Sunday, April 1, 2007

Detroit ist eine Metropole

Detroit schrumpft, das weiß jedes Kind. Tippt man die Stichworte „Schrumpfende Städte“ oder „shrinking cities“ bei Google ein, findet die Suchmaschine zuallerst eine Ausstellung mit genau diesem Namen – und da steht Detroit als Untersuchungsobjekt gleich an erster Stelle. Detroit: seit Jahrzehnten schon eine Metapher für urbane Ruinenlandschaften, postindustrielle Verelendung und Stadtflucht. Außer ein paar Journalisten, die ihre Vorurteile bestätigt sehen wollen, geht da freiwillig keiner hin. Oder?

Die Deutschen, die es aus beruflichen Gründen nach Detroit verschlägt, rechnen oft mit dem Schlimmsten. Ich kenne eine junge Frau, die sich am ersten Tag nicht aus dem Hotel traute – während ihr Mann seine neue Arbeitsstelle antrat, wäre sie nach eigenem Bekunden beinahe verhungert. Sie erzählt das immer mal wieder gerne und lacht dann herzlich darüber. Das Hotel befand sich nämlich in Birmingham, also in einer der schicksten Vorstädte Detroits, wo die Leute oft sogar zu Fuß in die teuren Restaurants gehen. Auch für mittelmäßige Immobilien verlangen die Makler dort Mondpreise. Birmingham wiederum grenzt an Troy, wo es vor allem Banken und ein Edel-Einkaufszentrum gibt. Troy ist übrigens eine sichersten Citys in ganz Amerika. Auch das ist Detroit – Metro Detroit, um genau zu sein.

Wer am Detroiter Flughafen im südwestlich gelegenen Romulus landet, staunt meist nicht schlecht. Alles so groß hier! Und der Flughafen ganz weit draußen, genau wie in den anderen großen Städten Amerikas. Endlose Vorstädte mit Namen, die alle in England ausgeliehen scheinen. Eigentlich ziemlich grün, das Ganze. Die Ausfallstraßen mit den Schnellrestaurants sehen allerdings so hässlich aus wie überall. Wie – in eine der nördlichen Suburbs zu fahren, kann über eine Stunde dauern? Ist aber richtig nett hier, viele Leute wohnen an kleinen Seen, gibt eine ganze Menge davon. Und wo genau ist jetzt Detroit?

Wenn von Detroit die Rede ist, kann zweierlei gemeint sein: die Stadt oder die Region. Außerhalb von Detroit ist es fast immer die Region. Wenn ein Einwohner von Birmingham, Michigan, nach Kalifornien fährt, wird er dort nicht erzählen, er sei aus Birmingham – keiner weiß, wo das ist. Außerdem droht Verwechslungsgefahr. Er wird stattdessen sagen: „Ich komme aus Detroit.“ Und dieses Detroit ist groß: Die US-Zensusbehörde fasst sechs Landkreise – Lapeer, Livingston, Macomb, Oakland, St. Clair und Wayne – zur "Detroit-Warren-Livonia Metropolitan Statistical Area" (MSA) zusammen, mit einer Population von knapp 4,5 Millionen Menschen. Und dabei sind die Einwohner von Windsor auf der kanadischen Seite des Detroit River noch nicht einmal mitgezählt.

Detroit ist eine Metropole. Die Ausstellung „Shrinking Cities“, die bis heute in zwei Detroit Museen Station machte, stellt das auch klar: „Detroit is not a shrinking City. It is a growing region marked by uneven development and uneven distribution of wealth and opportunity“, heißt es in einem Video der Show. Insofern ist die Situation anders als in den übrigen Städten, die in der Ausstellung vorkommen: Halle und Leipzig, Manchester und Liverpool sowie das russische Ivanovo verödeten im Zuge des postindustriellen Strukturwandels. Natürlich spielte dieser auch in Detroit eine Rolle, aber die City blutete vor allem nach den Rassenunruhen Ende der 60er-Jahre aus. Die Weißen zogen in die Suburbs, und die überwiegend von Schwarzen bewohnte Downtown wurde von der Politik systematisch vernachlässigt. Bis heute ist Detroit die am stärksten segregierte Großstadt Amerikas. Dass aus rassistischen Gründen das kulturelle Zentrum einer ganzen Region vor die Hunde ging, fiel offenbar lange niemandem auf.

Der Trend zur neuen Urbanität macht sich aber auch in Detroit bemerkbar. Neuerdings, so entnehme ich der lokalen Presse, kaufen sich wohlhabende Vorstädter Eigentumswohnungen in Downtown. Und irgendwann merken es sogar die meisten Deutschen, die nach Metro Detroit ziehen: Wenn sie ins Museum, ins Konzert oder zu einer Sportveranstaltung wollen, müssen sie schon nach Downtown fahren. In den Vorstädten – mit Ausnahme von Birmingham und zwei, drei anderen Citys – werden abends die Bürgersteige hochgeklappt. Falls es überhaupt welche gibt.