In Ann Arbor, wo Obama einen 83-Prozent-Sieg einfuhr, zogen Studenten über den Campus, und im nahen Detroit tanzten Menschen auf den Straßen: Impressionen vom Wahltag im Bundesstaat Michigan.
Schon in der Frühe wurden überall im Land lange Schlangen vor den Wahllokalen gemeldet, und die Tübinger Partnerstadt Ann Arbor machte keine Ausnahme. In der Unistadt hatten sich im September rund 6000 neue Wähler registrieren lassen, darunter viele Studenten. Strahlender Sonnenschein machte das Warten leicht; für einen 4. November war das Wetter ungewöhnlich warm. Dazu kam eine festliche Aufbruchstimmung – anders lässt sich das nicht beschreiben. Und noch mehr Leute als sonst hatten einen Kaffeebecher in der Hand, eine bekannte Kaffeehauskette gab zur Feier des Tages einen aus. Die Botschaft war: Wählen gehen!
Unter den Erstwählern waren nicht nur junge Leute: Im Detroiter Fernsehen bekannten gestandene Menschen in den Dreißigern und Vierzigern, zum ersten Mal an die Urne gegangen zu sein. Manche brachten Kinder mit zum Wahllokal, sie sollten den historischen Moment miterleben. Und es gab jede Menge Barack-Obama-T-Shirts. Anhänger des Republikaners John McCain verhielten sich vergleichsweise diskret; sie warben allenfalls mit einem Schildchen im Vorgarten.
In der Michigan-Metropole Detroit, an deren südwestlichem Rand die Stadt Ann Arbor liegt, waren die politischen Präferenzen sichtbar verteilt – zumindest in den reichen Vorstädten lag McCain bei der Abstimmung per Rasenschildchen vorn. Anders im überwiegend von Afroamerikanern bewohnten Detroit: Zehntausende hatten dort bei Veranstaltungen Obama zugejubelt. Und im traditionell demokratischen Ann Arbor, das die Obama-Kampagne erheblich gesponsert hatte (wir berichteten), war der Wahlausgang ohnehin klar. Wie die Lokalzeitung „Ann Arbor News“ kürzlich berichtete, wurde aus einem Garten in der Innenstadt ein McCain-Schildchen geklaut – wahrscheinlich war es das einzige. Noch weniger fein war, dass der Besitzer außerdem ein Päckchen mit Hundekot zugestellt bekam.
Im Laufe des Wahltags wuchs die Spannung. In Chicago, wo Obama mit seiner Familie lebt, strömten die Leute in den Grant Park unweit vom Ufer des Michigansees. Die Großstadt Chicago liegt knapp fünf Autobahnstunden von Ann Arbor entfernt, und viele wünschten, sie wären dort. Aber Wahltage sind gewöhnliche Arbeitstage in Amerika, und so war das für die meisten nicht zu schaffen.
Der Wahlabend dauerte dann doch etwas länger als gedacht. Nachts um elf verkündeten die Fernsehsender endlich den Sieg Obamas. Seine Fans verschickten E-Mails: „Hurra, wir haben gewonnen!“ Auf dem Bildschirm: weinende Menschen, selbst altgediente Fernsehjournalisten schluckten. 400 Jahre nach Ankunft der ersten afrikanischen Sklaven in Nordamerika wählten die USA einen schwarzen Präsidenten. In den großen Städten, auch in Detroit, feierten die Menschen in der Nacht auf den Straßen.
Auch in Ann Arbor hielt es viele nicht zu Hause. Kurz nach halb zwölf, so berichten die lokalen Medien, kamen die ersten feiernden Studenten auf dem zentralen Campus zusammen. Die Menschenmenge setzte sich in Bewegung, und bald zogen 1000 Leute durch die Unistadt. „So etwas habe ich noch nie gesehen“, zitiert die „Ann Arbor News“ Bürgermeister John Hieftje, der gerade in einer Kneipe seinen eigenen Wahlsieg feierte – er wurde für eine fünfte Amtszeit bestätigt. „Man konnte sie kommen hören, und dann ging die halbe Bar nach draußen und lief mit.“
Die Lokalzeitung, die zwei Mal stramm für Bush gestimmt hatte, konnte sich diesmal übrigens nicht zur Unterstützung eines Kandidaten durchringen – beide hätten eine mangelhafte Kampagne geführt, so die Begründung. In Washtenaw County, also im Landkreis, erhielt McCain nicht einmal 29 Prozent der Stimmen – weniger als Bush im Jahr 2004. Auch die Demokraten im Kongress profitierten von der Obama-Begeisterung: Zwei Republikaner aus dem Repräsentantenhaus verloren im Südwesten Michigans ihren Sitz an den demokratischen Herausforderer.
Im 15. Bezirk, zu dem Ann Arbor gehört, wurde der demokratische Abgeordnete John Dingell mit 73 Prozent im Amt bestätigt. Aber auch Dingell, das am längsten amtierende Mitglied des Repräsentantenhauses, bekommt zu spüren, dass jetzt ein anderer Wind weht: Zu lange hat er die Interessen der Detroiter Autoindustrie gegen Umweltauflagen verteidigt, und so verliert er jetzt wahrscheinlich den Vorsitz im Energie-Ausschuss des Hauses. Der demokratische Senator Carl Levin, seit 1979 im Amt, kann sich über 71 Prozent der Stimmen freuen.