Zu den Merkwürdigkeiten des Auswandererdaseins gehört, dass sich organisierter deutscher Frohsinn weniger vermeiden lässt als einst daheim. Und so finde ich mich in der Karnevalszeit in einer Luftballon-geschmückten Festhalle wieder, an einem Tisch mit anderen Heimatlosen und Versprengten, und werde zwangsgeschunkelt. "Wie ist es am Rhein so schön", spielt die Musikkapelle. "Und wo kommen Sie her?" fragt meine Tischnachbarin. Sie selbst stamme aus Lindau am Bodensee. Dann fängt sie an, vom Allgäu zu schwärmen. Im vergangenen Jahr habe sie sieben Wochen lang Urlaub in der Heimat gemacht. "Es ist so schön dort", sagt sie. "Als man jung war, wusste man das gar nicht zu schätzen." Seit 50 Jahren lebt sie schon in den Staaten.
Der Ansager vom Festkomitee ist wahrscheinlich ähnlich lange in Amiland, kann aber immer noch kein T-Eitsch. "Sank you", ruft er über den Beifall hinweg, nachdem der Elferrat eingezogen ist, "enjoy our German Mardi Gras!" Sogar ein Prinzenpaar haben die hier aufgeboten – was sich auf dem Ankündigungsplakat anhörte wie eine exilbedingte Fusion aus Karneval und Fasching, deckt sich in Wirklichkeit doch mehr mit der rheinischen Variante. "Alaaf und Helau!" rufen seine Tollität Prinz Josef I und ihre Lieblichkeit Prinzessin Marlina. Die glitzernden Perlenketten, die bei der Ehrenparade durch die Luft fliegen, gehören aber eher zum Mardi Gras in New Orleans. Neben mir verfängt sich eine Kette in der Tischdekoration, und ein Weinglas geht zu Bruch. Sie hätten vielleicht doch lieber Konfetti werfen sollen.
"Karneval has a religious background and is celebrated in the period before Lent as a time of frolic, fun and gaiety", steht auf einem Merkblatt, das am Halleneingang ausliegt, "with everyone indulging in food and drink." Nach altem Brauch, der eine Wurst als Fastnachtsspeise vorsieht, werden Hot dogs serviert. Ich verzichte und esse lieber einen Apfelstrudel, während ich mir den Rest des eng gedruckten Karneval-Merkblattes zu Gemüte führe: "People sway and sing songs, which are especially composed for the Karneval season, and some of the melodies gain such a popularity that they are remembered and sung for years to come." Wahrscheinlich ist damit so unvergängliches Liedgut wie der "Anton aus Tirol" gemeint, der gerade erklingt.
Was mir auffällt an diesen Faschings-Hits: In Deutschland trällert man Schlager, die das Fernweh zelebrieren, und in der Fremde wird die Heimat-Melodie gepflegt. "In der Heimat, in der Heimat, da gibt's ein Wiedersehn..." Selbst "Griechischer Wein" hört sich in diesem Kontext ganz anders an – ich kriege eine Gänsehaut. Bei "Es gibt kein Bier auf Hawaii" werde ich endgültig nostalgisch und begebe mich an die Bar. Dort wird Warsteiner ausgeschenkt. Hurra!
In Detroit gab's immer Bier, außer in der Prohibition – deswegen hat sich ein Ehepaar auch in lokaler Anspielung als Bierdose verkleidet, ich meine: als zwei Bierdosen. Auf dem etwas sperrigen Kostüm, offenbar mit Hilfe von Hoolahoop-Reifen konstruiert, steht "Stroh Beer" – das wurde mal in Downtown gebraut. Ansonsten gibt es Engelchen, Teufelchen, Haremsdamen, Herzensbrecher und alle möglichen anderen Peinlichkeiten und Anzüglichkeiten. Als typisch amerikanische Verkleidung wäre das auch an Halloween beliebte Kissing-Booth-Kostüm zu nennen – "Kisses 1 Dollar". Man sieht allerdings verhältnismäßig wenige Cowboys. Und keine Indianer.
Dafür gibt es eine Funkengarde, "Blau-Weiß Sarnia", aus Kanada importiert. Die Mädels sind wirklich sehr gelenkig, wahrscheinlich trainieren sie ganzjährig. Oder sie praktizieren den Rest des Jahres als Cheerleader. Der Ansager ist ganz aus dem Häuschen: "And now a Prosit der Gemütlichkeit for the girls!"