Friday, January 4, 2008

Momentum

Im Englischen gibt es einen Begriff, der vor allem im Sport und in der Politik auftaucht und für den die deutsche Sprache keine exakte Entsprechung kennt: momentum. Derzeit wird dieses Wort besonders häufig gebraucht.

Momentum – das ist die Erfolgswelle, auf der eine Mannschaft von Sieg zu Sieg reitet, dem Meistertitel entgegen. Es ist der häufig bemühte Rückenwind, den ein Teilnehmer im Wettkampf oder Wahlkampf verspürt. Der Auftrieb, den ein Kandidat erhält, wenn er urplötzlich den Zeitgeist zu verkörpern scheint und die Massen mobilisiert. Barack Obama hat zweifellos momentum.

Nun mag man sich darüber streiten, wie repräsentativ die Wähler sind, die im Bundesstaat Iowa für den demokratischen Senator Obama stimmten. Aber immerhin brachten die Demokraten für die innerparteiliche Kandidaten-Kür mehr als doppelt so viele Wähler auf die Beine wie die Republikaner: 200.000 Menschen begaben sich gestern Abend bei Eiseskälte in eine Turnhalle oder einen Kirchensaal, um sich für ihren Kandidaten in eine Ecke zu stellen. Dieses basisdemokratische Verfahren, bei dem Wähler buchstäblich mit den Füßen abstimmen, ist besonders günstig für die Entwicklung von momentum: Die Obama-Anhänger hatten offenbar regen Zulauf in ihrer jeweiligen Ecke. 38 Prozent – davon hätte keiner zu träumen gewagt, nicht einmal Obama selbst. In einem nahezu weißen Bundesstaat jubelten die Menschen einem farbigen Kandidaten zu!

Zum momentum gehört, dass Träumen erlaubt ist. Auch die Hautfarbe spielt dann keine Rolle mehr. Selbst wer in Obamas Wohlfühlrhetorik bisher die Substanz vermisste, wurde gestern Abend weich. Die Amerikaner haben genug von Kriegstreibern und Angstmachern. Sie wollen einen Präsidenten, der optimistisch in die Zukunft blickt und dabei versöhnlich wirkt. Im Gegensatz zum aktuellen Amtsinhaber, der bei Fernsehauftritten im Zuschauer das Bedürfnis weckt, mit den Fäusten auf den Bildschirm zu trommeln, wirkt der 46-jährige Hoffnungsträger geradezu blutdrucksenkend. Obama tut gut. Es ist eine reine Freude, ihm zuzuhören.

Whatever their political affiliations, Americans are going to feel good about the Obama victory, which is a story of youth, possibility and unity through diversity – the primordial themes of the American experience“, schreibt der konservative Kolumnist David Brooks heute in der New York Times. Obama steht für das Prinzip Hoffnung schlechthin. Daneben verblasst auch der Überraschungserfolg des Republikaners Mike Huckabee, eines ehemaligen Baptistenpredigers, der gerade sein eigenes momentum erlebt.

Huckabee, eine eher schlichte Figur, wird in weniger evangelikal geprägten Bundesstaaten wohl deutlich schlechter abschneiden. Der Auftrieb, der sich aus der Zuversicht und Begeisterung der Anhänger speist, kann sich auch rasch wieder abschwächen. Ob das momentum bei Obama bis ins Ziel trägt, wird man sehen. Am Tag nach der Wahl scheint die Euphorie jedenfalls noch zu wachsen.

Die Reaktionen auf das schlechte Abschneiden von Hillary Clinton und Mitt Romney, die sich als Kandidaten für unumgänglich hielten, lässt sich ebenfalls in einem einzigen Wort zusammenfassen. Und in diesem Fall ist nicht einmal eine Übersetzung nötig – schadenfreude!