Im Vergleich zu den meisten anderen Städten des Mittleren Westens wirkt Ann Arbor richtig putzig. Durch die Parkanlagen rund um die Universität flanieren viele junge Leute, es gibt gemütliche Cafés, etliche Galerien sowie kleine Läden, die originellen Krimskrams aus aller Welt anbieten. Wer jedoch auf die Idee kommen sollte, im Zentrum der Tübinger Partnerstadt nach Dingen des täglichen Bedarfs zu suchen, macht nur ein dummes Gesicht. „Ich wollte Zahncreme kaufen“, berichtete Jack Lohrmann, „aber ich habe nichts in der Art gefunden.“
Der Wahl-Tübinger Jack Lohrmann, der ursprünglich aus New York stammt, war einer von 26 Teilnehmern der jüngsten Bürgerreise in die US-Partnerstadt. Ganz am Anfang der Städtepartnerschaft im Jahr 1965 kam Lohrmann schon einmal nach Ann Arbor. „Damals war Amerika das Paradies“, erinnert er sich. Aber dieses Niveau, so sein Eindruck, ließ sich nicht halten – auch nicht in der Tübinger Sister City. Vieles kommt ihm ein wenig vernachlässigt vor, wie die Häuser in der Innenstadt. Die gut verdienende Mittelschicht zieht es (wie überall in den USA) an den Stadtrand ins Grüne. Die Einkaufszentren liegen ebenfalls außerhalb. Und so fuhr die Gastgeberin von Jack Lohrmann, der wie die meisten Reiseteilnehmer privat untergebracht war, am vergangenen Wochenende viele Meilen zum nächsten Supermarkt, damit er seine Zahnpasta bekam.
Stundenlange Anfahrten gehören zum Alltag der Bevölkerung im Raum Detroit, an dessen südwestlichem Rand Ann Arbor liegt. Und gerade „A2“ zieht überdurchschnittlich viele Pendler an. Eigentlich müsste sich Bürgermeister John Hieftje darüber freuen, liegt die Arbeitslosenquote von Ann Arbor mit 5 Prozent doch deutlich unter der des Bundesstaates Michigan. Die Universität allein beschäftige 70.000 Menschen, sagte Hieftje, der in einem Vortrag städtische Umweltprojekte vorstellte. Die von einem Ring von Autobahnen umgebene 114.000-Einwohner-Stadt kann die Pendlerströme aber kaum verkraften: In der Rushhour nach Ann Arbor zu müssen ist ein Albtraum.
Hieftje träumt davon, das einst ausgedehnte Bahnnetz zumindest teilweise wiederzubeleben. Dass öffentlicher Personennahverkehr in der Autometropole Detroit praktisch nicht existiert, hat einen einfachen Grund: In den Zwanzigerjahren kaufte General Motors (GM) die regionalen Bahnen sukzessive auf, um sie anschließend dicht zu machen. Auf diese Weise hielt die wachsende Autoindustrie die Kunden in Abhängigkeit. Dass sich das zumindest in Ann Arbor ändert, dafür sorgen die Busse der städtischen Verkehrsbetriebe. Studenten fahren umsonst – sie brauchen nur ihren gelben Ausweis zu zücken. Hieftjes ganzer Stolz sind die neuesten Autos mit Hybridtechnologie, mit denen nach und nach die ganze Flotte ersetzt werden soll.
Die neue Technik hat ihren Preis: Eine halbe Million Dollar kostet so ein Hybridbus, angetrieben von einer Kombination aus einem Elektromotor und einem Dieselaggregat, das Biodiesel schluckt. Dafür gibt es Zuschüsse vom Staat. „Dass GM die Busse baut, ist sicher hilfreich“, sagte Hieftje. „Wir kaufen nur amerikanische Produkte.“ Damit fährt der grüne Bürgermeister von Ann Arbor (offiziell ein Demokrat) eine andere Linie als sein Kollege Boris Palmer, der sich mit seinem ersten Dienstauto aus dem Hause Toyota den Zorn des politischen Establishments zuzog.
Auch der städtische Fuhrpark soll mit umweltfreundlichen Fahrzeugen ausgerüstet werden – alles Teil der Kampagne „Ann Arbor's Green Energy Challenge“, mit der die Verwaltung ihren Energieverbrauch bis 2010 um 30 Prozent drosseln möchte. Umweltfreundliche Technologien, so seine Überzeugung, lassen sich in Amerika nur durchsetzen, wenn sie Geld sparen. Wie die LED-Straßenlampen, die den Nachtschwärmern von Ann Arbor neuerdings heimleuchten: „Das finanziert sich selbst.“
Einige ökologische Neuerungen, die Hieftje vorstellte, riss die Tübinger Besucher allerdings nicht gerade von den Sitzen – dass Sonnenkollektoren auf Dächern gut aufgehoben sind, wussten sie schon. Für US-amerikanische Verhältnisse ist das, was Hieftje in Ann Arbor macht, jedoch ziemlich revolutionär. Vor allem sein Kampf gegen Zersiedlung, den er sich ebenfalls auf die Fahnen geschrieben hat. Hieftje kann aber nicht einfach Gebiete für landwirtschaftliche Nutzung ausweisen, um sie vor Überbauung zu schützen. Regionale Raumplanung existiert in diesem Teil der Welt nicht. Hieftje: „Es gibt 28 Verwaltungen um uns herum, und sie sind alle wie kleine Nationen.“ Die Stadt leistet sich daher den Luxus, das Land einfach aufzukaufen. So entstand der „Green Belt“, der Grüne Gürtel von Ann Arbor.
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