Friday, May 18, 2007

Dakota Inn Rathskeller, Detroit MI

Deutsche kämen heutzutage nur selten ins Lokal, sagt Karl Kurz. Warum das ist so ist? Der Inhaber des „Dakota Inn Rathskeller“ in Detroit zuckt mit den Schultern. „Vielleicht kochen sie selbst noch Hausmannskost.“ Wie sie es einst bei ihrer Großmutter in Germany gelernt hätten.

Das glaube ich nun eher nicht, und das sage ich ihm auch. Was ich für mich behalte: Wahrscheinlich finden die meisten Deutschen die Kombination von Bier, Sauerkraut und zünftiger Musik eher abschreckend. Und übersehen dabei: „The Dakota“ ist nicht einfach ein amerikanisches Restaurant, das deutsches Essen serviert. Es handelt sich vielmehr um eine Traditionswirtschaft, in der noch gekocht wird wie anno dazumal. Genauer gesagt, wie in Deutschland vor fast 100 Jahren. Also wie zu der Zeit, als die Großeltern von Karl Kurz nach Amerika auswanderten.

Bei einem meiner ersten Besuche im „Dakota Inn Rathskeller“ stand ich vor einem der Wandbilder, das ganz offensichtlich den Marktplatz eines altdeutschen Städtchens zeigt, und dachte bei mir: „Sieht aus wie Weikersheim.“ Es war Weikersheim. Das alte hohenlohische Residenzstädtchen liegt in Tauberfranken und gehört zum Main-Tauber-Kreis. Auf der Website des „Dakota Inn“ steht geschrieben, dass Karl Kurz, der Großvater des heutigen Besitzers, den „Rathskeller“ einst nach den Vorbildern in der alten Heimat ausbaute – „just like the ones he remembered from his native Wiekersheim, Germany.“ Da sind nur im Ortsnamen die ersten beiden Vokale verrutscht.

Es ist die klassische Auswanderergeschichte. In seinem großen Detroit-Roman „Middlesex“ erzählt Jeffrey Eugenides vom Schicksal eines griechischen Einwandererclans mit exakt denselben Stationen: Lefty, der Großvater der Erzählfigur, arbeitet erst bei Ford am Fließband und richtet dann eine illegale Kellerbar ein. Nach der Ende der Prohibition eröffnet er eine Bar mit Grill. Keine Ahnung, ob der im Detroiter Vorort Grosse Pointe aufgewachsene Eugenides jemals im „Dakota Inn“ war – als ich ihn vor ein paar Jahren in Tübingen traf, war ich selbst noch nie dort gewesen. Sonst hätte ich ihn danach gefragt.

Es gab jedenfalls nicht nur Griechen, die Restaurantbesitzer in Detroit wurden. Auch das Leben des deutschen Einwanderers Karl Kurz wäre gewiss Stoff für einen Lokal-Roman. Kurz, der 1912 nach Amerika kam, arbeitete zunächst für längere Zeit in der Autofabrik von Mr. Ford in Highland Park. Erst mehr als 20 Jahre später konnte er sich den Traum vom eigenen Business erfüllen – als die Prohibition vorbei und der Bierausschank wieder legal war. Kurz kaufte eine ehemalige chinesische Wäscherei an John R, ganz in der Nähe der Kreuzung mit Dakota, und baute sie nachts und an Wochenenden zu einem Bierlokal um. Und das trotz Weltwirtschaftskrise.

Am 1. August 1933 – kaum ein halbes Jahr nach Aufhebung der Prohibition – eröffnete Karl Kurz den „Rathskeller“, der angeblich anfangs nur drei Barstühle hatte. Das restliche Mobiliar kam nach und nach dazu – erneuert wurde seither allenfalls die technische Einrichtung. Tische und Stühle in der holzgetäfelten Gaststube sind noch original. Die Wandbilder kamen allerdings erst 1946 dazu, erzählt Edward Kurz, der Vater des heutigen „Rathskeller“-Wirtes. Neben Weikersheim zeigen sie noch andere romantisierende deutsche Landschafts- und Städtebilder sowie die humorvoll illustrierten Verse einer Schnitzelbank, also eines Bänkelliedes. Der Maler Albert Stoye schöpfte bei seinem Werk aus eigener Anschauung: Er war ebenfalls deutschstämmig.

Detroit hatte damals einen großen deutschsprachigen Bevölkerungsanteil, und der „Rathskeller“ konnte auf seine Stammkundschaft zählen. Bestimmt schätzten die deutschen Gäste auch die deftige Kost, die bis heute auf dem Menü steht. Das Kasseler Rippchen mit warmem Kartoffelsalat und Rotkraut, zu dem nach alter Tradition Apfelmus gereicht wird, schmeckt garantiert wie damals. Einen solchen Kartoffelsalat, mit Essig angemacht und von sehr musiger Konsistenz, gab es einst auch bei meiner Oma, die von der Schwäbischen Alb war. Kein Wunder: „Tübingen – liegt das zufällig in der Nähe von Balingen?“, fragt Edward Kurz, als ich ihm erzähle, wo ich aufgewachsen bin. Seine Mutter stamme nämlich aus dem Dorf Weilheim, heute Waldstetten, bei Balingen. Sie sei bereits 1909 ausgewandert, sagt Kurz. „Meine Eltern haben sich erst in Detroit kennengelernt.“

Ihre Heimat sahen sie lange nicht wieder. Der „Rathskeller“ lief aber offenbar so gut, dass Karl Kurz im Jahr 1937 mit seiner Familie auf eine zweimonatige Deutschlandreise gehen konnte. „Ich war damals zehn Jahre alt“, erzählt Edward Kurz. Seine Schwester war auch dabei. Sogar das Auto kam mit aufs Schiff – ein 1936er Dodge. Damit tourte die Kurz-Familie durch deutsche Städte und besuchte die Verwandten. Die waren bestimmt schwer beeindruckt. Die deutschen Kinder hätten vor allem übers Autoradio gestaunt, sagt Kurz und lacht. „The radio could talk German!“

Im September wird Edward Kurz wieder nach Deutschland reisen – erstmals nach 70 Jahren. Seine Kusine Rosa will er besuchen, und natürlich auch die Heimat der Eltern wiedersehen. Er wird sich wundern.

The Dakota Inn Rathskeller, Detroit © Cornelia Schaible


The Dakota Inn Rathskeller
17324 John R. Street
Detroit, MI 48203

Lunch Tuesday – Friday
Dinner Thursday – Saturday

www.dakota-inn.com