Der Parkplatz ist riesig – wahrscheinlich größer als der von europäischen Filialen, aber in Amerika braucht eben alles mehr Platz. Dafür steigt am Eingang gleich ein vertrauter Duft in die Nase: nach Holzleim und nach Zimt. So riecht’s nur bei Ikea. Und gleich fühlt man sich ganz wie zu Hause. Wohnst du noch oder lebst du…?
Nun, ich habe in den Staaten bisher ganz gut überlebt, auch ohne das blaugelbe Möbelhaus. Allerdings, wenn ich es mir recht überlege, stimmt das gar nicht – als vor dreieinhalb Jahren mein Umzugscontainer ankam, verstaute ich den Inhalt aus 25 Bücherkisten in sieben weißen Billy-Regalen. Die hatte ich online bestellt, und die firmeneigene Spedition brachte sie mir direkt ins Apartment. Eines Tages stand ein Mann mit einem länglichen Paket im Arm vor der Tür und sagte: „Hi, I’m from [ai'ki:a]!“ Es dauerte einen Moment, bis bei mir der Groschen fiel. Dann lachten wir beide. Mein Mann baute die Regale zusammen, ich räumte die Bücher alphabetisch geordnet in die Fächer, und im Wohnzimmer sah es im Handumdrehen aus wie früher. Herr Goethe braucht immer noch ein ganzes Regalfach. Seitdem fühle ich mich hier ganz zu Hause.
Im Bewusstsein, notfalls jederzeit an weitere Regalbausätze zu kommen, wurden wir auch nicht nervös, als sich die lange angekündigte Ikea-Neueröffnung in Metro Detroit immer weiter hinausschob. Der Rest der Welt konnte es hingegen kaum mehr erwarten. Als die schwedische Möbelkette im Juni ihre Filiale in Canton eröffnete, die erste in Michigan, gab es einen Massenansturm wie bei einem Superbowl-Spiel, und der Verkehr brach weitläufig zusammen. Die Medien sprachen vom „Ikea-Fieber“. Sogar „Spiegel-Online“ berichtete darüber. Ein paar Leute hatten drei Tage lang auf dem Ikea-Parkplatz kampiert – und das alles für den Sessel Poäng im Wert von 79 Dollar, den die ersten 100 Kunden geschenkt bekamen.
Unser gesamter Freundeskreis pilgerte im Lauf der vergangenen Monate zu Ikea; samstägliche Familienausflüge schienen überhaupt nur noch ein Ziel zu haben. War man irgendwo eingeladen, gab es in der Mikrowelle aufgewärmte Ikea-Zimtschnecken. Neben spannenden Bausätzen führt die Möbelkette nämlich schwedische Leckereien im Sortiment, und die sind sogar fertig. Mindestens eine meiner Bekannten ist davon abhängig – irgendjemand fährt immer nach Ikea, und sie lässt sich die klebrigen Teilchen dann mitbringen. Wir hingegen verschoben unseren Trip immer wieder. Irgendwann zwischen Weihnachten und Neujahr gab es aber keine Ausrede mehr: Eine neue Kommode musste her.
Ein Besuch bei Ikea ist wie ein Treffen mit guten alten Bekannten aus der Studentenzeit. Gleich zu Beginn des Möbel-Labyrinths stehen die Sofas. „Hey – es gibt immer noch Klippan“, höre ich mich beim Anblick eines schnittigen Zweisitzers jubeln. Es ist allerdings auch so unbequem wie früher, stellt sich beim Probesitzen heraus. Sofa Sandhem dagegen gefällt uns richtig gut. Schön schlicht, sowas gibt’s in amerikanischen Möbelhäusern nur selten. Bequem zurückgelehnt schauen wir zu, wie sich Amerikaner für schwedisches Möbeldesign erwärmen. Eines muss man ihnen lassen – Shopping betreiben sie stets mit größtem Ernst, den nicht einmal schwedische Produktnamen beeinträchtigen. Die französischsprachige Kundschaft habe ich da ganz anders in Erinnerung: In der Ikea-Filiale am Genfersee lasen sich die Leute gegenseitig die Schildchen vor und lachten sich kringelig.
Je weiter wir vordringen, desto aufgekratzter werden wir. All das helle Holz! Und das geradlinige Design! Nicht zu fassen: Kaum sieht man ein paar blonde Schwedenmöbel herumstehen, da fühlt man sich schon wie Karlsson auf dem Dach. Reif für einen Urlaub in den Schären. Bullerbü, wir kommen! An der Kasse riecht es wieder nach Zimtschnecken, die in der deutschen Astrid-Lindgren-Übersetzung Zimtwecken heißen.
Die Euphorie hält an, bis mein Mann die Kommodenschubladen zusammenschraubt. Ein Loch ist falsch gebohrt und muss künstlich erweitert werden. Es sieht nicht schön aus. Als ich die Schublade vor dem Einbauen auswische, bricht eine Seitenleiste entzwei. Was nun? Noch einmal nach Canton? Mein Mann hat eine andere Lösung: Er holt eine Tube Holzleim und verklebt großzügig die Bruchstelle sowie sämtliche Fugen und Ritzen. Am Ende ist die Schublade quasi mit Leim getränkt. Im Moment hält sie noch.
Wie war das noch – wie heißt die Steigerungsreihe von „egal“? Der Superlativ lautet jedenfalls: „Ikearegal“.