildbahn, die sie auf dem „Discovery Channel“ gesehen habe. Nun, die Eisbären am Nordpol haben auf alle Fälle weniger Spielzeug. Und so freut sich die ganze Welt, wenn Knut seinen Fußball zerbeißt, eine Klobürste apportiert oder sich in seiner Schmusedecke verheddert.

Knut ist immer bestens gelaunt. Knut darf aber auch alles. Die Kinder auf der anderen Seite des Zaunes, die gewiss nicht alle artgerecht gehalten werden, gucken da immer ganz neidisch: Knut kann sein weißes Plüschfell nach Herzenslust im Sand eindrecken. Ja, so lieben wir die wilden Tiere: Knuddelig, waschbar und mit Milchzähnen. Knutchen scheint rundum glücklich in seiner kleinen Welt, die er mit großer Neugierde erkundet. Wahrscheinlich wären wir auch gerne wie Knut. Denn Knut ist gut.

Dummerweise werden kleine Eisbären ziemlich schnell groß. So ist zu befürchten, dass sich sogar so ein tapsiger Wonneproppen wie Knut irgendwann zum Problembären auswächst. Aber schließlich heißt er nicht Bruno. Er lebt auch nicht in Bayern, sondern in Berlin. Und Berlin ist, wie wir alle wissen, zwar arm, aber… bärig. Im Übrigen sollte man nicht so pessimistisch sein. Alles wird Knut.

Sunday, April 1, 2007

Detroit ist eine Metropole

Detroit schrumpft, das weiß jedes Kind. Tippt man die Stichworte „Schrumpfende Städte“ oder „shrinking cities“ bei Google ein, findet die Suchmaschine zuallerst eine Ausstellung mit genau diesem Namen – und da steht Detroit als Untersuchungsobjekt gleich an erster Stelle. Detroit: seit Jahrzehnten schon eine Metapher für urbane Ruinenlandschaften, postindustrielle Verelendung und Stadtflucht. Außer ein paar Journalisten, die ihre Vorurteile bestätigt sehen wollen, geht da freiwillig keiner hin. Oder?

Die Deutschen, die es aus beruflichen Gründen nach Detroit verschlägt, rechnen oft mit dem Schlimmsten. Ich kenne eine junge Frau, die sich am ersten Tag nicht aus dem Hotel traute – während ihr Mann seine neue Arbeitsstelle antrat, wäre sie nach eigenem Bekunden beinahe verhungert. Sie erzählt das immer mal wieder gerne und lacht dann herzlich darüber. Das Hotel befand sich nämlich in Birmingham, also in einer der schicksten Vorstädte Detroits, wo die Leute oft sogar zu Fuß in die teuren Restaurants gehen. Auch für mittelmäßige Immobilien verlangen die Makler dort Mondpreise. Birmingham wiederum grenzt an Troy, wo es vor allem Banken und ein Edel-Einkaufszentrum gibt. Troy ist übrigens eine sichersten Citys in ganz Amerika. Auch das ist Detroit – Metro Detroit, um genau zu sein.

Wer am Detroiter Flughafen im südwestlich gelegenen Romulus landet, staunt meist nicht schlecht. Alles so groß hier! Und der Flughafen ganz weit draußen, genau wie in den anderen großen Städten Amerikas. Endlose Vorstädte mit Namen, die alle in England ausgeliehen scheinen. Eigentlich ziemlich grün, das Ganze. Die Ausfallstraßen mit den Schnellrestaurants sehen allerdings so hässlich aus wie überall. Wie – in eine der nördlichen Suburbs zu fahren, kann über eine Stunde dauern? Ist aber richtig nett hier, viele Leute wohnen an kleinen Seen, gibt eine ganze Menge davon. Und wo genau ist jetzt Detroit?

Wenn von Detroit die Rede ist, kann zweierlei gemeint sein: die Stadt oder die Region. Außerhalb von Detroit ist es fast immer die Region. Wenn ein Einwohner von Birmingham, Michigan, nach Kalifornien fährt, wird er dort nicht erzählen, er sei aus Birmingham – keiner weiß, wo das ist. Außerdem droht Verwechslungsgefahr. Er wird stattdessen sagen: „Ich komme aus Detroit.“ Und dieses Detroit ist groß: Die US-Zensusbehörde fasst sechs Landkreise – Lapeer, Livingston, Macomb, Oakland, St. Clair und Wayne – zur "Detroit-Warren-Livonia Metropolitan Statistical Area" (MSA) zusammen, mit einer Population von knapp 4,5 Millionen Menschen. Und dabei sind die Einwohner von Windsor auf der kanadischen Seite des Detroit River noch nicht einmal mitgezählt.

Detroit ist eine Metropole. Die Ausstellung „Shrinking Cities“, die bis heute in zwei Detroit Museen Station machte, stellt das auch klar: „Detroit is not a shrinking City. It is a growing region marked by uneven development and uneven distribution of wealth and opportunity“, heißt es in einem Video der Show. Insofern ist die Situation anders als in den übrigen Städten, die in der Ausstellung vorkommen: Halle und Leipzig, Manchester und Liverpool sowie das russische Ivanovo verödeten im Zuge des postindustriellen Strukturwandels. Natürlich spielte dieser auch in Detroit eine Rolle, aber die City blutete vor allem nach den Rassenunruhen Ende der 60er-Jahre aus. Die Weißen zogen in die Suburbs, und die überwiegend von Schwarzen bewohnte Downtown wurde von der Politik systematisch vernachlässigt. Bis heute ist Detroit die am stärksten segregierte Großstadt Amerikas. Dass aus rassistischen Gründen das kulturelle Zentrum einer ganzen Region vor die Hunde ging, fiel offenbar lange niemandem auf.

Der Trend zur neuen Urbanität macht sich aber auch in Detroit bemerkbar. Neuerdings, so entnehme ich der lokalen Presse, kaufen sich wohlhabende Vorstädter Eigentumswohnungen in Downtown. Und irgendwann merken es sogar die meisten Deutschen, die nach Metro Detroit ziehen: Wenn sie ins Museum, ins Konzert oder zu einer Sportveranstaltung wollen, müssen sie schon nach Downtown fahren. In den Vorstädten – mit Ausnahme von Birmingham und zwei, drei anderen Citys – werden abends die Bürgersteige hochgeklappt. Falls es überhaupt welche gibt.