Textilien zeigen generell die Tendenz zum Einlaufen – nicht nur in der Waschmaschine. Auch ein Blick auf die Modegeschichte lässt den Schluss zu, dass Kleidungsstücke gemeinhin an Schwindsucht leiden. Beispiel: das weibliche Badekostüm. Man kann sich heute gar nicht mehr vorstellen, wie viel Stoff es noch um die vorige Jahrhundertwende herum brauchte, um sich schicklich in die Fluten zu stürzen. Aber dann kam der Franzose Louis Réard und erfand den Bikini. 1946 war das. Liebling, ich habe den Badeanzug geschrumpft! Allerdings fand sich kein Mannequin, das dieses textile Nichts vorzuführen wagte. Am Ende posierte das Pariser Nacktmodell Micheline Bernardini darin.
Der knappe Zweiteiler schlug ein wie eine Bombe. Das lag ganz in der Absicht des Erfinders: Am 1. Juli 1946, vier Tage vor Einführung der stoffsparenden Textilie, hatten die Amerikaner auf dem Bikini-Atoll mit Atombombentests begonnen. Bei der Namensgebung stand die Insel im Pazifik Pate. Die moralische Empörung war groß – vor allem über den Bikini. Woran man sieht, dass auch Bademoden ein explosives Thema sein können.
Bis der Bikini im prüden Amerika salon- beziehungsweise strandfähig wurde, das dauerte allerdings noch ein paar Jährchen. Erst der Film Und Gott schuf das Weib mit Brigitte Bardot von 1957 schuf einen Markt für den Zweiteiler in den USA. Bald schon sang Brian Hyland sein Liedchen vom "Itsy Bitsy Teenie Weenie Yellow Polka Dot Bikini". Der Bikini-Boom war nicht mehr aufzuhalten. Weiter gingen die Amerikaner allerdings nicht; den am Mittelmeer populären Monokini akzeptierten sie bekanntlich nie. Und das liegt nicht nur am kalten Wasser im Atlantik.
Was sich auf der anderen Seite des großen Badeteiches weniger herumgesprochen hat: Die US-Herren-Bademode widersetzt sich dem Trend zur Verknappung bis heute. Vor einem Amerikaurlaub sollte man das beachten. Die gemeine deutsche Badehose ist – na ja, nicht gerade verboten, aber sie wirkt doch reichlich unpassend an amerikanischen Stränden, wo die Männer sich in knielangen Schwimmshorts sonnen. Und offenbar nichts dabei finden, wenn ihnen die nassen Stoffmassen im Wasser um die Beine schlottern.
Pack die Badehose ein – aber die richtige: Für einen USA-Urlaub empfehlen sich Schwimmshorts, wenn man(n) nicht zur Sensation am Strand werden möchte. Bei jüngeren Beachboys sind in diesem Sommer Badeshorts in Knallfarben mit konstrastierenden Seitenstreifen beliebt, nach Möglichkeit mit Überknielänge und im Schritt etwas tiefer gelegt. Schnittige Badehosen, im Englischen nach dem Markennamen kurz Speedo genannt, bleiben Wettkampfschwimmern vorbehalten – oder den muskulösen Männern auf den Titelseiten der Fitness-Magazine.
Auch Arnold Schwarzenegger tauchte in Vor-Gouverneurszeiten schon in einer Speedo an kalifornischen Gestaden auf. Und machte sich zum Gespött. Die knappe Sportbadehose sei allenfalls im Kur- und Saunabereich akzeptabel, meint der US-Stilratgeber Men’s Wardrobe. Also überall dort, wo sich der Durchschnittseuropäer ohne weiteres im Adamskostüm bewegt.
In der Damen-Bademode ist der kleine kulturelle Unterschied weniger ausgeprägt. Zwar verdecken Amerikanerinnen die landesübliche Leibesfülle gerne mit einem Badeanzug, der ein angeschnittenes Röckchen besitzt. Aber auch der Bikini mit mehr oder weniger knappem Oberteil ist nach wie vor populär – und das tief geschnittene Höschen entspricht sowieso seit Jahren internationalem Standard: die Steißtätowierung sollte voll zur Geltung kommen.
Nachtrag:
stern.de hat eine wunderbare Fotostrecke zu diesem Thema – "Petition für die bedeckte Po-Falte".